Übersichtsarbeiten - OUP 11/2012

Behandlungsalgorithmen der chronischen Osteomyelitis

Anamnese und klinischer Untersuchungsbefund geben wesentliche Hinweise auf die Diagnose. Die Symptome der chronischen Osteitis sind in vielen Fällen diskret und die klassischen Infektzeichen fehlen. Bei hochbetagten, immunsupprimierten oder an einer Polyneuropathie leidenden Patienten findet man oft nur eine Mono- oder Oligosymptomatik [6]. Relativ häufig wird über rezidivierende, dumpfe Schmerzen geklagt, pathognomonisch ist eine Fistel mit Verbindung zum Knochen, aus der sich putrides Sekret entleert. Spätfolgen sind Implantatlockerung, Implantatversagen, pathologische Fraktur und – selten – ein Fistelkarzinom [18]. Die Infektparameter im Serum können im Normbereich liegen [e15].

Zur Basisdiagnostik sind eine detaillierte Anamnese und klinische Untersuchung, Laborwerte (Blutbild, C-reaktives Protein) und Röntgenaufnahmen in 2 Ebenen erforderlich. Radiologisch charakteristisch ist das „bunte Bild“ mit Osteolysen und Destruktionen neben Sklerosezonen und periostalen Appositionen [6] (Abb. 1). Zur weiterführenden Abklärung wird bei fehlenden Kontraindikationen ein Kernspintomogramm mit Kontrastmittel angefertigt [e16]. Vor Einleitung einer Antibiotikatherapie sollten tiefe Gewebeproben zur mikrobiologischen Untersuchung entnommen werden [22].

Therapie

Chirurgisch

Evidenzbasierte Leitlinien zur Behandlung der chronischen Osteomyelitis sind bisher nicht verfügbar. Prinzipiell kann zwischen einem palliativen und einem kurativen Behandlungsansatz unterschieden werden. Es muss deshalb interdisziplinär geprüft werden, welche Maßnahmen dem Patienten zugemutet werden können (s. Abb. 2). Seine Lebensqualität darf durch die Behandlung nicht reduziert, sondern sollte verbessert werden. Radikale Segmentresektionen (s. Glossar), die Explantation von Endoprothesen an Hüft- und Kniegelenk sind ebenso wie Major-Amputationen belastende Eingriffe, die trotz schonender Operationstechnik und optimaler Narkoseführung mit einem hohen Risiko verbunden sein können [21, e17].

Der kurative Behandlungsansatz der chronischen Osteomyelitis hat folgende Ziele:

Infektberuhigung

Schmerzreduktion

Gliedmaßen- und Funktionserhalt.

Bleibt die Behandlung erfolglos, so drohen lokale und systemische Infektrezidive bis zur Sepsis mit Multiorganversagen. Analgetika-Abhängigkeit und Missbrauch führen zu privater und beruflicher Desintegration. Hochbetagte können den Funktionsverlust einer Gliedmaße oft nicht mehr kompensieren, sie werden pflegebedürftig.

Entscheidet man sich für ein kuratives Vorgehen, sind im Sinne eines „oncologic approach“ radikale chirurgische Knochen- und Weichteilresektionen im Gesunden erforderlich [4, e18]. Sämtliche Fremdkörper, auch abgebrochene Schrauben, Bohrer, Zerklagen und Zementreste werden entfernt, ebenso alle Implantate, die als Biofilm-Träger in Betracht kommen. Bei einer Markrauminfektion sind eine Aufbohrung und Spülung anzustreben, um avitales, infiziertes Gewebe aus der Markhöhle zu entfernen [e19]. Die Absetzungsränder müssen so vital und durchblutet sein, dass sie ein Transplantat aufnehmen beziehungsweise in einer Andockzone konsolidieren können. Für die Festlegung der Resektionsgrenzen gibt es keine objektiven Kriterien, sie unterliegen der Entscheidung des Chirurgen [e20].

Das Vorgehen gliedert sich in 4 Schritte [e21]:

Radikale Sequestrektomie

Totraummanagement

plastische Weichteilrekonstruktion

Wiederherstellung der Knochenstabilität

Die Größe der entstehenden Defekte bleibt zunächst unberücksichtigt, lediglich versorgende Gefäße und Nerven sind zu schonen. Die Radikalität des Eingriffes entscheidet über den weiteren Verlauf. Wesentlich ist das Management des Totraumes, der unversorgt zu einem frühen Infektrezidiv führen kann. Am Knochen hat sich die Implantation von PMMA-Ketten (s. Glossar) bewährt, auch Palacos-Platzhalter mit oder ohne Antibiotikazusatz sind geeignet.

Als temporärer Weichteileratz steht die Vakuumokklusion zur Konditionierung des Transplantatlagers zur Verfügung. Tritt klinisch und laborchemisch eine Infektberuhigung ein, so erfolgt 6–8 Tage später der definitive Weichteilverschluss mittels lokalem, freiem faszio-kutanem oder freiem Muskellappen. Nach dessen Einheilung sind die Voraussetzungen geschaffen, um eine definitive Stabilisierung durchführen zu können. Bei segmentalen Defekten über 3–4 cm Länge kommen die Durchführung eines Segmenttransportes in der Technik nach Ilizarov oder eines vaskulär gestielten Knochentransplantates zum Einsatz [e22–e24]. Möglicherweise vereinfacht in Zukunft der Einsatz von bone morphogenetic proteins (BMP) (s. Glossar) die ossäre Rekonstruktion [e25]. Bei kleineren oder Halbschalen-Defekten (s. Glossar) ist oft eine autologe Spongiosaplastik ausreichend.

Für ein erfolgreiches Management der COM ist eine interdisziplinäre Behandlung mit enger Zusammenarbeit zwischen Unfallchirurgen/Orthopäden, plastischen Chirurgen, Radiologen, Mikrobiologen und Anästhesisten unerlässlich. Häufig müssen zusätzlich Gefäßchirurgen und Internisten hinzugezogen werden. Während der kritischen Behandlungsphasen sind engmaschige Befundkontrollen durch den Verantwortlichen erforderlich, der die Eingriffe auch alle selbst vornehmen oder assistieren sollte. Diese Kontinuität ist am ehesten in Abteilungen gewährleistet, die personell und finanziell für aufwendige Komplexbehandlungen eingerichtet wurden. Die Erfolgsraten liegen dann zwischen 70–95% [e19].

Gelingen eine anhaltende Infektberuhigung und Stabilisierung, so ist in der Regel keine Dauermedikation erforderlich. Dennoch spricht man nicht von einer Infektsanierung oder -heilung, sondern von einer Remission oder Beruhigung [7].

Lässt der Allgemeinzustand des Patienten ausgedehnte Eingriffe nicht zu, sind palliative Maßnahmen mit dem Ziel der Infektkontrolle und Schmerzlinderung anzustreben. Zur Verfügung stehen die Markraumtrepanation, die lokale Sequestrektomie, Weichteilrevisionen oder Dauerdrainagen [e27].

Additiv erfolgt eine resistenzgerechte systemische, bevorzugt orale Antibiotikatherapie, ergänzt durch eine adäquate Schmerzbehandlung. Oft ist eine Dauermedikation mit den daraus resultierenden gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen unumgänglich. Sofern eine Herdsanierung nicht gelingt, ist mit periodischen Infektexazerbationen und einem konsumierendem Verlauf zu rechnen.

Medikamentös

Verfolgt man einen kurativen Ansatz, so ist und bleibt auf absehbare Zeit die Chirurgie der wichtigste Behandlungspfeiler. Sie alleine ist aber nicht ausreichend, sondern verlangt eine additive Antibiotikatherapie. Verschiedene Behandlungsregimes wurden vorgeschlagen, eine Überlegenheit ist bisher für keine Option gesichert. Eine kalkulierte Therapie beginnt nach Entnahme tiefer Gewebeproben zur mikrobiologischen Untersuchung und richtet sich gegen das zu erwartende Keimspektrum. Zum Einsatz kommen Beta-Lactam-Antibiotika, die in der Regel gut verträglich sind und ausreichend hohe Serum-Wirkspiegel erreichen [e28].

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