Originalarbeiten - OUP 12/2013

Verletzungsmuster und präklinische Versorgung von polytraumatisierten Kindern und Jugendlichen

F. Debus1, R. Lefering2, C. A. Kühne1, S. Ruchholtz1

Einleitung: Aufgrund der niedrigen Inzidenz und der anatomischen und physiologischen Besonderheiten ist die präklinische und klinische Versorgung von schwerverletzten Kindern eine große Aufgabe, in welcher viele Unsicherheiten bestehen. Diese Arbeit soll einen Überblick über Verletzungsmuster, Unfallhergang und insbesondere die präklinische Versorgung von schwerverletzten Kindern und Jugendlichen geben.

Material und Methoden: In der vorliegenden Arbeit wurden Daten aus dem TraumaRegister DGU ausgewertet. In die Auswertung wurden alle dokumentieren Fälle der Jahre 1997 bis 2010 mit einem ISS von ? 9 einbezogen. Es erfolgte eine Einteilung in verschiedene Altersgruppen (0–5, 6–10, 11–15, 16–17 und 18–64 Jahre). Alle Fälle wurden auf Verletzungsmuster, Unfallhergang, Letalität und die durchgeführten präklinischen Maßnahmen untersucht.

Ergebnisse: Es konnten 3522 kindliche Polytraumata ausgewertet werden. Der führende Unfallmechanismus war der Verkehrsunfall. Das Verletzungsmuster zeigte sich abhängig vom Alter. Die Gruppe der 0–5-Jährigen bot mit 71,1 % am meisten schwere Kopfverletzungen. Ebenfalls zeigte sich hier mit 16,3 % die größte Letalität. Die Häufigkeit der präklinisch durchgeführten Maßnahmen stieg mit dem Alter. Maßnahmen wie Volumengabe oder Analgosedierung fanden in der Gruppe der 0–5-Jährigen lediglich in 70,5 bzw. 62,8 % statt.

Diskussion: Die erwarteten Unterschiede in Verletzungsmuster und Unfallhergang konnten bestätigt werden. Insbesondere die Gruppe der 0–5-Jährigen zeigt in jeglicher Hinsicht die größten Unterschiede zum schwerverletzten Erwachsenen und bedarf somit besonderer Berücksichtigung. Insbesondere auf nicht zwingend notwendige präklinische Maßnahmen wird bei den Kleinsten offensichtlich verzichtet.

Schlüsselwörter: Polytrauma, Verletzungsmuster, präklinische Versorgung, Kinder

 

Zitierweise

Debus F, Lefering R, Kühne CA, Ruchholtz S. Verletzungsmuster
und präklinische Versorgung von polytraumatisierten Kindern und
Jugendlichen.
OUP 2013; 12: 565–571, DOI 10.3238/oup.2013.0565–0571

Introduction: Due to the low incidence and the anatomical and physiological characteristics preclinical and clinical care for severely injured children is a big challenge. There are many uncertainties in treatment of these cases. This work provides an overview of patterns of injury, accident circumstances and the prehospital care.

Materials and Methods: All data were taken from the DGU trauma registry. In the analysis all documented cases of the years 1997–2010 with ISS ? 9 were included. All cases got classified in different age groups (0–5, 6–10, 11–15, 16–17 and 18–64 years) . After that we examined the data for patterns of injury, accident circumstances, mortality and prehospital performance.

Results: There were 3522 cases of severely injured children. The leading mechanism of accident was traffic accident. The injury pattern depended on age. With 71,1 % the group of 0–5 year olds showed most severe head injuries, as well as the highest mortality of all groups (16,3 %). The frequency of prehospital interventions increased with age. Volume resuscitation or analgosedation were only performend in 70,5 and 62,8 % in the group of 0–5 year old children.

Discussion: The expected differences in injury patterns and circumstances of the accident were confirmed. In particular, the group of 0–5 year olds showed the greatest differences for seriously injured adults in all aspects. Therefore these group needs a special attention. There are some prehospital interventions which are not performed in the group of the 0–5 year old children.

Keywords: multiple trauma, pattern of injuries, prehospital treatment, children

 

Citation

Debus F, Lefering R, Kühne CA, Ruchholtz S. Pattern of injuries and prehospital treatment of multiple injured children.

OUP 2013; 12: 565–571, DOI 0.3238/oup.2013.0565–0571

Einleitung

Sowohl die präklinische als auch die klinische Versorgung von schwerverletzten Kindern ist fachlich, aber auch emotional eine große Herausforderung für alle Beteiligten [1]. Insbesondere die präklinische Versorgung durch den Notarzt kann aufgrund der recht niedrigen Inzidenz und der somit mangelnden Erfahrung zu Schwierigkeiten führen [2]. Die Versorgung am Unfallort wird durch Ärzte aus verschiedenen Fachrichtungen durchgeführt, welche u.U. nicht häufig mit der Versorgung von Kindern konfrontiert sind. Je älter die Kinder sind, desto größer wird die Sicherheit der versorgenden Notärzte in der Behandlung [3]. Die Anzahl der pädiatrischen Notfälle stellt mit ca. 6 % nur einen Bruchteil des notärztlichen Gesamtaufkommens dar. Dazu kommt, das von dieser geringen Anzahl an pädiatrischen Notfällen nur wenige aus dem Bereich der Traumatologie kommen.

In den letzten Jahren ist die Anzahl an im Straßenverkehr verunglückten und verletzten Kindern erstmals wieder gestiegen. Insgesamt verunglückten 30.633 Kinder unter 15 Jahren, 86 Kinder verunglückten tödlich [4]. Dementsprechend werden Notärzte, aber auch die Schockraumteams in den Kliniken wieder häufiger mit der Versorgung von schwerverletzten Kindern konfrontiert.

Um die Versorgung dieser Patienten gewährleisten zu können, ist es wichtig zu wissen, welche Unterschiede im Vergleich zu schwerverletzten Erwachsenen zu erwarten sind.

Methoden

Die in diesem Artikel präsentierten Daten wurden dem TraumaRegister der DGU (TR-DGU) entnommen. Hier werden seit 1993 prospektiv die Daten von schwerverletzten Patienten erfasst. Dokumentiert werden verschiedenste Scores, Parameter, Vital- und Laborwerte, aus denen im Anschluss national und international anerkannte Scores wie beispielsweise der Revised Injury Severity Classification Score (RISC-Score) [5] errechnet werden. Die vorhandenen Daten aus den Jahren 1997–2010 wurden ausgewertet. In die Auswertung wurden alle dokumentierten Fälle mit einem ISS ? 9 eingeschlossen. Die Patienten wurden in unterschiedliche Altersgruppen unterteilt und hinsichtlich der Verletzungsmuster, des Unfallhergangs und der präklinischen Versorgung untersucht. Zudem erfolgte eine ausführliche Aufarbeitung der präklinisch durchgeführten Maßnahmen. Es fand eine Beschränkung auf die primär deskriptive Auswertung statt.

Ergebnisse

Im untersuchten Zeitraum wurden insgesamt 47.915 Patienten dokumentiert, von denen 3522 unter 18 Jahre waren. Dies entspricht einem Anteil von 7,4 % am Gesamtkollektiv. Den größten Anteil stellt dabei die Gruppe der 16–17-Jährigen mit 1347 dokumentierten Fällen (Tab. 1). Betrachtet man die Unfallursache, so zeigt sich ein deutlicher Unterschied zwischen den einzelnen Altersgruppen. Der führende Unfallmechanismus ist mit 58,5 % der Verkehrsunfall. Je nachdem, in welcher Rolle die Kinder am Straßenverkehr teilnehmen, ändert sich mit zunehmendem Alter auch der Unfallmechanismus. Während die 6–10-Jährigen im Straßenverkehr am häufigsten als Fußgänger verunglücken (31,5 %), so ist bei den 11–15-Jährigen der Fahrradunfall führend (19,1 %). Die 16–17-Jährigen verunfallen in der Mehrzahl mit dem Motorrad bzw. Mofa (34,8 %), wohingegen im Erwachsenenalter der Verkehrsunfall mit dem Auto der häufigste Unfallmechanismus ist. Lediglich die Kinder im Alter von 0–5 Jahren verunglücken nicht so häufig im Straßenverkehr. Hier ist der Sturz aus weniger als 3 m Höhe die führende Unfallursache (19,8 %). Eine detaillierte Darstellung des Unfallmechanismus kann Tabelle 2 entnommen werden [6].

Ebenfalls abhängig zum Alter zeigt sich das Verletzungsmuster. So sinkt die Anzahl an Patienten mit schweren Kopfverletzungen mit dem Alter deutlich. Sind bei den 0–5-Jährigen noch 71,1 % betroffen, so sind es in der Altersgruppe von 16–17 Jahren lediglich 50,9 %. Im Gegensatz dazu stehen die Verletzungen von Thorax und Abdomen. Hier steigt die Anzahl der Verletzungen mit dem Alter. Insgesamt sind Verletzungen des Abdomens seltener als thorakale Verletzungen. Ein ähnliches Verteilungsbild zeigt sich bei den Verletzungen der oberen und unteren Extremitäten. Im Alter von 0–5 Jahren sind lediglich 15,0 bzw. 19,3 % betroffen. Diese Zahl steigt mit zunehmendem Alter auf bis zu 31,3 bzw. 41,5 %. Es liegen häufiger Verletzungen der unteren Extremitäten vor. Die Verteilung der Verletzungsmuster innerhalb der einzelnen Altergruppen wird in Tabelle 3 dargestellt [6].

Auch bezüglich der Letalität zeigen sich große Unterschiede zwischen den einzelnen Altersgruppen. Die höchste Letalität unter den Kindern hat mit Abstand die Gruppe der 0–5-Jährigen. Diese beträgt hier 16,3 %. Die Gruppen der 6–10-Jährigen, 11–15-Jährigen und 16–17-Jährigen weisen eine Letalität von 9,0 %, 10,1 % bzw. 11,5 % auf. Diese Zahlen ähneln der Letalität der erwachsenen Kontrollgruppe mit 11,0 %. Neben der eben beschriebenen beobachteten Letalität kann aus dem RISC-Score die erwartete Letalität berechnet werden. Diese liegt in fast allen Altersgruppen über der beobachteten Letalität. Die größte Differenz zeigt sich hier in der Gruppe der 6–10-Jährigen. Bei einer erwarteten Letalität von 12,2 % liegt die tatsächliche Letalität lediglich bei 9,0 %. Dies ergibt einen Unterschied von –3,2 %. Als einzige Gruppe zeigen die 0–5-Jährigen mit einer beobachteten Letalität von 16,3 % hier einen größeren Wert als die errechnete Letalität von 16,2 %.

Ein besonders Augenmerk in dieser Arbeit soll auf die präklinische Versorgung der schwerverletzten Kinder gelegt werden. Folgende Interventionen bzw. Behandlungen in der Präklinik werden im TraumaRegister erfasst und konnten ausgewertet werden: Intubation, Volumengabe, Katecholamingabe, Analgosedierung, Reanimation und die Anlage einer Thoraxdrainage. Zudem wurde die Dauer der präklinischen Versorgung vom Unfallzeitpunkt bis zum Eintreffen im Traumazentrum ausgewertet. In der vorliegenden Arbeit zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Altersgruppen. Der größte Unterschied zeigt sich hier bei der Häufigkeit der Analgosedierung der jungen Patienten. Je jünger die Kinder, desto seltener wird eine Analgosedierung durchgeführt. Die geringste Rate zeigt sich bei den 0–5-Jährigen mit 62,8 %. Die 6–10-Jährigen werden in 74,4 % analgosediert. Den höchsten Anteil an analgosedierten Patienten bietet die Gruppe der 16–17-Jährigen mit 82,1 %. Auch der Anteil an Patienten, welche eine präklinische Volumengabe erhalten, steigt mit dem Alter deutlich.

Hier ist es ebenfalls wieder die Gruppe der 0–5-Jährigen, welche mit 70,5 % den geringsten Anteil im Vergleich zeigten. In der Gruppe der 6–10-Jährigen erhalten schon 82,8 % der Patienten Volumen. Der größte Anteil mit 89,9 % zeigt sich erneut in der Gruppe der 16–17-Jährigen. Dies entspricht, ähnlich wie bei der Analgosedierung, dem Anteil der erwachsenen Kontrollgruppe. Aber auch die präklinischen Interventionen wie die Anlage einer Thoraxdrainage und die Intubation steigen mit zunehmendem Alter deutlich. Bei der Anlage der Thoraxdrainage zeigt sich bei den Kindern und Jugendlichen eine deutlich niedrigere Rate als in der Kontrollgruppe der Erwachsenen. Insgesamt wird mit 2,6 % bei den 0–5-Jährigen bzw. 3,0 % bei den 11–15-Jährigen nur ein geringer Anteil an Patienten mit einer Thoraxdrainage versorgt. In der Gruppe der Erwachsenen liegt dieser Anteil bei 6,1 %. Nicht ganz so groß ist der Unterschied in der Rate der präklinischen Intubationen. Aber auch hier zeigt sich der geringste Anteil in der Gruppe der 0–5-Jährigen mit 43,7 % und der größte Anteil in der Gruppe der 16–17-Jährigen mit 54,7 %. Ein anderes Verhältnis zeigt sich lediglich bezüglich der präklinischen Reanimation. Hier ist auffällig, dass in der Gruppe der 0–5-Jährigen mit 8,2 % mit Abstand am häufigsten reanimiert wird. In der Gruppe der 6–10-Jährigen sinkt der Anteil bereits auf 5,3 %, um bei den 11–15-Jährigen mit 3,6 % die niedrigste Rate zu erreichen (s. Tab. 4 und Abb. 1). Betrachtet man die Dauer der gesamten präklinischen Versorgung vom Unfallzeitpunkt bis zum Erreichen der Klinik, so zeigt sich im Vergleich der einzelnen Altersgruppen eine Differenz von maximal 6 Minuten. Die Versorgungszeit der schwerverletzten Kinder liegt mit 72 Minuten zwischen den durchschnittlichen Zeiten der Erwachsenen. In der Gruppe der 11–15-Jährigen ergibt sich mit 67 Minuten die schnellste präklinische Versorgungszeit. Am längsten dauert die Versorgung der 16–17-Jährigen mit insgesamt 73 Minuten (s. Tab. 5 und Abb. 2).

Im Folgenden soll noch ein Fallbeispiel eines schwerverletzten Kindes dargestellt werden. Es handelt sich hierbei um einen 6-jährigen Jungen, der als Fußgänger von einem Müllauto angefahren wurde. Nach der präklinischen Versorgung wurde er in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht. Hier erfolgten die primäre Stabilisierung und die radiologische Diagnostik. Als Verletzungsmuster zeigte eine Acetabulumfraktur, eine proximale Femurfraktur sowie eine distale Femurfraktur Typ Salter-Harris III der Gegenseite. Nach der Verlegung in ein überregionales Traumazentrum wurde ein ergänzendes CT durchgeführt, welches eine Zwerchfellruptur sowie eine Kolonverletzung zeigte (s. Abb. 3). Bis zu diesem Zeitpunkt vergingen ca. 1,5 h. Im Anschluss erfolgte die sofortige notfallmäßige Versorgung. Am Becken wurde ein Fixateur externe angelegt. Zudem erfolgten die Schraubenosteosynthese der proximalen Femurfraktur sowie des distalen Femurs sowie die Naht des Zwerchfells (Abb. 4). Nach 34 Tagen auf der Intensivstation und einem Gesamtaufenthalt von 43 Tagen konnte der Patient nach Hause entlassen werden. Im Anschluss erfolgten regelmäßige klinische Kontrollen, welche eine komplikationslose Ausheilung aller Verletzungen zeigten (Abb 5).

Diskussion

Die vorliegende Untersuchung aus dem TraumaRegister DGU gibt einen interessanten Überblick über den Unfallmechanismus, das Verletzungsmuster und die präklinische Versorgung von polytraumatisierten Kindern und Jugendlichen. Dank der kontinuierlichen Verbesserung der Dokumentation im TraumaRegister DGU und der zunehmenden Etablierung des TraumaNetzwerks und der damit verbunden Vielzahl an teilnehmenden Kliniken können die Fragestellungen dieser Thematik an einer sehr großen Anzahl an Patienten ausgewertet werden. In der vorliegenden Auswertung sind insgesamt 3522 dokumentierte Fälle untersucht wurden. Dies entspricht einem Anteil von 7,4 % an der Gesamtzahl der dokumentierten Fälle. Bei einem Beobachtungszeitraum von insgesamt 13 Jahren bedeutet dies jedoch auch, dass im Durchschnitt jährlich ca. 270 Fälle von schwerverletzten Kindern dokumentiert wurden. Wie in der Einleitung beschrieben, stellt das Polytrauma von Kindern und Jugendlichen dementsprechend noch immer eine Ausnahme dar. Somit ist es für alle Beteiligten in Klinik und Präklinik wichtig zu wissen, auf welche Verletzungen sie sich einstellen müssen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass in der vorliegenden Auswertung die Ergebnisse bezüglich des Verletzungsmusters und des Unfallhergangs aus vorangegangenen Studien bestätigt werden konnten [7, 8].

Im gesamten Ergebnisteil dieser Untersuchung zeigt sich die Besonderheit der Gruppe der 0–5-Jährigen. In Bezug auf den Unfallmechanismus ist dies die einzige Gruppe, in welcher der Verkehrsunfall nicht die Mehrzahl der schwerverletzten Patienten bedingt. Hier ist es der Sturz aus geringer Höhe, der für die Schockraumindikation der kleinen Patienten sorgt. Dementsprechend ist in diesem geringen Alter schon ein auf den ersten Blick trivialer Unfallmechanismus eventuell für ein schwerwiegendes Verletzungsmuster verantwortlich. Dies ist ein wichtiges Wissen für alle Beteiligten im Schockraum, aber auch die Kollegen der präklinischen Versorgung sollten bei Verletzungen in dieser Altersgruppe dementsprechend sensibilisiert sein. Betrachtet man die unterschiedlichen Verletzungsmuster, so zeigt sich erneut eine Sonderstellung der 0–5-Jährigen. Es fällt auf, dass die Verletzungen des Kopfs und somit insbesondere das Schädel-Hirn-Trauma eine zentrale Rolle einnehmen. In der Auswertung der dokumentierten Fälle des TraumaRegisters zeigt sich die Verletzung des Kopfs (AIS ? 3) als einzige Verletzung, welche mit zunehmendem Alter abnimmt. In der Gruppe der 0–5-Jährigen ist eine solche Verletzung mit 71,1 % überdurchschnittlich oft vertreten. Diese Tatsache ist eindeutig den anatomischen Voraussetzungen der Kinder geschuldet. Im Kleinkindalter ist der Kopf im Verhältnis zum Körper ungleich größer und somit häufiger verletzt. Auch die Schädel-Hirn-Traumata unterschiedlicher Ausprägung können durch die teils noch nicht verknöcherte kindliche Kalotte nicht im selben Umfang verhindert werden wie beim Erwachsenen.

Interessant sind die teils doch gravierenden Unterschiede in Bezug auf die Letalität der einzelnen Gruppen. Wie im Ergebnissteil beschrieben, schwankt diese zwischen 9 % (6–10-Jährige) und 16,3 % (0–5-Jährige). Auch dieses Ergebnis unterstreicht erneut, dass ein besonderes Augenmerk auf die Kleinsten gelegt werden muss. Die hohe Letalität in dieser Altersgruppe ist am ehesten durch die hohe Anzahl an schwerwiegenden Kopfverletzungen bedingt. Jedoch stellen die 0–5-Jährigen mit diesen schwerwiegenden Verletzungen auch die Gruppe dar, welche zum einen nur selten vorkommt und zum anderen zur Versorgung von schwerverletzten Erwachsenen am unterschiedlichsten ist. Dementsprechend ist es durchaus möglich, dass die erhöhte Letalität auch auf mangelnde Erfahrung im Umgang mit schwerverletzten Kleinkindern beruht. Wie bereits in der Einleitung beschrieben, geben durchgeführte Studien Hinweise auf diese Unsicherheiten, je jünger die Kinder sind [2, 3]. Die Interpretation der Ergebnisse der präklinischen Versorgung kann diese Vermutung bestätigen. Obwohl die Gruppe der 0–5-Jährigen mit Abstand die höchste Letalität hat und häufig auch gravierende Verletzungsmuster aufweist, werden in dieser Gruppe deutlich weniger präklinische Maßnahmen durchgeführt als bei den älteren Kindern. Hier kann zwischen zwingenden und nichtzwingenden Maßnahmen unterschieden werden.

Interessant ist, dass offensichtlich gerade die nicht zwingenden Maßnahmen, welche auf den ersten Blick jedoch trivial erscheinen, häufig nicht durchgeführt werden. In unserer Auswertung hat sich, wie bereits beschrieben, gezeigt, dass die Volumengabe und die Analgosedierung insbesondere bei den Kleinsten vermieden werden. Während diese beiden Maßnahmen beim Erwachsenen, aber auch bei der Gruppe der 16–17-Jährigen Standard sind und nahezu bei jedem durchgeführt werden, so scheint es hier eine Hemmschwelle in den jüngeren Altersgruppen zu geben. Diese ist eventuell durch die mangelnde Erfahrung im Umgang der medikamentösen Behandlung von Kindern und Jugendlichen zu erklären.

Jedoch ist auch nicht zu vergessen, dass insbesondere die 0–5-Jährigen ihre Schmerzen nicht in derselben Art und Weise äußern wie Erwachsene und deshalb die Symptomatik eventuell unterschätzt wird. Die Intubation und die Anlage einer Thoraxdrainage sind Maßnahmen, welche vital bedrohliche Umstände abwenden können. Auch hier zeigt sich, dass diese in den jüngeren Altersgruppen seltener durchgeführt werden, allerdings ist der Unterschied zwischen den einzelnen Gruppen hier nicht so deutlich. Zwar werden die 0–5-Jährigen mit 43,7 % anteilmäßig am wenigsten intubiert, dieser Anteil steigt jedoch in der Gruppe der 6–10-Jährigen schon fast auf die Rate der Erwachsenen. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass lebenswichtige Maßnahmen, trotz der eventuell bestehenden Unsicherheiten, durchgeführt werden. Die Anzahl der präklinisch gelegten Thoraxdrainagen ist insgesamt sehr niedrig. Der geringere Anteil bei den jüngeren Kindern lässt sich durch das seltene Auftreten auf thorakalen Verletzungen erklären.

Betrachtet man die präklinische Versorgungszeit, so zeigt sich zwischen den 0–5-Jährigen und den 6–10-Jährigen lediglich ein Unterschied von einer Minute. Die geringste Zeit wird bei den 11–15-Jährigen benötigt. Die Gruppe der Erwachsenen und die der 16–17-Jährigen weist mit 72 bzw. 73 Minuten die längste präklinische Zeit auf. Dies lässt sich jedoch mit der Anzahl an zusätzlich durchgeführten präklinischen Maßnahmen erklären.

Fazit

Insgesamt zeigt sich eine geringe Inzidenz an schwerverletzten Kindern und Jugendlichen. In der Auswertung aus dem TraumaRegister DGU konnten die erwarteten Unterschiede im Vergleich zum Polytrauma des Erwachsenen an einer großen Fallzahl bestätigt werden. Für alle Beteiligten der präklinischen und klinischen Versorgung dieser Patienten ist das Wissen über das zu erwartende Verletzungsmuster essenziell wichtig. Insbesondere die Gruppe der 0–5-Jährigen zeigt sowohl in Verletzungsmuster, Unfallhergang, Letalität und den durchgeführten präklinischen Maßnahmen die größten Unterschiede zum Erwachsenen und bedarf somit besonderer Aufmerksamkeit. Auf additive präklinische Maßnahmen wie Volumengabe und Analgosedierung wird trotz der hohen Verletzungsschwere bei der Gruppe der 0–5-Jährigen häufig verzichtet. Die kann als weiterer Hinweis auf die Unsicherheiten im Umgang mit schwerverletzten Kindern gedeutet werden, welche aufgrund der niedrigen Inzidenz zu erwarten ist und welche schon aus vorausgegangenen Untersuchungen bekannt ist.

 

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors bestehen.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Florian Debus

Klinik für Unfall-, Hand- und
Wiederherstellungschirurgie

Universitätsklinikum Gießen und
Marburg GmbH,

Standort Marburg

Baldinger Straße

35043 Marburg

debusfl@med.uni-marburg.de

Literatur

1. Zink W, Bernhard M, Keul W, Martin E, Völkl A, Gries A. Invasive Techniken in der Notfallmedizin. Anaesthesist 2004: 53: 1086–1092

2. Bartels, U. Kindernotfälle. Notarzt. 2001; 17: 31–36

3. Eich C, Roessler M, Timmermann A, Heuer JF, Gentkow U, Albrecht B, Russo SG. Anaesthesist. 2009; Sep; 58: 876–883

4. Verkehrssicherheitsrat Deutschland. Kinderunfälle im Straßenverkehr 2001–2011. www.dvr.de

5. Lefering R. Development and validation of the Revised Injury Severity Classification (RISC) score for severely injured patients. European Journal of Trauma and Emergency Surgery 2009; 35: 437–447

6. Debus F, Lefering R, Frink M, Kühne CA, Mand C, Ruchholtz S. Das Polytrauma von Kindern und Jugendlichen. Unfallchirurg, online first 10/13

7. Buschmann C, Kuhne CA, Losch C, Nast-Kolb D, Ruchholtz S. Major trauma with multiple injuries in German children: a retrospective review. Journal of pediatric orthopedics 2008; 28: 1–5

8. Schalamon J, v Bismarck S, Schober PH, Hollwarth ME. Multiple trauma in pediatric patients. Pediatric surgery international 2003; 19: 417–423.

Fussnoten

1 Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg

2 Institut für Forschung in der Operativen Medizin, Universität Witten/Herdecke, Köln

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