Übersichtsarbeiten - OUP 09/2019

Schwere hüftnahe Frakturen beim Radfahren

Die Daten zur Analyse der Fahrradverletzungen wurden von 100 Patienten erhoben, die sich im Zeitraum 2004–2016 nach einer Operation wegen eines Fahrradunfalls zur stationären Rehabilitation für 3–4 Wochen in der orthopädischen Rehaklinik befanden. Die Daten wurden durch ein persönliches Gespräch und Einsicht der Akten und Röntgenbilder gewonnen. Einige Patienten konnten sich, besonders wenn sie am Unfalltag allein Fahrrad gefahren waren, nicht genau an das Unfallereignis erinnern. Selbst versierte Rennradfahrer konnten nicht immer die Unfallursache angeben („Es ging alles so schnell“). Möglicherweise wurden auch wegen einer nicht geklärten Schuldfrage (oder wegen BG-Anerkennung) divergierende Angaben gemacht: 2 Patienten gaben während des stationären Aufenthalts sogar 2 verschiedene Versionen an, wie sie mit dem Fahrrad zu Fall gekommen seien.

Die Verletzungsdiagnosen und die durchgeführten Operationen wurden aus den beigefügten Unterlagen der operierenden Krankenhäuser entnommen ( Tab. 1). Nicht immer waren die Unterlagen vollständig, und gelegentlich waren auch keine Röntgenbilder mitgeschickt worden. Daher sind manche Diagnosen und Operationsmethoden so pauschal (z.B. „Schenkelhalsfraktur“), wie sie in den Arztbriefen erwähnt worden waren.

Die verletzten Radfahrer waren im Mittel 59,3 Jahre alt (16–85 Jahre), darunter waren 52 Männer und 48 Frauen. Die jüngste Patientin (16 Jahre) war auf dem Fahrrad als Schülerin von einem etwa 80 km/h schnellen Auto angefahren worden und hatte eine Femurschaftfraktur erlitten, die älteste Patientin (85 Jahre) hatte sich beim Absteigen vom Fahrrad eine Weber-B-Fraktur am Sprunggelenk zugezogen.

In der Gruppe der Fahrradfahrer befanden sich einige aktive und ehemalige Rad-Leistungssportler (ein Teilnehmer der Rad-Amateurbundesliga, ein westdeutscher Meister im Triathlon mit 800 km Radtraining pro Woche, eine Triathletin beim Training, ein Teilnehmer an einem Mountainbike-Marathon, eine Rennradfahrerin, die 12–14 Stunden wöchentlich trainiert, ein Teilnehmer, der bis zu 250 km pro Woche Fahrrad fuhr) sowie andere ehemalige Leistungssportler (eine Tennisleistungssportlerin, ein ehemaliger Teilnehmer der Deutschen Meisterschaften Skilanglauf, ein Marathonläufer mit 2:45 Stunden, ein Turner der Oberliga).

Aber auch einige Verunglückte, die das Fahrrad als Vehikel zur Arbeit oder als Mittel zum Gesundheitssport benutzten, gaben an, im Jahr mehrere tausend Kilometer Rad zu fahren.

Besonders zu erwähnen sind die 20 Radfahrer, die mehrere Frakturen erlitten haben und teilweise dabei ein lebensgefährliches Polytrauma entwickelten (Tab. 2):

  • Fall 1: Frau, 53 Jahre. Diagnosen: stabile Beckenringfraktur rechts, distale Radiusfraktur rechts. Ursache: vom Auto angefahren. Therapie: konservativ.
  • Fall 2: (Abb. 1): Mann, 60 Jahre. Diagnosen: Azetabulumtrümmer-, Scapula-, Schambeinfraktur jeweils links, kleine Platzwunde am Schädel. Ursache: mit Rennrad bei 25 km/h auf der eigenen Fahrspur etwas nach links gefahren, ein schnell überholendes Auto streifte den Lenker, dieser wurde verdreht, der Radfahrer fiel auf die linke Seite. Therapie: 4-stündige OP, 8 Wochen Bettruhe. Bemerkungen: Der Lenker des Fahrrads war links leicht verbogen. Der Helm hatte äußerlich 2 und innerlich 3 Risse (Abb. 2).
  • Fall 3: Mann, 74 Jahre. Diagnosen: Schenkelhals- und Oberarmfraktur. Ursache: mit dem Hinterrad auf einem Lehmklumpen ausgerutscht. 3-Gang-Tourenrad, normal breite Reifen. Therapie: Osteosynthese.
  • Fall 4: Frau, 78 Jahre. Diagnosen: Claviculafraktur rechts, Skapulafraktur, Rippenserienfraktur rechts. Ursache: Fahrradunfall. Therapie: Osteosynthese der Clavicula; andere Frakturen konservativ.
  • Fall 5: Frau, 58 Jahre. Diagnosen: Azetabulum- und Sitzbeinfraktur. Ursache: eigenes Verschulden. Therapie: Osteosynthese. Bemerkungen: postoperativ Lungenembolie.
  • Fall 6: Mann, 73 Jahre. Diagnosen: pertrochantäre Femur- und Ellenbogenfraktur. Ursache: beim Aufsteigen auf sein Fahrrad (Leihfahrrad) stürzte er, weil er von dem Pedal abgerutscht war. Er fiel ohne Fremdeinwirkung auf die linke Seite. Therapie: Gamma-Nagel, Schrauben Ellenbogen. Bemerkungen: 30 kg Teilbelastung für 6 Wochen.
  • Fall 7: Frau, 60 Jahre. Diagnosen: offene Tibia-, Clavicula-, Querfortsatzfraktur der HWS, Rippenfraktur. Ursache: Die Patientin wollte mit ihrem Fahrrad die Straße queren und wurde von einem Motorrad angefahren und durch die Luft gewirbelt. Der Motorradfahrer sei etwa 50 km/h gefahren, 30 km/h seien erlaubt gewesen. Therapie: Fixateur, Epigarddeckung, später Nagelung.
  • Fall 8: Mann, 57 Jahre. Diagnosen: Azetabulum- und Beckenringfraktur. Ursache: Gruppe von Rennradfahrern, Patient war an 2. Stelle, der Vordermann scherte aus nach links, um sich hinten wieder einzureihen, dabei berührte er das Vorderrad des Patienten mit seinem Hinterrad. Radtour Zürich-Krefeld. Regelmäßig Sport, Marathonbestzeit 2 h 45 min. Therapie: Osteosynthese, zunächst Belastung mit 4-Punktgang, später nach Röntgenkontrolle wieder Teilbelastung 3-Punktgang.
  • Fall 9: Frau, 55 Jahre. Diagnosen: Tibiakopf- und Deckplattenimpressionsfraktur. Ursache: mit einem Stadtfahrrad gefahren, plötzlich kam aus dem Gebüsch ein Hund, die Patientin bremste und stürzte. Sie trug keinen Helm. Therapie: Tibiaplatte und Spongiosaanlagerung. Entlastung.
  • Fall 10: Mann, 60 Jahre. Diagnosen: Tibiakopftrümmer-, Ripppen-, OSG-Fraktur rechts. Ursache: Patient war mit einem normalen Herrenfahrrad auf einem asphaltierten Feldweg unterwegs, er wollte nach links abbiegen, dann kam ein Rollerfahrer von hinten, der ihn überholen wollte. Therapie: Fixateur, Epigard, später Nagelung.
  • Fall 11: Frau, 55 Jahre. Diagnosen: vordere Beckenring-, Massa lateralis-, Sakrum- und Radiusfraktur links. Ursache: Als Radfahrerin mit E-Bike zusammengestoßen. Therapie: OP: Platte Radius. Bemerkungen: Apoplex vier Jahre zuvor.
  • Fall 12: Frau, 25 Jahre. Diagnosen: zweitgradige offene distale Radiusluxationsfraktur links, Mehretagen-Tibia-Fraktur rechts, distale Femurfraktur, traumatische subarachnoidale Blutung, Kniegelenkluxationsfraktur links mit beinahe zirkulärem Weichteildefekt, Fraktur der Femurkondyle medial, knöcherner hinterer Kreuzbandausriss, vordere Kreuzbandansatzruptur, multifragmentäre Patellafraktur mit Patellasehnenteilruptur, offene Bursa präpatellaris mit kleiner Fragmentabsprengung der Patella medialseitig rechts, Riss-/Platzwunde Oberlippe sowie Vertebralisdissektion rechts (beginnend V1-Segment). Ursache: Die Patientin war im Januar mit dem Rennrad beim Ausscheren zum Überholen der Gruppe von einem Pkw erfasst worden. Therapie: 5 Operationen in einem Zeitraum von 7 Wochen: Platte, Nagelosteosynthese, Schrauben. Debridement und Schraubenosteosynthese des distalen Femurs links sowie Schraubenosteosynthese Patella, Patellateilresektion, Patellasehnennaht, Cerclagen und Reinsertion hinteres Kreuzband, transossäre Naht vorderes Kreuzband, Anlage kniegelenksübergreifender Fixateur externe. Außerdem Fixateur externe bei Unterschenkelstückfraktur rechts. Wegen distaler Radiusluxationsfraktur links erfolgte eine palmare Osteosynthese mit 2-Säulenplatten. Weitere Operationen wegen Weichteildefekten am dorsolateralen Unterschenkel und Kniegelenk links mit Hauttransplantationen. Bemerkungen: Die Patientin trug beim Unfall einen Helm, der geborsten war. Triathletin.
  • Fall 13: Mann, 61 Jahre. Diagnosen: pertrochantäre Schenkelhals- und Claviculafraktur. Ursache: Patient ist auf seinem Mountainbike in der Kurve auf Rollsplit langsam weggerutscht. Therapie: Gammanagel.
  • Fall 14: (Abb. 3): Frau, 48 Jahre. Diagnosen: Azetabulumfraktur links, Ellenbogenluxation, Beckenringfraktur rechts, Abduzenzparese, Lungenkontusion, Fleischwunde Unterschenkel rechts, vordere Kreuzband-Teilruptur. Ursache: Die Patientin wollte als Radfahrerin nur eine kurze Strecke mit der Familie über die Landstraße fahren und dann wieder in einen Feldweg einbiegen. Sie war die letzte der Familie, vor ihr fuhren die 2 Kinder. Sie wurde von einem Pkw (Fahrer 87 Jahre) mit etwa 80 km/h angefahren, auf die Motorhaube geschleudert und prallte rückwärts mit dem Kopf in die Scheibe. Sie trug einen Helm. Therapie: konservativ. Entlastung links 6 Wochen. Bemerkung: Es verbleibt eine Instabilität des Ellenbogengelenks.
  • Fall 15: Frau, 46 Jahre. Diagnosen: LWK1– und Schulterfaktur rechts (Abriss Coracoid). Ursache: Auf dem Rennrad kam es zu einem Zusammenstoß mit einem Pkw, der auf ihrer Straßenseite entgegenkam. Sie prallte mit dem Kopf auf die Motorhaube, dann auf die Windschutzscheibe und wurde dann ins Feld geschleudert. Sie trug einen Helm. Die Schuldfrage ist nicht geklärt. Sie kann sich an den Unfall nicht genau erinnern. Therapie: operative Versteifung LW 1 von dorsal, 4 Tage später von ventral, mit Implantation eines Beckenkamm-Spanes. An der Schulter wurde eine Schraube eingebracht. Gilchristverband.
  • Fall 16: Frau, 58 Jahre. Diagnosen: stabile LWK 1 und 3 Keilkompressionsfraktur. Ursache: Die Patientin ist an der Ostsee auf einem Hollandrad gefahren. Weil am Hinterrad ein Geräusch war, drehte sie sich um, lenkte den Lenker dabei nach rechts und kollidierte mit einem Baum. Dann fiel sie auf den rechten Arm und den Rücken. Therapie: konservativ, Dreipunktkorsett.
  • Fall 17: Frau, 28 Jahre. Diagnosen: eine offene distale komplette Unterschenkelfraktur, Radiusköpfchenfraktur. Ursache: Die Ärztin war mit dem Fahrrad auf dem Weg zur Arbeit und stürzte. Therapie: Osteosynthese mit Verriegelungsnagel, Radiusfraktur konservativ.
  • Fall 18: Mann, 54 Jahre. Diagnosen: Tibiakopf- und Radiusfraktur. Ursache: Der Patient war beim Fahrradfahren auf die linke Seite gestürzt, dabei zog er sich eine laterale Tibiakopf-Mehrfragment-Impressionsfraktur mit großem Spongiosadefekt (ca. 2 cm Durchmesser) zu. Therapie: Außenmeniskusrefixation, Spickdraht Radius. Bemerkung: tiefe Beinvenenthrombose der Vena iliaca 26 Tage später.
  • Fall 19: Mann, 53 Jahre. Diagnosen: Calcaneus Mehrfragment- und Talusfraktur links, HWS-Zerrung, Commotio cerebri. Ursache: Der Patient ist beim Radfahren gestürzt und auf die linke Seite gefallen. Normalgewichtig. Therapie: Schraubenosteosynthese. 8 Wochen Entlastung.
  • Fall 20: Mann, 43 Jahre. Diagnosen: instabile BWK-7-Fraktur, komplette Mittelgesichtsfraktur Le Fort 1, nicht dislozierte Fraktur des Collum mandibulae rechts, retrobulbäres Hämatom rechts, Commotio, distale Radiusfraktur links. Ursache: Beim Fahrradrennen („Komet von Köln“, Patient ist Lizenzfahrer) gestürzt, wahrscheinlich weil sein Vordermann ebenfalls gestürzt war. Unfallhergang nicht genau erinnerlich. Er hatte ein Rennrad. Die Straße war trocken. Geschwindigkeit über 50 km/h. Therapie: Tracheostoma. Navigierte dorsale OP: Spondylodese BWK5/6 auf 8/9. Operation der Gesichtsfraktur: intraoperativ Drahtbogenschiene als Fixierung im Oberkiefer und Unterkiefer für 14 Tage, dann weitere 7 Tage durch Gummizüge. Redressierende, konservative Versorgung der distalen Radiusfraktur links, Ruhigstellung von insgesamt 6 Wochen. Bemerkung: Ernährung flüssig durch Strohhalm.
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