Übersichtsarbeiten - OUP 02/2021

Differenzialdiagnostik des Schulterschmerzes
Es ist nicht alles Impingement

Eine Tendinitis calcarea ist bei der typischen Beschwerdeschilderung des Patienten bereits zu vermuten. Der Patient hatte oft lange bestehende Schmerzen, die ihn jedoch nie ernstlich beeinträchtigten. Ohne äußeres Ereignis kommt es plötzlich zu extremen Beschwerden, welche selbst mit starken oralen Schmerzmitteln kaum zu beherrschen sind. Eine Nachtruhe ist nicht möglich, die Schulter wird schmerzhaft fixiert gehalten. Der gesamte Gelenkbereich ist so berührungsempfindlich, dass eine Bewegungsprüfung oder gar eine gezielte klinische Untersuchung kaum möglich ist. Der diagnostische LA-Test ist für diese Patienten gleichzeitig eine therapeutische Erlösung und Beweis für die chemische Bursitis als Ursache für dieses Schmerzbild.

Adhäsive Kapsulitis

Bereits Codmann drückte seine Frustration aus, als er feststellte, dass diese Patienten „difficult to define, difficult to treat and difficult to explain ... from the point of view of pathology“ seien. Von den periartikulären Strukturen wurde hauptsächlich die lange Bizepssehne sowie die Schultergelenkkapsel als pathologisches Substrat angesehen. In der Literatur ist bis heute keine eindeutige Ursache für dieses Krankheitsbild gefunden worden.

Bei der adhäsiven Kapsulitis handelt es sich somit gewissermaßen um das „Chamäleon“ der Krankheitsbilder des Schultergelenkes. Kaum eine andere Entität ist so schillernd hinsichtlich ihrer Ätiologie, der Diagnostik und der Therapie. Warum ausgerechnet die Gelenkkapsel des Schultergelenkes derartigen Veränderungen unterworfen ist, ist weitgehend ungeklärt. Histologisch besteht die Gelenkkapsel hauptsächlich aus Typ I Kollagenbündeln mit vergleichsweise geringer Anzahl an Fibrozyten. Elektronenoptische Untersuchungen zeigen keine strukturellen Unterschiede zwischen der Schultergelenkkapsel und anderen Gelenkkapseln. Die lokalisierte Degeneration der kollagenen Fibrillen gab Anlass zur Autoimmuntheorie dieser Erkrankung. Untersuchungen ergaben jedoch keinen statistisch signifikanten klinischen oder laborchemischen Hinweis auf ein Autoimmungeschehen.

Die Differenzierung in primäre und sekundäre Schultersteife ist von klinischer Relevanz. Beide Gruppen müssen hinsichtlich der Prognose sowie der therapeutischen Konsequenz entsprechend unterschiedlich betrachtet werden. Die Inzidenz wird in der normalen Bevölkerung zwischen 2 % und 5 % angegeben mit einer deutlich höheren Inzidenz bei Patienten mit Diabetes mellitus [8]. Hier reichen die Angaben von 10 % bis zu 20 %. Die Inzidenz der Frozen Shoulder ist bei Diabetikern um das 5–10-fache gegenüber Nichtdiabetikern erhöht. Beim Typ 2 Diabetes kommt die Erkrankung doppelt so häufig vor wie beim Typ 1 Diabetes [5]. Je länger der Diabetes besteht und je schlechter die Blutzuckereinstellung, desto höher ist das Risiko für eine Frozen shoulder [2].

Während die klassische Literatur den selbstlimitierenden Charakter der Erkrankung zwischen 12 und 18 Monaten einschätzt, geht die Tendenz heutzutage zu deutlich längeren Zeiträumen. Auch unsere eigenen Erfahrungen bestätigen dies [17]; die Anamnese ist bereits richtungsweisend. Die Patienten bieten oft eine wochen- oder monatelange Beschwerdedauer. Bei der primären adhäsiven Kapsulitis setzen die Beschwerden schleichend ein. Bei anfangs noch uneingeschränkter Beweglichkeit kommt es zu einer Zunahme der Schmerzen. Mit Reduktion der Beschwerden nimmt das Bewegungsausmaß deutlich ab. Schließlich klagen die Patienten über eine ausgeprägte, wenn auch nicht immer schmerzhafte Funktionsstörung. In der Mehrzahl der Fälle kommt es zu einem Wiedergewinn der Beweglichkeit nach Wochen bis Monaten, ohne dass immer die volle Beweglichkeit wieder erreicht wird. Bei vielen Patienten finden sich typische Begleiterkrankungen (Diabetes mellitus Typ I, Schilddrüsenerkrankungen, M. Dupuytren), die auf einen Autoimmunprozess hindeuten. Bei der klinischen Untersuchung findet sich im initialen schmerzhaften Stadium ein generalisiert druckschmerzhaftes Gelenk. Lokalisierte Druckschmerzmaxima fehlen ebenso wie typische funktionelle Tests. Im zweiten Stadium liegt dann meist eine konzentrische Bewegungseinschränkung vor.

Auch bei der Frage des chirurgischen Therapieerfolges wirkt sich ein Diabetes mellitus negativ aus; bei diesen Patienten ist in 26 % wieder mit einem Rezidiv zu rechnen, wohingegen bei Stoffwechselgesunden kein Rezidiv gefunden wurde [29].

Subakromiale Probleme beim jungen Patienten

Eine besondere Gruppe sind junge Überkopfsportler mit Schulterbeschwerden. Hier finden sich in kernspintomographischen Untersuchungen oft ossäre Unregelmäßigkeiten im Ansatzbereich der Supra- und Infraspinatussehnen. Diese sind Ausdruck der Überlastung des Sehnen-Knochen-Überganges durch die exzentrische Belastung am Ende der Wurfphase [18]. Hierbei handelt es sich um Ansatztendinosen [12], die mit dem Patellaspitzensyndrom vergleichbar sind.

Bei der Ansatztendinose des Überkopfsportlers schildert der Athlet seine typischen Schmerzen in der Endphase der Abbremsbewegung des Wurfes. Oftmals dauern die Beschwerden auch nach dem Training noch für Stunden an, wobei sie pseudoradikulär bis in Ellenbogen, Unterarm und Kleinfinger ausstrahlen können. Bei der klinischen Untersuchung liegen die typischen Befunde der subakromialen Pathologie vor (Druckschmerz, subakromialer schmerzhafter Bogen, positiver Jobe-Test), so dass richtungsgebend für die korrekte Diagnose die Anamnese ist. Diese Erkenntnisse haben ganz entscheidenden Einfluss auf die einzuschlagende Therapie, da bei diesen Patienten aufgrund der vorliegenden Pathologie eher stabilisierende als dekomprimierende Verfahren zum Einsatz kommen müssen.

Ebenfalls bei Überkopfsportlern findet sich das von Walch [28] beschriebene sogenannte posterokraniale Impingment-Syndrom. Hierbei handelt es sich um eine Kompression und Friktion der posterokranialen Rotatorenmanschettenunterfläche am Glenoid bei Abduktions- und Außenrotationsbewegungen.

Hypermobile Gelenke zeigen nicht selten auch eine Affektion der Supraspinatussehne. Die Ursache hierzu liegt in der Dauerbeanspruchung der Stabilisatorfunktion der Rotatorenmanschette. Bei diesem chronischen Schmerzbild klagen die meist jungen weiblichen Patienten hauptsächlich über belastungsabhängige Beschwerden, welche häufig bei sportlicher Überkopfaktivität auftreten. Die klinische Untersuchung zeigt neben den typischen subakromialen Befunden (Druckschmerz, schmerzhafter Bogen, positiver Jobe-Test) Zeichen der Hypermobilität. An der betroffenen Schulter lässt sich oftmals ein Sulkus-Zeichen nachweisen, weiterhin ist der Relokations-Test positiv [3]. Die kontralaterale Schulter sowie Ellenbogen und Fingergelenke sind meist ebenfalls hypermobil. Da bei diesen Gelenken die passiven Gelenksicherungsstrukturen nicht suffizient ausgebildet sind, müssen die aktiven Stabilisatoren mehr arbeiten als in einem stabilen Gelenk. Auch hier müssen stabilisierende Therapieverfahren gewählt werden.

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