Übersichtsarbeiten - OUP 05/2018

Chronische komplexe laterale Bandinstabilität am oberen Sprunggelenk

Ernst Orthner1

Zusammenfassung: Während frische laterale Kapselbandverletzungen am oberen Sprunggelenk fast ausnahmslos konservativ funktionell behandelt werden, hat die Bandrekonstruktion bei chronischer Instabilität nach wie vor einen hohen Stellenwert. Die diagnostischen Kriterien werden dargelegt und 2 anatomische operative Techniken im Detail beschrieben. Diese anatomischen Techniken erlauben die Behandlung aller Formen der Bandlockerung und ermöglichen nach nur kurzer Immobilisation mit sofortiger Belastung eine rasche Wiedereingliederung in Beruf und Sport.

Schlüsselwörter: Sprunggelenkinstabilität, lateral,
Sprunggelenkbänder, chronisch, anatomische Rekonstruktion, Operationstechnik

Zitierweise
Orthner E: Chronische komplexe laterale Bandinstabilität am oberen Sprunggelenk.
OUP 2018; 7: 271–277 DOI 10.3238/oup.2018.0271–0277

Summary: Acute ankle sprains are no indication for an operative procedure. Chronic ankle sprains in contrast are a frequent indication for operative stabilisation. The diagnostic criterias and 2 anatomic operative procedures are presented in detail. These 2 techniques allow to treat all kinds of lateral instabilities of the ankle with early weight bearing and short immobilisation in a cast or walker for only 4 weeks. A fast
reintegration into the job or sports is possible.

Keywords: ankle instability, lateral, ankle ligaments, chronic, anatomic reconstruction, operative procedure

Zitierweise
Orthner E: Complex lateral ankle instability
OUP 2018; 7: 271–277 DOI 10.3238/oup.2018.0271–0277

1 Fuß Zentrum Wels und Klagenfurt, Wels, Österreich

Einleitung

Bandverletzungen am oberen Sprunggelenk nach Supinationstraumata sind die häufigste Sportverletzung am Rückfuß [4]. Die konservativ-funktionelle Therapie des Ersttraumas ist schulmedizinisch anerkannt, da sie gleichwertig zur Akutoperation und der immobilisierenden Therapie ist, wenn nicht sogar überlegen. Diese Gleichwertigkeit ist allerdings nicht gleichbedeutend mit einer 100%ig funktionellen Ausheilung.

Verbleibt nach einer erstmaligen frischen Außenknöchelbandverletzung eine laterale Instabilität, die sich auch durch ein gezieltes propriorezeptives Training nicht beseitigen lässt, so sind rekonstruktive Maßnahmen indiziert.

Definition

Mit dem Begriff „ankle sprain“ wird im angloamerikanischen Schriftgut die Außenknöchelbandverletzung beschrieben. Als „high ankle sprain“ wird die Syndesmosenverletzung bezeichnet, was allerdings eine völlig andere Entität darstellt. Der Begriff „ankle sprain“ wird in 3 Stadien unterteilt, wobei die Abgrenzung der einzelnen Stadien zueinander nach wie vor nicht genau definiert ist und heute üblicherweise folgende Bezeichnungen verwendet werden:

  • Grad 1: Zerrung der Bänder
  • Grad 2: Teilriss der Bänder, insbesondere des Lig. talofibulare anterius
  • Grad 3: Komplexe Ruptur von einem Band, und 2 oder allen 3 Bändern im Akutstadium [1].

Nachdem allerdings Untersuchungen gezeigt haben, dass die funktionelle Instabilität nicht mit der radiologischen Instabilität parallel geht und man andererseits aus dem Ausmaß der radiologischen Instabilität nicht auf das Ausmaß der verletzten Strukturen rückschließen kann [3], wurden die notwendigen diagnostischen Maßnahmen für die Beurteilung des Ausmaßes der Außenknöchelbandverletzung deutlich zurückgefahren – insbesondere nach Einführung der Ottowa-Rules (Ottawa Sprunggelenk-Regeln) – und es werden generell nur noch dann radiologische Untersuchungen empfohlen, wenn ausreichende Hinweise auf das Vorliegen einer knöchernen Verletzung im Bereich des Sprunggelenks vorliegen [2].

Diagnose der chronischen komplexen Instabilität

Verbleibt nach einer erstmaligen traumatischen OSG-Bandverletzung eine funktionelle Instabilität oder liegt ein Rezidivtrauma vor, so ist eine eingehende klinische und radiologische Untersuchung notwendig.

Die klinische Untersuchung umfasst – neben der Anamneseerhebung insbesondere hinsichtlich des Zeitpunkts des Ersttraumas und der Häufigkeit und dem Ausmaß des Rezidivs – die digitale Beurteilung der Schmerzpunkte, des Bewegungsumfangs und insbesonders die klinische Beurteilung der Stabilität im Seitenvergleich. Dazu sind einige Tatsachen zu bedenken:

  • 1. Bei einer chronischen Außenknöchelbandinstabiltiät ist das Deltaband funktionell zumeist suffizient und stellt eine stabile mediale Säule und einen stabilen Drehpunkt des oberen Sprunggelenks dar.
  • 2. Die Kuppelform des Talus stabilisiert das obere Sprunggelenk gut gegen Subluxationen nach ventral.
  • 3. Das Ligamentum talofibulare anterius – als schwächstes Band des Außenknöchelbandapparats – reißt üblicherweise zuerst und bleibt am häufigsten instabil.
  • 4. Die Peronealmuskulatur ist in der
    Lage, das obere Sprunggelenk aktiv zu stabilisieren.

Daraus ergibt sich, dass für eine aussagekräftige Funktionsuntersuchung des Außenknöchelbandapparats die Untersuchung am besten am hängenden Bein mit entspannter Wadenmuskulatur im praktisch schmerzfreien Intervall erfolgen soll. Im Akutstadium einer frischen Außenknöchelbandverletzung ist die Aussagekraft der Funktionsuntersuchung als sehr gering anzusehen.

Üblicherweise wird die Stabilität des oberen Sprunggelenks durch Drücken des Fersenbeins und damit indirekt des Sprungbeins nach lateral und gleichzeitigem Versuch des Aufklappens des oberen Sprunggelenks durchgeführt. Aus meiner Sicht ist die Aussagekraft der Funktionsuntersuchung deutlich höher, wenn man nicht versucht, das Fersenbein aus dem oberen Sprunggelenk heraus zu drücken; sondern ganz im Gegenteil versucht, das Fersenbein aus der Knöchelgabel heraus zu ziehen. Dazu wird bei einer Untersuchung des linken Sprunggelenks das Fersenbein mit der linken Hand umfasst und die rechte Hand stabilisiert den Unterschenkel. Durch Zug am Fersenbein erreicht man einerseits eine Distension des Gelenks, die rechte Hand stabilisiert den Unterschenkel, die linke Hand zieht das Fersenbein nach distal im Supinations-Sinn und gleichzeitig nach ventral im Sinne einer Distensions-Rotationsbewegung. Dies simuliert am ehesten den Verletzungsmechanismus, bei welchem es ebenfalls zu einer Medialisation und Ventralisation des Talus kommt. Kommt es gleichzeitig bei dieser Untersuchung auch noch zu einem leichten Klick im Gelenk, so ist die chronische Bandinstabilität als gesichert anzusehen. Die Funktionsuntersuchung gibt dem Untersucher ausschließlich das Gefühl einer klinischen Instabilität, eine Quantifizierung der Lockerung ist damit allerdings kaum möglich.

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