Übersichtsarbeiten - OUP 06/2015

Zur Relevanz individueller funktionsdiagnostischer Erhebungen im Return-to-play-Prozess nach operativer Versorgung der VKB-Ruptur

Die isokinetische Diagnostik gewährleistet während der Bewegung unabhängig von der Größe des jeweiligen Drehmoments bzw. des Hebels des Lastarms einen konstanten Widerstand und, daraus resultierend, eine gleichbleibende Geschwindigkeit während der Kraftmessung. Nach der entsprechenden Aufwärmung resp. Gerätegewöhnung (üblicherweise 2 Serien je 10–20 Wiederholungen bei 30–40 % der subjektiven Maximalkraft) erfolgt die Testung der dynamischen, muskulären Leistungsfähigkeit der Knieflexoren (Hamstrings, ischiocrurale Muskulatur) und -extensoren (M. quadriceps femoris) in der entsprechenden Funktionsrichtung der Muskulatur. Die Versuchspersonen werden dabei standardisiert positioniert, die Seitenabfolge sollte zufällig bestimmt werden. Besonderes Augenmerk sollte auf die Fixierung der Hüfte gelegt werden. Zur Erfassung der Maximalkraft werden über das komplette Bewegungsausmaß (initial zu definieren) 3–5 maximal „kräftige“ Wiederholungen in Extension und Flexion durchgeführt. Die Winkelgeschwindigkeit für die Überprüfung der Funktionsasymmetrien beträgt dabei 180°/s und 300°/s. Relevant und daher zu standardisieren ist ebenfalls die extrinsische Motivation der Probanden in Form von Anfeuerung durch den Untersucher.

Messung der Kraft: Einfaches
Wiederholungsmaximum

Falls kein isokinetisches Testequipment vorhanden ist, bietet sich die Erfassung mittels einem Einer-Wiederholungs-Maximum an. Nach einer Gewöhnung (10–12 Wiederholungen, 40–60 % des Maximalgewichts) und einer Minute Pause absolviert der Patient 3–5 Wiederholungen einer der ausgewählten Übungen mit 60–80 % des vorher abgeschätzten Maximalgewichts [4]. Bei erfolgreicher Durchführung wird eine Wiederholung mit dem geschätzten Maximalgewicht durchgeführt [4]. Das Gewicht wird schrittweise erhöht, bis die Übung nicht mehr absolviert werden kann. Zwischen den Wiederholungen pausiert der Patient 3–5 Minuten. Das größte Gewicht, mit dem die Bewegung durchgeführt werden kann, ist das Einer-Wiederholungs-Maximum. In aktuellen Studien wird vor allem die Übung Beinpresse, zur Überprüfung mehrerer Muskelgruppen und derer Interaktion, empfohlen [4]. Auch Übungen zur Überprüfung der Kraft der Kniestrecker (M. quadriceps femoris) und Beuger (Hamstrings, ischiocrurale Muskulatur) könnten ergänzend durchgeführt werden. Diagnosekriterium ist der Vergleich zwischen betroffener und gesunder Seite bei einbeiniger Durchführung.

Messung der Bewegung

Laut der aktuellen Evidenzlage ist das maximale Bewegungsausmaß (ROM) von Flexion und Rotation im Kniegelenk von hoher Bedeutung für eine uneingeschränkte Funktion des Kniegelenks [1, 4]. Für die Bewertung von Seitendifferenzen sollte sowohl das passive Bewegungsausmaß im Liegen als auch das aktive Bewegungsausmaß in der Sagittalebene standardisiert erhoben werden. Eine weitere Möglichkeit ist die dynamische Erfassung des ROM der Knieflexion während des Drop-Vertical Jump (s. unten). Auch die Erfassung des ROM der Tibia Rotation ist von Bedeutung für eine uneingeschränkte Funktion des Kniegelenks nach VKB-Plastik. Aktuelle Untersuchungen zeigen, dass sowohl eine größere Außen- als auch eine größere Innenrotation positiv mit körperlicher Aktivität nach abgeschlossener Behandlung in Verbindung stehen [9]. Aktuell ist nicht ausreichend geklärt, ob und wie die Tibia ROM als Diagnosekriterium für den Return-to-play-Prozess eingesetzt werden kann.

Messung der neuromuskulären Kontrolle

Videoanalysen von VKB-Verletzungen lassen verringerte Knieflexion, vergrößerte Hüftflexion, eine in Valgusstellung kollabierte Position des Kniegelenks, reduzierte Plantarflexion im Sprunggelenk, vergrößerte Innenrotation im Hüftgelenk und vergrößerte Innen- oder Außenrotation der Tibia kurz vor- oder während des Verletzungsmechanismus erkennen [4]. Auf Basis der aufgeführten Abweichungen des Bewegungsmusters ist es relevant, spezifische Tests für die dynamische Erfassung der neuromuskulären Kontrolle durchzuführen. Die im Folgenden aufgeführten Sprungtests eignen sich für die Erfassung der dynamischen Stabilität des Kniegelenks und der Bewegungssymmetrie der gesunden und betroffenen Extremität.

Messung der neuromuskulären
Kontrolle: Drop-Vertical Jump

Der Drop-Vertical Jump Tests ermöglicht es, das Bewegungsmuster beim Landen auf ebenem Grund in der Frontal- und Sagittalebene kostengünstig und zeiteffektiv zu bewerten. Die Abduktion im Kniegelenk und die Symmetrie von gesunder und operierter Extremität wird zu 3 Zeitpunkten bewertet; vor dem Aufsetzen der Füße; während des Auftreffens; und beim Absprung [4]. Hierzu wird der Abstand zwischen Referenzpunkten an der Hüfte zur Normalisierung der Abstände an Knie und Knöchel verwendet [4]. Es wird angenommen, dass die Valgisierung des Kniegelenks in der Landephase einen Risikofaktor für erneute VKB-Rupturen ohne Gegnereinwirkung darstellt [4, 12]. Die Flexion im Kniegelenk in der Sagittalebene wird zu 2 Zeitpunkten erfasst. Die Messung kurz vor Bodenkontakt und bei maximaler Flexion während des Bewegungsablaufs ermöglicht die Kalkulation des ROM der Knieflexion [15]. Auch hier haben die Untersuchung des Bewegungsablaufs und des Umfangs im Seitenvergleich die größte Relevanz.

Für die Durchführung des Tests werden eine Absprungbox definierter Höhe (20–40 cm) und eine Videokamera benötigt. Der Patient wird nach einem Warm-Up angeleitet, sich mit beiden Füßen in einem Abstand von ca. 35 cm auf die Box zu stellen, mit einem Schritt von der Box auf den Boden zu steigen und mit beiden Beinen gleichzeitig auf dem Boden zu landen. Unmittelbar nach dem Landen soll der Patient vom Boden vertikal nach oben springen. Die Armhaltung sollte standardisiert werden. Abhängig von der Sportart können die Hände in den Hüften gehalten oder auch beim Sprung nach oben gestreckt werden. Der Ablauf ist in Abbildung 1 dargestellt.

Messung der neuromuskulären Kontrolle: Hop-Tests

Die Anwendung von 4 verschiedenen einbeinigen Sprung-Tests bietet die Möglichkeit, Funktion und Symmetrie von operiertem und gesundem Bein bei unterschiedlichen komplexen Bewegungsabläufen zu evaluieren [1, 4, 9, 13]. Die hier beschriebene Testkombination aus Single Hop, Triple Hop, Crossover-Hop und 6-Meter Timed Hop, wird häufig eingesetzt und besitzt eine gute Reliabilität bei Gesunden und Patienten mit Kreuzbandersatzplastik [2]. Ein häufig verwendetes Kriterium ist der „Limb-Symmetry-Index“, kurz LSI (LSI = [Wert betroffene Seite / Wert unbetroffene Seite] x 100 %) [2]. Ein Wert unter 100 % indiziert ein Defizit der betroffenen Seite [2].

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