Übersichtsarbeiten - OUP 11/2012

Behandlungsalgorithmen der chronischen Osteomyelitis

Bei 10–30% der Patienten geht die akute Osteitis in ein chronisches Stadium über [18].

Definition

Der Begriff „Osteomyelitis“ bezeichnet die Infektion des Knochenmarks, der Begriff „Osteitis“ beschreibt eine Beteiligung des gesamten Organs einschließlich der Kortikalis. Im angloamerikanischen Sprachraum wird der Terminus „osteomyelitis“ bevorzugt verwendet und synonym eingesetzt.

Eine allgemein anerkannte, interdisziplinär akzeptierte Klassifikation der Osteitis gibt es bisher nicht [6, 7, 18, 22]. In der klinischen Praxis bewährt es sich, zwischen einer endogenen und einer exogenen Form zu unterscheiden. Erstere ist durch die hämatogene Aussaat von einem manifestationsfernen Focus verursacht, in der Regel mono-mikrobiell, und macht etwa 20% der Erkrankungen aus [7, 23]. Sie wird primär konservativ behandelt [23, 24].

Bei der exogenen Form werden die Erreger traumatisch oder interventionell direkt inokuliert, weshalb sich häufig ein polymikrobielles Spektrum findet. Die Therapie erfolgt in erster Linie chirurgisch [7].

Die Einteilung geht auf einen Vorschlag von Lew und Waldvogel zurück, die noch eine dritte, ischämische Form abgrenzten [25]. Sie findet sich am häufigsten am diabetischen Fuß, der Verlauf ist nach Besserung der Durchblutungssituation nach eigener Erfahrung nicht grundsätzlich different zur exogenen Osteitis.

Eine akute Infektion manifestiert sich in der Regel in den ersten 2 Wochen nach der Keiminokulation. Eine chronische Osteomyelitis wird mehrere Wochen bis Monate nach der Infektion symptomatisch. Eine genaue zeitliche Abgrenzung beider Formen ist nicht möglich, sie unterscheiden sich jedoch durch avitales Knochengewebe und wirtsseitige reparative Reaktionen („Totenlade“, „Involucrum“ (s. Glossar)), die nur bei der chronischen Form gefunden werden [7].

Pathophysiologie

Die posttraumatische und postoperative Osteitis spielt im klinischen Alltag in den Industrieländern mit Abstand die wichtigste Rolle und macht 80% der Knocheninfektionen aus. Etwa 10–30% der akuten Form chronifizieren [18]. Lokale und systemische Risikofaktoren (RF) wirken prädisponierend (s. Kasten Risikofaktoren) [e1, e2].

Die chronische Osteomyelitis ist eine schwer zu behandelnde Erkrankung, die durch häufige Rezidive gekennzeichnet ist. Sie manifestiert sich, wenn ein Ungleichgewicht zwischen Virulenz und Menge der inokulierten Bakterien und der Abwehrkraft des Wirtes eintritt [e3]. Das pathophysiologische Verständnis hat sich durch das Biofilmmodell erheblich verbessert, lassen sich damit doch die vielfältige Symptomatik und der wechselhafte Verlauf erklären.

Voraussetzung zur Bildung von Biofilm (s. Glossar) sind avitales Gewebe und nekrotischer Knochen, die als Fremdkörper wirken und von Bakterien besetzt werden. Die Keime bilden dort zunächst flächenhafte Kolonien, die sich zu einer 3-dimensionalen Struktur vermehren. Sie kommunizieren über Chemosignale, die als Autoinduktoren wirken und ein koordiniertes Verhalten sowohl Art-intern als auch Art-übergreifend erlauben („quorum sensing“ (s. Glossar)) [e4, e5]. Diese Matrix bietet den Bakterien Schutz vor mechanischen Einflüssen und erschwert die Penetration von Antibiotika, körpereigenen Abwehrzellen sowie Antikörpern im Sinne einer Diffusionsbarriere. Die Erreger wechseln von einer planktonischen Phase (s. Glossar) mit hoher Stoffwechselrate und rascher Vermehrung in eine sessile Form (s. Glossar) mit stark reduziertem Metabolismus und verlangsamten biologischen Reaktionen. Dadurch kann sich ihre Empfindlichkeit auf Antibiotika um den Faktor 103 reduzieren [e6].

Die körpereigene Immunabwehr wird von einem Sequester (s. Glossar) in ähnlicher Weise gehemmt wie durch das Implantat bei der Fremdkörper-assoziierten Infektion. Neutrophile Granulozyten können Biofilm schlecht penetrieren und dabei ihre Phagozytose-Fähigkeit verlieren. Es kommt zu einer Apoptose mit überschießender Komplementaktivierung, Freisetzung von Radikalen und Proteasen, folglich zu einem lokalen Immundefizit.

In den unteren Schichten des Biofilms herrschen anaerobe Verhältnisse, wodurch die Wachstumsrate und metabolische Aktivität der Erreger massiv reduziert wird. Sogenannte „persister“, Stoffwechsel-inaktive Keimpopulationen, sind gegenüber Antibiotika weitgehend unempfindlich. Sie können nach Beendigung der Behandlung in einen aktiven Modus zurückkehren und dann Resistenz gegen die ursprünglich verabreichten Antiinfektiva aufweisen [e7].

Ein Wechsel von der sessilen wieder in die planktonische Phase ist möglich, wodurch klinisch ein lokales oder systemisches Infektrezidiv ausgelöst werden kann. Die Biofilmpopulation wirkt somit als dauerhafte Quelle virulenter Erreger, selbst unempfindlich gegen das körpereigene Immunsystem und applizierte Antibiotika. Die sicherste Behandlung ist deshalb zurzeit die chirurgische Entfernung des Biofilm tragenden Sequesters [5].

Das stark vereinfacht dargestellte Modell (s. Abb. 2) muss noch im Detail durch In-vivo-Untersuchungen belegt werden. Viele Steuerungsprozesse der Biofilmbildung sind noch nicht geklärt. Das Modell bildet die Klinik einer chronisch rezidivierenden Erkrankung jedoch bisher am besten ab und zeigt Ansatzpunkte für eine rationale Therapie [e6, e8–e12]. Eine weitere Ursache chronischer Infektionen sind langsam wachsende Erreger, die sogenannte „small colony variants“ (scv) bilden und schwer nachzuweisen sind. Sie können Nicht-Phagozytose-fähige Zellen penetrieren, wo sie intrazellulär überdauern und unempfindlich auf die derzeit verfügbaren Antibiotika sind [e13, e14].

Keimspektrum

Staphylococcus aureus und Koagulase-negative Staphylokokken finden sich in etwa 75% als Ursache einer chronischen Osteomyelitis. In abnehmender Häufigkeit und in Abhängigkeit der Disposition lassen sich Streptokokken, gramnegative Erreger (Enterobakterien, Pseudomonaden) und Anaerobier nachweisen, selten sind Mykobakterien und Pilze. Allen gemeinsam ist die Potenz, Biofilm zu bilden [5, 7, 25, e2].

Diagnose

Das Krankheitsbild ist bisher nicht einheitlich definiert, weshalb viele Autoren eigene Kriterien festlegen. Ein Vergleich differenter Untersuchungs- und Behandlungsansätze ist deshalb kaum möglich [6]. Die Diagnose der COM wird umso wahrscheinlicher, je mehr Punkte eines Scores erfüllt sind, der klinische, laborchemische, bildgebende, mikrobiologische und pathohistologische Parameter berücksichtigt. Zu Einzelheiten wird auf die kürzlich publizierte Arbeit von Schmidt et al. verwiesen, die ausführlich auf die Bewertung der Befunde eingeht [6].

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