Übersichtsarbeiten - OUP 02/2021

Differenzialdiagnostik des Schulterschmerzes
Es ist nicht alles Impingement

Auch im klinischen Alltag hat sich gezeigt, dass sich durch die Entfernung des anterioren Vorsprunges am Akromion [16] oder des lateralen Akromion bei einem hohem CTA von über 35° gute Resultate erzielen lassen [4, 6, 21]. Sowohl die Einengung des subakromialen Raumes durch degenerative Veränderungen des AC-Gelenkes als auch durch ossäre Veränderungen am Akromion bewirken eine mechanisch wirksame Stenose. Ebenso führen die seltenen Ansatzverknöcherungen des Lig. coracoacromiale, anteriore Osteophyten am Akromion oder die sekundären Einengungen des subakromialen Raumes durch ein kranialisiertes Fragment nach Tuberculum majus-Fraktur sowie prominente Kalkdepots zu einer subakromialen Stenose.

Bei Kraftsportlern wie beispielsweise bei Powerliftern kommt es gelegentlich aufgrund einer exzessiven Verdickung der Rotatorenmanschetten-Sehnen [10] zu einer relativen subakromialen Stenose. Hier liegt zwar eine normale knöcherne Anatomie vor; durch die Hypertrophie der Rotatoren-Sehnen, die den subakromialen Raum passieren müssen, kann es jedoch zu einer funktionell wirksamen Stenose kommen.

Bei einer subakromialen Stenose mit Tendopathie berichtet der Patient über bewegungsabhängige Schulterbeschwerden, die ihn besonders bei Überkopfbewegungen beeinträchtigen. Ganz besonders typisch ist der Nachtschmerz, welche nicht selten zu Schlafstörungen führt. Hier liegt ein lokaler Druckschmerz am Ansatz der Supraspinatussehne am Tuberculum majus vor. Als funktionelle Tests sind der subakromiale schmerzhafte Bogen und besonders der positive Jobe-Test [3] aussagekräftig. Hierbei hat sich der subakromiale Lokal-Anästhetikum-Test (LA-Test) besonders bewährt, wenn von dorsal 2 ml Lokalanästhetikum in die Bursa subacromialis injiziert werden. Die kurzzeitige Besserung der Symptomatik spricht für das Vorliegen einer subakromialen Pathologie.

Funktionelle subacromiale Stenosen

Typisch hierfür ist eine muskuläre Dysbalance zwischen dem M. deltoideus und dem M. supraspinatus. Aufgrund des relativen Überwiegens des kranial gerichteten Kraftvektors des M. deltoideus gegenüber dem den Humeruskopf zentrierenden Vektor des M. supraspinatus, kommt es zu einer Kranialisation des Humeruskopfes während der Abduktion. Auch beim hypermobilen Gelenk kann es aufgrund der fehlenden Stabilität zu einer funktionellen subakromialen Stenose kommen. Klinisch stellt sich diese Situation oft wie eine anatomische Stenose dar. Hier sollte keinesfalls eine subakromiale Dekompression erfolgen, da sich dann das Krankheitsbild nur noch weiter verschlechtert.

Rotatorenmanschettenrupturen

Hierbei sind die kompletten Rupturen (Typ-C Ruptur) (Abb. 4) mit einer Kommunikation zwischen dem Schulterhauptgelenk und dem subakromialen Raum von den Partialrupturen der Sehne zu unterscheiden. Die Partialrupturen werden in bursaseitige (Typ-B Ruptur) und artikulärseitige (Typ-A Ruptur) Schädigungen differenziert. In diesem Zusammenhang wurde der Begriff PASTA (partial articular surface tendon avulsions)-Läsion geprägt (Abb. 5), um Partialrupturen der Rotatorenmanschette zu beschreiben [13]. Auch rein intratendinöse Degenerationsherde werden für persistierende Schulterschmerzen verantwortlich gemacht. Die hierzu notwendigen diagnostischen Notwendigkeiten und vor allem die therapeutischen Konsequenzen werden jedoch noch sehr unterschiedlich diskutiert.

Die Ruptur der Rotatorenmanschette ist nur in den allerseltensten Fällen traumatischer Genese. Bezüglich des Unfallmechanismus für Rotatorenmanschettenrupturen gibt es in der AWMF-Leitlinie (Nr. 033–041) entsprechende anerkannte Unfallmechanismen.

Diese sind im Einzelnen:

exzentrische Belastung kontrahierter Anteile der Rotatorenmanschette, z.B. bei passiv forcierter Außen- oder Innenrotation beim Festhalten im Rahmen eines Sturzes

passive Traktion nach kaudal, z.B. beim Auffangen eines schweren Gegenstandes

axiale Stauchung nach kranioventral oder ventromedial, z.B. bei
einem Sturz auf den nach hinten gestreckten Arm

eine Schulterluxation

In der Regel berichten die Patienten auch im Falle eines atraumatischen Verlaufes über plötzlich einsetzende Schmerzen nach einem Bagatellereignis. Hierbei kann es sich um einen Sturz auf die Schulter oder auch nur um eine plötzliche Kraftanstrengung beim Greifen eines schweren Aktenordners handeln. Manche Patienten hatten vor diesem akuten Ereignis bereits längere Zeit Beschwerden, andere waren völlig beschwerdefrei. Der plötzlich einsetzende Schmerz geht oftmals mit einem initialen subjektiven Kraftverlust einher. In vielen Fällen erholt sich die Schulterfunktion jedoch wieder zumindest teilweise, insbesondere wenn es sich um eine isolierte Ruptur der Supraspinatussehne handelt; typisch ist hier wiederum der Nachtschmerz. Bei der klinischen Untersuchung findet sich ein Druckschmerz am Tub.majus, gelegentlich ein schmerzhafter subakromialer Bogen, bei funktionell wirksamen Rupturen ein positiver Fallarm-Test. Der Jobe-Test ist weniger durch Schmerzhaftigkeit als vielmehr durch einen Kraftverlust im Seitenvergleich gekennzeichnet. Bei Beteiligung der Subscapularissehne findet sich zusätzlich ein positiver Lift-off Test.

Tendinitis calcarea

Die Ursache für eine Tendinitis calcarea (Abb. 6) wird vor allem in den speziellen anatomischen Verhältnissen gesehen. Besonders oft wird eine Minderdurchblutung mit darauffolgender Degeneration und Nekrotisierung der Sehnenfasern als Ausgangszustand für die Entstehung eines Kalkdepots angegeben.

Gemäß allgemeiner Lehrmeinung ist die Entstehung der Kalkdepots in der Rotatorenmanschette auf eine zugrundeliegende Gewebshypoxie zurückzuführen, durch die es zu einer fibrokartilaginären Metaplasie im Sehnenbereich kommt. Aus der weiter fortschreitenden Hypoxie resultiert eine zunehmende Verkalkung der Knorpelsubstanz. Im 3. Stadium der Erkrankung erfolgt, nach vermehrter Gefäßeinsprossung durch Phagozytose, eine Kalkresorption und eine Regeneration der Sehne.

Das Altersmaximum der Tendinitis calcarea liegt zwischen dem 30. und 60. Lebensjahr. Diese Ergebnisse decken sich auch mit dem gehäuften Auftreten der Tendinitis calcarea in den Altersgruppen der 40–50-Jährigen [15]. Da bei ca. 10 % beide Schultern ein Kalkdepot aufweisen, wird auch eine konstitutionelle Prädisposition vermutet.

Das Kalkdepot bricht üblicherweise in die Bursa subacromialis ein und führt dort dann zu einer heftigen, akut schmerhaften Bursitis. Es kann jedoch auch in der Humeruskopf infiltrieren. Bei einem Einbruch in das glenohumerale Gelenk kommt es oft zu einer adhäsiven Kapsulitis.

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