Übersichtsarbeiten - OUP 10/2015

Wechselstrategien bei periprothetischen Infektionen am Hüftgelenk

Andreas Heinrich Hugo Tiemann1, 2

Zusammenfassung

Periprothetische Infektionen (PPI) zählen zu den schwerwiegenden Komplikationen nach Implantation eines Gelenkersatzes. Natürlich gilt das auch für die Hüft-Endoprothetik. Mit den steigenden Zahlen implantierter Prothesen sieht sich der behandelnde Arzt auch mit einer zunehmenden Zahl von periprothetischen Infektionen konfrontiert.
Neben der rein numerischen Problematik findet sich auch bei der Behandlung der periprothetischen Infektionen am Hüftgelenk (PPIH) die typische, allen Entitäten muskuloskelettaler Infektionen eigene medizinische Konstellation:

Auf der Basis weicher, unklar und uneinheitlich definierter Kriterien muss (soll) ein valides, determiniertes und klar strukturiertes Therapie-Regime festgelegt werden.

Der nachfolgende Artikel dient dem Zweck, soweit möglich Klarheit zu schaffen in Bezug auf die zu ergreifenden chirurgischen Maßnahmen zur Behandlung eines PPIH. Angesprochen werden Fakten und Vermutungen sowie die sich daraus ergebenden therapeutischen Konsequenzen.

Bezüglich der chirurgischen Konzepte lässt sich bereits an dieser Stelle folgendes feststellen:

Die lokale chirurgische Revision mit Entfernung der Prothese ist das z.Zt. erfolgversprechendste Vorgehen. Kombiniert werden muss es immer mit der erregergerechten Antibiotikatherapie.

Klare Regeln, bei welcher Indikation welches Wechselkonzept (einzeitig EWZ, zweizeitig ZZW, mehrzeitig MZW) zum Einsatz kommt existierten nicht.

Tendenziell gilt: Je jünger der Patient, je kürzer die Infektlaufzeit („Frühinfekt“, „unreifer Biofilm“), je besser die Weichteile, je behandelbarer der präoperativ bekannte Erreger (Gram positiv, kein DTT, keine Multiresistenz) umso eher ist ein EZW möglich.

Je weniger diese Kriterien zutreffen, umso mehr muss ein ZZW oder ein MZW erwogen werden.

Schlüsselworte: Periprothetischer Infekt am Hüftgelenk,
Revisionskonzepte, Wechselstrategien

Zitierweise
Tiemann AHH. Wechselstrategien bei periprothetischen Infektionen am Hüftgelenk.
OUP 2015; 10: 480–486 DOI 10.3238/oup.2015.0480–0486

Summary

Periprosthetic infections and especially periprosthetic infections after hip arthroplasties are numbered among the most serious complications in orthopedic surgery. With the rising number of implanted arthroplasties the treating physician is confronted with a rising number of periprosthetic infections. Next to the numeric set of problems orthopedic surgeons have to face a specific medical constellation that is typical for all muskulo-skelettal infections:

Based on soft, unclear and inconsistent defined criteria a valid, determined therapeutical regime must (has to) be
determined.

The following article should establish clarity regarding the surgical concepts to treat periprosthetic infections after hip arthroplasties: facts, assumptions and medical consequences.

Regarding the surgical concepts the following may be ascertained:

Local surgical revision with removal of the arthroplasty is the most promising procedure.

Combination with systemic application of antibiotics is mandatory.

There are no clear rules regarding single-stage, two-stage or multi-stage revision concepts.

By tendency one may say: The younger the patient, the shorter the infection interval („early infection“, „immature biofilm“), the better the soft tissue conditions, the less virulent and resistant the infection causing pathogen the more a single-stage revision concept may be chosen.

Keywords: periprosthetic infection oft he hip, revision concepts, strategies for changing the prostheses

Citation
Tiemann AHH. Revision strategies for periprosthetic infection after hip arthroplasty.
OUP 2015; 10: 480–486 DOI 10.3238/oup.2015.0480–0486

Einleitung

Periprothetische Infektionen (PPI) zählen zu den Major-Komplikationen nach Implantation eines Gelenkersatzes. Diese Regel gilt selbstverständlich auch für die Hüftendoprothetik (PPIH). Diagnostik und Therapie stellen eine Herausforderung für den behandelnden Arzt dar, aber auch für die Betroffenen.

Basierend auf der steigenden Lebenszeit der Bevölkerung steigt einerseits die Anzahl der primär implantierten Hüftendoprothesen. Andererseits wird auch eine steigende Anzahl von Wechseloperationen durchgeführt. Zurzeit werden in Deutschland ca. 210.000 Primärimplantationen von Hüftendoprothesen durchgeführt. Hinzu kommen ca. 30.000 Revisionsoperationen am Hüftgelenk [1]. Für das Jahr 2011 errechnete die OECD für Deutschland 286 Hüftendoprothesen-Implantationen pro 100.000 Einwohner, was einer Gesamtzahl von 232.320 Prothesen entsprach [2]. PPI werden dabei in 0,2–1,1 % der Primärimplantationen und in bis zu 5 % bei Revisions- bzw. Wechseleingriffen
diagnostiziert [3, 4, 5].

Entsprechend der Arbeit von Parvizi aus dem Jahr 2011 besteht ein PPI(H) bei/wenn [6]:

  • nachweisbarer Fistel zur Prothese,
  • Keimnachweis in 2 oder mehr getrennt entnommenen Gewebe- oder Flüssigkeitsproben,
  • 4 der nachfolgenden 6 Kriterien erfüllt sind:

erhöhter CRP-Wert

erhöhte Leukozytenzahl in der Synovialflüssigkeit

erhöhte Zahl polymorohonukleärer Zellen in der Synovialflüssigkeit

Eiter im Gelenk

Isolation von Keimen in der Synovialflüssigkeit

mehr als 5 Neutrophile pro High-power-field in 5 High-power-fields bei der mikroskopischen Analyse von periprothetischem Gewebe bei 400-facher Vergrößerung.

Diagnostik und Therapie

Analog zu den anderen Entitäten muskuloskelettaler Infektionen existieren speziell für die Therapie der PPI(H) nur wenige verbindliche Regeln, auch wenn im Rahmen eines Konsensus-Meetings im Jahr 2013 eine Reihe von Empfehlungen ausgesprochen wurden [7].

Allgemeingültiges Prinzip:

  • Die Diagnostik beruht auf der kritischen Analyse von [8, 9, 10]:

der individuellen Anamnese

der Klinik

der Auswertung spezifischer Infekt-Laborparameter (Verlauf von CRP, Leukozytenzahl)

bildgebenden Verfahren (Projektionsradiografie, Computer-Tomografie, Magnet-Resonanz-Tomografie)

ggf. Hybrid-Verfahren (Positronen-Emissions-Tomografie) oder nuklearmedizinischen Methoden

mikrobiologische Gewebeanalyse

histologische Gewebeanalyse.

  • Die chirurgische lokale Infektsanierung stellt die Basistherapie bei der Behandlung der PPI dar.
  • · Sie wird ergänzt durch die adjuvante Gabe von Antibiotika (systemisch/lokal).
  • Supportiv können z.B. Spurenelemente oder Vitamine appliziert werden.

Bei der Umsetzung dieser Prämissen herrscht bezüglich der Therapie Uneinigkeit. Dieses betrifft im Wesentlichen 2 Bereiche:

1. die Art der chirurgischen Therapie (z.B. möglicher Prothesenerhalt, Zeitpunkt der Explantation, Anzahl der Revisionseingriffe usw.),

2. die systemische Gabe von Antibiotika gilt als conditio sine qua non. Die Dauer der Antibiotikabehandlung ist jedoch umstritten.

Grundsätzlich sind folgende therapeutische Ansätze denkbar:

Nicht operativ mit kurativem Ansatz: Alleinige Applikation von Antibiotika

Nicht operativ mit palliativem Ansatz: Alleinige Applikation von Antibiotika

Operativ mit kurativem Ansatz

Debridement mit Prothesenerhalt

Wechseloperationen:

Einzeitig (Prothesen-Explantation, Revision des Situs und Re-Implantation in einem Eingriff)

Zweizeitig mit und ohne Spacer (1. Eingriff: Prothesen-Explantation und Revision des Situs; 2. Eingriff: Re-Implantation der Prothese)

Mehrzeitig mit und ohne Spacer (1. Eingriff: Prothesen-Explantation und Revision des Situs; 2. und weitere Eingriffe: Revision des Situs; letzter Eingriff: Re-Implantation der Prothese)

Operativ mit palliativem Ansatz: Anlage einer Fistula persistenz

Resektionsarthroplastik: „Girdlestonesituation“

Amputation

Die Auswahl des therapeutischen Ansatzes wird determiniert durch:

Patientenbezogene Faktoren

Alter

Allgemeinzustand

Komorbiditäten

Knochenqualität

Infektbezogene Faktoren

Keimtyp („Virulenz)

Antibiotika-sensible Arten

Antibiotika-resistente Arten

„difficult to treat Keime“ (DTT). Sie gehören zu den Antibiotika-sensiblen Arten, ihre Behandlung ist jedoch problematisch.

Akuität (histologische Merkmale) [10]

akute Infektion

chronische Infektion

Low-grade-Infektion [11]

Laufzeit der Infektion

Frühinfektion

Spätinfektion

Reifegrad des Biofilms [5]

Prothesenbezogene Faktoren

Prothese fest

Prothese locker

Grundsätzlich ist die allein medikamentöse (antibiotische) Behandlung der PPI(H) denkbar, z.B. bei inoperablen Patienten. Auch der Prothesenerhalt unter kurativem Ansatz ist denkbar. Nach den Erkenntnissen von Trampuz unter folgenden Voraussetzungen [12]:

bekannter Keim (kein DTT, nicht aus der Gruppe der multiresistenten Keime),

Frühinfektion (bis zu einer „Laufzeit“ von 4 Wochen),

Prothese fest,

Weichteilmantel um die Prothese nur minimal von der Infektion betroffen.

Die Erfolgsaussichten bei dieser Herangehensweise sind allerdings limitiert. Die Erfolgsaussichten des Prothesenerhalts ohne Revisionseingriff werden in der Literatur mit ca. 30 % bewertet. Für diejenigen mit Revisionseingriff variieren die Angaben zwischen 26 und > 80 % [13, 14, 15, 16, 17, 18].

Bei kurativem Ansatz ist die operative Revision des Lokalbefunds die Option mit der höchsten Erfolgswahrscheinlichkeit. Diese Erkenntnis basiert auf 3 Faktoren:

1. Der Problematik der Infektbeherrschung am Muskuloskelettal-System durch alleinige Applikation von Antibiotika. Die Ursachen hierfür sind unter anderem:

eingeschränkte Wirksamkeit bei der Behandlung von Biofilmen

inadäquate Knochengängigkeit von Antibiotika

Mangel an effektiven Antibiotika

Mangel an wirklichen Antibiotika-Neuentwicklungen

2. Der Notwendigkeit des lokalen Debridements zur Entfernung von durch Infektion destruiertem Gewebe.

3. Der Notwendigkeit der mechanischen Entfernung des bakteriell induzierten Biofilms auf der Implantat-Oberfläche.

Auswahl des operativen
Revisionsverfahrens

In Bezug auf die operative Vorgehensweise besteht in der aktuellen Literatur Einigkeit, dass der Prothesenwechsel die Therapieform mit der höchsten Erfolgswahrscheinlichkeit ist. Diese Gruppe macht demnach das Gros der operativen Eingriffe bei der Behandlung der PPI(H) aus.

In Analogie zur grundsätzlichen Auswahl der Behandlungsweise wird auch die Auswahl des operativen Revisionstyps determiniert durch die bereits weiter oben genannten Faktoren. Der behandelnde Arzt sieht sich, wie schon bei der grundsätzliche Auswahl des therapeutischen Verfahrens, mit der Tatsache konfrontiert, dass es sich bei einer Vielzahl der zur Entscheidungsfindung herangezogenen Faktoren um sog. weiche Faktoren handelt, also um solche, die nicht jederzeit zu objektivieren sind, sondern wesentlich durch Erfahrung und persönliche Einschätzung beeinflusst werden (als Beispiel sei die Unterscheidung in Früh- und Spätinfekt genannt. Die zeitliche Unterscheidung basiert nicht auf evidenzbasierten Fakten sondern auf persönlichen Erfahrungswerten.) Hinzu kommt, dass es in der Literatur nur wenige Untersuchungen gibt, die sich speziell mit dieser Problematik befassen. Weiterhin muss konstatiert werden, dass bei eben diesen Untersuchungen nur geringe Fallzahlen analysiert werden und somit ihr statistischer Wert relativ eingeschränkt ist.

Unstrittig ist jedoch, dass, unabhängig vom gewählten Revisionskonzept Folgendes immer gilt:

Die chirurgische Revision mit der Entfernung der Prothese und sämtlichen nekrotischen und makroskopisch infiziert wirkenden Geweben ist, wie bei jeder Art des Prothesenwechsels eine Conditio sine qua non.

Die mikrobiologisch-histologische Analyse des resezierten Gewebes ist eine Conditio sine qua non.

Die systemische erregergerechte Anwendung von Antibiotika ist eine Conditio sine qua non.

Hinsichtlich der Auswahl des Wechselkonzepts sind in der Literatur Tendenzen erkennbar:

Einzeitiger Wechsel (EZW)

Grundsätzlich bietet der EZW theoretisch eine Reihe von Vorteilen gegenüber anderen Verfahren. Nach Haddad et al. handelt es sich hierbei um die folgenden Punkte [19]:

Kürzerer Krankenhausaufenthalt

Vermeidung von Komplikationen in Zusammenhang mit weiteren Operationen

Verbesserte postoperative Funktion

Geringeres postoperatives Schmerzlevel

Geringere Kosten

In ihrer Studie definierte die o.g. Gruppe Ausschlusskriterien für die Anwendung des EZW [19]:

Lokale Kriterien:

signifikante Weichteilbeteiligung

signifikanter Knochenverlust

signifikante Durchblutungsstörungen

Systemische Kriterien:

Immunsuppression

systemische Infektion (Sepsis)

Systemerkrankungen

Reinfektion

Erreger-spezifische Kriterien:

multiresistente Erreger

Mischinfektionen

problematische Resistenzprofile

nicht identifizierbare Erreger

Diese Auffassung wurde auch von Trampuz vertreten [12]. In Bezug auf die Erreger der PPI(H) forderte diese Gruppe konkret das Vorliegen Gram-positiver Erreger. Gerade die Erreger-spezifischen Ausschlusskriterien zeigen einen entscheidenden Schwachpunkt auf. Der korrekte Nachweis von Erregern muskuloskelettaler Infektionen ist per se problematisch:

bis zu 30 % falsch negative Ergebnisse.

Ist der nachgewiesene Erreger das Infekt auslösende Pathogen?

Der Nachweis von Erregern kann einen längeren Zeitraum beanspruchen.

Auch Winkler et al. kamen 2015 zu der Auffassung, dass die Indikation zum EZW sich auf die Fälle kapriziert, bei denen gute Weichteilverhältnisse und keine Problemkeime vorlagen [20]. Betrachtet man die in der Literatur beschriebenen Ergebnisse nach EZW so werden Erfolgsraten zwischen 83 und 94 % beschrieben [21].

Als Grundlage gelten dafür das konsequente chirurgische Debridement und die systemische Anwendung von Antibiotika.

Die Einschränkungen derartiger Untersuchungen liegen auf der Hand [21]:

kleine Kollektive

unterschiedliche Nachuntersuchungszeiträume (fehlende Langzeitergebnisse)

unterschiedliche Prothesenkonzepte

unterschiedliche Antibiotikaregime

das Fehlen randomisierter Studien.

Bezüglich der Qualität und Anwendbarkeit der Revisionskonzepte bei PPI(H) werden neben der Erfolgsrate auch die Reinfektionsraten zu Rate gezogen. In einer Metaanalyse von 2012 wurden die Reinfektionsraten des EZW (13,1 %) und des zweizeitigen Wechsels (10,4 %) verglichen [22]. Die Einschränkungen derartiger Untersuchungen wurden bereits oben erwähnt. Für eine generelle Empfehlung pro oder kontra EZW ist die Datenlage mithin nicht ausreichend [20].

Zweizeitiger Wechsel (ZZW)

Der ZZW stellt heute die am häufigsten gewählte Option in der Behandlung des PPI, mithin auch des PPHI dar [23]. Wenn man im Zusammenhang mit der Behandlung von PPI überhaupt von einem „Gold-Standard“ sprechen kann, so scheint diese Bezeichnung für den ZZW zuzutreffen [21]. Diese Aussage trifft insbesondere für den chronischen PPI zu. Das Grundprinzip dieser Vorgehensweise besteht darin, die Prothesenexplantation und die sich daran anschließende lokale Revision des infizierten Situs von der Implantation der Revisions-Endoprothese zu trennen. Dieses bietet folgende Vorteile:

Trennung des „schmutzigen“ Parts (Explantation und lokale Revision) vom „sauberen“ Part (Revisions-Endoprothetik)

Möglichkeit weiterer Revisionseingriffe

Mikrobiologisch-histologisches Restaging vor Implantation der Revisions-Endoprothese

Implantation der Revisions-Endoprothese im Sinne eines Elektiveingriffs bei den patientenindividuell bestmöglichen Voraussetzungen. Generell erfolgt der „Wiedereinbau“, wenn der PPI klinisch und laborchemisch abgeklungen ist und ein Keimnachweis beim sog. mikrobiologisch-histologischen Restaging nicht möglich ist. Es bleibt aber immer eine gewisse Unsicherheit (fehlender Keimnachweis ? Keimfreiheit). Die Arbeitsgruppe um Gontarewicz stellte 2012 fest, dass gerade hinsichtlich der o.g. klinischen und laborchemischen Prädiktoren eindeutige Zeichen fehlen [24].

Die operations-technische und taktische Vorgehensweise besteht aus der Explantation der Prothese und dem konsequenten lokalen chirurgischen Debridement im ersten Eingriff in Kombination mit der erregergerechten systemischen und (fakultativ) lokalen Antibiotikagabe und der Implantation der Revisions-Endoprothese im zweiten Eingriff.

Wie schon für den einzeitigen Wechsel bestehen entsprechende Anwendungs-Kriterien auch für den ZZW [6, 12]:

unbekannter Keim (Keim nicht zu isolieren)

Weichteilverhältnisse schlecht (Fisteln, Abszesse, u.ä.)

schwerwiegende Komorbiditäten

Low-grade-Infektionen

chronische Infektion

difficult to treat pathogens oder multiresistente Erreger.

Es erscheint nachvollziehbar, dass ein Großteil dieser Kriterien gerade beim chronischen PPI vorliegt. Die Erfolgsraten des ZZW werden in der Literatur zwischen 90 und 100 % angegeben [25, 26]. Wie auch für den EZW gelten bei der Interpretation der in der Literatur vorliegenden Ergebnisse des ZZW die bekannten Einschränkungen (s.o.). Gerade in Spezialeinrichtungen zur Therapie muskuloskelettaler Infektionen stellt der ZZW aufgrund der negativen Selektion der Patienten das am häufigsten gewählte Konzept dar. Ein Fallbeispiel ist dargestellt in den Abbildungen 1–6.

Fallbeispiel

Fallbeispiel: Weiblich, 65 Jahre, Hüft-TEP 15 Jahre alt, Fieber 38,2 °C; Leukos 11,5; CRP 186, seit ca. 2 Wochen Schmerzen am rechten Oberschenkel (Abb. 1). Aus der bildgebenden Diagnostik (Abb. 2a-b) ergab sich folgender Befund: Akute Exazerbation einer Protheseninfektion. Insofern Indikation zur schnellstmöglichen Revision. Der histomorphologische Typ der Infektion ist erst nach der entsprechenden Gewebsanalye der intraoperativ entnommenen Proben möglich.

Durch Eröffnung des Markraums an vorgewählten Lokalisationen (Abb. 3–4) Entfernung des Prothesenschafts unter Sicht möglich ohne die Gefahr der unkontrollierbaren Frakturierung beim Ausschlagen. Hinzu kam, dass der Markraum unter Sicht revidiert werden konnte. Die korrekte Revision und die makroskopisch rückstandlose Entfernung von avitalem, nekrotischem und infiziertem Gewebe war so ad oculos zu verifizieren. Histologie: Chronische periprothetische Infektion, Mikrobiologie: Nachweis von S. aureus (nicht multiresistent). Endgültige Diagnose: Akute Exazerbation einer chronischen periprothetischen Infektion. 9 Wochen nach der Explanation wurde die Revisionsendoprothetik vorgenommen, nachdem 6 Wochen nach Explantation kein Keim mehr nachgewiesen wurde (Abb. 5). Abbildung 6 zeigt das Kontrollröntgenbild am 3. postoperativen Tag.

Mehrzeitiger Wechsel (MZW)

Die Voraussetzungen dafür sind zunächst analog denen für den ZZW. Erscheint es jedoch aufgrund des Lokalbefunds, der Keimpersistenz und der laborchemischen Konstellation geboten, zwischen der Prothesenexplantation und der Revisions-Endoprothetik weitere Revisionsoperationen durchzuführen, wird ein MZW-Konzept notwendig. Es ist selbsterklärend, dass die Anzahl möglicher Revisionen allein schon durch den vorhandenen Weichteilmantel und den notwendigen verbleibenden Knochen zur Verankerung der Revisions-Endoprothese limitiert ist. Es gilt die Regel:

Wenn nach 3 konsequent durchgeführten chirurgischen Revisionen eine lokale Infektberuhigung nicht gelingt, sind weitere Revisionsoperationen nicht erfolgversprechend.

In diesen Fällen muss das Gesamtkonzept der Infektionsbehandlung überdacht werden.

Spacerproblematik

Die Angaben pro und kontra der Anwendung von Spacern bei ZZW und MZW sind in der Literatur ebenso heterogen wie die zum Thema Wechselkonzepte. Grundsätzlich lassen sich Spacer nach folgende Kriterien unterteilen:

Funktion:

statischer Spacer (keine Bewegung möglich, reines „Totraum-Management“)

artikulierender Spacer

Fertigung:

handgemacht

vorgefertigt

Rein-Zement-Spacer

Hybrid-Spacer (mit Metallkern)

Antibiotikum:

mit Antibiotikum

ohne Antibiotikum

Mit allen bekannten Einschränkungen der vorliegenden Literatur zu diesem Thema könnte man sagen, dass

Spacer geboten sind bei absehbar langen Intervallen zwischen Revision und Reimplantation.

Vorsicht geboten ist mit artikulierenden (beweglichen) Spacern, wenn ein direkter Kontakt zu osteoporotischem Knochen besteht. Aufgrund der rauen Oberfläche des Spacers kann es hier bei langer Liegedauer zu signifikantem Knochenabrieb (-verlust) kommen.

Spacer wenn möglich mit einem erregergerechten Antibiotikum versehen sein sollten.

Spacer regelhaft über einen (vollständig vom Zement ummantelten) Metallkern verfügen sollten, um sog. Spacerbrüche zu vermeiden

Die Erfolgsraten der Wechselkonzepte mit und ohne Spacer werden in der Literatur unterschiedlich bewertet, liegen aber im Vergleich auf einem ähnlichen Niveau [27, 28]:

ohne Spacer: 66–93 %

mit Spacer: 89–96 %

Gleichzeitig wird auf die hohe Komplikationsrate von über 50 % verwiesen.

Restaging

Beim ZZW und MZW stellt sich, wie bereits oben beschrieben, immer die Frage nach dem idealen Zeitpunkt der Revisions-Endoprothetik [27]. Allgemeingültige Standards hierzu existieren nicht. Klar ist, dass die Implantation der Prothese in eine Infekt-Keim-freie Situation erfolgen sollte. Klar ist auch, dass zur Beurteilung 3 Kriterien herangezogen werden sollten:

Klinik mit Allgemein- und Lokalbefund

Laborchemie (insbesondere CRP und Leukozytenzahl)

Mikrobiologisch-histologisches Restaging

In Abbildung 7 wird das eigene Vorgehen dargestellt:

Vor allen geplanten rekonstruktiven Eingriffen

Mindestens 6 Wochen Abstand zur letzten Revision

Antibiotikagabe seit 14 Tagen beendet

Gewinnung in Form von (Stufen)-Biopsien

Keine Aspirationsmikrobiologie

Gewinnung an standardisierten (repräsentativen) Lokalisationen.

Therapeutisches Dilemma

Die dargestellten mehrzeitigen Revisionskonzepte (ZZW, MZW) gehen davon aus, dass die Infektberuhigung erreicht und die Revisions-Endoprothetik in einer patienten-individuell optimalen Situation elektiv erfolgen kann. Immer dann jedoch, wenn dieses nicht gelingt, stellt sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Grundsätzlich muss an dieser Stelle geklärt werden, ob ein erneuter Versuch zur Infektberuhigung erfolgversprechend unternommen werden sollte oder das gesamte Konzept überdacht werden muss.

Wiederum ist das Vorgehen abhängig von mehreren Kriterien:

Allgemeinzustand des Patienten

Komorbiditäten

klinisches Bild

laborchemische Konstellation (CRP, Leukozytenzahlen)

Keimtyp

Zustand der Weichteile

Zustand der Knochen

Anzahl der vorhergehenden Versuche der Infektberuhigung

Leitlinien oder Regeln existieren zu diesem Thema nicht. Basis aller Überlegungen sollte der intensive Kontakt zum Patienten sein. Gemeinsam mit ihm und unter Berücksichtigung der individuellen Wünsche und Vorstellungen sowie der medizinischen Möglichkeiten sollte das weitere Procedere festgelegt werden.

Fazit

Basierend auf den Ausführungen bis hierher bleibt zusammenfassend Folgendes:

Fakten

Der Prothesenerhalt ist in Ausnahmefällen möglich.

Die Kombination aus lokaler Revision mit Prothesenwechsel in Kombination mit der systemischen (und ggf. lokalen) erregergerechten Antibiotikatherapie ist das Vorgehen mit der besten Erfolgsaussicht.

Die chirurgische Revision mit der Entfernung der Prothese und sämtlichen nekrotischen und makroskopisch infiziert wirkenden Geweben ist, wie bei jeder Art des Prothesenwechsels eine Conditio sine qua non.

Die mikrobiologisch-histologische Analyse des resezierten Gewebes ist eine Conditio sine qua non.

Die systemische erregergerechte Anwendung von Antibiotika ist eine Conditio sine qua non.

Das lokale mikrobiologisch-histologische Restaging ist eine Conditio sine qua non.

Unklarheiten

Z.Zt. ungeklärt ist, welches Revisionskonzept in welcher Infektsituation das erfolgversprechende ist.

Z.Zt. ungeklärt ist der optimale Zeitpunkt für die Revisions-Endoprothetik.

Tendenzen

Je jünger der Patient, je kürzer die Infektlaufzeit („Frühinfekt“, „unreifer Biofilm“), je besser die Weichteile, je behandelbarer der präoperativ bekannte Erreger (Gram-positiv, kein DTT, keine Multiresistenz) umso eher ist ein EZW möglich.

Je weniger diese Kriterien zutreffen, umso mehr muss ein ZZW oder ein MZW erwogen werden.

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med.
Andreas Heinrich Hugo Tiemann

Klinik für Orthopädie und Unfall-
chirurgie des SRH Zentralklinikums Suhl

Albert-Schweitzer-Str. 2

98527 Suhl

andreas.tiemann@zs.srh.de

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Fussnoten

1 Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, SRH Zentralklinikum Suhl

2 Sektion Knochen- und Weichteilinfektion der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie

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