Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Verletzungen des hinteren Kreuzbands – operativ oder konservativ?
Ein Beitrag des Ligament Komitees der Deutschen Kniegesellschaft (DKG)A contribution of the Ligament Committee of the German Knee Society

Da die Strukturen der posterolateralen und posteromedialen Gelenkecke synergistisch zum HKB wirken, müssen sie bei Kombinationsverletzungen unbedingt beachtet werden.

Spontanverlauf
der hinteren Instabilität

Isolierte HKB-Rupturen haben ein gutes Heilungspotenzial [13]. Daher kann in diesen Fällen ein konservativer Therapieversuch vielversprechend sein [1].

Kombinierte Verletzungen des HKB mit den Strukturen der posterolateralen und posteromedialen Gelenkecke führen jedoch häufig zu chronischen Instabilitäten. Arthroskopische Studien zur Inzidenz von Knorpelschäden nach chronischen Instabilitäten haben gezeigt, dass chronische hintere Instabilitäten nicht so harmlos sind, wie es lange Zeit angenommen wurde [23]. Das Verteilungsmuster der bei Patienten mit chronischer hinterer Instabilität nachgewiesenen Knorpelschäden gibt Aufschluss über die durch die Kreuzbandinsuffizienz bedingte mechanische Fehlbelastung des Kniegelenks. Nach Angaben von Strobel et al. [23] treten Knorpelschäden vor allem im medialen Kompartiment auf, gefolgt vom Femoropatellargelenk und vom lateralen Kompartiment (Abb. 2).

Durch die hintere Subluxation kommt es zu einem erhöhten Druck im Femoropatellargelenk mit der Folge degenerativer Knorpelschäden. Die hohe Inzidenz von Knorpelschäden im medialen Kompartiment kann verschiedene Gründe haben. Durch die vermehrte tibiale Translation entstehen Scherkräfte im femorotibialen Gelenk, die geeignet sind, Knorpelschäden zu induzieren. Wären die Scherkräfte jedoch der einzige Grund, müsste das laterale Kompartiment ähnlich häufig betroffen sein wie das mediale Kompartiment.

Ein weiterer Grund ist die hohe Inzidenz posterolateraler Begleitverletzungen. Die durch die posterolaterale Insufffizienz verursachte fehlende laterale Stabilisierung in der Frontalebene führt selbst bei gerader Beinachse unter Belastung zu einer funktionellen Varusfehlstellung der Gelenkpartner, die die Überlastung im medialen Kompartiment erklären kann. Unter Last verschiebt sich das Drehzentrum des Kniegelenks in das mediale Kompartiment.

Diagnostik

Aufgrund ihrer Seltenheit werden Rupturen des hinteren Kreuzbands oft übersehen und leider oft fehlgedeutet. Deshalb gilt auch heute noch der Grundsatz: Jede Kreuzbandruptur ist bis zum Beweis des Gegenteils eine HKB-Ruptur.

Ein weiteres Problem an der HKB-Diagnostik ist, dass HKB-Läsionen ein gutes Heilungspotenzial haben. Heilung bedeutet jedoch nicht, dass durch die Wiederherstellung der Kontinuität auch die Funktion wiederhergestellt wird. Viele Läsionen verheilen in Elongation. Das erschwert die Bildgebung und Beurteilung chronischer Instabilitäten. Hier sind funktionelle Untersuchungen erforderlich.

Inspektion und Anamnese

Erste Hinweise auf eine HKB-Ruptur bietet die Inspektion und Anamnese. Verdächtig auf eine HKB-Ruptur ist jede Prellmarke über der Tuberositas tibiae. Aber auch ein Hämatom im Bereich der Fossa poplitea oder im Bereich der posteromedialen oder posterolateralen Gelenkecke sollten an eine HKB-Ruptur denken lassen.

Klinische Untersuchung

Der klassische klinische Test für das hintere Kreuzband ist die hintere Schublade. In 90° Beugung fällt die Tibia oft spontan nach hinten (Sag sign). Von der Seite betrachtet, hängt die Tuberositas tibiae nach hinten; das heißt, die Tuberositas tibiae liegt bei 90° gebeugtem Knie hinter der virturellen Verbindungslinie von Patella und distaler Tibia (Abb. 3). Auch wenn die Verschiebbarkeit der Tibia bei chronischen Instabilitäten einfach zu testen ist, so bereitet die Abgrenzung zur vorderen Instabilität (gerade bei Begleitverletzungen des vorderen Kreuzbands) gelegentlich Schwierigkeiten. Ein Problem am manuellen Schubladentest ist, dass die Untersuchung nur schwierig quantifiziert werden kann [18, 24].

Schwierig ist die Diagnostik posterolateraler und posteromedialer Instabilitäten. Diese lassen sich in eine Varus/valgus und eine Rotationskomponente zerlegen. Oft kommen Kombinationen vor.

Zur Untersuchung der Rotationskomponente (Popliteuskomplex) bietet sich der Dial-Test an [18, 24] Dabei wird das Kniegelenk in 90° und 30° Beugung rotiert und die Rotation im Vergleich zur Gegenseite erfasst. Zur Erfassung der Stabilität in der Frontalebene (mediales oder laterales Kollateralband) sollte auch ein Varus/Valgusstress-Test in 0° und 30° durchgeführt werden. Klappt das Kniegelenk in gestreckter Stellung auf, so spricht das für eine hochgradige Verletzung des Kollateralband-Komplexes.

Rotationsschubladen besitzen in der Diagnostik der kombinierten Instabilitäten eine sehr große Bedeutung, da diese Tests die Auswirkungen der peripheren Bandverletzungen auf die posteriore tibiale Translation erfassen. (Abb. 3). Das Kniegelenk wird in in 90° Beugung außenrotiert und die Tuberositas tibiae nach hinten gedrückt. Bleibt die Schublade im Vergleich zur Neutralstellung gleich oder verstärkt sie sich sogar, spricht der Befund für eine therapierelevante posterolaterale Instabilität. Eine vermehrte Schublade in Innenrotation spricht für eine posteromediale Instabilität [18, 24].

Radiologische Diagnostik

Konventionelle radiologische Aufnahmen des Kniegelenks in 2 Ebenen dienen der Erfassung begleitender Frakturen bei akuten Läsionen und degenerativer Veränderungen bei chronischen Instabilitäten.

Die quantitative Erfassung der posterioren tibialen Translation gelingt nur mit gehaltenen Aufnahmen (Abb. 4). Diese können mit einem Telos-Gerät durchgeführt werden, mit dem standardisiert 15 N auf die Tuberositas tibiae (hintere Schublade) oder auf die Wadenregion (vordere Schublade) appliziert werden können. Die posteriore tibiale Translation wird im Vergleich zur Gegenseite am seitlichen Röntgenbild bestimmt.

Ein exakter Wert, ab wann man von einer hinteren Instabilität sprechen kann, existiert nicht. Ab einer posterioren Translation von 5 mm im Vergleich zur Gegenseite spricht man von einer hinteren Instabilität. Ab 12 mm besteht der Verdacht auf eine Begleitverletzung der posterolateralen oder posteromedialen Strukturen [18, 24].

Auch die Applikation einer nach anterior gerichteten Kraft hat in der Diagnostik hinterer Instabilitäten eine Bedeutung, da auf diese Weise eine fixierte hintere Schublade ausgeschlossen werden kann [25]. Von einer fixierten hinteren Schublade spricht man, wenn trotz anterior gerichteter Kraft eine posteriore tibiale Translation besteht (Abb. 5).

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