Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Die Hand des Musikers

Horst Haferkamp1, Bernd Rieck2, Eckart Altenmüller3

Zusammenfassung: Schon zu allen Zeiten gab es eine spezielle Beziehung zwischen Ärzten und Musikern, die in der Freundschaft zwischen dem musikalisch hochbegabten Chirurgen Theodor Billroth und dem Komponisten Johannes Brahms ihren Höhepunkt fand.

Die Hand des Musikers unterscheidet sich in Anatomie und Funktion nicht von der Hand eines normalen Menschen. Es werden an sie allerdings extreme Anforderungen gestellt, wobei jedem Finger eine gleichwertige Funktion zugewiesen wird. Die damit häufig einhergehende Überforderung, verbunden mit überlangen Übungszeiten, begründet auch die Anfälligkeit für Störungen der Musikerhand. Dies wird meist von großen Ängsten begleitet, da Musiker befürchten, schon bei der Funktionseinschränkung eines Fingers den Beruf nicht mehr ausführen zu können. An erster Stelle der Therapie steht daher der Abbau von Ängsten. Die Therapie sollte, wenn möglich, konservativ und nur in dringenden Fällen operativ durchgeführt werden. Es ist erforderlich, dass die Musikerhand von kompetenten Musikermedizinern, ggfs. auch von mit dem Thema vertrauten Handchirurgen durchgeführt wird.

Der Beitrag wird durch einen Abriss der Geschichte der Musikermedizin ergänzt.

Schlüsselwörter: Musikerhand, Overuse-Syndrom, Geschichte der Musikermedizin

Zitierweise
Haferkamp H, Rieck B, Altenmüller E: Die Hand des Musikers.
OUP 2017; 9: 470–477 DOI 10.3238/oup.2017.0470–0477

Abstract: In every time there has been a special relationship between musicians and physicians. The best example is the friendship between the famous surgeon Theodor Billroth and the composer Johannes Brahms. There is no difference between musician´s hand and the hand of a normal person, but the functional demands on a musician´s hand is much greater and requires extraordinary sensory-motor skills. Exaggerated practice schedules as consequence of high demands are the most frequent reason for overuse leading to problems with hand function combined with fears not to be able to continue performing. First aim of the therapy is to reduce fear. In most cases, therapy is done conservatively, in specific urgent cases however, there is a need for surgery. It is to demand that this therapy must be done by a physician experienced in musician´s medicine or hand surgeon familiar with this subject. Some clinical examples of diseases of musician´s hand are demonstrated.

An outline of the history of these disorders of musicians is included.

Keywords: musician´s hand, overuse syndrome,
history of musician´s medicine

Citation
Haferkamp H, Rieck B, Altenmüller E: The musician’s hand.
OUP 2017; 9: 470–477 DOI 10.3238/oup.2017.0470–0477

Schon immer gab es eine besondere Beziehung zwischen Ärzten und Musikern. Abgesehen vom passiven Hörgenuss, gibt es viele Ärzte, die selbst exzellent ein Instrument spielen und auch im kleineren oder größeren Rahmen konzertierend auftreten.

Als bekanntestes Beispiel sei hier der Chirurg Theodor Billroth genannt, der hervorragend Geige, Bratsche und Klavier spielte und auch zunächst beabsichtigte, Berufsmusiker zu werden. Er hat sich dann letztlich doch für die Medizin, für die Chirurgie, entschieden. Schon als Student in Göttingen durfte er die damals bekannteste Sängerin, „die schwedische Nachtigall“ Jenny Lind, auf dem Klavier begleiten. In einem Brief an seine Mutter berichtet er begeistert von diesem Konzert, beeindruckt von der Persönlichkeit und der musikalischen Präsenz der Jenny Lind.

Als Chirurg in Wien freundete er sich mit Johannes Brahms an. Sie musizierten miteinander, jede Neukomposition wurde Billroth zur kritischen Prüfung vorgelegt (Abb. 1).

Unter anderem hat Brahms Billroth zwei Streichquartette gewidmet, die in Musikerkreisen analog zu den Magenresektionsverfahren nach Billroth ebenfalls mit „Billroth 1 und 2“ bezeichnet werden. In einem Brief an Brahms schreibt Billroth am 06.11.1890: „Ich kann nicht zur Ruhe kommen ohne Dir, mein lieber alter Freund, gesagt zu haben, welch glückliche Stunde Du mir heute wieder bereitet hast. Und fange ich an, darüber nachzudenken, in welchen Stunden meines Lebens, mit dessen Reichthum sich wohl wenige Sterbliche messen können, mir am wohlsten war, so nimmst Du doch immer den breitesten Platz ein.

Ich habe einen großen Teil Deines Werdens miterlebt und Du mit mir. Das ist ein Band, wie es Geschwister in einem guten Hause umschlingt. Ein jeder der Familie geht seinen Weg, doch man findet immer wieder zusammen. Es hat Dich früher wohl gefreut, wenn ich Dir dies und das über eine Deiner neuen Schöpfungen sagte. In neuerer Zeit bin ich stumm, denn ich weiß nichts mehr zu sagen, als musikalisch schön, wunderschön, nun auch für mich schon beim ersten Hören klar, himmlisch-blau klar! Ich habe oft darüber gerätselt, was menschliches Glück sei – nun heute war ich beim Anhören Deiner Musik glücklich. Darüber bin ich mir ganz klar. Dein Theodor Billroth“ [1].

Es gibt wohl kaum eine eindrucksvollere und bewegende Äußerung über die Musik und nicht zuletzt auch über Freundschaft, wie es in diesem Brief zum Ausdruck kommt. Der Hinweis Billroths, dass ihm die Komposition Brahms schon beim ersten Hören „himmlisch-blau klar“ sei, lässt vermuten, dass bei Billroth, wie auch bei vielen anderen Musikern, eine synästhetische Beziehung zwischen Musik und Farben bestand.

Die Hand des Musikers unterscheidet sich in Anatomie und Funktion nicht von einer normalen menschlichen Hand. Die menschliche Hand ist neben dem Hirn das Organ, welches den Menschen im Wesentlichen von den Primaten unterscheidet. Im Rahmen der Evolution kam es zunächst zur Entwicklung des Grobgriffes, dieser war der Motor für die Notwendigkeit des aufrechten Gangs. Die Interaktion zwischen Hand und Hirn kommt auch heute noch in den Begriffen „greifen“ und „begreifen“ zum Ausdruck. Später entwickelte sich der Spitzgriff, bedingt durch die Opposition des Daumens zu den übrigen Langfingern. Dies ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der menschlichen im Vergleich zu der Primaten-Hand. Mit dem Spitzgriff waren dann subtilere Tätigkeiten möglich und bereiteten damit den Weg für die Entwicklung der Kultur. So sind die uns heute auch noch wegen ihrer Präzision beeindruckenden Tierbilder aus der Altsteinzeit in der Höhle von Lascaux nur mit dem Spitzgriff so meisterhaft zu fertigen.

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