Übersichtsarbeiten - OUP 07-08/2017

Vordere Kreuzbandruptur – wann ist eine konservative Therapie möglich, wann eine Operation notwendig

Die kernspintomografische Untersuchung dient dem Erkennen der genauen Rupturform. Die Detektion von Rupturort und -form kann mitentscheidend für die Wahl der Therapie sein. Femoral, intraligamentär oder tibial kann das VKB gerissen sein. Auch auf eine Teilruptur kann das MRT Hinweise liefern. Vor allem erkennt das MRT intra- und periartikuläre Begleitverletzungen an den Menisken, Knorpel, weiteren Band- und Kapselstrukturen. Ein Bone bruise des lateralen Femurkondylus ist typischerweise bei VKB-Ruptur im MRT zu sehen. Die Sensitivität der VKB-Läsion im MRT liegt zwischen 92 und 100 %, die Spezifität zwischen 85 und 100 % [32].

Differenzialindikation und Entscheidungsfindung

Betrachtet man die Literatur der vergangenen Jahrzehnte, so wurden sehr gute Therapiealgorithmen entwickelt, welche anhand passiver/aktiver Instabilität, sportlicher und beruflicher Aktivität und Alter/Geschlecht das Risiko der Osteoarthroseentstehung bewerten, ob und wann eine Operation erfolgen sollte oder ob konservativ behandelt werden kann [7, 21]. Die Ergebnisse des MRT und die beschriebenen klinischen Kriterien sollten gemeinsam in die Entscheidungsfindung zur Therapieform einbezogen werden. Die Therapiewahl richtet sich nach der Schwere der klinischen Symptomatik und der Korrelation zu den radiologischen Befunden sowie den Ansprüchen der Patienten an Ihre Kniefunktion. Ein konservativer Behandlungsversuch ist bei geringer Instabilitätssymptomatik und niedrigem körperlichen Belastungsanspruch sowie bei Kreuzbandteil-Rupturen mit hohem muskulärem Kompensationspotenzial gerechtfertigt. Indikationen zur operativen Kreuzbandrekonstruktion stellen hingegen ein hohes Aktivitätsniveau und ein hoher sportlicher Leistungsanspruch [35].

Finden sich initial zusätzliche Bandverletzungen, Meniskus- und/oder Knorpelläsionen sowie Kapselverletzungen, werden diese Patienten fast immer operativ versorgt, da die zu befürchtenden Spätfolgen einer Knieinstabilität – die Schädigung weiterer intra- und periartikulärer Strukturen – bereits beim Trauma eingetreten sind, welches zur VKB-Läsion geführt hat. Beispiele hierfür stellen subluxierte Menisken mit Blockierungsphänomen dar, eine zusätzliche Innen- oder Außenbandinstabilität Grad II–III oder Knorpelschäden. Die Prognose der Operation bei erfolgreicher VKB-Plastik hängt von den gefundenen Knorpelschäden ab. Je komplexer die Verletzung des Kniegelenks, desto wahrscheinlicher ist auch ein zweizeitiges Vorgehen mit dem Patienten zu diskutieren.

Konservatives Vorgehen

Auch die Wahl der konservativen Therapie hat das Ziel der Wiederherstellung der Funktions- und Leistungsfähigkeit des Knies, allerdings wird der Status quo ante weder durch konservatives noch operatives Vorgehen wiederhergestellt werden können [29].

Spontanheilungen des VKB kommen vor, sind aber selten [18, 33]. Gab es nach dem ursächlichen Trauma keine Giving-way-Phänomene, keine rezidivierenden Schwellungen und Gonalgien und funktioniert das Kniegelenk im Alltag des Patienten zufriedenstellend, so kann eine konservative Therapie versucht werden.

Initial wird mit dem PECH-Schema und weiteren abschwellenden Maßnahmen wie NSAR begonnen. Es ist wichtig den Patienten mobil zu halten, auch um eine Arthrofibrose zu vermeiden. Injektionen von Kortikosteroiden sind zum Abschwellen nicht empfohlen. Orthesenbehandlung zur passiven Stabilisierung in Abhängigkeit von der Aktivität des Patienten ist sinnvoll. Physiotherapie kann früh begonnen werden, um vorsichtig die Kniefunktion zu verbessern. Dabei hat sich als adjuvante Therapie in der ersten posttraumatischen Phase die Kryotherapie bewährt. Neuromuskuläre passive Stimulation über selbst angewandte Geräte als auch intrinsisches Training der aktiven Koordination und sensomotorischen Funktion werden im Verlauf in die Therapie stadiengerecht unter Berücksichtigung der Rehabilitationsphasen miteinbezogen und dienen der schnellen Wiederherstellung der Kniefunktion. Regelmäßige Kontrollen der Kniefunktion nach 6 Wochen, 3 und 6 Monaten sowie 1 Jahr nach Verletzung werden empfohlen. [5].

Primär konservativ,
später operativ
zu versorgende VKB-Läsionen

Eine Kombination aus konservativem und operativem Vorgehen stellt die Seitenbandläsion Grad I und die Fissur/Fraktur des Tibiakopfs ohne Stufenbildung und/oder außerhalb der Belastungszone dar. Initiale Teilbelastung an Unterarmgehstützen kombiniert mit Orthesenstabiliserung, mit stufenweiser Anpassung der Bewegungsfreigabe, dient der Ausheilung der Band- bzw. Knochenverletzung. Nach 6–8 Wochen und klinischer Stabilisierung der Seitenbandläsion bzw. der Knochenstörung kann dann die VKB-Rekonstruktion durchgeführt werden. Dadurch sind die Seitenbänder stabil ausgeheilt, der Knochen weniger vorbelastet. Ein wissenschaftlicherer Beweis für dieses Vorgehen fehlt, klinisch hat sich dies aber bewährt.

Differenziertes operatives Vorgehen

Primäre Naht

Neueste Entwicklungen in der vorderen Kreuzbandchirurgie stellen die Renaissance der Primärnaht und die dynamische intraligamentäre Stabilisierung dar, welche derzeit Kongresse thematisch ausfüllt. Ein Anheften des femoral ausgerissenen bzw. abgerutschten VKBs mit nur geringem Zerstörungsgrad der Fasern führt zu einer Fixierung des VKBs an seinen Ursprungsort am Femur. Vor allem in der Frühphase nach niederenergetischem Trauma kann es hier mit den Möglichkeiten einer intraligamentären Naht und Anheftung am Femur zu guten biomechanischen Ergebnissen kommen [34]. Bei einer dieser neuen Techniken wird das vordere Kreuzband temporär mit einem Faden-Feder-System intern geschient. Durch die einliegende Feder (Abb. 1) adaptieren sich die Kreuzbandstümpfe in Flexions- und Extensionsstellung in gleichbleibender Stellung, um in „Ruhe“ ausheilen zu können [8]. Die Indikation für eine dynamische intraligamentäre Stabilisierung wird derzeit bei einer frischen vorderen Kreuzbandruptur gestellt, die nicht älter als 21 Tage und femoralseitig ausgerissen ist. Aktuell wurden die Ergebnisse der ersten 10 behandelten Patienten nach einem Follow-Up von 5 Jahren veröffentlicht, wobei sich eine Re-Rupturrate von 20 % fand. Die funktionellen Scores scheinen jedoch vielversprechende Ergebnisse zu liefern [9].

VKB-Rekonstruktion

Das Abklingen der ersten Entzündungsphase und die Wiederherstellung der freien Beweglichkeit sind Faktoren für den Erfolg der Operation; wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine zu frühe Versorgung mit der Bildung einer Arthrofibrose assoziiert, so relativieren aktuelle Daten und Metaanalysen diese Ergebnisse [19].

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