Übersichtsarbeiten - OUP 09/2019

Schwere hüftnahe Frakturen beim Radfahren

Diese bedauernswerten Menschen haben nicht nur die Belastung durch die Operationen, die oft langdauernde Heilungsphase und Komplikationen (3 Patienten erlitten postoperativ eine Thrombose, einer eine Lungenembolie), sondern auch oft bleibende körperliche Beeinträchtigungen (z.B. Hüftkopfnekrosen, Instabilitäten, Fehlstellungen, Kontrakturen) zu bewältigen.

10 verletzte Radfahrer gaben an, auf einem Rennrad gefahren zu sein (Ursachen: 3-mal Kollision mit Auto, 3-mal Ausrutschen – davon 1-mal Nässe, 2-mal Eis, 1-mal Kollision mit Hinterrad des Vordermanns, 1-mal beim Versuch des Absteigens nicht aus den Clickpedalen herausgekommen, 1-mal Sturz während eines offizielle Straßenrennens mit Geschwindigkeit von 50 km/h – wahrscheinlich durch Kollision mit dem Vordermann –, 1-mal Kollision mit Hund bei 30 km/h).

Mit einem Mountainbike waren 7 Radfahrer unterwegs gewesen (Ursachen: 2-mal Kollision mit einem Hund, 1-mal Ausrutschen auf Rollsplit, 1-mal Sturz während eines Mountainbike-Marathons, 1-mal Sturz auf die Seite, 2-mal über Hindernisse gefahren – davon 1-mal Ast, 1-mal Teer).

3-mal verletzen sich die Radfahrer auf einem E-Bike (Ursachen: 1-mal gegen Hinterrad des Vordermanns gekommen (s. Abb. 4), 1-mal beim Absteigen umgekippt, 1-mal Lenker plötzlich verdreht).

Die übrigen Verletzten benutzten Touren-, Trecking-, Stadt- oder Hollandräder. Nur eine einzige Patientin erlitt auf einem Fahrradergometer eine periprothetische Fraktur, als sie während der Rehabilitation vom Gerät abstieg. Die 4 anderen Verletzten mit einer periprothetischen Fraktur (Tab. 1 und Abb. 5) waren mit Freizeiträdern unterwegs gewesen.

Kollisionen mit einem Pkw führten bei 12 Fahrradfahrern zu Verletzungen. Daran beteiligt waren 2-mal abbiegende Autos, 4-mal überholende Autos. 6-mal wurde der Radfahrer vom Pkw aus verschiedenen Gründen angefahren (1-mal Kollision mit Hinterrad des Rads, 1-mal durch ein entgegenkommendes Auto, 1-mal Kollision auf Fußgängerüberweg, 1-mal auf Fahrradweg).

3 Fahrradfahrer wurden verletzt, als sie einem Auto ausweichen mussten (Beinnahekollision) und daraufhin stürzten.

Vergleichsgruppe der Patienten

mit Schenkelhalsfraktur

Da bei den Fahrradverletzungen schon zu Beginn der Studie die Häufigkeit von Becken- und Hüftfrakturen auffiel, wurde eine zweite Gruppe von Patienten analysiert: In einem kürzeren Zeitraum von 2 Jahren wurden die Daten von allen eingewiesenen Patienten der Rehaklinik mit hüftnahen Frakturen gesammelt, bis die vergleichbare Anzahl 100 erreicht wurde. In diesem Patientengut befanden sich 12 Patienten mit Fahrradverletzungen, die auch in der anderen Gruppe aufgeführt sind ( Tab. 3). Damit sollte geprüft werden, ob es bei der alltäglichen Krankenhauseinweisung wegen einer Schenkelhalsfraktur (vorwiegend durch Sturz in der Wohnung oder beim Gehen) Unterschiede im Alter, Gesundheitszustand und in der Schwere der Verletzung im Hinblick auf die verletzten Radfahrer geben würde. Wenn damit auch kein exakter Vergleich zu ziehen ist, wie viel Prozent aller Schenkelhalsfrakturen durch Fahrradunfälle entstehen, so kann man doch daraus einen ungefähren Anhalt ableiten. Die Patienten der Vergleichsgruppe SH waren im Mittel 71,87 (32–90) Jahre alt, darunter waren 73 Frauen und 27 Männer.

Vergleich beider Gruppen

Anhand der Nebendiagnosen zeigte sich, dass die Vergleichsgruppe deutlich mehr internistische Krankheiten und Osteoporose aufwies als die Fahrradgruppe. Bemerkenswert ist außerdem, dass in der Gruppe der Radfahrer vermehrt Beeinträchtigungen des Hör- und Sehvermögens festzustellen waren (Tab. 4).

Die häufigeren Nebenerkrankungen der Gruppe „Schenkelhalsfraktur“ dürften mit dem höheren Altersdurchschnitt zu erklären sein. Da beim Fahrradfahren neben einem guten Koordinationsvermögen auch ein guter Orientierungssinn und ein schnelles Reaktionsvermögen notwendig sind, ist es erstaunlich, dass bei den verunglückten Radfahrern mehr Patienten mit Beeinträchtigung des Hör- (3-mal Hypakusis, 1-mal Presbyakusis) und Sehvermögens (1-mal Makuladegeneration beidseits, 5-mal Katarakt, 1-mal Presbyopie) gefunden wurden. Auch die Beeinträchtigung der Gehirnfunktion durch vorangegangene Erkrankungen war in beiden Gruppen relativ häufig.

Diskussion

Durch diese Studie lässt sich keine Aussage über die statistische Häufigkeit und Schwere aller Fahrradverletzungen machen, denn in eine stationäre Rehabilitationsklinik werden nach einer Operation vor allem die älteren Menschen mit Beeinträchtigungen eingewiesen, während die jüngeren häufiger ambulant therapiert werden. Auch wird eine stationäre Rehabilitation eher für Verletzungen der unteren Extremitäten genehmigt, wohingegen selbst komplizierte Armverletzungen in die ambulante Rehabilitation geschickt werden. Menschen mit Kopfverletzungen werden praktisch gar nicht in die orthopädische Rehabilitation eingewiesen – auch wenn sie weitere Schäden am Skelett aufweisen , weil die Gehirnschäden eine intensive neurologische Rehabilitation erfordern. Daher sind in unserem Patientengut nur diejenigen verletzten Fahrradfahrer zu finden, die einen Helm getragen oder einfach großes Glück gehabt hatten.

In der Gruppe der Radfahrer fanden sich die jüngeren, sportlicheren, gesünderen Menschen, die aber dennoch von einer schweren, mitunter lebensbedrohlichen Verletzung betroffen waren. Nach den Erkenntnissen dieser Studie sind vor allem der Sturz vom Fahrrad auf die Seite, die Kollision mit motorisierten Kraftfahrzeugen, das Aus- oder Wegrutschen des Rads, das Auf- und Absteigen auf das Rad sowie die Kollision mit anderen Fahrrädern verletzungsträchtig. Erschreckend ist die hohe Anzahl von Polytraumata bei der Kollision mit anderen Fahrzeugen. Derart schwere Verletzungen waren in der Vergleichsgruppe nicht einmal bei Treppen- oder Leiterstürzen entstanden. In der Literatur finden sich nur sehr wenige Sportarten oder Freizeittätigkeiten, die solch schweren Verletzungsmuster aufweisen.

Auch in den Niederlanden hatten 41 % der verletzten Radfahrer, die in Krankenhäuser eingewiesen wurden, ein Polytrauma [3]. In der Literatur wird bei Fahrradunfällen als Unfallursache die Kollision mit einem Pkw zwischen 30 und 74,9 % [10, 16] angegeben. Dabei waren die Verletzungen bei Kollisionen mit Motorfahrzeugen schwerer, der Krankenhausaufenthalt länger und der Heilungserfolg geringer als bei anderen Radunfällen [10]. PKW sind mit Abstand die häufigsten Unfallgegner von Fahrradfahrern. 2017 nahm die Polizei 46.200 Unfälle mit Personenschaden zwischen einem Fahrrad und einem Pkw auf. Dabei kamen 137 Radler ums Leben [14].

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