Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015

Zur Relevanz individueller funktionsdiagnostischer Erhebungen im Return-to-play-Prozess nach operativer Versorgung der VKB-Ruptur

Tobias Engeroff1, Daniel Niederer1, Winfried Banzer1

Zusammenfassung: Die Wiederaufnahme von Wettkampfaktivitäten ist für Athleten nach Verletzungen und Operationen von zentraler Bedeutung. Ziel der vorliegenden Übersichtsarbeit ist die Zusammenstellung funktional-muskuloskelettaler Erfassungsmethoden für die Rückkehr zur sportlichen Aktivität bei Erwachsenen nach operativer Versorgung von VKB-Rupturen auf der Basis von systematischen Reviews.

Zwei unabhängige Untersucher recherchierten relevante Literatur in MEDLINE. Zielgrößen waren der Zeitpunkt sowie die funktionalen Entscheidungskriterien für die Rückkehr zu sportlicher Aktivität (Return to play, RTP).

Aktuell existiert eine unüberschaubare Zahl an funktional-muskuloskelettalen Erfassungsmethoden und sportartspezifischen Tests. Von validem prädiktivem Wert scheinen insbesondere Seitenasymmetrien der Beinstreckerkraft, Single-Hop-Tests, das maximale Bewegungsausmaß im Kniegelenk sowie der normalisierte Knieabstand während Drop-Jumps zu sein.

Aus funktioneller Sichtweise stehen als Ziele das Wiedererlangen der physiologischen Funktion und die Belastbarkeit sowie Schmerzfreiheit unter Belastung im Fokus. Die hier aufgeführten Tests ermöglichen eine evidenzbasierte sowie differenzierte Betrachtung der Funktion des Bewegungsapparats und sind klinisch anwendbar.

Schlüsselwörter: VKB-Ruptur, Kniegelenk, Return to play, sportliche Belastung, Wettkampf

Zitierweise
Engeroff T, Niederer D, Banzer W. Zur Relevanz individueller funktionsdiagnostischer Erhebungen im Return-to-play-Prozess nach operativer Versorgung der VKB-Ruptur.
OUP 2015; 6: 301–307 DOI 10.3238/oup.2015.0301–0307

Summary: Return to play (RTP) and competition following injury and surgery are of particular importance for athletes. The aim of our study was to provide a review on functional criteria and time of return in the RTP decision process for adults undergoing surgical management of the ACL.

Two independent investigators searched MEDLINE. Targeted outcomes were functional criteria for return to play decisions and total duration of the RTP process.

Up-to-date, a manageable number of functional and musculoskeletal tests to support the RTP process are available. The relevant literature describes side differences in maximal voluntary force of the knee extensors, during single-leg-hop-tests, during maximal range of motion of the knee and, in addition, the normalized knee distance during drop-jumps to be of particular predictive value.

From a functional point of view, to regain the pre-operative and physiological value is of particular importance. The assessment methods described allow a differentiated consideration of function and are clinical applicable.

Keywords: ACL rupture, return to play, knee joint, competition

Citation
Engeroff T, Niederer D, Banzer W. On the relevance of individual functional outcome assessments in the return to play decision process following operative management of acl rupture.
OUP 2015; 6: 301–307 DOI 10.3238/oup.2015.0301–0307

Einleitung

Rupturen des vorderen Kreuzbands (VKB) stellen mit einer geschätzten Häufigkeit von 1 pro 3.500 Einwohnern eine der häufigsten Bandverletzung der unteren Extremitäten dar [1]. Rupturen des VKB sind assoziiert mit einer vergleichbar langen Rehabilitationszeit, verringerter Leistungsfähigkeit und einem erhöhten Risiko für Re-Rupturen [2, 3]. Ungefähr zwei Drittel der VKB-Verletzungen ereignen sich im Sport bei Richtungswechseln, Beschleunigen, Abbremsen oder beim Landen nach einem Sprung und ohne Gegner- oder Mitspielereinwirkung [4]. So ist sie in Sportarten wie Fußball sogar die häufigste operativ versorgte, muskuloskelettale Verletzung [5]. Insbesondere junge und sehr aktive Personen scheinen ein hohes Risiko für einen ungünstigen Erkrankungsverlauf zu haben. Aktuelle Studien berichten von Wiederverletzungsraten bis zu 24 % innerhalb der ersten 2 Jahre nach einmaliger Kreuzbandverletzung [2]. Die erfolgreiche Behandlung dieses Patientenkollektivs stellt somit besondere Anforderungen an Arzt und Rehabilitationsteam.

Insbesondere bei Spitzensportlern, aber auch häufig bei Hobbysportlern ist, neben der Wiederherstellung der Alltagsfunktion, die Wiederaufnahme des sportart- und wettkampfspezifischen Trainings sowie – zum Teil – der Wettkampfstätigkeit nach einer Operation von zentraler Bedeutung [6]. Diese Wiederaufnahme wird in der einschlägigen Literatur als Return to play (RTP) bezeichnet. Nahezu alle Unfallchirurgen und Orthopäden empfehlen die operative Behandlung von VKB-Rupturen, insbesondere bei bestehendem Wunsch des Patienten, sportliche Aktivität nach der Rehabilitation wieder uneingeschränkt ausüben zu können.

Zeitpunkt und Return to
play Quoten

Laut einer systematischen Übersichtsarbeit empfiehlt der Großteil der relevanten Studien eine Rückkehr zu einfacheren Aktivitäten ohne Gegnerkontakt (bspw. laufen) 3 Monate postoperativ, zu Sportarten mit z.B. Drehbewegungen jedoch erst 6–9 Monate post-operativ [7].

Insgesamt nehmen ca. 82 % aller operativ versorgten Kreuzband-Patienten ihre sportliche Aktivität wieder auf, 63 % kehren dabei zu ihrem prä-operativen Level zurück. Unter diesen schafften, laut der Autoren um Harris [7], lediglich 44 % die nachhaltige Wiederaufnahme ihrer Wettkampfaktivität. Dieser verhältnismäßig niedrigen Quote stehen die Angaben zur Funktionsfähigkeit gegenüber, quantifiziert insbesondere über die Beweglichkeit im Kniegelenk. Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2011 erreichen fast 90 % aller Athleten eine normale bzw. annähernd normale Kniefunktion nach operativer Versorgung [8]. Einfache Funktionstests wie Beweglichkeitsmessungen im Kniegelenk sind somit nicht geeignet, um als Hauptkriterium für die RTP-Entscheidung herangezogen zu werden. Der zahlenmäßige Unterschied in den Ergebnissen simpler Funktionstests und der tatsächlichen RTP-Rate unterstützen somit die Relevanz von Funktionstests mit trennschärferem und somit validerem prädiktiven Wert.

Forschungsdefizit und Ziel der Übersichtsarbeit

Als Gründe für die vergleichbar niedrige Quote der erfolgreichen RTP nach VKB-Operation werden sowohl objektiv erfassbare Defizite, subjektiv empfundene Funktionsfähigkeit als auch psychosoziale Barrieren wie die Angst vor neuen Verletzungen und die Angst vor kniegelenkbelastenden Bewegungen diskutiert [9].

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