Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Von der Außenbandruptur zur chronischen Instabilität
Stadienadaptierte Therapie bei SprunggelenkinstabilitätAdapted therapy for ankle instability

Man spricht von funktioneller Instabilität (FI), wenn die neuromuskoläre Integration der propriozeptiv ausgelösten Reflexe des Sprunggelenks insuffizient ist. Dies kann traumatisch bedingt sein oder ohne vorangegangene Verletzung existieren. So zeigte Vaes im Jahre 2001, dass eine FI auch ohne mechanische laterale Bandinstabilität existieren kann [21]. Das heißt, auch wenn alle Bänder gesund sind, kann ein Sprunggelenk instabil sein und umgekehrt kann ein Sprunggelenk stabil sein, obwohl der Bandapparat verletzt oder insuffizient ist.

Die beiden wichtigsten klinischen Zeichen der FI sind das subjektive „Instabilitätsgefühl“ des Patienten (Anamnese) und ein spezifisch positiver Einbeinstand-Test. Dieser Test wird stets im Seitenvergleich und barfuß durchgeführt. Der Patient sollte sich dabei zunächst barfuß auf die gesunde Seite stellen und bei geschlossenen Augen versuchen, für ca. 15 Sekunden gerade zu stehen [17]. Der Test ist positiv, wenn der Proband es auf der kranken Seite nicht oder deutlicher schlechter schafft, sich auszubalancieren. Wenn also dieser Test und die Anamnese für Instabilität positiv sind, reden wir von FI.

FI beschreibt ein nur neuromuskoläres Bild, „chronische Instabilität“ dagegen ein zeitliches, nämlich die Dauer über 6 Monate.

Biomechanik und Neurophysiologie zum Inversionstrauma

Außenbandrupturen des Sprunggelenks entstehen ab einer Inversion von 63°. Da dies bei einer Winkelgeschwindigkeit von ca. 400°/s geschieht, kommt es nach 157 ms zur Ruptur der Außenbänder. Die durchschnittliche peroneale Latenzzeit eines gesunden Menschen liegt bei 50 ms, womit eine Bandruptur vermieden wäre. Wenn die stabilisierende Muskulatur aber zum Beispiel bei einem Sprung schon „preactivated“ wird, ist die Latenz auf nur noch 40 ms reduziert. Die Inversion wäre also schon bei 16° gestoppt. Wenn es aber schon zu (mindestens) einem Supinationstrauma 2. Grades kam, ist die Reaktionszeit der Peroneen nun mit über 200 ms zu spät. Das bedeutet, dass schon nach dem ersten Inversionstraume ohne korrekte Therapie jederzeit ein zweites Ereignis wahrscheinlich ist und damit der Weg in die funktionelle, bei unzureichender Therapie in die chronische Instabilität gebahnt ist [7, 8, 9]. Funktionell instabile Sprunggelenke ohne vorangegangenes Trauma haben ebenso ein erhöhtes Risiko für eine Außenbandruptur.

Welche Stabilisatoren gehen außer den Bändern kaputt?

Kleinrensink und Johnson konnten schon vor der Jahrtausendwende zeigen, dass bei einem Inversionstrauma über 63° (also 2. Grades) die Muskel-Sehnen-Mechanozeptoren der Evertoren beschädigt werden. Je nach Ausmaß des Schadens kann ab diesem Moment der Kurzlatenzreflex der Evertoren deutlich geschwächt, verlangsamt oder gar nicht mehr ausgelöst werden. Hinzukommt, dass durch die massive Inversion des Fußes die außen verlaufenden Nn. Peroneus superficialis et profundus überdehnt werden, wodurch ihre Nervenleitgeschwindigkeit um über 15 % verlangsamt wird [8, 9]. Es fehlt also nicht nur der Auslöser des Reflexes, auch seine Übertragung ist deutlich beeinträchtigt. Das ist besonders schwerwiegend, da auch die Impulse aus den Rezeptoren der Fußsohle ebenfalls bei der Auslösung dieser Schutzreflexe beteiligt sind [18].

Begleitverletzungen

Die häufigsten Begleitverletzungen sind:

Ruptur der Syndesmose mit möglichen später schmerzhaften Vernarbungen

Überdehnung oder Teilruptur der
Peronealsehnen ggf. mit Schädigung der Mechanozeptoren

Osteochondrale Läsionen oder Knochenödeme vor allem am Talus

Läsion des N. Peroneus superficialis

Frakturen (Weber B, Innenknöchel etc.]

Verletzung des Innenbands.

Prädisponierende Faktoren

Aus der Schulterchirurgie wissen wir, dass Hypermobilität ein erhöhtes Risiko für Schulterluxationen darstellt [13]. Richie berichtete dagegen, dass Menschen mit funktioneller Instabilität des Sprunggelenks keine Hypermobilität aufwiesen [17], was die alte These, zumindest zum Teil, in Frage stellt.

Wenn die evertorische Kraft dieser Muskeln entweder nicht mehr ausreichend ist oder deren Reaktionslatenz unzureichend geworden ist, kommt es zur peronealen Insuffizienz. Dies kann durch direkte Traumen auf diese Sehnen, radikulär bedingte Paresen, aber auch durch vorangegangene Supinationstraumata bedingt sein. Degeneration dieser Sehnen durch Überlastung bei Rückfußvarus, wie z.B. beim Ballenhohlfuß, können ebenfalls über längere Zeit zum übermäßigen Verschleiß der Peronealsehnen führen. Schlecht behandelte Sprunggelenkverletzungen stellen zahlenmäßig den Hauptauslöser für die Instabilität dar.

Diagnostik

Eine korrekte Anamnese und klinische Untersuchung spielen eine vorrangige Rolle. Hier soll kurz auf die wichtigsten Aspekte eingegangen werden.

Anamnese

Bei jeder Läsion, egal ob Erstverletzung oder Rezidiv, sollte immer abgefragt werden ob, wann und wie oft es schon zu ähnlichen Ereignissen kam und wie genau diese behandelt wurden. Zum Beispiel ist es dabei wichtig zu erfahren, welche Orthese wie lange verwendet wurde oder ob und wie Physiotherapie durchgeführt wurde. Hier zählen die Anzahl pro Woche, die Art der Übungen und der Zeitraum, über den dies durchgeführt wurde.

Um eine funktionelle Instabilität ausschließen zu können, sollte auch immer nach dem subjektiven Gefühl der Instabilität gefragt werden.

Klinik

Hier sollen nur die relevanten Untersuchungsbefunde aufgelistet werden:

Fußkonfiguration: Ein Rückfußvarus begünstigt Inversionstraumen oder kann zu einer chronischen Überlastung der Evertoren führen.

Gangbild: Kann der Patient einige Schritte gehen? Schonhinken?

Schwellung

Livide Färbung als sicherer Nachweis, dass es zu einer Ruptur gekommen ist (Stadium 2).

Druckschmerz

Bewegungsausmaß des Sprunggelenks im Seitenvergleich

Vordere Schublade und Inversion im Seitenvergleich

Einbeinstandtest wie oben beschrieben zum Ausschluss einer FI.

Begleitverletzungen sollten im gleichen Zuge ausgeschlossen werden.

Bildgebung

Es sollen hier nur die relevantesten Techniken genannt werden. Noch heute ist die Literatur zur Röntgendiagnostik bei Sprunggelenkdistorsion uneins, sodass es keine alleingültige Leitlinie gibt. Um dieser Unsicherheit Abhilfe zu leisten, wurden schon 1992 die Ottawa Foot and Ankle Rules vorgeschlagen. Da diese aber in Folgestudien nur eine Spezifität von nur 25–50 % erreichten, haben sie ihre Bedeutung verloren.

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