Übersichtsarbeiten - OUP 02/2021

Differenzialdiagnostik des Schulterschmerzes
Es ist nicht alles Impingement

Ebenfalls beim Sportler ist das sogenannte kapsulo-tendinöse funktionelle Impingement zu finden. Hierbei kommt es durch Verkürzung der posterioren Weichteile zu einer anterosuperioren Translation des Humeruskopfes mit konsekutiver funktioneller subacromialer Stenose [20].

Os acromiale

Hier besteht eine überzufällige Koinzidenz von Rotatorenmanschettenaffektionen mit einer persistierender Epiphysenfuge des Akromions (Os acromiale). Die persistierenden Epiphysenfugen treten auf zwischen Präakromion und Mesakromion, zwischen Mesakromion und Metakromion sowie zwischen Metakromion und Basiakromion.

Zwischen den einzelnen Ossifikationszentren sind physiologisch bis zum 18. Lebensjahr Epiphsenfugen nachweisbar. Die Fusion kann jedoch gelegentlich unterbleiben, so dass zwischen der Spina scapulae und dem Akromion eine fibröse Artikulation resultiert, was im späteren Leben sogar zu Verwechslungen mit Frakturen führen kann. Die Inzidenz liegt hier etwa zwischen 1,4 % und 8 %; in etwa 62 % besteht ein bilateraler Befund vor. Bei alleiniger Röntgendiagnostik im a.p.-Strahlengang ist ein Os acromiale nur schwer diagnostizierbar. Dies unterstreicht die Notwendigkeit für Standardröntgenuntersuchungen, welche eine axiale Aufnahme beinhalten (Abb. 7).

Akromioclavikulargelenk

Das AC-Gelenk ist immer bei der differenzialdiagnostischen Abklärung zu berücksichtigen. Anamnestisch berichten die Patienten in aller Regel über chronische Beschwerden, vor allem bei der Bewegung, wobei nicht selten ein Trauma mit Verletzung des AC-Gelenkes vor längerer Zeit vorgelegen haben kann. Bei jüngeren Patienten mit AC-Gelenk Problemen handelt es sich meist um Kraftsportler oder um Athleten nach AC-Gelenk Verletzungen. In diesen Fällen findet sich ein lokal druckschmerzhaftes AC-Gelenk. Als spezifische funktionelle Tests bieten sich der endgradige sowie der horizontale schmerzhafte Bogen an. Zur Abgrenzung einer subakromialen Pathologie führen wir auch hier den LA-Test durch. Hierbei wird 1 ml eines Lokalanästhetikums von kranial in das AC-Gelenk injiziert. Verschwinden die typischen Beschwerden für kurze Zeit, so deutet sehr viel auf das AC-Gelenk als Schmerzursache.

Sonstige seltenere Ursachen

Seltene Ursachen für Schulterbeschwerden können Kompressionssyndrome (Thoracic-outlet-Syndrom, Incisura scapulae-Syndrom (Abb. 8), Nervus suprascapularis-Entrapment [14], Kompression des Ramus infraspinatus durch ein Ganglion (Abb. 9) oder auch glenohumerale Arthrosen sowie auch eine Humeruskopfnekrose sein.

Bei nicht ganz typischem Beschwerdebild sind immer auch primäre oder sekundäre Tumorerkrankungen (Abb. 10) mit in die differenzialdiagnostischen Überlegungen miteinzubeziehen. So kann z.B. auch ein sogenannter Pancoast-Tumor der Lunge Schulterschmerzen verursachen.

Nicht schulterbedingte
Ursachen

Bei der Vielfalt der differenzialdiagnostischen Überlegungen dürfen keinesfalls nichtschulterbedingte Ursachen übersehen werden. Hier gibt es zunächst Veränderungen, die auch den Haltungs- und Bewegungsapparat betreffen. Zervikale Bandscheibenvorfälle können sich mit einer radikulären Ausstrahlung in die Schulter, ebenso auch Epikondylitiden mit einer proximalen Ausstrahlung klinisch primär wie eine Schulteraffektion darstellen. Ursachen außerhalb des Haltungs- und Bewegungsapparates können kardial bedingt sein, aber auch von Seiten der Milz, der Leber oder der Lungenspitze bedingt sein. Ebenso müssen onkologische und neurologische Erkrankungen bedacht werden.

Fazit

Wie bei allen Krankheitsbildern in der Medizin so ist auch der Erkenntnisstand ‚Beschwerden im Bereich des Schultergelenkes‘ ständig im Fluss. Durch die kritische Betrachtung und Interpretation eigener Erfahrungen und die Auseinandersetzung mit der Literatur wird eine Differenzierung der Pathogenese von Schulterbeschwerden immer wieder neu zu diskutieren sein. Wahrscheinlich gibt es viele, hier noch nicht berücksichtigte Faktoren. Sicher ist jedoch, dass die Pathogenese von Schulterbeschwerden mit den Begriffen PHS oder Impingement nur unzureichend beschrieben wird.

Interessenkonflikte:

keine angegeben

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Dr. h.c. Jörg Jerosch

Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin

Johanna-Etienne-Krankenhaus

Am Hasenberg 46

Neuss 41462

j.jerosch@ak-neuss.de

Fragen zum CME-Artikel

1. Welche Fachgruppe
behandelt neben Orthopäden und Unfallchirurgen vor allen Dingen Patienten mit Schulterbeschwerden?

– Urologen

– Gastroenterologen

– Kinderärzte

– Allgemeinmediziner

– HNO-Ärzte

2. Ab welchem Wert ist der
kritische Schulterwinkel
pathologisch?

– ab 5°

– ab 25°

– ab 35°

– ab 45°

– ab 55

3. Zu welchen Ursachen von Schulterbeschwerden ist ein Typ 3-Akromion zu rechnen?

– intrinsische Ursache

– extrinsische Ursache

– Kollagenveränderung

– Kalkschulter

– neurologische Ursache

4. Wie hoch ist die Inzidenz
von Schulterbeschwerden
in der Bevölkerung?

– weniger als 1 %

– 5 %

– 10 %

– 15 %

– 20 %

5. Wo finden sich die
meisten altersbedingten
Veränderungen an der Rotatorenmanschette?

– bursaseitig ansatznah

– bursaseitig im mittleren Drittel

– bursaseitig am Übergang zum Muskel

– gelenkseitig im mittleren Drittel

– gelenkseitig ansatznah

6. Das Krankheitsbild der
adhäsiven Kapsulitis korreliert überzufällig häufig mit

– einer Hypertonie

– Nierensteinen

– dem Diabetes mellitus

– einem zervikalen Bandscheibenvorfall

– einem Hyperparathyreoidismus

7. Das Altersmaximum der Tendinitis calcarea liegt

– vor dem 20. Lebensjahr

– zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr

– zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr

– zwischen dem 60. und 70. Lebensjahr

– nach dem 70. Lebensjahr

8. Die Inzidenz eines Os acromiale liegt

– bei unter 1 %

– bei etwa 5 %

– bei etwa 10 %

– bei etwa 20 %

– bei etwa 30 %

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