Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Die Hand des Musikers

Auch heute noch kann nahezu jeder Beruf von einer gesunden Hand mit dem Spitzgriff, oder bei Schwerarbeiten mit dem Grobgriff ausgeführt werden. An die Musikerhand, insbesondere an die Hand des professionellen Musikers, werden jedoch Anforderungen gestellt, die evolutionär eigentlich gar nicht vorgesehen sind, denn jeder einzelne Finger wird funktionell in gleicher Weise beansprucht. Dies beinhaltet die präzise Ausführung von sehr schnellen, in vielen Fällen enorm komplexen Bewegungsabläufen, welche strukturiert und mit kontinuierlicher auditiver, somatosensorischer und visueller Rückmeldung koordiniert werden müssen [2]. Diese enorme Anforderung an den Musiker erfordert ein permanentes Üben von mehreren Stunden am Tag, führt häufig zur funktionellen Überforderung und ist auch mit großen psychologischen Problemen belastet (Angst, Lampenfieber), denn ein Fehler bei konzertantem Auftreten vor Publikum kann nicht korrigiert werden. Diese Faktoren machen dann doch die Hand des Musikers zu etwas Besonderem. Aus diesem Grund muss der behandelnde Arzt der Musikerhand eine besondere Aufmerksamkeit schenken. Dies führt zu der Forderung, dass Musikerhände von speziellen Ärzten, die mit der Musikermedizin vertraut sind, eventuell auch von entsprechend ausgebildeten Handchirurgen behandelt werden müssen. In vielen Musikhochschulen haben sich inzwischen musikermedizinische Abteilungen etabliert.

So wie auch die Anatomie der Musikerhand der des normalen Menschen gleicht, so treten auch bei der Musikerhand Störungen auf, die wir tagtäglich in unserer Handsprechstunde sehen, seien es Tendovaginitiden, Nervenkompressionssyndrome oder auch Ganglien.

In Tabelle 1 sind die Besonderheiten aufgeführt, die dem Musiker eine aus der Sicht des Arztes banale Störung, wie z.B. ein Schnappfinger, wie eine bedrohliche Erkrankung erscheinen lassen.

Natürlich sind wir alle auch auf unsere Hände angewiesen in unseren beruflichen und privaten Anforderungen. Der Verlust eines Fingers oder auch eine begrenzte Störung des Bewegungsumfangs kann in den meisten Berufen kompensiert werden. Nicht jedoch bei Musikern, für die eine persistierende funktionelle Störung der Hand bedeuten kann, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Insofern ist das hohe Angstpotenzial, um nicht zu sagen die Panik des Musikers durchaus nachvollziehbar, der fürchtet, nicht mehr spielen zu können. Besonders wichtig ist es deshalb, ihm diese Angst zu nehmen, ihm klar zu machen, dass z.B. ein Schnappfinger oder ein Karpaltunnelsyndrom kein wirklich großes Problem ist und mit geringem Aufwand therapiert werden kann, sei es konservativ und im Zweifelsfalle auch operativ.

Abbildung 2 zeigt eine fast 40 Jahre alte Annonce der Fachzeitschrift „Das Orchester“. Es handelte sich um einen schnellenden Ringfinger der linken Hand bei einer Violin-Solistin in München, wie dann der Anruf unter der angegebenen Telefonnummer ergab. Sie hatte große Angst, weil sie befürchtete, nicht mehr Geige spielen zu können. Diese Angst konnte ihr durch Aufklärung und Hinweise auf die gute Prognose dieser Funktionsstörung genommen werden. Sie wurde mit Telefonnummern von handchirurgischen Zentren in München versorgt – das weitere Schicksal ist uns allerdings nicht mehr bekannt. Es darf jedoch vermutet werden, dass diese Behandlung konservativ durch lokale Kortikoid-Injektion beseitigt wurde, ggfs. auch durch eine kleine Operation mit Spaltung des A1-Ringbands.

Typisch ist dabei, dass die Geigerin sich hilfesuchend zunächst an die Kollegen wandte, denn der Gang zum Arzt, insbesondere zum Chirurgen wird gefürchtet, da „die Chirurgen ja nur schneiden wollen“.

Es gibt jedoch auch begünstigende Faktoren, die in Tabelle 2 dargestellt werden. Zu erwähnen ist insbesondere die hohe Motivation von Musikern, die so schnell wie möglich wieder ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen möchten. Ein hervorragendes Trainingsgerät für die Feinmotorik ist neben den üblichen physiotherapeutischen Maßnahmen insbesondere das eigene Instrument, wobei man gelegentlich auch bremsen muss, damit eine zu frühe und übermäßige Belastung die Situation nicht verschlechtert. Auffällig ist, dass die Behandlungsergebnisse bei Musikern aufgrund ihrer hochmotivierten Compliance besonders gut sind, sodass Musiker im Vergleich zum normalen Patienten trotz gleicher Erkrankung häufig schon sehr viel früher ihre beruflichen Tätigkeiten wieder aufnehmen können.

Der Handchirurg, der sich mit Musikern befasst, wird und muss den Musikern besondere Empathie entgegenbringen. Hier ist es durchaus hilfreich, wenn der behandelnde Arzt ebenfalls ein Instrument spielt. Er kann dadurch die Probleme und Ängste des Musikers viel besser verstehen, kann auch ggfs. technische Schwierigkeiten, die mit einem bestimmten Instrument verbunden sein können, nachvollziehen.

Die häufigste Ursache für das Entstehen von Handproblemen beim Musiker ist eine übermäßige Beanspruchung der Hand im Sinne eines Overuse-Syndroms mit überlanger Übungszeit, gelegentlich verbunden mit falscher Technik, die das Problem weiter vergrößert. Die Folge sind dann die Beeinträchtigung von Tempo und Rhythmus, Intonation und Dynamik der musikalischen Wiedergabe [3, 4]. Am häufigsten sind Sehnenscheidenentzündungen, die sowohl die Strecksehnen im Bereich der Strecksehnenfächer auf dem Handgelenk als auch die Beugesehnenscheiden an den Fingern betreffen können.

Auch Nervenkompressionssyndrome jeglicher Art sind möglich, wobei hier das Karpaltunnelsyndrom wie bei normalen Patienten im Vordergrund steht. Letzteres kann insbesondere bei Musikern auftreten, die am Instrument das Handgelenk stark überstrecken, wie z.B. bei Flötisten oder Harfenisten.

Verletzungen der Hand, seien es Schnittverletzungen oder auch Brüche, sind bei Musikern eher selten. Musiker pflegen sorgfältigen Umgang mit ihrer Hand. Die vorkommenden Verletzungen finden meist im privaten Bereich statt. Die so häufigen Kreissägenverletzungen, sei es durch berufliche oder außerberufliche Tätigkeit, sind bei Musikern zwangsläufig fast nicht bekannt, da sie solche gefährlichen Werkzeuge verständlicherweise meiden. Bekannt ist ein Fall einer Kettensägenverletzung bei einem Kontrabassisten anlässlich einer privaten Tätigkeit in einem Feriencamp. Kettensägenverletzungen sind ggfs. schlimmer als Kreissägenverletzungen. In dem erwähnten Fall kam es jedoch Gott sei Dank nur zu oberflächlichen Verletzungen, die keine nachhaltigen Folgen mit sich brachten.

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