Übersichtsarbeiten - OUP 03/2021

Stellenwert der physikalischen Therapie zur Schmerzreduktion bei degenerativen Erkrankungen

Thomas Gottfried

Zusammenfassung:
Physikalische Therapiemethoden nehmen in der Schmerztherapie bei degenerativen Erkrankungen, insbesondere bei multimodalen Therapieansätzen einen festen Platz ein. Ursprünglich, in Ermangelung ausreichend wirksamer Alternativen, vornehmlich in empirischer Anwendung erprobt, gibt es mittlerweile eine beachtliche Anzahl an Studien, die einen Einsatz der einzelnen Therapien zur Schmerzreduktion bei degenerativen Erkrankungen rechtfertigt. Die medizinische Evidenz sowie ein sehr günstiges Nutzen-Risiko-Profil ist auch eine solide Argumentationsgrundlage gegenüber Kostenträgern bei der Verordnung physikalischer Therapiemaßnahmen.

Schlüsselwörter:
Physikalische Therapie, Schmerztherapie, Multimodale Therapie, Rehabilitation, Degenerative
Erkrankungen

Zitierweise:
Gottfried T: Stellenwert der physikalischen Therapie zur Schmerzreduktion bei degenerativen
Erkrankungen. OUP 2021; 10: 0113–0118 DOI 10.3238/oup.2021.0113–0118

Summary: Physical therapy methods have a firm place in the pain management of degenerative diseases, especially in multimodal therapy approaches. Originally tested primarily empirically in the absence of sufficiently effective alternatives, there are now a considerable number of studies that justify the use of individual therapies to reduce pain in degenerative diseases. The medical evidence as well as a very favorable risk-benefit ratio should also convince cost bearers to finance physical therapy measures.

Keywords: Physical therapy, pain management, multimodal therapy, rehabilitation, degenerative diseases

Citation: Gottfried T: Relevance of physical therapy to reduce pain in degenerative diseases.
OUP 2021; 10: 0113–0118 DOI 10.3238/oup.2021.0113–0118

Klinik Höhenried gGmbH der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd

Definition

Unter dem Begriff der physikalischen Therapie werden in der Medizin Anwendungen verstanden, die natürliche Reaktionen auf äußere Reizsetzungen nutzen (griechisch physis, Natur). Dabei werden alle konservativen Behandlungsverfahren subsumiert, die physikalische Einwirkungen auf den menschlichen Organismus haben.

Die Effekte basieren auf dem Reiz-Reaktions-Prinzip. Die physikalische Therapie nutzt mechanische, thermische, elektrische und aktinische Energie sowie physiko-chemische Faktoren. Im weiteren Sinne werden auch Therapien wie die Physio-, Bewegungs- und Sporttherapie unter physikalischer Therapie subsumiert.

Die Wirkungen der physikalischen Therapie beruhen auf der Annahme, dass durch die Anwendung die Trophik, Durchblutung, Enzym- und Immunreaktionen beeinflusst werden. Auch zeichnen sich die Wirkungen nicht durch einen linearen Verlauf aus, in der Regel bewirkt also eine Dosiserhöhung nicht zwingend eine Therapieverbesserung. Zudem ist der Erfolg der Therapie nicht nur von der richtigen Wahl der Therapiemethode abhängig, sondern auch ganz wesentlich von der individuellen Dosierung des Reizes, von der Reaktionslage und dem Reaktionsvermögen des Patienten, der Kombination mit anderen Reizen sowie von der Dosierung der räumlichen und zeitlichen Verteilung des Reizes.

Physikalische Therapiemethoden, die über Jahre hinweg zu einem Großteil aus anwendungsbezogener Erfahrungsmedizin entstanden und weiterentwickelt worden sind, müssen sich regelmäßig der Kritik mangelnder Evidenz erwehren. Der Grundgedanke der evidenzbasierten Medizin besteht jedoch keineswegs nur darin, sich auf aktuelle wissenschaftliche Ergebnisse oder gar ausschließlich auf randomisierte kontrollierte Studien und Metaanalysen zu verlassen. Vielmehr gilt es, die Schnittmenge dieser sogenannten „externen Evidenz“ mit der individuellen klinischen Erfahrung (interne Evidenz) und den Werten und Wünschen der Patienten (Partizipation) herauszuarbeiten und als Basis einer Entscheidungsfindung zu nutzen [27]. Viele Methoden der physikalischen Therapie werden komplementär mit anderen Verfahren kombiniert, z.B. in der Schmerztherapie mit Medikamenten, womit gerade randomisiert kontrollierte Studien schwerlich durchgeführt werden können. Dennoch liegt mittlerweile auch für die Methoden der physikalischen Therapie eine beachtliche Anzahl an evidenzbasierten Studien vor, sodass der oft geäußerte Vorwurf mangelnder Evidenz nicht mehr haltbar ist [7, 16, 22].

Die Ziele der physikalischen Therapie in der Schmerztherapie degenerativer Erkrankungen sind in Tabelle 1 dargestellt. Die physikalischen Therapieanwendungen sind daher regelhaft immer Teil eines Gesamtkonzeptes, welches nicht losgelöst ist von den übrigen diagnostischen und therapeutischen Überlegungen und damit auch nicht als Alternative zu anderen, insbesondere medikamentösen und operativen Therapien zu sehen, sondern vielmehr als Ergänzung derselben.

Elektrotherapie

Zur Elektrotherapie werden alle Verfahren gezählt, die dem Körper elektrische Energie zuführen. Neben direkten und indirekten analgetischen Effekten können je nach elektrischem Impuls auch an Membranen peripherer Muskel- und Nervenfasern Aktionspotenziale ausgelöst werden. Dabei werden unterschiedliche Stromformen über Elektroden auf der Haut medizinisch angewandt. Unterschieden wird zwischen Gleichstrom- und Wechselstromanwendungen.

Beim Gleichstrom bleibt die Polung der Elektroden immer konstant, er ist dadurch definiert, dass er längere Zeit in die gleiche Richtung fließt.

Galvanisation

Bei der Galvanisation erfolgt die Behandlung mit Strom konstanter Spannung, Stromrichtung und Stromstärke. Physiologisch kommt es zu einer Verschiebung des Membranpotenzials der Haut- und Muskelzellen im Sinne einer Depolarisation und Hyperpolarisation, die das Mikromilieu der Gewebe beeinflusst. Die analgetische Wirkung tritt zumeist unter der hyperpolarisierenden Anode (Pluspol) auf.

Iontophorese

Bei der Iontophorese macht man sich zusätzlich die Ionenwanderung zur Einbringung von Medikamenten unter Umgehung des Verdauungstraktes durch die intakte Haut zunutze. Zur Anwendung kommen in Flüssigkeit gelöste Medikamente in Form von Gels oder Salben. Damit können bei degenerativen Krankheiten Prozesse zur Schmerzlinderung, Abschwellung und Entzündungshemmung unterstützend behandelt werden, indem NSAR, Salicylsäure sowie heparin- und hirudinhaltige Salben, die zumeist negativ (anionenhaltig) geladen sind unter der Kathode eingebracht werden; kationenhaltige Salben wie Lidocain, Procain, Adrenalin, Histamin und Hyaluronidase werden an der Anode angebracht.

Hydroelektrische Bäder

Bei den hydrogalvanischen Bädern werden die analgetischen Wirkungen der Gleichstromtherapie mit den Effekten eines Voll- (Stangerbad) oder Teilbades (Zwei- oder Vier-Zellen-Bad) kombiniert.

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