Übersichtsarbeiten - OUP 10/2015

Wechselstrategien bei periprothetischen Infektionen am Hüftgelenk

Andreas Heinrich Hugo Tiemann1, 2

Zusammenfassung

Periprothetische Infektionen (PPI) zählen zu den schwerwiegenden Komplikationen nach Implantation eines Gelenkersatzes. Natürlich gilt das auch für die Hüft-Endoprothetik. Mit den steigenden Zahlen implantierter Prothesen sieht sich der behandelnde Arzt auch mit einer zunehmenden Zahl von periprothetischen Infektionen konfrontiert.
Neben der rein numerischen Problematik findet sich auch bei der Behandlung der periprothetischen Infektionen am Hüftgelenk (PPIH) die typische, allen Entitäten muskuloskelettaler Infektionen eigene medizinische Konstellation:

Auf der Basis weicher, unklar und uneinheitlich definierter Kriterien muss (soll) ein valides, determiniertes und klar strukturiertes Therapie-Regime festgelegt werden.

Der nachfolgende Artikel dient dem Zweck, soweit möglich Klarheit zu schaffen in Bezug auf die zu ergreifenden chirurgischen Maßnahmen zur Behandlung eines PPIH. Angesprochen werden Fakten und Vermutungen sowie die sich daraus ergebenden therapeutischen Konsequenzen.

Bezüglich der chirurgischen Konzepte lässt sich bereits an dieser Stelle folgendes feststellen:

Die lokale chirurgische Revision mit Entfernung der Prothese ist das z.Zt. erfolgversprechendste Vorgehen. Kombiniert werden muss es immer mit der erregergerechten Antibiotikatherapie.

Klare Regeln, bei welcher Indikation welches Wechselkonzept (einzeitig EWZ, zweizeitig ZZW, mehrzeitig MZW) zum Einsatz kommt existierten nicht.

Tendenziell gilt: Je jünger der Patient, je kürzer die Infektlaufzeit („Frühinfekt“, „unreifer Biofilm“), je besser die Weichteile, je behandelbarer der präoperativ bekannte Erreger (Gram positiv, kein DTT, keine Multiresistenz) umso eher ist ein EZW möglich.

Je weniger diese Kriterien zutreffen, umso mehr muss ein ZZW oder ein MZW erwogen werden.

Schlüsselworte: Periprothetischer Infekt am Hüftgelenk,
Revisionskonzepte, Wechselstrategien

Zitierweise
Tiemann AHH. Wechselstrategien bei periprothetischen Infektionen am Hüftgelenk.
OUP 2015; 10: 480–486 DOI 10.3238/oup.2015.0480–0486

Summary

Periprosthetic infections and especially periprosthetic infections after hip arthroplasties are numbered among the most serious complications in orthopedic surgery. With the rising number of implanted arthroplasties the treating physician is confronted with a rising number of periprosthetic infections. Next to the numeric set of problems orthopedic surgeons have to face a specific medical constellation that is typical for all muskulo-skelettal infections:

Based on soft, unclear and inconsistent defined criteria a valid, determined therapeutical regime must (has to) be
determined.

The following article should establish clarity regarding the surgical concepts to treat periprosthetic infections after hip arthroplasties: facts, assumptions and medical consequences.

Regarding the surgical concepts the following may be ascertained:

Local surgical revision with removal of the arthroplasty is the most promising procedure.

Combination with systemic application of antibiotics is mandatory.

There are no clear rules regarding single-stage, two-stage or multi-stage revision concepts.

By tendency one may say: The younger the patient, the shorter the infection interval („early infection“, „immature biofilm“), the better the soft tissue conditions, the less virulent and resistant the infection causing pathogen the more a single-stage revision concept may be chosen.

Keywords: periprosthetic infection oft he hip, revision concepts, strategies for changing the prostheses

Citation
Tiemann AHH. Revision strategies for periprosthetic infection after hip arthroplasty.
OUP 2015; 10: 480–486 DOI 10.3238/oup.2015.0480–0486

Einleitung

Periprothetische Infektionen (PPI) zählen zu den Major-Komplikationen nach Implantation eines Gelenkersatzes. Diese Regel gilt selbstverständlich auch für die Hüftendoprothetik (PPIH). Diagnostik und Therapie stellen eine Herausforderung für den behandelnden Arzt dar, aber auch für die Betroffenen.

Basierend auf der steigenden Lebenszeit der Bevölkerung steigt einerseits die Anzahl der primär implantierten Hüftendoprothesen. Andererseits wird auch eine steigende Anzahl von Wechseloperationen durchgeführt. Zurzeit werden in Deutschland ca. 210.000 Primärimplantationen von Hüftendoprothesen durchgeführt. Hinzu kommen ca. 30.000 Revisionsoperationen am Hüftgelenk [1]. Für das Jahr 2011 errechnete die OECD für Deutschland 286 Hüftendoprothesen-Implantationen pro 100.000 Einwohner, was einer Gesamtzahl von 232.320 Prothesen entsprach [2]. PPI werden dabei in 0,2–1,1 % der Primärimplantationen und in bis zu 5 % bei Revisions- bzw. Wechseleingriffen
diagnostiziert [3, 4, 5].

Entsprechend der Arbeit von Parvizi aus dem Jahr 2011 besteht ein PPI(H) bei/wenn [6]:

  • nachweisbarer Fistel zur Prothese,
  • Keimnachweis in 2 oder mehr getrennt entnommenen Gewebe- oder Flüssigkeitsproben,
  • 4 der nachfolgenden 6 Kriterien erfüllt sind:

erhöhter CRP-Wert

erhöhte Leukozytenzahl in der Synovialflüssigkeit

erhöhte Zahl polymorohonukleärer Zellen in der Synovialflüssigkeit

Eiter im Gelenk

Isolation von Keimen in der Synovialflüssigkeit

mehr als 5 Neutrophile pro High-power-field in 5 High-power-fields bei der mikroskopischen Analyse von periprothetischem Gewebe bei 400-facher Vergrößerung.

Diagnostik und Therapie

Analog zu den anderen Entitäten muskuloskelettaler Infektionen existieren speziell für die Therapie der PPI(H) nur wenige verbindliche Regeln, auch wenn im Rahmen eines Konsensus-Meetings im Jahr 2013 eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen wurden [7].

Allgemeingültiges Prinzip:

  • Die Diagnostik beruht auf der kritischen Analyse von [8, 9, 10]:

der individuellen Anamnese

der Klinik

der Auswertung spezifischer Infekt-Laborparameter (Verlauf von CRP, Leukozytenzahl)

bildgebenden Verfahren (Projektionsradiografie, Computer-Tomografie, Magnet-Resonanz-Tomografie)

ggf. Hybrid-Verfahren (Positronen-Emissions-Tomografie) oder nuklearmedizinischen Methoden

mikrobiologische Gewebeanalyse

histologische Gewebeanalyse.

  • Die chirurgische lokale Infektsanierung stellt die Basistherapie bei der Behandlung der PPI dar.
  • · Sie wird ergänzt durch die adjuvante Gabe von Antibiotika (systemisch/lokal).
  • Supportiv können z.B. Spurenelemente oder Vitamine appliziert werden.

Bei der Umsetzung dieser Prämissen herrscht bezüglich der Therapie Uneinigkeit. Dieses betrifft im Wesentlichen 2 Bereiche:

1. die Art der chirurgischen Therapie (z.B. möglicher Prothesenerhalt, Zeitpunkt der Explantation, Anzahl der Revisionseingriffe usw.),

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