Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Von der Außenbandruptur zur chronischen Instabilität
Stadienadaptierte Therapie bei SprunggelenkinstabilitätAdapted therapy for ankle instability

Christian Hank1

Zusammenfassung: Die Verletzung der Außenbänder am Sprunggelenk ist sehr häufig. Eine nicht korrekte Behandlung kann in eine chronische Instabilität führen.
Bei der Beurteilung der Therapieoptionen, konservativ oder chirurgisch, wird die Bedeutung der neuromuskolären
Haltungskontrolle gerne unterschätzt. Hier soll ein Therapiealgorithmus vorgeschlagen werden, der diesem Problem Rechnung trägt.

Schlüsselwörter: Sprunggelenkverletzung, funktionelle
Instabilität, chronische Instabilität, Sprunggelenk

Zitierweise
Hank C: Von der Außenbandruptur zur chronischen Instabilität. Stadienadaptierte Therapie bei Sprunggelenkinstabilität.
OUP 2017; 7/8: 396–400 DOI 10.3238/oup.2017.0396–0400

Summary: Acute lateral ankle ligament injuries are common. If treated not correctly they can result in chronic instability. The meaning of neuromuscular postural control often is underestimated when treatment options, surgical or not
surgical, are evaluated. A therapeutical algorithm to take this problem in consideration is presented here.

Keywords: ankle sprain, functional instability, chronic instability, ankle joint

Zitierweise
Hank C: From lateral ligamtous injuries towards chronic instabilty. Adapted therapy for ankle instability.
OUP 2017; 7/8: 396–400 DOI 10.3238/oup.2017.0396–0400

Inzidenz

Von den etwa 23 Mio. regelmäßig sportlich aktiven Bundesbürgern verletzen sich jedes Jahr rund 1,25 Mio [7].

Dabei ist die Verletzung des Spru nggelenks durch Distorsion mit ungefähr 30 % die häufigste Sportverletzung überhaupt.

So werden jeden Tag in Deutschland ungefähr 8000, in den Vereinigten Staaten sogar 27.000 Verletzungen [16] diagnostiziert. Allein beim Volleyball macht die Verletzung des Sprunggelenks 52,7 % aller Verletzungen aus, beim Handball 23,7 %, Tennis 32,3 %. Bis zu 58,5 % aller Sportverletzungen in Deutschland entstehen allerdings allein beim Fußball [7].

Verletzungsmechanismus

Der typische Unfallmechanismus der Außenbandruptur ist das sogenannte Inversions- oder Supinationstrauma, bei dem meist der Fußinnenrand angehoben (supiniert) wird und oft eine Plantarflexion im oberen Sprunggelenk kombiniert wird. Beim Fußball geschieht dies typischerweise bei einem abruptem Richtungswechsel, womöglich kombiniert mit dem Wiederaufkommen nach einem Sprung. Meist passiert dies ohne Fremdeinwirkung. Dagegen ist es beim Volley- oder Basketball eher typisch, dass der Athlet auf dem Fuß eines Gegners aufkommt, was das Sprunggelenk in eine massive Inversion und damit zur Verletzung der Außenbänder zwingt.

Klassifikation

Das American College of Foot and Ankle Surgeons hat 1997 eine Klassifikation zusammen mit therapeutischen Leitlinien etabliert, die ausschließlich auf klinischen Kriterien beruht [2]. Sie hat über die Jahre ihren Stellenwert nicht verloren, da sie einfach ist und eine direkte Hilfe bei der Wahl der richtigen Therapie ist. Sie unterscheidet in 3 Stadien: leicht, mittel und schwer:

1. Dehnung: Schwellung, Schmerzen, kein Funktionsverlust

2. Teilruptur: Druckschmerz über den Außenbändern, Ekchymose, Schonhinken, Instabilität

3. Ruptur: Wie oben nur stärker, Patient kann nicht belasten

Relevante Anatomie oder warum vor allem das LFTA und eher in der Plantarflexion reißt

Grundsätzlich wird unser Sprunggelenk durch eine Anzahl von Strukturen und Automatismen ausreichend stabilisiert und damit geschützt. Wir unterscheiden in statische und dynamische Schutzmechanismen.

Zu den statischen Schutzmechanismen gehören:

Bänder: Besonders relevant beim Supinationstrauma sind die 3 Außenbänder Ligamentum Fibulotalare anterius (LFTA), Lig. Fibulocalcanealis (LFC) und das Lig. Fibulotalare posterius (LFTP). Das LFTA reißt am häufigsten weil es 1. einen niedrigeren Gesamtdurchmesser als z.B. das LFC hat, und 2. es schon bei leichter Plantarflexion angespannt und 3. das einzige Band ist, dass dann vor der Inversion schützt und 4. die Inversionshebelkraft durch den plantarflektierten Fuß massiv erhöht wird. Erst wenn das LFTA gerissen ist und die invertierende Kraft anhält, reißt auch das LFC.

Kapsel: Spielt eher eine zweitrangige Rolle.

Gelenkkongruenz: Die Formschlüssigkeit des oberen Sprunggelenks ist ein wichtiger Stabilisator des Sprunggelenks. Allerdings verliert auch dieser Stabilisator mit zunehmender Plantarflexion seine Effizienz, da bei dieser Bewegung der nach dorsal schmaler werdende Talus immer weniger die Malleolengabel ausfüllt und damit weniger Halt findet.

Die elastische Vorspannung der sprunggelenkübergreifenden Muskeln trägt auch zur zusätzlichen Stabilisierung des Gelenks bei, plötzliche destabilisierende Impulse auf das Sprunggelenk werden durch sie deutlich verlangsamt.

Dynamische Stabilisatoren des Sprunggelenks sind vor allem:

die reflektorische Stabilisierung: Hier unterscheiden wir in die sogenannten Kurzlatenzreflexe und den Langlatenzreflexe. Die propriozeptiven Kurzlatenzreflexe der Peroneen sind die wichtigsten dynamischen Stabilisatoren des Sprunggelenks überhaupt. Mechanozeptoren in den Sehnen derselben Muskeln lösen über einen monosynaptischen Reflex die Aktivierung ihrer eigenen Muskeln aus, um somit das Umknicken des Fußes zu verhindern [5]. Dagegen lösen propriozeptive Rezeptoren in der Fußsohle über Langlatenzreflexe das sofortige schützende Anheben des gefährdeten Beins aus [18].

Voraktivierte Muskeln haben eine kürzere Reaktionszeit. Durch Laufen oder Springen „voraktivierte“ Muskeln führen zu stärker ausgeprägten Reflexen der peronealen Mechanozeptoren und dadurch zu einer verkürzten Latenz der Peroneen. Diese propriozeptiven Automatismen sind in ihrer Gesamtheit für die Stabilisierung des Sprunggelenks von primärer Bedeutung. Die Kräfte, die am Sprunggelenk entstehen, z.B. bei einer sportlichen Aktion, können schnell bis zu einem Vielfachen des Körpergewichts gehen. Diese Kräfte können nicht ausreichend von den statischen Stabilisatoren aufgefangen werden. Dagegen kann der peroneale Haltungsreflex einer solchen Inversion widerstehen [10]. Erst als dies erkannt war, begann man, sich bei der Therapie verletzter Sprunggelenke mehr auf die neuromuskoläre Re-Integration der dynamischen Stabilisatoren und weniger auf die operative Rekonstruktion der Bänder zu konzentrieren. Aus dieser Dynamik entstand der Begriff „Funktionelle Instabilität“

Funktionelle Instabilität

Man spricht von funktioneller Instabilität (FI), wenn die neuromuskoläre Integration der propriozeptiv ausgelösten Reflexe des Sprunggelenks insuffizient ist. Dies kann traumatisch bedingt sein oder ohne vorangegangene Verletzung existieren. So zeigte Vaes im Jahre 2001, dass eine FI auch ohne mechanische laterale Bandinstabilität existieren kann [21]. Das heißt, auch wenn alle Bänder gesund sind, kann ein Sprunggelenk instabil sein und umgekehrt kann ein Sprunggelenk stabil sein, obwohl der Bandapparat verletzt oder insuffizient ist.

Die beiden wichtigsten klinischen Zeichen der FI sind das subjektive „Instabilitätsgefühl“ des Patienten (Anamnese) und ein spezifisch positiver Einbeinstand-Test. Dieser Test wird stets im Seitenvergleich und barfuß durchgeführt. Der Patient sollte sich dabei zunächst barfuß auf die gesunde Seite stellen und bei geschlossenen Augen versuchen, für ca. 15 Sekunden gerade zu stehen [17]. Der Test ist positiv, wenn der Proband es auf der kranken Seite nicht oder deutlicher schlechter schafft, sich auszubalancieren. Wenn also dieser Test und die Anamnese für Instabilität positiv sind, reden wir von FI.

FI beschreibt ein nur neuromuskoläres Bild, „chronische Instabilität“ dagegen ein zeitliches, nämlich die Dauer über 6 Monate.

Biomechanik und Neurophysiologie zum Inversionstrauma

Außenbandrupturen des Sprunggelenks entstehen ab einer Inversion von 63°. Da dies bei einer Winkelgeschwindigkeit von ca. 400°/s geschieht, kommt es nach 157 ms zur Ruptur der Außenbänder. Die durchschnittliche peroneale Latenzzeit eines gesunden Menschen liegt bei 50 ms, womit eine Bandruptur vermieden wäre. Wenn die stabilisierende Muskulatur aber zum Beispiel bei einem Sprung schon „preactivated“ wird, ist die Latenz auf nur noch 40 ms reduziert. Die Inversion wäre also schon bei 16° gestoppt. Wenn es aber schon zu (mindestens) einem Supinationstrauma 2. Grades kam, ist die Reaktionszeit der Peroneen nun mit über 200 ms zu spät. Das bedeutet, dass schon nach dem ersten Inversionstraume ohne korrekte Therapie jederzeit ein zweites Ereignis wahrscheinlich ist und damit der Weg in die funktionelle, bei unzureichender Therapie in die chronische Instabilität gebahnt ist [7, 8, 9]. Funktionell instabile Sprunggelenke ohne vorangegangenes Trauma haben ebenso ein erhöhtes Risiko für eine Außenbandruptur.

Welche Stabilisatoren gehen außer den Bändern kaputt?

Kleinrensink und Johnson konnten schon vor der Jahrtausendwende zeigen, dass bei einem Inversionstrauma über 63° (also 2. Grades) die Muskel-Sehnen-Mechanozeptoren der Evertoren beschädigt werden. Je nach Ausmaß des Schadens kann ab diesem Moment der Kurzlatenzreflex der Evertoren deutlich geschwächt, verlangsamt oder gar nicht mehr ausgelöst werden. Hinzukommt, dass durch die massive Inversion des Fußes die außen verlaufenden Nn. Peroneus superficialis et profundus überdehnt werden, wodurch ihre Nervenleitgeschwindigkeit um über 15 % verlangsamt wird [8, 9]. Es fehlt also nicht nur der Auslöser des Reflexes, auch seine Übertragung ist deutlich beeinträchtigt. Das ist besonders schwerwiegend, da auch die Impulse aus den Rezeptoren der Fußsohle ebenfalls bei der Auslösung dieser Schutzreflexe beteiligt sind [18].

Begleitverletzungen

Die häufigsten Begleitverletzungen sind:

Ruptur der Syndesmose mit möglichen später schmerzhaften Vernarbungen

Überdehnung oder Teilruptur der
Peronealsehnen ggf. mit Schädigung der Mechanozeptoren

Osteochondrale Läsionen oder Knochenödeme vor allem am Talus

Läsion des N. Peroneus superficialis

Frakturen (Weber B, Innenknöchel etc.]

Verletzung des Innenbands.

Prädisponierende Faktoren

Aus der Schulterchirurgie wissen wir, dass Hypermobilität ein erhöhtes Risiko für Schulterluxationen darstellt [13]. Richie berichtete dagegen, dass Menschen mit funktioneller Instabilität des Sprunggelenks keine Hypermobilität aufwiesen [17], was die alte These, zumindest zum Teil, in Frage stellt.

Wenn die evertorische Kraft dieser Muskeln entweder nicht mehr ausreichend ist oder deren Reaktionslatenz unzureichend geworden ist, kommt es zur peronealen Insuffizienz. Dies kann durch direkte Traumen auf diese Sehnen, radikulär bedingte Paresen, aber auch durch vorangegangene Supinationstraumata bedingt sein. Degeneration dieser Sehnen durch Überlastung bei Rückfußvarus, wie z.B. beim Ballenhohlfuß, können ebenfalls über längere Zeit zum übermäßigen Verschleiß der Peronealsehnen führen. Schlecht behandelte Sprunggelenkverletzungen stellen zahlenmäßig den Hauptauslöser für die Instabilität dar.

Diagnostik

Eine korrekte Anamnese und klinische Untersuchung spielen eine vorrangige Rolle. Hier soll kurz auf die wichtigsten Aspekte eingegangen werden.

Anamnese

Bei jeder Läsion, egal ob Erstverletzung oder Rezidiv, sollte immer abgefragt werden ob, wann und wie oft es schon zu ähnlichen Ereignissen kam und wie genau diese behandelt wurden. Zum Beispiel ist es dabei wichtig zu erfahren, welche Orthese wie lange verwendet wurde oder ob und wie Physiotherapie durchgeführt wurde. Hier zählen die Anzahl pro Woche, die Art der Übungen und der Zeitraum, über den dies durchgeführt wurde.

Um eine funktionelle Instabilität ausschließen zu können, sollte auch immer nach dem subjektiven Gefühl der Instabilität gefragt werden.

Klinik

Hier sollen nur die relevanten Untersuchungsbefunde aufgelistet werden:

Fußkonfiguration: Ein Rückfußvarus begünstigt Inversionstraumen oder kann zu einer chronischen Überlastung der Evertoren führen.

Gangbild: Kann der Patient einige Schritte gehen? Schonhinken?

Schwellung

Livide Färbung als sicherer Nachweis, dass es zu einer Ruptur gekommen ist (Stadium 2).

Druckschmerz

Bewegungsausmaß des Sprunggelenks im Seitenvergleich

Vordere Schublade und Inversion im Seitenvergleich

Einbeinstandtest wie oben beschrieben zum Ausschluss einer FI.

Begleitverletzungen sollten im gleichen Zuge ausgeschlossen werden.

Bildgebung

Es sollen hier nur die relevantesten Techniken genannt werden. Noch heute ist die Literatur zur Röntgendiagnostik bei Sprunggelenkdistorsion uneins, sodass es keine alleingültige Leitlinie gibt. Um dieser Unsicherheit Abhilfe zu leisten, wurden schon 1992 die Ottawa Foot and Ankle Rules vorgeschlagen. Da diese aber in Folgestudien nur eine Spezifität von nur 25–50 % erreichten, haben sie ihre Bedeutung verloren.

Ab einer Läsion Stadium 2 ist es aus Sicht des Autors immer ratsam, Standard-Röntgenuntersuchungen des Sprunggelenks einzuleiten, um knöcherne, osteochondrale oder indirekt weichteilige Schäden ausschließen zu können. Einigkeit besteht jedoch hinsichtlich gehaltener Röntgenaufnahmen des Sprunggelenks zur Beurteilung der anterioren Schublade oder des Talaren Tilts: Diese Art von Bildgebung ist mit einer Sensitivität von stellenweise nur 36 % nicht verlässlich genug, um Aussagen über mögliche Bandverletzungen am Sprunggelenk zu machen [4,15, 6].

Die Resonanztomografie als detaillierte Bildgebung bei Zustand nach Supinationstrauma am Sprunggelenk hat sich von allen bildgebenden diagnostischen Mitteln als das wichtigste und hilfreichste etabliert. Band-, Syndesmose- und Sehnenverletzungen, aber auch osteochondrale Läsionen bis zu Knochenödemen, lassen sich hier spezifisch und sensitiv nachweisen. Die Frage, ab welchem Stadium und zu welchem Zeitpunkt dieses Mittel genützt werden sollte, ist zumindest im deutschsprachigen Raum bis heute nicht einheitlich geklärt. Die Ultraschalluntersuchung kann je nach Operateur und verfügbarem Gerät sehr spezifische und sensitive Hinweise liefern.

Therapie

Bei der Instabilität des Sprunggelenks ist es weniger die Frage ob die konservative oder die operative Therapie die bessere ist als wann welche der Möglichkeiten eingesetzt werden sollte.

Nach Durchsicht der hierzu relevanten Literatur schlage ich im Folgenden einen Therapiealgorithmus zur Behandlung des instabilen Sprunggelenks vor (Abb. 1).

Akute Sprunggelenkverletzung

Jede akute Läsion, auch wenn es ein Rezidiv ist, sollte zunächst konservativ behandelt werden.

Bei akuten Läsionen Stadium I reicht meist eine 2-wöchige Schonung in Kombination mit abschwellenden Maßnahmen (PECH Schema). Sollten bei Wiederaufnahme größerer Belastung Schmerzen auftreten, ist eine Wiedervorstellung ratsam.

Außenbandverletzungen ab Stadium II werden zunächst für 6 Wochen mit einer sogenannten 3-Phasen-Orthese in Kombination mit abschwellenden Maßnahmen behandelt, wobei diese Orthese eine Vorrichtung haben sollte, die eine Flexo-Extension im oberen Sprunggelenk verhindert, da sonst das LFTA immer wieder überdehnt wird und nicht bzw. nicht in korrekter Länge vernarben kann. Bei Verletzungen Stadium III sollten unbedingt mit entsprechender Bildgebung größere Begleitverletzung (z.B. Frakturen, Syndesmoseruptur) ausgeschlossen und ggf. sofort adressiert werden. Hiernach orientiert sich zunächst auch die Weiterbehandlung. Sollte dies aber ohne weiteren Befund ausfallen, wird die gleiche Vorgehensweise wie im Stadium II gewählt. Ab Ende der 1. Woche sollte mit vorsichtiger funktioneller Beübung begonnen werden.

Die Orthese sollte nach Ablauf der 6 Wochen nicht weiter verwendet werden. Der Heilprozess ist beendet und ein weiteres Tragen kann eher zur Beeinträchtigung der selbststabilisierenden Fähigkeit führen. Es entsteht eine Art Abhängigkeit, wobei die Orthese keinesfalls eine befriedigende Endlösung sein kann.

Vielmehr empfiehlt sich im Anschluss ein mehrmonatiges posturales Rehabilitationsprogramm. Dabei sollte der Patient anfangs durch einen Physiotherapeuten angeleitet werden, um dann die Übungen täglich selbstständig zuhause durchzuführen. Diese Übungen sollten idealerweise barfuß (propriozeptive Rezeptoren in der Fußsohle) und bei geschlossenem Auge durchgeführt werden, da sonst der Gleichgewichtssinn mehr das Auge zu Hilfe nimmt als die Propriozeption. Die Übungen sollten zunehmend auf instabilem Untergrund (Trampolin, halbe Rolle, Gelkissen etc.) fortgeführt werden um die neuromuskoläre Integration weiter zu schärfen [1, 11, 12]. Dies ist ein sehr langsamer Prozess. In der Literatur gibt es keine einheitlichen Angaben, wie lange dieses Programm durchgeführt werden sollte. Vorgeschlagene Zeiträume gehen von 3 bis zu 6 Monaten. Der Autor schlägt 6 Monate vor, da die Integration neuer Nervenbahnen zur funktionellen Stabilisierung, zumindest in der klinischen Realität, sehr langsam ist und nach 3 Monaten immer noch eine Besserung einzutreten scheint.

Chronische Instabilität

Wenn das korrekt durchgeführte 6-monatige sensomotorische Training ohne Erfolg bleibt und eine Bandinstabilität klinisch nachweislich ist, sollte die operative Therapie diskutiert werden. Bei der Entscheidung, welche OP-Technik und welche weiteren Maßnahmen man wählen sollte, gibt es 3 Faktoren zu berücksichtigen:

Ausmaß der Bandruptur

Begleitverletzungen (z.B. Peronealsehne, Osteochondrale Läsionen)

Pathologischer Rückfußvarus

Die meisten Außenbandläsionen haben eine ausreichend gute Gewebesituation, um durch eine anatomische Rekonstruktion gute Ergebnisse zu erhalten. Die von Gould modifizierte OP nach Broström hat dabei mit exzellenten Langzeitergebnissen von 91,2 % nach 26 Jahren einen sehr hohen Stellenwert [3]. Hierbei wird meist das LFTA, öfters auch das LFC, quer durchtrennt und durch raffende Nähte wieder mit sich selbst vernäht. Dadurch entsteht eine Spannung und verdoppelnde Kräftigung der Bänder. Eine zusätzliche Stabilisierung wird erreicht, indem das inferiore Extensorenretinakulum mit auf dieses Konstrukt und möglichst an die ventrale Fibula genäht wird (Modifikation nach Gould).

Sollten aber die lateralen Bänder unzureichend oder gar nicht mehr vorhanden sein, empfiehlt sich eine Augmentation durch eine autologe Spendersehne wie der des M. Plantaris oder des M. Semitendinosus. Dabei gilt es, die gewonnene Spendersehne durch transossäre Fixation im Talus, Fibula und ggf. Calcaneus exakt in die ursprüngliche Position der verlorenen Bänder und bei korrekt angepasster Spannung zu implantieren. Der Autor bevorzugt eine von Pagenstert vorgeschlagene Technik [14]

Ältere Techniken, bei denen Sehnen, vor allem der Peroneen, anteilig oder ganz zur Rekonstruktion verwendet wurden, haben ihren Stellenwert verloren, da damit langfristig keine ausreichende Stabilität erzielt wurde und bei bis zu 60 % der Fälle chronische Schmerzen bestanden [19, 20]. Generell sollten die Peroneen als Auslöser und Effektoren der stabilisierenden Reflexe des Sprunggelenks nie geopfert werden.

Sollten Begleitläsionen bestehen, können diese im gleichen operativen Zuge entsprechend adressiert werden. Auch sollten korrektive Möglichkeiten, wie eine varisierende Kalkaneusostomie bei bestehendem Rückfußvarus bei der Planung der Operation unbedingt mit einbezogen werden.

Im Anschluss an die operative Therapie empfiehlt sich wieder eine entsprechend adaptierte funktionelle Stufentherapie, wie sie schon nach akuten Verletzungen beschrieben wurden. Eine anfängliche 6-wöchige Schienung mit Einschränkung der Flexo-Extension des OSG sowie eine frühfunktionelle Beübung ab Ende der 2. Woche mit Hauptaugenmerkt auf die sensomotorische Reintegration sind hier wieder von essenzieller Wichtigkeit.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med. Christian Hank

ARCUS Kliniken

Rastatter Str. 17–19

75179 Pforzheim

hank@sportklinik.de

Literatur

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2. American College of Foot and Ankle Surgeons, 1997: Preferred practice guideline no. 1/97. Retrieved September 2000

3. Bell SJ, Mologne TS, Sitler DF, Cox JS: Twenty-six-year results after Broström procedure for chronic lateral ankle instability. Am J Sports Med. 2006; 34: 975–8

4. Breitenseher MJ, Trattning S, Kukla C et al.: MRI versus lateral stress radiography in acute lateral ankle ligament injuries. Journal of Computer Assisted Tomography. 1997; 21: 280–5

5. Gruneberg C, Nieuwenhuijzen P, Duysens J: Reflex responses in the lower leg following landing impact on an inverting and non-inverting platform. J Physio. 2003; 550: 985–93

6. Harper MC: Stress radiographs in the diagnosis of lateral instability oft he ankle and hindfoot. Foot Ankle 1992; 13: 435–8

7. Henke T, Gläser H, Heck H: Sportverletzungen in Deutschland – Basisdaten, Epidemiologien, Prävention, Risikosportarten, Ausblick. In Henke T (Hrsg.): Neue Wege zur Unfallverhütung im Sport Köln: Sport u. Buch Strauß Verlag, 2000: 139–65

8. Johnson MB, Johnson CL: Electromyographic response of peroneal muscles in surgical and nonsurgical injured ankles during sudden inversion. J Orthop Sport Phys Ther. 1993; 18: 497–501

9. Kleinrensink GJ, Stoeckart R, Meulstee?J et al.: Lowered motor conduction velocity of the peroneal nerve after inversion trauma. Med Sci Sport Exerc. 1994; 26: 877–83

10. Konradsen L, Peura G, Beynnon B, Renström P: Ankle eversion torque response to sudden ankle inversion Torque response in unbraced, braced and pe-activated situations. J Orthop Res. 2005; 23: 315–21

11. Lynch SA, Renström PA: Treatment of acute lateral ankle ligament rupture in the athlete. Conservative versus surgical treatment. Sports Med 1999; 27: 61–71

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14. Pagenstert GI, Valderrabano V, Hintermann B: Lateral Ankle Ligament Reconstruction Using Plantaris Autograft. In: Pfeffer GB, Easley ME, Frey C, Hintermann B, Sands AK (eds.): Operative techniques: Foot and Ankle Surgery. Saunders; Elsevier, 2009: 481–496

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18. Robbins S, Waked E, Rappel R: Ankle taping improves proprioception before and after exercise in young men. Br J Sports Med. 1995; 29: 242–7

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20. Snook GA, Chrisman OD, Wilson TC: Long-Term results of the Chrisman-Snook operation for reconstruction of the lateral ligaments of the ankle; J Bone Joint Surg Am. 1985; 67: 1–7

21. Vaes PV: Control of acceleration during sudden ankle supination in people with unstable ankles. J Orthop Sports Phys Ther. 2001; 31: 741–52

Fussnoten

1 Arcus Sportklinik, Pforzheim

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