Übersichtsarbeiten - OUP 09/2018

Digitale Medizin: Chancen für Unternehmen und Patienten

Digitalisierte Patientendaten sind auch die Grundlage für medizinischen 3D-Druck und damit den Trend zur personalisierten Medizin. Prothesen und individuelle Implantate in Losgröße 1 sind längst medizinische Praxis. Sogar der 3D-Druck einer voll funktionsfähigen künstlichen Haut ist bereits gelungen.

Alle genannten Trends sind schon heute technisch umsetzbar. Ob sie sich am Ende erfolgreich etablieren, hängt auch davon ab, ob sie erstattungsfähig sind und ob sie bei Ärzten, Pflegepersonal und Patienten auf positive Rückmeldung stoßen.

Finanzinvestoren
konsolidieren fragmentierte ambulante Strukturen

Immer mehr internationale Private-Equity-Gesellschaften investieren in deutsche Gesundheitsunternehmen. Zum einen benötigen in einer alternden Gesellschaft immer mehr Menschen medizinische Leistungen, Medikamente und Pflege. Zum anderen ist der Gesundheitsmarkt aufgrund seiner Konjunkturunabhängigkeit besonders attraktiv – vor allem der deutsche. Und während die einen fürchten, dass dadurch künftig nur noch finanziell besonders rentable Leistungen erbracht und diese zulasten der Versorgung in der Fläche zunehmend an attraktiven Standorten gebündelt werden, bildet der Einstieg kapitalstarker Partner für die anderen die Grundlage für weiteres Wachstum, mehr Effizienz und eine hochwertige medizinische Versorgung.

Die Ober-Scharrer-Gruppe (OSG) ist ein Beispiel aus der Augenheilkunde. Die 1982 gegründete Gruppe betreibt an 21 Standorten in Deutschland Zentren für operative Augenheilkunde. 2011 stieg die schottische Private-Equity-Gesellschaft Palamon Capital Partners (PCP) in das Unternehmen aus Fürth ein. Für Investor PCP eine lukrative Investition in einen Nischenmarkt, der nach PCP-Angaben ein stabiles Wachstum von 5–7 % aufweist.

Sirona, einer der weltweit wichtigsten Hersteller von technischem Werkzeug für Zahnarztpraxen, wurde 2005 erstmalig an den US-Fonds Madison Dearborn verkauft. Inzwischen hat das Unternehmen mehrfach den Besitzer gewechselt. Der skandinavische Private-Equity-Investor Nordic Capital übernahm in letzter Zeit u.a. den Zahnmedizindienstleister Zahnstation, das Dentallabor DPH Dental sowie das Zahnarztzentrum Adent. Auch im Bereich Pflegeheime ist Nordic Capital aktiv. So übernahmen die Skandinavier u.a. die Alloheim Senioren-Residenzen für 1,3 Milliarden Dollar. Der Berliner Betreiber Vitanas gehört inzwischen zu Oaktree (Los Angeles), die Marseille-Kliniken zu einer französischen Investorengruppe (Chequers Capital) und das Bayernstift zur Charleston Holding.

Als größter zahnmedizinischer Markt in Europa mit einem Gesamtumsatz von rund 26 Milliarden Euro (2015) sind auch deutsche Zahnarztpraxen ein immer beliebteres Ziel von Investoren. Zwar gibt es in Deutschland noch keine Gruppe, die mehr als 30 Standorte vereint, doch der Trend geht auch hier eindeutig zu Großpraxen und Praxisketten. Dazu kaufen die Finanzinvestoren meist ein Krankenhaus, an das ausgewählte Zahnarztpraxen als Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) angedockt werden. Die niederländische DentConnect-Gruppe, hinter der der milliardenschwere schwedische Finanzinvestor EQT steht, verfügt schon über mehr als 220 Zahnarztpraxen in 5 Ländern mit mehr als 850 Zahnärzten und fast einer Million
Patienten, darunter auch in Deutschland. Die Colosseum Dental Group kommt auf mehr als 230 Kliniken mit rund 1000 Zahnärzten in 7 Ländern. Auch die Altor-Tochter KonfiDents ist in diesem Markt aktiv. Das Netzwerk von Zahnärzten, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen versorgt Patienten deutschlandweit.

Prominentestes Beispiel aus dem orthopädischen Umfeld ist der Einstieg von EQT bei Otto Bock. Im vergangenen Sommer übernahmen die Schweden 20 % der Otto Bock HealthCare GmbH und wurden damit erster familienfremder Anteilseigner in der 98-jährigen Firmengeschichte.

Mit ihrem Einstieg forcieren die Investoren die Konsolidierung der bislang stark fragmentierten Strukturen im ambulanten Bereich. So ist der derzeit größte in Deutschland tätige Pflegeheimbetreiber, die französische Korian-Kette, in den vergangenen Jahren durch Übernahmen stark gewachsen und zählt inzwischen fast 30.000 Betten.

Durch die Zentralisierung von klassischen Backoffice-Funktionen wie Einkauf, Empfang, IT, Buchhaltung oder Reinigung können Kosten gesenkt werden, gemeinsames Marketing verbessert die Sichtbarkeit am Markt, die Auslastungsquoten steigen. Aber auch kleinere Einheiten wie Praxen können durch den günstigeren Einkauf von Gebrauchsmaterialien und Geräten profitieren, außerdem ermöglichen kapitalstarke Investoren bessere Praxisausstattungen mit neuen Geräten und erweitern die Fortbildungsmöglichleiten für Mitarbeiter.

Projekterfahrungen aus der Opthalmologie und dem Dentalbereich zeigen, dass eine EBITDA-Verbesserung von 15 Prozentpunkten für die einzelne Praxis möglich ist. Beim Umsatz liegt das Potenzial bei mehr als 10 %. Die maßgeblichen Hebel bilden effizientere Terminvergaben, Erinnerungen durch digitale Tools, eine verbesserte Abrechnung von erbrachten Leistungen sowie flexibleren Öffnungszeiten (Abb. 4).

Digitalisierung und Konsolidierung von Praxisstrukturen dürften aber – und das ist das vielleicht wichtigste Argument in der Diskussion – auch massiven Einfluss auf die Qualität der Gesundheitsversorgung in der Zukunft haben. Denn wenn sich Ärzte verstärkt auf ihr „Kerngeschäft“ konzentrieren, weil übergeordnete Strukturen nicht-medizinische Aufgaben wie Marketing, Einkauf oder Back-Office-Funktionen übernehmen, dient das der Qualität. Wenn Fachkräfte in erster Linie dort eingesetzt werden, wo sie wirklich gebraucht werden, nämlich beim Patienten, und wenn Trainings und Fortbildungsmaßnahmen zentral organisiert und angeboten werden, sollte dies ebenfalls im Sinne einer besseren Qualität sein. Auch der Transfer von Patienten zwischen verschiedenen spezialisierten Praxen in einer Gruppe funktioniert im Idealfall reibungslos, denn die Ärzte können sich stärker spezialisieren und auf ein Netzwerk von Empfehlungen zurückgreifen.

Nicht zuletzt kommt der Trend zur Konsolidierung und Bildung größerer Praxiseinheiten auch den Wünschen vieler Studierender entgegen: Die Mehrheit der Medizinstudenten ist inzwischen weiblich, viele scheuen die hohen Investitionen in eine Einzelpraxis, sie wollen lieber angestellt arbeiten, während viele ältere niedergelassene Ärzte vergeblich nach Nachfolgern suchen. Die Folge: MVZ boomen, sei es als Großpraxis, Kette oder Gruppe: So verzeichnet laut Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung (KZBV) allein der Anteil der MVZ mit angestellten Zahnärzten seit 2016 3-stellige Zuwachsraten – pro Quartal!

Digitalisierung als Chance: mehr Umsatz, mehr Qualität, mehr Expertise am Patienten

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