Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Die Hand des Musikers

Dies zeigt beispielhaft, dass nicht nur therapeutische Maßnahmen am Patienten, sondern auch entsprechende ergonomische Korrekturen am Instrument, z.B. auch Klappenkorrekturen bei Blasinstrumenten, zu einer Besserung der Symptomatik führen können.

Ein weiteres Beispiel zeigt die linke Hand eines weiteren Gitarristen. Er hatte sich mit einem Schraubenzieher in der Mitte der Hohlhand über den 3. Mittelhandstrahl gestochen. Die kleine Narbe ist unterhalb der distalen Hohlhandbeugefalte gerade eben zu erkennen (Abb. 6a). Zunächst gab es keinen Hinweis für einen Sehnen- oder Nervenverletzung. Die Finger konnten voll gestreckt werden. Auch der Faustschluss wurde kräftig ausgeführt (Abb. 6b).

Der Patient klagte jedoch über Schwierigkeiten mit dem Barré-Griff (Quergriff eines Fingers über mehrere Seiten) am Mittelfinger. Abbildung 6c zeigt bei kräftigem, flachem Aufsetzen der Finger eine typische Schwanenhals-Deformität des Mittelfingers als Hinweis für eine beugeseitige Instabilität des Mittelgelenks. Da die Verletzungsstelle weit proximal des Mittelfingers lag, konnte eine direkte Verletzung am Finger selbst, insbesondere am Mittelgelenk, diese Deformität nicht erklären. Der Verdacht auf eine isolierte Läsion der Superficialissehne konnte durch eine kernspintomografische Untersuchung erhärtet werden (Abb. 6d).

Hier zeigt sich zunächst eine durchgängige Profundussehne. Die Superficialissehne weist jedoch eine langstreckige Dehiszenz von ca. 4 cm auf, wobei die Sehnenstümpfe proximal in Höhe der Basis und distal in Höhe des Köpfchens des Mittelhandstrahls zu sehen sind. Üblicherweise ist die isolierte Durchtrennung einer Superficialissehne nicht von großer funktioneller Bedeutung. In diesem speziellen Fall sind jedoch Beschwerden beim Barré-Griff auf die fehlende beugeseitige Stabilisierung des Mittelgelenks durch die Seitenzügel der Superficialissehne bedingt. Es ist vorstellbar, dass diese Läsion auch bei Streichinstrumenten, z.B. beim Spiel von Doppelgriffen, eine erhebliche funktionelle Einbuße mit sich bringt. Deshalb sollten isolierte Läsionen der Superficialissehne (FDS) operativ versorgt werden.

Es wurden verschiedene Möglichkeiten der Korrektur der Schwanenhalsdeformität diskutiert:

  • 1. Die Wiederherstellung der Kontinuität der Superficialissehne wäre in diesem Falle bei der großen Dehiszenz der Sehnenstümpfe nur mit der Interposition eines Sehnentransplantats möglich gewesen.
  • 2. Andere weniger aufwändige Verfahren, z.B. die beugeseitige Stabilisierung des Mittelgelenks durch eine Superficialis-Tenodese oder auch die in der Rheumachirurgie bewährten Verfahren der Transposition und Tenodese des radialen Seitenzügels nach beugeseitig nach Zancolli oder Littler wären möglich gewesen.

Der Patient konnte sich jedoch nicht zu einem operativen Eingriff entschließen, da er das Gitarrenspiel zwar auf hohem Niveau, aber eben nicht professionell betrieb und offensichtlich der Leidensdruck nicht so groß wie bei einem professionellen Musiker war.

Besonders wichtig erscheint die Prävention, damit die Ausbildung einer Musikererkrankung schon im Frühstadium verhindert werden kann. Dies erfordert das Erzeugen eines Gesundheitsbewusstseins mit Ausgleichsport und Gymnastik sowie regelmäßige ärztliche Kontrollen, sodass eine frühzeitige Konsultation bei Problemen möglich ist. Dies ist besonders wichtig bei der fokalen Dystonie (dazu mehr im darauffolgenden Beitrag).

Der zunehmende Perfektionszwang des Musikmarkts führt oft zu übertriebenem Üben und verursacht damit Belastungssyndrome und Bewegungsstörungen, u.a. auch die fokale Dystonie.

Wenn wir nur noch Musikkonserven hören, die in einem Tonstudio zu einer nahezu perfekten, völlig fehlerfreien Musik zusammengestückelt wurden, so wird die Musik entmenschlicht, nicht nur für die Musiker, sondern auch für die Zuhörer!

Geschichte
der Musikermedizin

Das Glamour-Paar des 19. Jahrhunderts, Robert und Clara Schumann, geborene Wieck, zählten nicht nur zu den bekanntesten Musikern ihrer Zeit und haben ihrer Nachwelt mit ihren Kompositionen großartige Musik geschenkt, sondern spielten beide auch eine große Rolle am Beginn der Musikermedizin (Abb. 7 und 8).

Robert Schumann musste seine pianistische Karriere wegen einer fokalen Dystonie abbrechen (s. dazu nachfolgender Beitrag). Zudem befand er sich ab 1854 wegen einer progressiven Paralyse in stationärer Behandlung in der Nervenheilanstalt Endenich-Bonn und fiel damit als Ernährer der Familie aus.

Clara Schumann befand sich dadurch in einer prekären wirtschaftlichen Situation. Sie musste durch ihre Konzertverpflichtung die teure Behandlung ihres Mannes und auch den Lebensunterhalt für sich und ihre 6 Kinder erwirtschaften. Hinzu kam, dass die damalige Klavierliteratur der modernen Komponisten – insbesondere die von Brahms und nicht zuletzt auch ihres Ehemannes Robert Schumann – neuartige und schwierige Anforderung an die pianistische Technik mit sich brachte (z.B. Oktavtriller) und damit eine Intensivierung der Übungszeiten zur Folge hatte, sodass Clara Schumann nur noch unter größten Schmerzen konzertieren konnte. Altenmüller und Kopiez [6] berichten in ihrem Beitrag „Eine Leiden schaffende Leidenschaft – Das Schmerzsyndrom der Pianistin Clara Schumann“, dass sich Clara Schumann voller Verzweiflung an Friedrich von Esmarch [7] wandte, einen der damals bekanntesten Chirurgen, da wegen diffuser Beschwerden im Sinne eines belastungsabhängigen, chronifizierten myofascialen Schmerzsyndroms ein weiteres Konzertieren kaum noch möglich war und damit der Abbruch ihrer Karriere drohte. Friedrich von Esmarch behandelte das chronische Schmerzsyndrom der Pianistin, gemessen an heutigen Maßstäben, auf sehr moderne Weise.

Clara Schumann berichtete in ihrem Tagebuch: „... [ich] begann schon am 27. die Kur, die in Kneten, was im Anfang recht schmerzhaft war, sich aber nach einigen Wochen verlor, und Douchen bestand ... Ich musste gleich am ersten Tag eine Stunde trotz der Schmerzen Klavier spielen, darauf drang Esmarch, während alle anderen Ärzte mir entschiedene Ruhe empfohlen hatten, und die Schmerzen vermehrten sich in der Folge nicht. Esmarch und Frau (Prinzessin von Schleswig-Holstein, [Tante der späteren Kaiserin]) sind liebenswürdige Menschen. – Ersterer ging nie (er kam jeden Morgen) von mir, ohne dass er mich froher gestimmt, als ich vorher war. ... Mein Armleiden verringerte sich etwas, wesentlich aber doch nicht, ich spielte mit Schmerz, aber ich spielte doch, hatte den Muth dazu gewonnen – es war wie eine moralische Kur. ... Man redete mir sehr zu einem Concert zu, was ich zuerst mit wahrem Schrecken zurückwies ... aber Esmarch brachte die Sache schnell zu Ende, indem er sagte, er habe mir ein Recept zu schreiben – „Concert geben“, er müsse doch sehen, wie mir das Oeffentlichspielen bekomme. ... Am 18. März nach fast anderthalbjähriger Pause mein erstes Concert wieder. Es ging von Anfang bis Ende glücklich, von allen Seiten wurde mir die größte Theilnahme. Ich bekam unter vielen prachtvollen Blumen ein Bouquet anonym von Berlin mit den Worten: „Spiel ohne Schmerzen. Wünschen von Herzen. Berliner Verehrer.“

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