Übersichtsarbeiten - OUP 09/2019

Schwere hüftnahe Frakturen beim Radfahren

Wer an diesen Kollisionen Schuld hat, ist eine permanente Streitfrage. Laut statistischem Bundesamt war der Radfahrer bei Unfällen mit einem Pkw nur zu 24,6 % und bei Unfällen mit Güterkraftfahrzeugen nur zu 19,6 % der Hauptverursacher des Unfalls [12]. Bei getöteten oder schwerverletzten Radfahrern schien die Schuldfrage häufiger bei den Radfahrern (40 % bei den Radfahrern, 60 % bei den Pkw-Führern) zu liegen, was aber möglicherweise an der mangelnden Widerspruchsmöglichkeit der Radfahrer liegen könnte [16]. Allerdings wurde in Polizeiberichten bei 89 % der Radfahrer eine „nicht angepasste Geschwindigkeit“ dokumentiert [16].

Im Jahre 2017 wurden in Deutschland 128 Radfahrer auf einer Landstraße und 254 innerorts getötet [13]. In unserer Untersuchung war besonders die Kollision mit einem überholenden Auto lebensgefährlich. Das liegt oft daran, dass die Autofahrer in Deutschland nur selten den Mindestabstand von 1,50 m zum Radfahrer einhalten. Hinweisschilder über 1,50 m Abstand sind in Spanien häufig zu finden, aber in Deutschland ist diese Vorschrift quasi unbekannt. Eigentlich müssten Kraftfahrzeuge zum Überholen immer auf die Gegenfahrbahn ausscheren. Dazu wäre der Gegenverkehr abzuwarten. Dann wäre die Gefährdung der Radfahrer deutlich geringer.

Viele Radfahrer fahren schon von sich aus ganz rechts am Straßenrand; bei Hindernissen am Straßenrand (Büsche, Glasscherben, Straßendefekte) müssen sie aber etwas in Richtung auf die Mitte des eigenen Fahrstreifens ausweichen – was den Autofahrer eigentlich zwingen müsste, ganz auf den anderen Fahrstreifen zu wechseln oder die Geschwindigkeit zu drosseln und eventuell zu warten. Viele Pkw-Führer fahren aber dennoch mit unveränderter (meist hoher) Geschwindigkeit und ohne Spurwechsel vorbei.

Dabei entstehen bei beiden Verkehrsteilnehmern Emotion: Der Radfahrer empfindet Angst und Wut, während der Autofahrer den Drang verspürt, den Radfahrer von der Bahn zu fegen: „Welchen Chauffierenden hätten nicht schon die Kräfte seines Motors in Versuchung geführt, das Ungeziefer der Straße, Passanten, Kinder und Radfahrer, zuschanden zu fahren?“ (Theodor Adorno, Dialektik der Aufklärung).

Radfahrer sind aber auch verpflichtet, nachfolgenden, schnelleren Fahrzeugen das Überholen zu ermöglichen (§ 5 Abs. 6 StVO). Wenn dies nicht anders möglich ist, muss dazu an geeigneter Stelle (Seitenstreifen, Bushaltestelle) angehalten oder weit rechts gefahren werden. Dazu müssen jedoch mindestens 3 Fahrzeuge aufgeschlossen haben und es muss absehbar sein, dass ein Überholen ansonsten für längere Zeit nicht möglich ist.

Bei einer jährlichen Anzahl von 14.480 (im Jahre 2016) bis 14.123 (2017) schwerverletzten Radfahrern [13] ist inständig zu hoffen, dass sich ein rücksichtvolles Verhalten beider Verkehrsteilnehmer irgendwann einmal durchsetzt.

Dass ein Sturz vom Fahrrad auf die Seite auch bei jüngeren Menschen zu Frakturen führt, liegt am starren Hebel des Fahrradrahmens: Bei einer Höhe des Sattels von 100–130 cm (je nach Körpergröße) prallt der Trochanter wie ein Hammerschlag direkt auf die Straße, und zwar ohne Verdrehung, Einsacken oder Abfedern der Beine. Zusätzlich addiert sich Momentangeschwindigkeit des Rads zu der Aufprallenergie der Fallhöhe (Abb. 1). Die Kraft, die zu einer Becken- bzw. Hüftfraktur führt, liegt zwischen 3,61 kN und 8 kN [4, 11], wobei eine Minderung der Knochendichte die Bruchfestigkeit erniedrigt. Auch die Ausprägung des Weichteilgewebes über dem Trochanter hat eine Änderung des Frakturrisikos zur Folge [1]. Es wäre daher dringend zu empfehlen, die Trochanterregion durch Hüftprotektoren zu schützen (Abb. 6). Dies kann durch entsprechende Fahrradhosen mit intergierten Protektoren oder durch andere Hüftprotektoren, die ein gute Reduktion der Aufprallkraft gewährleisten [6], erfolgen (Abb. 7).

Ohne Zweifel ist das Tragen eines Fahrradhelms bei Unfällen oft lebensrettend. Biomechanische Studien zeigen, dass das Risiko für eine schwere Hirnverletzung beim Fall aus 1,5 bzw. 2 m Höhe (bei beiden Fallhöhen besteht jeweils ein 99,9%iges Risiko einer schweren Gehirnverletzung) durch einen Helm auf 9,3 % (bei 1,5 m Höhe) und 30,6 % (bei 2 m) reduziert werden kann [2]. Bei einem systematischen Review von 40 Studien wurde festgestellt, dass das Tragen eines Helms das Risiko einer schweren Kopf- und Gesichtsverletzungen sowie einer tödlichen Radverletzungen deutlich verringerte [7]. Umgekehrt ist die Odds-Ratio für eine tödliche Kopfverletzung beim Radfahren ohne Helm mit 3,1 deutlich höher [9]. Dem Argument, dass durch den Zwang, einen Fahrradhelm tragen zu müssen, die Zahl der Radfahrer sinken würde [16], stehen Ergebnisse gegenüber, dass doppelt so viele Radfahrer (52,3 %) an Kopfverletzungen sterben wie Motorradfahrer (24,5 %) – welche durch höhere Geschwindigkeiten viel größere Krafteinwirkungen auf den Körper bei einem Sturz erleben müssen (Quelle: Statistisches Bundesamt 2010). Der Vollvisierhelm schützt bei ihnen den Kopf und das Gehirn gegen tödliche oder bleibende Schäden.

Auch im nahen Umfeld der Autoren sowie bei eigenen Stürzen haben Hüftprotektoren und Helme schon viele Male schwere Verletzungen verhindert (Abb. 8).

Das Aus- und Wegrutschen des Rads auf Nässe, Lehm, Split, Schotter oder Eis ist eine häufige Ursache von Verletzungen. Hier ist besondere Vorsicht und gute Beobachtung der Straßenverhältnisse erforderlich. Das Hängenbleiben mit Kleidungsstücken, Tüten und Taschen oder in den Clickpedalen ist für die Hüften gefährlich [8]. Taschen und Tüten sollten daher nicht an den Lenker gehängt werden, sondern in Fahrradtaschen verstaut werden. Auch Lenkerkörbe mit schweren Gegenständen sind ungünstig, weil sie das schnelle Reagieren und Ausbalancieren bei Richtungswechseln behindern.

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