Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Vordere Kreuzbandruptur – wann ist eine konservative Therapie möglich, wann eine Operation notwendig

Christian Sobau1, Alexander Zimmerer1, Wolfgang Schopf1, Andree Ellermann1

Zusammenfassung: Die vordere Kreuzbandläsion tritt mit einer Inzidenz von 70.000 bis 80.000 Fällen pro Jahr in Deutschland auf. In der aktuellen Literatur wird die Therapie der vorderen Kreuzbandverletzung kontrovers diskutiert. Empfehlungen, wann ein operatives, wann ein konservatives Vorgehen zu empfehlen ist, werden unterschiedlich bewertet. Bei isolierten VKB-Läsionen mit subjektiv fehlender Instabilität und objektiv stabilem Gelenk ist eine konservative Therapie trotz positivem MRT-Befund zu diskutieren. Teilrupturen aufgrund von Low-impact-Traumata können ebenso konservativ behandelt werden. Bei gesicherter Komplettruptur des vorderen Kreuzbands und relevanter Instabilität des Kniegelenks wird die Rekonstruktion mit autologen Sehnen empfohlen. Bei Begleitverletzungen des Meniskus, des Knorpels und/oder der Seitenbänder kann eine OP-Indikation von elektiv in dringend umgewandelt werden. Eine zweizeitige Operationsstrategie kann bei schweren Traumata mit Multiligamentverletzungen und komplexen Kapselrupturen notwendig sein. Die Arthroseentstehung ist unmittelbar von den Begleitverletzungen abhängig, insbesondere von Knorpelverletzungen. Wichtig bei der Therapieempfehlung ist auch die individuelle Situation des Patienten: Faktoren wie Alter, Sportart, Beruf, Vorschädigung des Kniegelenks und Erwartungshaltung an das Ergebnis der Operation sind in die Entscheidungsfindung der Therapiewahl mit einzubeziehen.

Schlüsselwörter: vordere Kreuzbandruptur, konservative
Therapie, VKB-Rekonstruktion, individuelle Therapieempfehlung

Zitierweise
Sobau C, Zimmerer A, Schopf W, Ellermann A: Vordere Kreuzbandruptur – wann ist eine konservative Therapie möglich,
wann eine Operation notwendig?
OUP 2017; 7/8: 374–379 DOI 10.3238/oup.2017.0374–0379

Summary: The incidence of anterior cruciate ligament lesions in Germany is between 70.000 and 80.000 cases per year. Treatment of those lesions is constantly discussed in the current literature. Recommendations for operative and conservative procedures are a controversial issue. If an isolated anterior cruciate ligament tear was detected in the MRI and the patient is without subjective instability and has an objective stable knee, conservative treatment can be discussed. Under the same circumstances partial ruptures because of low impact trauma could also be treated conservatively. The recommendation for full ACL tears with relevant instability is an ACL reconstruction with autologous tendons. If a meniscus lesion, cartilage lesion or further periarticular ligaments occur, the advice for a surgery could be changed from elective to urgent. In a severe trauma with concomitant multiligament lesions and a destroyed capsule, a two stage surgery could be necessary. The development of osteoarthritis is dependent on the concomitant lesions in the knee, especially cartilage lesions. The individual situation of the patient has to be considered in the discussion of the treatment options: Factors such as age, sports, profession, previous knee injuries and outcome expectations lead to an individual therapy recommendation.

Keywords: anterior cruciate ligament rupture, conservative treatment, ACL reconstruction, individual therapy recommendation

Zitierweise
Sobau C, Zimmerer A, Schopf W, Ellermann A: Anterior cruciate
ligament rupture – when is conservative treatment possible,
when is surgery necessary?
OUP 2017; 7/8: 374–379 DOI 10.3238/oup.2017.0374–0379

Einleitung

Die Verletzung des vorderen Kreuzbands tritt bei Sportlern häufig auf, wobei der Großteil den sogenannten Kontakt-Sportarten zuzuordnen ist, wie z.B. Fußball, Handball oder American Football. In den USA liegt die Inzidenz bei 200.000 bis 300.000 im Jahr, in Deutschland bei ca. 45.000 bis 60.000 pro Jahr [36]. Gemäß aktueller Literatur wird bei gesicherter Ruptur des vorderen Kreuzbands und massiver Instabilität des Kniegelenks die Rekonstruktion empfohlen. Es ist wichtig, gemeinsam mit jedem Patienten die individuell „richtige“ Therapieentscheidung zu finden, um inadäquate Therapie und mögliche Komplikation zu vermeiden. Anhand des pathologischen Schädigungsmusters des VKB, der individuellen Patientensituation und den Ansprüchen in Alltag und Sport sollten konservative und operative Therapieoptionen aufgezeigt und besprochen werden. Beide Möglichkeiten dienen der Wiederherstellung der Stabilität und Kinematik des Kniegelenks, der Wiedererlangung der Sportfähigkeit und der möglichen Vermeidung degenerativer Langzeitschäden.

Diagnostik

Die Diagnostik setzt sich vor allem aus Anamnese, klinischer Untersuchung und dem Erkennen von Begleitverletzungen mithilfe des MRT zusammen.

In der Anamnese wird nach Unfallhergang, Zeitpunkt und bereits erfolgten Maßnahmen gefragt. Ein Valgus-Innenrotationstrauma bei geringer Knieflexion und tibialer Außenrotationsstellung oder ein Hyperextensionstrauma sind typisch für VKB-Verletzungen [31]. Die unmittelbaren Symptome der akuten Kreuzbandverletzung sind Schmerzen und Funktionseinschränkung, ein initial entstehender blutiger Kniegelenkerguss sowie ein in Abhängigkeit vom Ausmaß der Begleitschäden vorhandenes Instabilitätsgefühl.

Die klinische Untersuchung beinhaltet primär die Inspektion. Schwellung, Erguss, Hämarthros, Giving-way und eingeschränkte Beweglichkeiten beim Entkleiden oder ein hinkendes Gangbild gilt es zu erkennen. Palpation und allgemeine Knie-Untersuchung folgen, anschließend sollten Lachman- und Pivot-Shift-Test als spezielle Kreuzbandtests die Untersuchung abschließen. Die extensionsnahe Translationsprüfung bei 20–30° gebeugtem Kniegelenk (Lachman-Test) hat auch im Akutstadium eine hohe Treffsicherheit. Neben der quantitativen Beurteilung der sagittalen Tibiaverschieblichkeit ist die Charakteristik des Anschlagphänomens diagnostisch wegweisend. Der Untersucher beurteilt hiermit das durch das vordere Kreuzband kontrollierte Abbremsverhalten der Tibiabewegung. Die Auslösbarkeit des anterioren Subluxationsphänomens, der Pivot-Shift-Test, gilt als pathognomonisch für die Insuffizienz des VKB. Dabei wird eine extensionsnahe Subluxation des lateralen Tibiaplateaus mit spürbarer Reposition durch Spannungsanstieg des Tractus iliotibialis bei zunehmender Beugung im Kniegelenk provoziert [35]. Hilfreich hierbei ist der Beginn der Untersuchung auf der nicht-verletzen Seite. Eine KT-1000– oder Rolimeter-Messung sind objektive Instrumente, um den Seitenunterschied noch deutlicher zwischen verletzter und unverletzter Seite herauszuarbeiten [14].

MRT

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