Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Die Endoprothetik des Handgelenks – ein positiver Ausblick

Man kann daher nicht argumentieren, dass die Arthrodese des Handgelenks ein problemloses und überwiegend befriedigendes Verfahren darstellt, dessen einziger Nachteil der Verlust der Beweglichkeit ist. Insbesondere der RA-Patient, mit multiplen Gelenkzerstörungen und den fehlenden Kompensationsmöglichkeiten der Nachbargelenke, profitiert entscheidend von einer mobilen Handgelenkrekonstruktion mit Erhalt der feinmotorischen Gebrauchsfähigkeit der Hand. Auch andere, insbesondere bei degenerativen radiokarpalen Veränderungen, angewandte Verfahren wie die Resektionsarthroplastik (proximal Row Carpectomy) oder partielle Arthrodesen mit Erhalt einer karpalen Restbeweglichkeit überzeugten im Langzeitverlauf nicht ausnahmslos. Zudem ist bei Vorliegen einer Mediokarpalarthrose die Durchführung einer radiolunären oder radioskapholunären Fusion kontraindiziert.

Trotz des Patientenwunschs nach einer beweglichen Versorgungsmöglichkeit zeichnete sich die Entwicklung der Handgelenkendoprothetik seit Einführung der ersten achsgeführten metallischen Implantate 1969 [15] durch zahlreiche Fehlschläge aus. Das Hauptproblem hierbei stellt die komplexe Anatomie und Biomechanik des Handgelenks dar, welche arthroplastisch nur sehr schwierig imitiert werden kann. So verwundert es nicht, wenn die 1988 von Mallory getroffene Aussage „all prostheses will fail sometime. It is a race between the life of the patient and the life of the prosthesis“ [21] für den ursprünglichen Bezug des Hüftgelenkersatzes kaum noch gilt, für das künstliche Handgelenk aber weiterhin von großer Bedeutung bleibt. Die schwierige und komplexe Anatomie des Handgelenks führte bei den verschiedenen Entwicklungen zu sehr unterschiedlichen Wegen, welche jedoch häufig in Sackgassen führten. Die Panarthrose des Handgelenks ist, verglichen mit der Coxarthrose oder Gonarthrose, viel seltener. Ein ähnlich einheitliches Konzept, wie bei der fundierten Weiterentwicklung von Hüft- und Kniegelenkendoprothesen, war damit für das Handgelenk schwierig umzusetzen. In den letzten Jahren jedoch gab es diesbezüglich erhebliche Fortschritte und wir blicken inzwischen auf die 4. Generation von Prothesenmodellen. So ist die Implantation einer Handgelenkprothese nicht mehr lediglich dem besonderen Einzelfall vorbehalten, sondern die Indikationen wurden in den letzten Jahren deutlich ausgeweitet und standardisiert.

Anatomie und Biomechanik

Der Karpus befindet sich im ständigen Konflikt zwischen Mobilität und Stabilität. Letztere wird durch das komplexe Zusammenspiel zwischen knöchernen und ligamentären Komponenten bestimmt. Die ligamentäre Stabilisierung erfolgt durch extrinsische Bänder (radiokarpale Bänder, V-Bänder, TFCC-Komplex des distalen Radioulnargelenks) und intrinsische Bänder (tief, interossär angeordnet). Dabei ist die Stabilisierung palmar bedeutend kräftiger als dorsal. Weiterhin wird die Stabilität des Gelenks durch einen Knochenrand auf der dorsoradialen Seite und eine palmare Knorpellippe verstärkt. Hauptsächlich wird das Handgelenk über den Zug der Unterarmmuskulatur longitudinal komprimiert. Hierbei erfolgt die Kraftübertragung vom Capitatum auf das Scaphoid und Lunatum und von dort auf den Radius. Die auf die Fingerspitzen einwirkende Kraft verzehnfacht sich bis zum Übertrag auf das Handgelenk und kann mehr als 500 kg bei einem erwachsenen Mann erreichen [30]. Dabei wird der Kraftfluss in eine Querdehnung der proximalen Handwurzelreihe umgewandelt. Die inhärente knöcherne Stabilität der Handwurzel ist minimal und demzufolge auch sehr vulnerabel gegenüber RA-assoziierten entzündlichen Destruktionen. Physiologisch bewirkt der Kraftfluss eine Translation des Karpus und Abkippen der proximalen Handwurzel mit einer Verkürzung des scaphoidalen Hebelarms durch Flexion desselben und gegensinnigem Aufstellen des Lunatums durch Extension (DISI-Stellung). Jegliche Sehnenansätze sparen die proximalen Karpalia aus, sodass deren Bewegungsmuster allein den mechanischen Kräften entspringt. In Neutralstellung erfolgt die radiokarpale und ulnokarpale Kraftübertragung im Verhältnis 80:20 %. Das DRUG nimmt 40 % des axialen Kraftflusses auf.

Die Bewegung des Handgelenks erfolgt ohne konstante Achse. Kinematisch können sich jeweils die 2 Bewegungsebenen der Sagittalebene (physiologische Palmarflexion bis 80°, Dorsaleextension 45°) und der Frontalebene (Radialabduktion 35°, Ulnarabduktion 45°) zirkumduktorisch koppeln. Auf diese sogenannte Dartwurfbewegung (DTM) wurde in jüngster Zeit viel Aufmerksamkeit gelegt, ist diese doch exklusiv für den Menschen vorbehalten [31]. Dabei kommt dem Midkarpal-Gelenk die größte Bedeutung zu. Dessen Freiheitsgrad sich nicht über eine koronare, sondern über eine schiefe Ebene definiert [25]. Diese komplexe Bewegungskopplung von radiodorsal nach ulnovolare stellt gleichsam auch die Problematik für die Entwicklung der Handgelenkprothetik dar. Youm [39] hat in seinen Untersuchungen sehr genau das Bewegungszentrum des Handgelenks detektieren können. Es liegt zentral im Kapitatum für die Radial/Ulnaradduktion und etwas proximaler für Extension/Flexion; zur Schaftachse des Radius betrachtet etwas ulnar und palmar.

Das Handgelenk benötigt zur effizienten Verrichtung der „activities in daily living“ eine Funktion mit einer ROM von 35° Extension/Flexion, 15° Ulnarduktion sowie auch 10° Radialduktion.

Die Entwicklung der
Handgelenkendoprothetik

Historisch betrachtet begann die Entwicklung 1967 mit den von Swanson eingeführten Silasticspacern. Zwei Jahre später entwickelte Gschwend achsgeführte Prothesen aus Metall und Meuli [24] erhoffte sich eine Optimierung der Verankerung durch das Kugelgelenkprinzip. „Seine“ MWP-Prothese wurde von 1980 bis 1995 3-mal verändert, ohne dass die Lockerungsproblematik zufriedenstellend reduziert werden konnte. Durch die langen Schaftanteile für die Metakarpalia sollte eine bessere Hebelwirkung, sowie eine festere Verankerung erreicht werden. Tatsächlich erhöhten sich dadurch allerdings die Scherkräfte und führten zu einem Ausbrechen der Schaftanteile. Auch versagte das Prinzip der Kugelgelenke, weil die kleinen Gelenkflächen die Kräfte nicht ausbalancieren konnten.

Zeitlich parallel ging Volz in den USA [37] einen anderen Weg und versuchte auf jede Art von Koppelung der Prothese zu verzichten und reduzierte die 3-dimensionale Kinematik des physiologischen Handgelenks auf eine biaxiale Bewegung i.S. des Roll/Gleitens (biaxiale Prothesen). Damit gelang es, die Stabilität zu verbessern und vor allem den Stress auf das Protheseninterface zu reduzieren. Retrospektiv versagte diese AMC-Prothese aufgrund einer unzureichenden Rekonstruktion des Drehzentrums und einer unphysiologischen Balancierung der Kräfte. Dennoch war durch die Entwicklung der biaxialen Gelenkflächen ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung im Prothesendesign erreicht worden. Die Biax-Prothese von Beckenbaugh [7] verringerte durch die Verwendung leicht inkongruenter axialer Gelenkflächen die weichteilige Imbalance und damit auch einen vermehrten Polyethylenabrieb prädisponierende Kräfte. Trotz Verbesserungen im Prothesendesign und dem Wechsel auf
unzementierte Verankerungstechniken konnten auch diese Modelle nicht überzeugen [19]. Es gelang diesen Prothesentypen nicht, den anatomischen Gelenkdrehpunkt zu rekonstruieren. Die Gelenkkopplung reduzierte die Bewegungsachsen auf 2 Ebenen und konnte damit nicht das natürliche Übergewicht der radialseitigen Handgelenkstrecker und -beuger ausbalancieren. Alnot [12] war es, der eine Verbesserung der hohen karpalen Auslockerungsraten durch Verschraubungen der distalen Prothesenkomponente empfahl. Inzwischen wissen wir, dass eine verlässliche interkorporelle Fusion des Karpus die Ergebnisse noch optimiert. Um die Ausbildung eines stabilen Os carpale zu erreichen ist es sinnvoll, die Gelenkflächen der verbliebenen distalen Handwurzelknochen auszufräsen und ggf. eine autologe Spongiosaplastik durchzuführen. Mit Hilfe eines kortikospongiösen Spans aus dem Beckenkamm lässt sich insbesondere bei rheumatischen Handgelenken auch suffizient die karpale Höhe und damit die Vorspannung der Sehnen rekonstruieren.

Biaxial anatomische
Prothesen der 4. Generation

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