Originalarbeiten - OUP 12/2013

Verletzungsmuster und präklinische Versorgung von polytraumatisierten Kindern und Jugendlichen

Im Folgenden soll noch ein Fallbeispiel eines schwerverletzten Kindes dargestellt werden. Es handelt sich hierbei um einen 6-jährigen Jungen, der als Fußgänger von einem Müllauto angefahren wurde. Nach der präklinischen Versorgung wurde er in ein nahe gelegenes Krankenhaus gebracht. Hier erfolgten die primäre Stabilisierung und die radiologische Diagnostik. Als Verletzungsmuster zeigte eine Acetabulumfraktur, eine proximale Femurfraktur sowie eine distale Femurfraktur Typ Salter-Harris III der Gegenseite. Nach der Verlegung in ein überregionales Traumazentrum wurde ein ergänzendes CT durchgeführt, welches eine Zwerchfellruptur sowie eine Kolonverletzung zeigte (s. Abb. 3). Bis zu diesem Zeitpunkt vergingen ca. 1,5 h. Im Anschluss erfolgte die sofortige notfallmäßige Versorgung. Am Becken wurde ein Fixateur externe angelegt. Zudem erfolgten die Schraubenosteosynthese der proximalen Femurfraktur sowie des distalen Femurs sowie die Naht des Zwerchfells (Abb. 4). Nach 34 Tagen auf der Intensivstation und einem Gesamtaufenthalt von 43 Tagen konnte der Patient nach Hause entlassen werden. Im Anschluss erfolgten regelmäßige klinische Kontrollen, welche eine komplikationslose Ausheilung aller Verletzungen zeigten (Abb 5).

Diskussion

Die vorliegende Untersuchung aus dem TraumaRegister DGU gibt einen interessanten Überblick über den Unfallmechanismus, das Verletzungsmuster und die präklinische Versorgung von polytraumatisierten Kindern und Jugendlichen. Dank der kontinuierlichen Verbesserung der Dokumentation im TraumaRegister DGU und der zunehmenden Etablierung des TraumaNetzwerks und der damit verbunden Vielzahl an teilnehmenden Kliniken können die Fragestellungen dieser Thematik an einer sehr großen Anzahl an Patienten ausgewertet werden. In der vorliegenden Auswertung sind insgesamt 3522 dokumentierte Fälle untersucht wurden. Dies entspricht einem Anteil von 7,4 % an der Gesamtzahl der dokumentierten Fälle. Bei einem Beobachtungszeitraum von insgesamt 13 Jahren bedeutet dies jedoch auch, dass im Durchschnitt jährlich ca. 270 Fälle von schwerverletzten Kindern dokumentiert wurden. Wie in der Einleitung beschrieben, stellt das Polytrauma von Kindern und Jugendlichen dementsprechend noch immer eine Ausnahme dar. Somit ist es für alle Beteiligten in Klinik und Präklinik wichtig zu wissen, auf welche Verletzungen sie sich einstellen müssen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass in der vorliegenden Auswertung die Ergebnisse bezüglich des Verletzungsmusters und des Unfallhergangs aus vorangegangenen Studien bestätigt werden konnten [7, 8].

Im gesamten Ergebnisteil dieser Untersuchung zeigt sich die Besonderheit der Gruppe der 0–5-Jährigen. In Bezug auf den Unfallmechanismus ist dies die einzige Gruppe, in welcher der Verkehrsunfall nicht die Mehrzahl der schwerverletzten Patienten bedingt. Hier ist es der Sturz aus geringer Höhe, der für die Schockraumindikation der kleinen Patienten sorgt. Dementsprechend ist in diesem geringen Alter schon ein auf den ersten Blick trivialer Unfallmechanismus eventuell für ein schwerwiegendes Verletzungsmuster verantwortlich. Dies ist ein wichtiges Wissen für alle Beteiligten im Schockraum, aber auch die Kollegen der präklinischen Versorgung sollten bei Verletzungen in dieser Altersgruppe dementsprechend sensibilisiert sein. Betrachtet man die unterschiedlichen Verletzungsmuster, so zeigt sich erneut eine Sonderstellung der 0–5-Jährigen. Es fällt auf, dass die Verletzungen des Kopfs und somit insbesondere das Schädel-Hirn-Trauma eine zentrale Rolle einnehmen. In der Auswertung der dokumentierten Fälle des TraumaRegisters zeigt sich die Verletzung des Kopfs (AIS ? 3) als einzige Verletzung, welche mit zunehmendem Alter abnimmt. In der Gruppe der 0–5-Jährigen ist eine solche Verletzung mit 71,1 % überdurchschnittlich oft vertreten. Diese Tatsache ist eindeutig den anatomischen Voraussetzungen der Kinder geschuldet. Im Kleinkindalter ist der Kopf im Verhältnis zum Körper ungleich größer und somit häufiger verletzt. Auch die Schädel-Hirn-Traumata unterschiedlicher Ausprägung können durch die teils noch nicht verknöcherte kindliche Kalotte nicht im selben Umfang verhindert werden wie beim Erwachsenen.

Interessant sind die teils doch gravierenden Unterschiede in Bezug auf die Letalität der einzelnen Gruppen. Wie im Ergebnissteil beschrieben, schwankt diese zwischen 9 % (6–10-Jährige) und 16,3 % (0–5-Jährige). Auch dieses Ergebnis unterstreicht erneut, dass ein besonderes Augenmerk auf die Kleinsten gelegt werden muss. Die hohe Letalität in dieser Altersgruppe ist am ehesten durch die hohe Anzahl an schwerwiegenden Kopfverletzungen bedingt. Jedoch stellen die 0–5-Jährigen mit diesen schwerwiegenden Verletzungen auch die Gruppe dar, welche zum einen nur selten vorkommt und zum anderen zur Versorgung von schwerverletzten Erwachsenen am unterschiedlichsten ist. Dementsprechend ist es durchaus möglich, dass die erhöhte Letalität auch auf mangelnde Erfahrung im Umgang mit schwerverletzten Kleinkindern beruht. Wie bereits in der Einleitung beschrieben, geben durchgeführte Studien Hinweise auf diese Unsicherheiten, je jünger die Kinder sind [2, 3]. Die Interpretation der Ergebnisse der präklinischen Versorgung kann diese Vermutung bestätigen. Obwohl die Gruppe der 0–5-Jährigen mit Abstand die höchste Letalität hat und häufig auch gravierende Verletzungsmuster aufweist, werden in dieser Gruppe deutlich weniger präklinische Maßnahmen durchgeführt als bei den älteren Kindern. Hier kann zwischen zwingenden und nichtzwingenden Maßnahmen unterschieden werden.

Interessant ist, dass offensichtlich gerade die nicht zwingenden Maßnahmen, welche auf den ersten Blick jedoch trivial erscheinen, häufig nicht durchgeführt werden. In unserer Auswertung hat sich, wie bereits beschrieben, gezeigt, dass die Volumengabe und die Analgosedierung insbesondere bei den Kleinsten vermieden werden. Während diese beiden Maßnahmen beim Erwachsenen, aber auch bei der Gruppe der 16–17-Jährigen Standard sind und nahezu bei jedem durchgeführt werden, so scheint es hier eine Hemmschwelle in den jüngeren Altersgruppen zu geben. Diese ist eventuell durch die mangelnde Erfahrung im Umgang der medikamentösen Behandlung von Kindern und Jugendlichen zu erklären.

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