Übersichtsarbeiten - OUP 10/2017

Die Hand des Musikers

Horst Haferkamp1, Bernd Rieck2, Eckart Altenmüller3

Zusammenfassung: Schon zu allen Zeiten gab es eine spezielle Beziehung zwischen Ärzten und Musikern, die in der Freundschaft zwischen dem musikalisch hochbegabten Chirurgen Theodor Billroth und dem Komponisten Johannes Brahms ihren Höhepunkt fand.

Die Hand des Musikers unterscheidet sich in Anatomie und Funktion nicht von der Hand eines normalen Menschen. Es werden an sie allerdings extreme Anforderungen gestellt, wobei jedem Finger eine gleichwertige Funktion zugewiesen wird. Die damit häufig einhergehende Überforderung, verbunden mit überlangen Übungszeiten, begründet auch die Anfälligkeit für Störungen der Musikerhand. Dies wird meist von großen Ängsten begleitet, da Musiker befürchten, schon bei der Funktionseinschränkung eines Fingers den Beruf nicht mehr ausführen zu können. An erster Stelle der Therapie steht daher der Abbau von Ängsten. Die Therapie sollte, wenn möglich, konservativ und nur in dringenden Fällen operativ durchgeführt werden. Es ist erforderlich, dass die Musikerhand von kompetenten Musikermedizinern, ggfs. auch von mit dem Thema vertrauten Handchirurgen durchgeführt wird.

Der Beitrag wird durch einen Abriss der Geschichte der Musikermedizin ergänzt.

Schlüsselwörter: Musikerhand, Overuse-Syndrom, Geschichte der Musikermedizin

Zitierweise
Haferkamp H, Rieck B, Altenmüller E: Die Hand des Musikers.
OUP 2017; 9: 470–477 DOI 10.3238/oup.2017.0470–0477

Abstract: In every time there has been a special relationship between musicians and physicians. The best example is the friendship between the famous surgeon Theodor Billroth and the composer Johannes Brahms. There is no difference between musician´s hand and the hand of a normal person, but the functional demands on a musician´s hand is much greater and requires extraordinary sensory-motor skills. Exaggerated practice schedules as consequence of high demands are the most frequent reason for overuse leading to problems with hand function combined with fears not to be able to continue performing. First aim of the therapy is to reduce fear. In most cases, therapy is done conservatively, in specific urgent cases however, there is a need for surgery. It is to demand that this therapy must be done by a physician experienced in musician´s medicine or hand surgeon familiar with this subject. Some clinical examples of diseases of musician´s hand are demonstrated.

An outline of the history of these disorders of musicians is included.

Keywords: musician´s hand, overuse syndrome,
history of musician´s medicine

Citation
Haferkamp H, Rieck B, Altenmüller E: The musician’s hand.
OUP 2017; 9: 470–477 DOI 10.3238/oup.2017.0470–0477

Schon immer gab es eine besondere Beziehung zwischen Ärzten und Musikern. Abgesehen vom passiven Hörgenuss, gibt es viele Ärzte, die selbst exzellent ein Instrument spielen und auch im kleineren oder größeren Rahmen konzertierend auftreten.

Als bekanntestes Beispiel sei hier der Chirurg Theodor Billroth genannt, der hervorragend Geige, Bratsche und Klavier spielte und auch zunächst beabsichtigte, Berufsmusiker zu werden. Er hat sich dann letztlich doch für die Medizin, für die Chirurgie, entschieden. Schon als Student in Göttingen durfte er die damals bekannteste Sängerin, „die schwedische Nachtigall“ Jenny Lind, auf dem Klavier begleiten. In einem Brief an seine Mutter berichtet er begeistert von diesem Konzert, beeindruckt von der Persönlichkeit und der musikalischen Präsenz der Jenny Lind.

Als Chirurg in Wien freundete er sich mit Johannes Brahms an. Sie musizierten miteinander, jede Neukomposition wurde Billroth zur kritischen Prüfung vorgelegt (Abb. 1).

Unter anderem hat Brahms Billroth zwei Streichquartette gewidmet, die in Musikerkreisen analog zu den Magenresektionsverfahren nach Billroth ebenfalls mit „Billroth 1 und 2“ bezeichnet werden. In einem Brief an Brahms schreibt Billroth am 06.11.1890: „Ich kann nicht zur Ruhe kommen ohne Dir, mein lieber alter Freund, gesagt zu haben, welch glückliche Stunde Du mir heute wieder bereitet hast. Und fange ich an, darüber nachzudenken, in welchen Stunden meines Lebens, mit dessen Reichthum sich wohl wenige Sterbliche messen können, mir am wohlsten war, so nimmst Du doch immer den breitesten Platz ein.

Ich habe einen großen Teil Deines Werdens miterlebt und Du mit mir. Das ist ein Band, wie es Geschwister in einem guten Hause umschlingt. Ein jeder der Familie geht seinen Weg, doch man findet immer wieder zusammen. Es hat Dich früher wohl gefreut, wenn ich Dir dies und das über eine Deiner neuen Schöpfungen sagte. In neuerer Zeit bin ich stumm, denn ich weiß nichts mehr zu sagen, als musikalisch schön, wunderschön, nun auch für mich schon beim ersten Hören klar, himmlisch-blau klar! Ich habe oft darüber gerätselt, was menschliches Glück sei – nun heute war ich beim Anhören Deiner Musik glücklich. Darüber bin ich mir ganz klar. Dein Theodor Billroth“ [1].

Es gibt wohl kaum eine eindrucksvollere und bewegende Äußerung über die Musik und nicht zuletzt auch über Freundschaft, wie es in diesem Brief zum Ausdruck kommt. Der Hinweis Billroths, dass ihm die Komposition Brahms schon beim ersten Hören „himmlisch-blau klar“ sei, lässt vermuten, dass bei Billroth, wie auch bei vielen anderen Musikern, eine synästhetische Beziehung zwischen Musik und Farben bestand.

Die Hand des Musikers unterscheidet sich in Anatomie und Funktion nicht von einer normalen menschlichen Hand. Die menschliche Hand ist neben dem Hirn das Organ, welches den Menschen im Wesentlichen von den Primaten unterscheidet. Im Rahmen der Evolution kam es zunächst zur Entwicklung des Grobgriffes, dieser war der Motor für die Notwendigkeit des aufrechten Gangs. Die Interaktion zwischen Hand und Hirn kommt auch heute noch in den Begriffen „greifen“ und „begreifen“ zum Ausdruck. Später entwickelte sich der Spitzgriff, bedingt durch die Opposition des Daumens zu den übrigen Langfingern. Dies ist das wesentliche Unterscheidungsmerkmal der menschlichen im Vergleich zu der Primaten-Hand. Mit dem Spitzgriff waren dann subtilere Tätigkeiten möglich und bereiteten damit den Weg für die Entwicklung der Kultur. So sind die uns heute auch noch wegen ihrer Präzision beeindruckenden Tierbilder aus der Altsteinzeit in der Höhle von Lascaux nur mit dem Spitzgriff so meisterhaft zu fertigen.

Auch heute noch kann nahezu jeder Beruf von einer gesunden Hand mit dem Spitzgriff, oder bei Schwerarbeiten mit dem Grobgriff ausgeführt werden. An die Musikerhand, insbesondere an die Hand des professionellen Musikers, werden jedoch Anforderungen gestellt, die evolutionär eigentlich gar nicht vorgesehen sind, denn jeder einzelne Finger wird funktionell in gleicher Weise beansprucht. Dies beinhaltet die präzise Ausführung von sehr schnellen, in vielen Fällen enorm komplexen Bewegungsabläufen, welche strukturiert und mit kontinuierlicher auditiver, somatosensorischer und visueller Rückmeldung koordiniert werden müssen [2]. Diese enorme Anforderung an den Musiker erfordert ein permanentes Üben von mehreren Stunden am Tag, führt häufig zur funktionellen Überforderung und ist auch mit großen psychologischen Problemen belastet (Angst, Lampenfieber), denn ein Fehler bei konzertantem Auftreten vor Publikum kann nicht korrigiert werden. Diese Faktoren machen dann doch die Hand des Musikers zu etwas Besonderem. Aus diesem Grund muss der behandelnde Arzt der Musikerhand eine besondere Aufmerksamkeit schenken. Dies führt zu der Forderung, dass Musikerhände von speziellen Ärzten, die mit der Musikermedizin vertraut sind, eventuell auch von entsprechend ausgebildeten Handchirurgen behandelt werden müssen. In vielen Musikhochschulen haben sich inzwischen musikermedizinische Abteilungen etabliert.

So wie auch die Anatomie der Musikerhand der des normalen Menschen gleicht, so treten auch bei der Musikerhand Störungen auf, die wir tagtäglich in unserer Handsprechstunde sehen, seien es Tendovaginitiden, Nervenkompressionssyndrome oder auch Ganglien.

In Tabelle 1 sind die Besonderheiten aufgeführt, die dem Musiker eine aus der Sicht des Arztes banale Störung, wie z.B. ein Schnappfinger, wie eine bedrohliche Erkrankung erscheinen lassen.

Natürlich sind wir alle auch auf unsere Hände angewiesen in unseren beruflichen und privaten Anforderungen. Der Verlust eines Fingers oder auch eine begrenzte Störung des Bewegungsumfangs kann in den meisten Berufen kompensiert werden. Nicht jedoch bei Musikern, für die eine persistierende funktionelle Störung der Hand bedeuten kann, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben können. Insofern ist das hohe Angstpotenzial, um nicht zu sagen die Panik des Musikers durchaus nachvollziehbar, der fürchtet, nicht mehr spielen zu können. Besonders wichtig ist es deshalb, ihm diese Angst zu nehmen, ihm klar zu machen, dass z.B. ein Schnappfinger oder ein Karpaltunnelsyndrom kein wirklich großes Problem ist und mit geringem Aufwand therapiert werden kann, sei es konservativ und im Zweifelsfalle auch operativ.

Abbildung 2 zeigt eine fast 40 Jahre alte Annonce der Fachzeitschrift „Das Orchester“. Es handelte sich um einen schnellenden Ringfinger der linken Hand bei einer Violin-Solistin in München, wie dann der Anruf unter der angegebenen Telefonnummer ergab. Sie hatte große Angst, weil sie befürchtete, nicht mehr Geige spielen zu können. Diese Angst konnte ihr durch Aufklärung und Hinweise auf die gute Prognose dieser Funktionsstörung genommen werden. Sie wurde mit Telefonnummern von handchirurgischen Zentren in München versorgt – das weitere Schicksal ist uns allerdings nicht mehr bekannt. Es darf jedoch vermutet werden, dass diese Behandlung konservativ durch lokale Kortikoid-Injektion beseitigt wurde, ggfs. auch durch eine kleine Operation mit Spaltung des A1-Ringbands.

Typisch ist dabei, dass die Geigerin sich hilfesuchend zunächst an die Kollegen wandte, denn der Gang zum Arzt, insbesondere zum Chirurgen wird gefürchtet, da „die Chirurgen ja nur schneiden wollen“.

Es gibt jedoch auch begünstigende Faktoren, die in Tabelle 2 dargestellt werden. Zu erwähnen ist insbesondere die hohe Motivation von Musikern, die so schnell wie möglich wieder ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen möchten. Ein hervorragendes Trainingsgerät für die Feinmotorik ist neben den üblichen physiotherapeutischen Maßnahmen insbesondere das eigene Instrument, wobei man gelegentlich auch bremsen muss, damit eine zu frühe und übermäßige Belastung die Situation nicht verschlechtert. Auffällig ist, dass die Behandlungsergebnisse bei Musikern aufgrund ihrer hochmotivierten Compliance besonders gut sind, sodass Musiker im Vergleich zum normalen Patienten trotz gleicher Erkrankung häufig schon sehr viel früher ihre beruflichen Tätigkeiten wieder aufnehmen können.

Der Handchirurg, der sich mit Musikern befasst, wird und muss den Musikern besondere Empathie entgegenbringen. Hier ist es durchaus hilfreich, wenn der behandelnde Arzt ebenfalls ein Instrument spielt. Er kann dadurch die Probleme und Ängste des Musikers viel besser verstehen, kann auch ggfs. technische Schwierigkeiten, die mit einem bestimmten Instrument verbunden sein können, nachvollziehen.

Die häufigste Ursache für das Entstehen von Handproblemen beim Musiker ist eine übermäßige Beanspruchung der Hand im Sinne eines Overuse-Syndroms mit überlanger Übungszeit, gelegentlich verbunden mit falscher Technik, die das Problem weiter vergrößert. Die Folge sind dann die Beeinträchtigung von Tempo und Rhythmus, Intonation und Dynamik der musikalischen Wiedergabe [3, 4]. Am häufigsten sind Sehnenscheidenentzündungen, die sowohl die Strecksehnen im Bereich der Strecksehnenfächer auf dem Handgelenk als auch die Beugesehnenscheiden an den Fingern betreffen können.

Auch Nervenkompressionssyndrome jeglicher Art sind möglich, wobei hier das Karpaltunnelsyndrom wie bei normalen Patienten im Vordergrund steht. Letzteres kann insbesondere bei Musikern auftreten, die am Instrument das Handgelenk stark überstrecken, wie z.B. bei Flötisten oder Harfenisten.

Verletzungen der Hand, seien es Schnittverletzungen oder auch Brüche, sind bei Musikern eher selten. Musiker pflegen sorgfältigen Umgang mit ihrer Hand. Die vorkommenden Verletzungen finden meist im privaten Bereich statt. Die so häufigen Kreissägenverletzungen, sei es durch berufliche oder außerberufliche Tätigkeit, sind bei Musikern zwangsläufig fast nicht bekannt, da sie solche gefährlichen Werkzeuge verständlicherweise meiden. Bekannt ist ein Fall einer Kettensägenverletzung bei einem Kontrabassisten anlässlich einer privaten Tätigkeit in einem Feriencamp. Kettensägenverletzungen sind ggfs. schlimmer als Kreissägenverletzungen. In dem erwähnten Fall kam es jedoch Gott sei Dank nur zu oberflächlichen Verletzungen, die keine nachhaltigen Folgen mit sich brachten.

Der Musikerkrampf, die fokale Dystonie, tritt bei 1–2 % der professionellen Musiker auf und ist gekennzeichnet durch einen oft schleichenden Verlust feinmotorischer Fähigkeiten, die zuvor auf einem relativ hohen Niveau ausgeführt werden konnten. Wenngleich sich die Symptomatik der Dystonie an der Hand durch Einrollen oder Abspreizen einzelner Finger während des Instrumentalspiels manifestiert, so ist doch die Ursache im zentralen Nervensystem zu suchen. Die fokale Dystonie ist ein sehr anspruchsvolles und komplexes Thema. Eine ausführliche Darstellung würde den Rahmen dieses handchirurgischen Beitrags überschreiten und wird deshalb in einem nachfolgenden Beitrag ausführlich dargestellt.

Therapeutisch soll, wann immer möglich, versucht werden, die Handbeschwerden des Musikers durch eine konservative Therapie zu beheben. So kann ein Schnappfinger mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit von 50 % durch eine lokale Kortikoid-Injektion (z.B. 5 mg Dexamethason) behoben werden. Es empfiehlt sich, zuvor eine kleine lokale Anästhesie (z.B. 0,5 ml Carbostesin) durchzuführen, da die Injektion sonst erhebliche, wenn auch vorübergehende Beschwerden verursachen kann.

Operationsindikationen sollten sehr kritisch gestellt werden. Bei sicherer Indikation soll aber beherzt und mit üblicher Sorgfalt operiert werden. Wie schon zuvor erwähnt, sind die Ergebnisse auch nach operativer Behandlung bei Musikern meistens sehr günstig, da eine hohe Motivation und Compliance in der postoperativen Nachbehandlung vorausgesetzt werden kann.

So sollte z.B. bei einer Grundgliedfraktur ebenfalls eine konservative Behandlung, z.B. mit einem dynamischen Böhler-Cast angestrebt werden. Das Grundglied der Langfinger ist zirkulär von Gleitstrukturen umgeben. Ein operativer Eingriff, insbesondere mit Osteosynthese im Bereich des Grundglieds, erhöht die Gefahr einer Narbenbildung, die das Gleiten streckseitiger Strukturen behindern und somit zu einer erheblichen Störung der Funktion des Fingers führen kann.

Klinische Fallbeispiele

Im Folgenden werden einzelne klinische Beispiele dargestellt. Abbildung 3a zeigt eine fortgeschrittene Dupuytren‘sche Kontraktur des Kleinfingers bei einem Geiger (Stadium 4 nach Iselin). In diesem Fall war eine ausgedehnte Operation mit kompletter Aponeurektomie und multiplen Z-Plastiken am Kleinfinger erforderlich. Trotz des fortgeschrittenen Zustands gelang eine spannungsfreie vollständige Streckung des Fingers unmittelbar am Ende der Operation (Abb. 3b). Der Patient hat sich 5 Jahre später aus anderen Gründen in unserer Handsprechstunde vorgestellt. Abb. 3c zeigt das postoperative Bild 5 Jahre später. Erstaunlicherweise hat sich in der Zwischenzeit trotz der schwierigen Ausgangssituation kein Rezidiv gebildet. Die Hand ist uneingeschränkt funktionsfähig in Beugung, Streckung und Sensibilität.

Natürlich ist die Dupuytren‘sche Kontraktur keine ausgesprochene Musikererkrankung, sie trifft ihn nur besonders schwer, und es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der vorgestellte Fall zu falschen Schlussfolgerungen führen könnte. Die Operation lässt sich am günstigsten im zweitgradigen Stadium, mit gerade beginnender Einbeugung eines Fingers bewerkstelligen. In diesem Stadium ist die Operation übersichtlich durchzuführen und meist nur auf die Hohlhand beschränkt. Intraoperative Verletzungen von Nerven oder Gefäßen sind extrem selten. Aus schon erwähnten Gründen scheuen Musiker oft den Gang zum Chirurgen, weil sie verständlicherweise Angst vor einer Operation haben. In diesem Punkt werden sie häufig auch von Hausärzten falsch beraten, mit der Empfehlung, so lange wie möglich zu warten. Die Operation im Endstadium ist schwierig, die Gefahr der Verletzung wesentlich größer und das Rezidiv ist kaum zu vermeiden. Deshalb sollten aus diesem Grund Musiker so früh wie möglich dem Handchirurgen vorgestellt werden!

Abbildung 4a und b zeigen eine Rhizarthrose an der linken Hand bei einer Fagottistin. Die Rhizarthrose tritt bei Frauen wesentlich häufiger auf als bei Männern, insbesondere in der Menopause und im Zusammenhang mit der Fingerpolyarthrose. Man kann sich vorstellen, dass unter diesen Voraussetzungen die Handhabung eines so schweren Instruments mit übermäßiger Belastung, insbesondere des Daumens, erschwerend hinzukommt. An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass man ggfs. die Belastung der Hand durch eine Tragevorrichtung mit einem Halsband verringern kann. Aufgrund der Beschwerden war nach Ausschöpfen der konservativen Therapie dann doch ein operatives Vorgehen erforderlich. Dies wurde in typischer Weise mit einer Resektionsarthroplastik, d.h. Entfernen des großen Vieleckbeins einschließlich Suspensionsplastik mit Aufhängung durch einen Sehnenstreifen durchgeführt. Das Röntgenbild nach 5 Jahren zeigt das übliche Tiefertreten des ersten Mittelhandstrahls (Abb. 4c).

Die Patientin ist völlig beschwerdefrei und kann ihr Instrument ohne Beeinträchtigung und ohne Schmerzen spielen. Hier ist auch die hervorragende Motivation in der Nachbehandlung und mit frühzeitigen Übungsbehandlungen am Instrument zu erwähnen. Wir rechnen bei einem normalen handbelastenden Arbeiter mit einer durchschnittlichen Rückkehrzeit in den Beruf von ca. 3 Monaten. In diesem Fall konnte die Patientin bereits wesentlich früher ihre normale musikalische Tätigkeit im Orchester wieder aufnehmen.

Als Beispiel für ein relativ seltenes Nervenkompressionssyndrom zeigt Abbildung 5a ein Interosseus-anterior-Syndrom rechts bei einem Gitarristen. Der Nervus interosseus ist der erste motorische Abgang vom Nervus medianus, etwa 3–4 Querfinger unterhalb des Ellenbogengelenks. Er versorgt den Daumenbeuger wie auch den tiefen Beuger des Zeigefingers. Das Bild zeigt einen normal gerundeten Spitzgriff der gesunden linken Hand. Auf der rechten Seite ist die Daumenbeugung noch partiell intakt, es findet sich jedoch eine komplette aufgehobene Beugung des Zeigefingerendgelenks. Die präoperativ beim Nervenkompressions-Syndrom immer durchgeführte neurophysiologische Untersuchung bestätigte den Verdacht auf ein Interosseus-anterior-Syndrom.

In Abbildung 5b zeigt der Patient den Schmerzpunkt, damit markiert er genau die Höhe des Abgangs des Nervus interosseus. Ursächlich verantwortlich war ein permanenter Druck durch die relativ scharfe Gitarrenkante (Abb. 5c). Nach passagerer Polsterung in diesem Bereich (Abb. 5d) kam es zu einer langsamen Besserung der Interosseus-Symptomatik mit Rückkehr der Beugung auch im Zeigefingerendgelenk, sodass der Patient auch rechts wieder einen normalen gerundeten Spitzgriff demonstrieren konnte (Abb. 5e). Eine endgültige Lösung wurde dann durch eine Abrundung der Gitarrenkante mit einer Holzleiste herbeigeführt (Abb. 5f).

Dies zeigt beispielhaft, dass nicht nur therapeutische Maßnahmen am Patienten, sondern auch entsprechende ergonomische Korrekturen am Instrument, z.B. auch Klappenkorrekturen bei Blasinstrumenten, zu einer Besserung der Symptomatik führen können.

Ein weiteres Beispiel zeigt die linke Hand eines weiteren Gitarristen. Er hatte sich mit einem Schraubenzieher in der Mitte der Hohlhand über den 3. Mittelhandstrahl gestochen. Die kleine Narbe ist unterhalb der distalen Hohlhandbeugefalte gerade eben zu erkennen (Abb. 6a). Zunächst gab es keinen Hinweis für einen Sehnen- oder Nervenverletzung. Die Finger konnten voll gestreckt werden. Auch der Faustschluss wurde kräftig ausgeführt (Abb. 6b).

Der Patient klagte jedoch über Schwierigkeiten mit dem Barré-Griff (Quergriff eines Fingers über mehrere Seiten) am Mittelfinger. Abbildung 6c zeigt bei kräftigem, flachem Aufsetzen der Finger eine typische Schwanenhals-Deformität des Mittelfingers als Hinweis für eine beugeseitige Instabilität des Mittelgelenks. Da die Verletzungsstelle weit proximal des Mittelfingers lag, konnte eine direkte Verletzung am Finger selbst, insbesondere am Mittelgelenk, diese Deformität nicht erklären. Der Verdacht auf eine isolierte Läsion der Superficialissehne konnte durch eine kernspintomografische Untersuchung erhärtet werden (Abb. 6d).

Hier zeigt sich zunächst eine durchgängige Profundussehne. Die Superficialissehne weist jedoch eine langstreckige Dehiszenz von ca. 4 cm auf, wobei die Sehnenstümpfe proximal in Höhe der Basis und distal in Höhe des Köpfchens des Mittelhandstrahls zu sehen sind. Üblicherweise ist die isolierte Durchtrennung einer Superficialissehne nicht von großer funktioneller Bedeutung. In diesem speziellen Fall sind jedoch Beschwerden beim Barré-Griff auf die fehlende beugeseitige Stabilisierung des Mittelgelenks durch die Seitenzügel der Superficialissehne bedingt. Es ist vorstellbar, dass diese Läsion auch bei Streichinstrumenten, z.B. beim Spiel von Doppelgriffen, eine erhebliche funktionelle Einbuße mit sich bringt. Deshalb sollten isolierte Läsionen der Superficialissehne (FDS) operativ versorgt werden.

Es wurden verschiedene Möglichkeiten der Korrektur der Schwanenhalsdeformität diskutiert:

  • 1. Die Wiederherstellung der Kontinuität der Superficialissehne wäre in diesem Falle bei der großen Dehiszenz der Sehnenstümpfe nur mit der Interposition eines Sehnentransplantats möglich gewesen.
  • 2. Andere weniger aufwändige Verfahren, z.B. die beugeseitige Stabilisierung des Mittelgelenks durch eine Superficialis-Tenodese oder auch die in der Rheumachirurgie bewährten Verfahren der Transposition und Tenodese des radialen Seitenzügels nach beugeseitig nach Zancolli oder Littler wären möglich gewesen.

Der Patient konnte sich jedoch nicht zu einem operativen Eingriff entschließen, da er das Gitarrenspiel zwar auf hohem Niveau, aber eben nicht professionell betrieb und offensichtlich der Leidensdruck nicht so groß wie bei einem professionellen Musiker war.

Besonders wichtig erscheint die Prävention, damit die Ausbildung einer Musikererkrankung schon im Frühstadium verhindert werden kann. Dies erfordert das Erzeugen eines Gesundheitsbewusstseins mit Ausgleichsport und Gymnastik sowie regelmäßige ärztliche Kontrollen, sodass eine frühzeitige Konsultation bei Problemen möglich ist. Dies ist besonders wichtig bei der fokalen Dystonie (dazu mehr im darauffolgenden Beitrag).

Der zunehmende Perfektionszwang des Musikmarkts führt oft zu übertriebenem Üben und verursacht damit Belastungssyndrome und Bewegungsstörungen, u.a. auch die fokale Dystonie.

Wenn wir nur noch Musikkonserven hören, die in einem Tonstudio zu einer nahezu perfekten, völlig fehlerfreien Musik zusammengestückelt wurden, so wird die Musik entmenschlicht, nicht nur für die Musiker, sondern auch für die Zuhörer!

Geschichte
der Musikermedizin

Das Glamour-Paar des 19. Jahrhunderts, Robert und Clara Schumann, geborene Wieck, zählten nicht nur zu den bekanntesten Musikern ihrer Zeit und haben ihrer Nachwelt mit ihren Kompositionen großartige Musik geschenkt, sondern spielten beide auch eine große Rolle am Beginn der Musikermedizin (Abb. 7 und 8).

Robert Schumann musste seine pianistische Karriere wegen einer fokalen Dystonie abbrechen (s. dazu nachfolgender Beitrag). Zudem befand er sich ab 1854 wegen einer progressiven Paralyse in stationärer Behandlung in der Nervenheilanstalt Endenich-Bonn und fiel damit als Ernährer der Familie aus.

Clara Schumann befand sich dadurch in einer prekären wirtschaftlichen Situation. Sie musste durch ihre Konzertverpflichtung die teure Behandlung ihres Mannes und auch den Lebensunterhalt für sich und ihre 6 Kinder erwirtschaften. Hinzu kam, dass die damalige Klavierliteratur der modernen Komponisten – insbesondere die von Brahms und nicht zuletzt auch ihres Ehemannes Robert Schumann – neuartige und schwierige Anforderung an die pianistische Technik mit sich brachte (z.B. Oktavtriller) und damit eine Intensivierung der Übungszeiten zur Folge hatte, sodass Clara Schumann nur noch unter größten Schmerzen konzertieren konnte. Altenmüller und Kopiez [6] berichten in ihrem Beitrag „Eine Leiden schaffende Leidenschaft – Das Schmerzsyndrom der Pianistin Clara Schumann“, dass sich Clara Schumann voller Verzweiflung an Friedrich von Esmarch [7] wandte, einen der damals bekanntesten Chirurgen, da wegen diffuser Beschwerden im Sinne eines belastungsabhängigen, chronifizierten myofascialen Schmerzsyndroms ein weiteres Konzertieren kaum noch möglich war und damit der Abbruch ihrer Karriere drohte. Friedrich von Esmarch behandelte das chronische Schmerzsyndrom der Pianistin, gemessen an heutigen Maßstäben, auf sehr moderne Weise.

Clara Schumann berichtete in ihrem Tagebuch: „... [ich] begann schon am 27. die Kur, die in Kneten, was im Anfang recht schmerzhaft war, sich aber nach einigen Wochen verlor, und Douchen bestand ... Ich musste gleich am ersten Tag eine Stunde trotz der Schmerzen Klavier spielen, darauf drang Esmarch, während alle anderen Ärzte mir entschiedene Ruhe empfohlen hatten, und die Schmerzen vermehrten sich in der Folge nicht. Esmarch und Frau (Prinzessin von Schleswig-Holstein, [Tante der späteren Kaiserin]) sind liebenswürdige Menschen. – Ersterer ging nie (er kam jeden Morgen) von mir, ohne dass er mich froher gestimmt, als ich vorher war. ... Mein Armleiden verringerte sich etwas, wesentlich aber doch nicht, ich spielte mit Schmerz, aber ich spielte doch, hatte den Muth dazu gewonnen – es war wie eine moralische Kur. ... Man redete mir sehr zu einem Concert zu, was ich zuerst mit wahrem Schrecken zurückwies ... aber Esmarch brachte die Sache schnell zu Ende, indem er sagte, er habe mir ein Recept zu schreiben – „Concert geben“, er müsse doch sehen, wie mir das Oeffentlichspielen bekomme. ... Am 18. März nach fast anderthalbjähriger Pause mein erstes Concert wieder. Es ging von Anfang bis Ende glücklich, von allen Seiten wurde mir die größte Theilnahme. Ich bekam unter vielen prachtvollen Blumen ein Bouquet anonym von Berlin mit den Worten: „Spiel ohne Schmerzen. Wünschen von Herzen. Berliner Verehrer.“

In welcher Form die Massage stattfand, wird von Clara Schumann nicht angegeben. Es sei darauf hingewiesen, dass schon zum damaligen Zeitpunkt die Massage eine etablierte und auch sehr differenzierte Therapie darstellte. Im Lehrbuch von Hoffa [8] werden verschiedene Anwendungsmöglichkeiten angegeben und, da sie überwiegend auch nur bei begüterten Ständen zur Anwendung kamen, mit französischen Termini belegt: Streichen (Effleurage), Kneten oder Walken (Pétrissage), Reiben (Friction), Klopfen (Tapotement) und die Erschütterung (Vibration). Auch heute noch werden diese Verfahren, insbesondere die Friktions-Massage, bei myofaszialen Erkrankungen angewendet. Es gab auch damals schon für die Vibrations-Massage mechanische Apparaturen (Abb. 9), wobei nicht bekannt ist, ob sie auch in der Universitätsklinik in Kiel bei Clara Schumann zur Anwendung kamen.

Nach Altenmüller ist diese Kombination aus Physiotherapie, unterstützender Psychotherapie und vorsichtiger Aktivierung am Klavier der Schlüssel zum Erfolg der Therapie gewesen, sodass Esmarch mit dieser heute noch gültigen mehrdimensionalen, ganzheitlichen Schmerztherapie als Begründer der modernen Musikertherapie bezeichnet werden kann. Als wesentliche Elemente dieser Therapie werden angeführt [6]:

  • 1. Muskuläre Entspannung durch Physiotherapie und Massage
  • 2. Psychotherapeutische Behandlung durch begleitende Ärzte, besonders des häufig zu beobachtenden negativen Selbstkonzepts mit Verlust des Vertrauens in die eigene Leistungsfähigkeit.
  • 3. Erfolgserlebnisse am Instrument durch Wiederaufnahme des Spielens durch systematisches Aufbautraining und durch Ermutigung, vorübergehend Schmerzen zu ignorieren. So werden die verhängnisvollen zentralnervös gespeicherten Assoziationen von Instrumentenspiel und Schmerzerleben nach und nach gelöscht, das Schmerzgedächtnis auf diese Weise überschrieben.

Altenmüller und Kopiez fassen die erfolgreiche Therapie Clara Schumanns durch Friedrich von Esmarch mit diesen Worten zusammen: „Die Behandlung hat Claras Arzt Friedrich von Esmarch bereits in wesentlichen Bestandteilen durchgeführt: Medizinhistorisch handelt es sich um ein schönes Beispiel, wie durch Intuition und Empirie 100 Jahre vor Begründung der experimentellen Schmerzphysiologie und vor der Formulierung einer Theorie der zentralnervösen Schmerzverarbeitung eine wirksame Therapie entwickelt wurde.“

Interessenkonflikt: Keine angegeben

Korrespondenzadresse

Dr. med Horst Haferkamp

Adolfstr. 28

34121 Kassel

haferkamp.kassel@t-online.de

Literaturverzeichnis

1. Billroth T: Briefe von Theodor Billroth. Hrsg von G. Fischer, Hannover und Leipzig: Hahnsche Buchhandlung, 1896, 411–412

2. Altenmüller E, Furuya S: Apollos Fluch und Segen: Musizieren als Neuroplastizitätsmotor. Neuroforum, DeGruyter 2017, 23: 76–95

3. Blum J: Die Hand des Musikers – musikphysiologische und musikmedizinische Aspekte. Handchir Mikrochir Plast Chir 2000; 32: 299–310

4. Blum J: Handbeschwerden bei Instrumentalisten aus Sicht des Handchirurgen. Med Welt 2006; 12: 576–583

5. Altenmüller E: Fokale Dystonie bei Musikern: eine Herausforderung für die Musikermedizin. Musikphysiol und Musikermed 1996; 3: 25–40

6. Altenmüller E, Kopiez R: Eine Leiden schaffende Leidenschaft: Das Schmerzsyndrom der Clara Schumann. In: E. Altenmüller und S. Rode-Breymann (Hrsg.): Krankheiten großer Musiker und Musikerinnen: Reflexionen am Schnittpunkt von Musikwissenschaften und Medizin, Ligaturen 2009; Bd. 4, 125–147, Hildesheim: Olms

7. Haferkamp H: Friedrich von Esmarch – Arzt und Samariter. In: Horst Stoeckel (Hrsg): Deutsche Anästhesie – Pioniere der ersten 100 Jahre; 1847 bis ca. 1950. Überlingen: DCS, 2011: 59–72

8. Hoffa, A: Technik der Massage. 2. Auflage 1897. Ferdinand Enke, Suttgart

Fussnoten

1 Kassel

2 HELIOS Klinikum Hildesheim, Klinik für Plastische, Ästhetische und Handchirurgie

3 Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover; Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin (IMMM)

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