Übersichtsarbeiten - OUP 02/2021

Differenzialdiagnostik des Schulterschmerzes
Es ist nicht alles Impingement

Jörg Jerosch

CME

1

PUNKT

Lernziele:

Dem Leser sollen die differenzialdiagnostischen Überlegungen
beim Schulterschmerz vermittelt werden.

Der Leser soll die oftmals unspezifische Diagnose des „Impingement“
zukünftig vermeiden.

Dem Leser sollen auch nicht orthopädische Differenzialdiagnosen
für den Schulterschmerz vermittelt werden

Zusammenfassung:
Im vorliegenden Artikel werden die klinisch relevanten Differenzialdiagnosen zu Schulterschmerzen dargestellt. Hierbei erscheint es wichtig, den immer wieder unspezifisch verwendeten Begriff des Impingement zu vermeiden bzw. hierzu die relevanten Differenzialdiagnosen darzustellen. Dieses vermeidet Fehldiagnosen und folgerichtig auch für den Patienten nicht zufriedenstellende Behandlungsergebnisse.

Schlüsselwörter:
Schulter, Impingement, Differenzialdiagnose, Differenzialtherapie

Zitierweise:
Jerosch J: Differenzialdiagnostik des Schulterschmerzes. Es ist nicht alles Impingement.
OUP 2021; 10: 91–99
DOI 10.3238/oup.2021.0091–0099

Summary: The present article describes the clinical relevant differential diagnoses for pain around the shoulder girdle. We pay special attention to avoid the often unspecific used term of impingement resp. to present to the reader the relevant differential diagnoses. This of course will avoid wrong diagnosis and consequently not satisfaying treatment results for our patients.

Keywords: shoulder, impingement, differential diagnosis, differential therapy

Citation: Jerosch J: Differential diagnosis of shoulder pain. It is not always impingement.
OUP 2021; 10: 91–99 DOI 10.3238/oup.2021.0091–0099

Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus

Einleitung

Schmerzen, die anatomisch dem Schultergürtel zuzuordnen sind, gehören beim Allgemeinmediziner sowie auch beim Orthopäden und Unfallchirurgen mit zu den häufigsten von den Patienten geäußerten Beschwerden [7]. Besonders deutlich zum Tragen kommt diese Schnittstelle zwischen Allgemeinmedizin und O&U beim Diabetes mellitus [1, 5, 24]. So beträgt die Inzidenz von Schulterbeschwerden bei Diabetes Patienten 27,5 % in der Allgemeinbevölkerung lediglich 5 % [26].

Der Krankheitsbegriff der „Periarthropathia humeroscapularis“ (PHS) wurde 1872 vom Franzosen Simon Duplay eingeführt; diese Bezeichnung wurde bis in die jüngste Zeit auch noch verwendet. Charles Neer [22] sprach 100 Jahre später, 1972, vom Krankheitsbild des „Impingement-Syndroms“, um therapeutische Maßnahmen pathologieorientierter zu gestalten. Die folgenden Jahrzehnte zeigten jedoch, dass der unspezifische Begriff der PHS oftmals lediglich durch den ebenso unspezifischen Begriff des „Impingement-Syndroms“ eingetauscht wurde. Nicht selten resultierte durch die oft unspezifische Diagnose Impingement, ein quasi „Pawlowschwer Reflex“ mit Stellung der Operationsindikation zur subakromialen Dekompression.

Intrinsische/extrinsische Faktoren

Vielfach werden die Bedeutung von knöchernen Spornen am Vorder- bzw. Unterrand des Akromions sowie die Bedeutung des relativ scharfkantigen Lig. coracoacromiale betont. Hierdurch kann es zu einer Kompression der Rotatorenmanschette, insbesondere bei Überkopfbewegungen kommen. Dieser Mechanismus stellt das klassische Beispiel für einen extrinsischen Mechanismus dar.

Zunehmend wird auch der kritische Schulterwinkel (critical shoulder angle: CSA) betrachtet, welche den lateralen Überhang des Akromions berücksichtigt (Abb.1). Ein kritischer Schulterwinkel von über 35° zeigt eine erhöhte Inzidenz von Rotatorenmanschettenschäden [4, 6, 21]. Aufgrund dieser Erkenntnisse wird bei einem CSA größer als 35° auch die Indikation zu einer lateralen Akromionplastik gesehen.

Rathburn und Macnab [25] stellten hingegen einen intrinsischen Mechanismus in den Vordergrund, indem sie eine sogenannte „kritische Zone“ verminderer Gefäßversorgung der Rotatorenmanschette formulierten.

Folgt man den Konzepten von Neer sowie von Rathburn und Macnab, so müsste die Degeneration der Supraspinatussehne im mittleren Drittel der bursaseitigen oberflächlichen Schichten beginnen. Intraoperative Messungen der Durchblutungsverhältnisse der Supraspinatussehne stellten die Ergebnisse von Rathburn und Macnab jedoch schon früh in Frage.

Schon Uhthoff [27] fand die meisten Rissbildungen im Sektionsgut intraartikulär am lateralen Ansatz der Supraspinatussehne, was durchaus mit den arthroskopischen Befunden heutzutage korreliert. Er ging eher von einer Tendopathie (nicht von einer Kompression) aus und somit von einem primär intrinsischen Ursachenfaktor. Die ursprüngliche Theorie der avaskulären Zone wurde durch Löhr und Uhthoff [19] dahingehend modifiziert, als dass sie zwischen bursaler und artikulärer Schicht differenzierten, wobei die artikuläre Sehnenanteile in Relation zu den bursalen Anteilen eine deutliche Hypovaskularisation aufwiesen. Dieses macht auch den hohen Anteil an artikulären Partialrupturen verständlich. Diese Zusammenhänge entsprechen auch der täglichen klinischen Erfahrung, bei der man bei der arthroskopischen Inspektion des glenohumeralen Gelenkes von Patienten mit subakromialen Beschwerden oftmals genau an dieser Lokalisation Läsionen der Rotatorenmanschette erkennen kann.

Die vorliegenden Erkenntnisse legen nahe, dass eine einzige Ursache für die Pathologie im subakromialen Raum unwahrscheinlich ist. Zwar ist das Erfolgsorgan mit der Rotatorenmanschette und dem angrenzenden Schleimbeutel immer identisch, die ursächliche Noxe jedoch unterschiedlich . Daneben gilt es auch eine Vielzahl internistischer, onkologischer und neurologischer Differenzialdiagnosen für Schulterschmerzen zu bedenken . Auf die notwendigen differenzialdiagnostischen Überlegungen im Bereich des Bewegungsapparates wird im Folgenden eingegangen.

Anatomische subakromiale Stenosen

Bei den extrinsischen Faktoren sind die anatomischen Stenosen die häufigsten Mechanismen. Am geläufigsten ist die Koinzidenz der Aromioklavikulargelenk-Veränderungen (AC-Gelenk) mit der Supraspinatussehnen-Pathologie. Petersson [23] belegte eine Koinzidenz zwischen inferioren Osteophyten des AC-Gelenkes und Rupturen der Rotatorenmanschette. Auch in anatomischen Studien konnte eine signifikante Korrelation zwischen einer schweren AC-Gelenk Degeneration (Abb.2) oder inferioren Osteophyten und Rotatorenmanschettenrupturen nachgewiesen werden [11].

Ein vergleichbarer Mechanismus liegt bei einem stark gekrümmten Akromion vor. Hier werden 3 Akromiontypen unterschieden (Abb.3). Biomechanische Studien zeigen, dass es bei ausgeglichenen Muskelverhältnissen nur dann zu einer Erhöhung des subakromialen Druckes kommt, wenn ein Typ 3-Akromion mit einem anterioren Haken vorliegt [9].

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