Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Die Hand des Musikers

In welcher Form die Massage stattfand, wird von Clara Schumann nicht angegeben. Es sei darauf hingewiesen, dass schon zum damaligen Zeitpunkt die Massage eine etablierte und auch sehr differenzierte Therapie darstellte. Im Lehrbuch von Hoffa [8] werden verschiedene Anwendungsmöglichkeiten angegeben und, da sie überwiegend auch nur bei begüterten Ständen zur Anwendung kamen, mit französischen Termini belegt: Streichen (Effleurage), Kneten oder Walken (Pétrissage), Reiben (Friction), Klopfen (Tapotement) und die Erschütterung (Vibration). Auch heute noch werden diese Verfahren, insbesondere die Friktions-Massage, bei myofaszialen Erkrankungen angewendet. Es gab auch damals schon für die Vibrations-Massage mechanische Apparaturen (Abb. 9), wobei nicht bekannt ist, ob sie auch in der Universitätsklinik in Kiel bei Clara Schumann zur Anwendung kamen.

Nach Altenmüller ist diese Kombination aus Physiotherapie, unterstützender Psychotherapie und vorsichtiger Aktivierung am Klavier der Schlüssel zum Erfolg der Therapie gewesen, sodass Esmarch mit dieser heute noch gültigen mehrdimensionalen, ganzheitlichen Schmerztherapie als Begründer der modernen Musikertherapie bezeichnet werden kann. Als wesentliche Elemente dieser Therapie werden angeführt [6]:

  • 1. Muskuläre Entspannung durch Physiotherapie und Massage
  • 2. Psychotherapeutische Behandlung durch begleitende Ärzte, besonders des häufig zu beobachtenden negativen Selbstkonzepts mit Verlust des Vertrauens in die eigene Leistungsfähigkeit.
  • 3. Erfolgserlebnisse am Instrument durch Wiederaufnahme des Spielens durch systematisches Aufbautraining und durch Ermutigung, vorübergehend Schmerzen zu ignorieren. So werden die verhängnisvollen zentralnervös gespeicherten Assoziationen von Instrumentenspiel und Schmerzerleben nach und nach gelöscht, das Schmerzgedächtnis auf diese Weise überschrieben.

Altenmüller und Kopiez fassen die erfolgreiche Therapie Clara Schumanns durch Friedrich von Esmarch mit diesen Worten zusammen: „Die Behandlung hat Claras Arzt Friedrich von Esmarch bereits in wesentlichen Bestandteilen durchgeführt: Medizinhistorisch handelt es sich um ein schönes Beispiel, wie durch Intuition und Empirie 100 Jahre vor Begründung der experimentellen Schmerzphysiologie und vor der Formulierung einer Theorie der zentralnervösen Schmerzverarbeitung eine wirksame Therapie entwickelt wurde.“

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med Horst Haferkamp

Adolfstr. 28

34121 Kassel

haferkamp.kassel@t-online.de

Literaturverzeichnis

1. Billroth T: Briefe von Theodor Billroth. Hrsg von G. Fischer, Hannover und Leipzig: Hahnsche Buchhandlung, 1896, 411–412

2. Altenmüller E, Furuya S: Apollos Fluch und Segen: Musizieren als Neuroplastizitätsmotor. Neuroforum, DeGruyter 2017, 23: 76–95

3. Blum J: Die Hand des Musikers – musikphysiologische und musikmedizinische Aspekte. Handchir Mikrochir Plast Chir 2000; 32: 299–310

4. Blum J: Handbeschwerden bei Instrumentalisten aus Sicht des Handchirurgen. Med Welt 2006; 12: 576–583

5. Altenmüller E: Fokale Dystonie bei Musikern: eine Herausforderung für die Musikermedizin. Musikphysiol und Musikermed 1996; 3: 25–40

6. Altenmüller E, Kopiez R: Eine Leiden schaffende Leidenschaft: Das Schmerzsyndrom der Clara Schumann. In: E. Altenmüller und S. Rode-Breymann (Hrsg.): Krankheiten großer Musiker und Musikerinnen: Reflexionen am Schnittpunkt von Musikwissenschaften und Medizin, Ligaturen 2009; Bd. 4, 125–147, Hildesheim: Olms

7. Haferkamp H: Friedrich von Esmarch – Arzt und Samariter. In: Horst Stoeckel (Hrsg): Deutsche Anästhesie – Pioniere der ersten 100 Jahre; 1847 bis ca. 1950. Überlingen: DCS, 2011: 59–72

8. Hoffa, A: Technik der Massage. 2. Auflage 1897. Ferdinand Enke, Suttgart

Fussnoten

1 Kassel

2 HELIOS Klinikum Hildesheim, Klinik für Plastische, Ästhetische und Handchirurgie

3 Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover; Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin (IMMM)

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