Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015

Zur Relevanz individueller funktionsdiagnostischer Erhebungen im Return-to-play-Prozess nach operativer Versorgung der VKB-Ruptur

Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidungsfindung für ein RTP für das Behandlungsteam (Arzt, Patient, Rehabilitationspersonal) eine nicht zu unterschätzende Herausforderung. Existierende Leitlinien empfehlen eine Dauer bis RTP von 9 Monaten [7, 10] bzw. 6–8 Monaten [3] postoperativ. Allerdings sind diese Empfehlungen nur bedingt individuell anwendbar. Die Autoren relevanter Studien zeigen hier beträchtliche interindividuelle Unterschiede von 3–24 Monaten postoperativ [11]. Während Spitzensportler im Mittel häufig weniger Zeit bis zum RTP als Freizeit- und Amateursportler benötigen, ist aber auch dies individuell sehr unterschiedlich [10]. Da für die Entscheidungsfindung somit keine allgemeingültigen Zeitpunkte herangezogen werden können, zeigt sich erneut die Relevanz der Bewertung auf Basis individueller Kriterien. Somit stellen sich Fragen, wie der Zeitpunkt evidenzbasiert und individualisiert bestimmt und der Rehabilitationsprozess objektiv erfasst werden kann.

In Literatur und klinischer Praxis existieren eine Vielzahl an funktionalen Erfassungsmethoden zur Bestimmung des individuellen Status. Oftmals ist nicht ausreichend definiert, welche Eigenschaft durch eine Assessmentmethode erfasst wird und welche Relevanz diese für einen erfolgreichen RTP-Prozess hat. Von großer Bedeutung für die ärztliche Praxis ist daher die Überprüfung der Eignung einzelner Funktionsuntersuchungen oder Testbatterien zur Prädiktion des Zeitpunkts von RTP. Aktuell ist die Datenlage zu objektiven Kriterien mit prädiktivem Wert zur Entscheidungsfindung des RTP uneinheitlich.

Vor diesem Hintergrund ist es das primäre Ziel der vorliegenden Arbeit, eine Übersicht der funktional-muskuloskelettalen Erfassungsmethoden zur Rückkehr zur sportlichen Aktivität (RTP) nach operativer Versorgung von VKB-Rupturen bei Erwachsenen zu erstellen. Daraus ergeben sich in einem zweiten Schritt Empfehlungen zur Anwendung relevanter Funktionsassessments und zu deren Eingliederung in einen erfolgreichen Behandlungs- und RTP-Prozess.

Material und Methoden

Im Februar 2015 wurde eine selektive Literaturrecherche durchgeführt. Zwei unabhängige Untersucher (TE, DN) ermittelten relevante Literatur in der Datenbank PubMed (MEDLINE) unter Einbezug von MeSH-Terms („acl reconstruction“ [All Fields] OR „anterior cruciate ligament reconstruction“ [All Fields]) AND („return to play“ [All Fields] OR „return to sport” [All Fields] OR comeback [All Fields]). Eingeschlossen wurden systematische peer-review-Übersichtsarbeiten in deutscher und englischer Sprache, die die Relevanz funktionsdiagnostischer Kenngrößen auf den RTP erwachsener Patienten nach VKB-Operationen thematisieren. Das Literaturverzeichnis der eingeschlossenen Studien wurde zusätzlich auf weitere, potenziell relevante Studien überprüft.

Biomechanische
und morphologische
Überlegungen

Die Funktion des VKB wird durch die Kombination aus mechanischer Führung, kräftiger Bandstruktur und propriozeptiver Wahrnehmung mittels Mechanorezeptoren ermöglicht. Bei Funktionsverlust resultieren eine eingeschränkte Belastbarkeit des Bewegungsapparats und ein erhöhtes Risiko für Schäden an den übrigen gelenkbildenden Strukturen. Durch die Belastung während Sport und körperlicher Aktivität kann sich das Risiko einer Re-Ruptur und der Entwicklung einer Kniegelenk-arthrose erhöhen. Für die erfolgreiche Behandlung nach VKB-Ruptur ergibt sich folglich das Ziel, sowohl die mechanische Stabilität als auch die neuromuskuläre Funktion wiederherzustellen.

Zugangsweg, Transplantatherkunft, Fixationstechnik und viele weitere Punkte ermöglichen eine Vielzahl an unterschiedlichen Operationsmethoden. Obwohl von großer Relevanz in der Gestaltung der Rehabilitationsmaßnahmen [3], hat laut einer systematischen Übersichtsarbeit die Operationstechnik und -art (z.B. Art des Transplantats) keinen systematischen Effekt auf den Zeitpunkt des RTP [4]. Im Folgenden werden aus diesem Grund die verschiedenen Erhebungsmethoden unabhängig von der Art des operativen Eingriffs (Transplantat etc.) diskutiert.

Übersicht der funktional-muskuloskelettalen
Erfassungsmethoden

Die auf Basis der Literaturrecherche in die Studie eingeschlossenen Arbeiten bieten eine Übersicht der funktional-muskuloskelettalen Erfassungsmethoden zur Entscheidungsfindung RTP. Bei den in Tabelle 1 aufgelisteten Methoden handelt es sich folglich um eine Auswahl validierter Tests, die auf Basis ihrer Relevanz als Prädiktor für den Entscheidungsprozess RTP selektiert wurden.

Häufig untersucht und von validem prädiktivem Wert ist laut der Übersichtsarbeiten insbesondere die Kraft. Hierbei sind sowohl die Verhältnisse zwischen operativ versorgter und nicht-operierter Seite als auch Quadrizeps-Hamstrings-Verhältnisse von Relevanz [1, 3, 4, 9, 13]. Zusätzlich berichten einige Autoren von der Relevanz von Seitensymmetrieuntersuchungen im Single-Hop-Test, also bei einbeinigen Sprüngen [1, 4, 9, 13], für die Abschätzung des Risikos einer Re-Ruptur. Evidenz für eine Relevanz in der Bewertung des Funktionsstatus zur Entscheidungsfindung RTP besteht zudem für das maximale Bewegungsausmaß im Kniegelenk in der Sagittalebene [1, 4], wiederum zu erheben im Seitenvergleich. Ebenfalls ist Evidenz für die Relevanz von Seitenunterschieden zwischen operativ versorgter und nicht-operierter Seite des normalisierten Knieabstands während Drop-Jumps vorhanden [12, 1].

Von Relevanz sind zudem Tests zur Propriozeption. Eine aktuelle Übersichtsarbeit zeigt, dass nach VKB-Ruptur Einschränkungen sensomotorischer Fähigkeiten des Knies auftreten können [14]. Erhebungen dazu können mittels verschiedener Tests zur aktiven und passiven Reproduktion von Winkelstellungen, Kraft-Reproduktionen und Reaktionsfähigkeit auf destabilisierende Reize vorgenommen werden. Trotz ersten Hinweisen auf Verbesserung der sensomotorischen Fähigkeiten im postoperativen Verlauf (insbesondere durch die Remodellierung des Implantats [14], sind aktuell weder Hinweise zur Relevanz der Überprüfung dieses Verlaufs im RTP-Prozess noch Schwellenwerte resp. trennscharfe Kriterien (etwa im Seitenvergleich) zur Unterstützung der Entscheidungsfindung RTP auf Basis von funktionalen Tests der Sensomotorik publiziert.

Empfehlungen zur
Anwendung relevanter
Funktions-Assessments

Messung der Kraft

Bedingt durch zahlreiche Faktoren wie Begleitverletzungen oder die eingeschränkte Mobilität oder Belastbarkeit vor und während des Behandlungsprozesses, kommt es zu einem deutlichen Kraftverlust der unteren Extremität der betroffenen Seite. Die Wiederherstellung eines ausreichenden Kraftniveaus ist essenziell für die physiologische Funktion und den RTP. Als Outcomes werden die maximale Kraft der Kniebeuger und Strecker während der Bewegung und deren Verhältnis im Seitenvergleich erfasst.

Messung der Kraft: Isokinetik

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