Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Dysphagie als Komplikation nach einer Operation an der Halswirbelsäule
Schnittstelle zwischen Logopädie und Orthopädie

Die VFSS erfolgt entsprechend der Empfehlungen als Tandemuntersuchung von Sprachtherapie und Radiologie. Für eine aussagekräftige und vergleichbare Interpretation sind eine standardisierte Durchführung und Auswertung unabdingbar [12]. Den Patienten werden dabei verschiedene kontrastmittelhaltige Boli (flüssig, passiert, fest) nach einem standardisierten Protokoll verabreicht, sodass der Bolusfluss und die Bewegungen der am Schluckakt beteiligten Strukturen in Echtzeit sichtbar werden (Abb. 3).

Neben dem Erfassen der funktionellen Aspekte, kann auch die Lebensqualität erfasst werden. Der SWAL-QoL ist ein standardisierter und validierter Fragebogen zur Erfassung von Lebensqualität in Bezug auf das Schluckvermögen [14]. Dieser beinhaltet 44 Fragen, die sich auf 10 Bereiche der Lebensqualität beziehen. Die einzelnen Items werden mit Schwerewerten von 1–5 beurteilt, je nachdem wie häufig die erfragten Symptome auftreten. Je geringer der summierte Punktwert ist, umso schwerer ist die Beeinträchtigung [14]. Für den Einsatz bei HWS-operierten Patienten wurde eine gekürzte Fassung (mit 16 Fragen) aufgrund statistischer und klinisch relevanter Unterschiede erstellt [13]. Hierbei sollten nicht ausschließlich signifikante Unterschiede im Vergleich im Fokus stehen, sondern auch die durch Patienten als klinisch relevant wahrgenommene Veränderung. Diese wurde beim SWAL-Q=L bei einem Unterschied von 9 Punkten in dieser Population angegeben [20].

Derzeit gibt es noch keinen Konsens über eine strukturierte Vorgehensweise in der Erfassung von Schluckstörungen bei dieser Patientenpopulation.

Biomechanische Veränderungen des Schluckens nach HWS-OP und schluckphysiologische Erklärungsansätze

Mittlerweile haben einige Studien die biomechanische Veränderung des Schluckes nach einer Operation an der HWS untersucht. Auch wenn im Rahmen einiger Studien Penetration/Aspiration sich nicht als das primäre Leitsymptom der schluckphysiologischen Veränderung gezeigt hat [4, 18], so sollte im Rahmen von prospektiven Studien mit Follow-up dieser Aspekt nicht außer Acht gelassen werden, da diese mit schweren Komplikationen und deutlichen medizinischen Risiken sowie erhöhten Kosten verbunden ist [27].

Sehr häufig jedoch sind Residuen festzustellen, diese sind zumeist in den Valleculae und Sinus piriformes zu finden. Das Auftreten der Residuen nach der Operation wird immer wieder mit geschwächten pharyngealen Konstriktoren sowie eine durch Schwellungen verdickte Pharyxhinterwand, und eine reduzierte Öffnung des pharyngo-ösophagealen Segments beschrieben.

In verschiedenen Studien wurde postoperativ eine dickere Pharynxhinterwand gemessen, diese resultiert aus prävertebralen Schwellungen aufgrund von Blutungen und Weichteiltraumen, die während einer ventralen Operation entstehen können. Dies kann zu einer reduzierten Epiglottis-Abkippung führen. Die Epiglottis-Abkippung während des Schluckens ist einer der Mechanismen, um die Atemwege zu schützen. Durch diesen Bewegungsvorgang kann der Bolus seitlich vorbei durch den Pharynx in Richtung Ösophagus gelangen. Demnach kann eine eingeschränkte Abkippung der Epiglottis zum einen zu pharyngealen Residuen im Bereich der Valleculae führen, zum anderen zu Penetration/Aspiration, sofern die anderen Schutzmechanismen nicht suffizient sind [12].

Die postoperativen Schwellungen können zudem zu einer herabgesetzten Motilität der Pharynxwände führen, wodurch eine reduzierte pharyngeale Austreibungswelle verursacht werden kann. Dies führt durch einen reduzierten Druck zu einem reduzierten Bolusfluss, sodass der Bolus nur unzureichend durch das pharyngo-ösophageale Segment befördert wird. Dies kann zu pharyngealen Residuen im Bereich der Sinus piriformes führen.

Die Öffnung des pharyngo-ösophagealen Segments (PÖS) wird ebenfalls in verschiedenen Studien als beeinträchtigt beschrieben [4, 9]. Eine mögliche Ursache für die reduzierte Öffnung kann die durch den mechanischen Eingriff notwendige Retraktion des aerodigestiven Traktes, also eine Verschiebung der Trachea und des Ösophagus, durch den Operateur sein. Eine weitere mögliche Erklärung für die reduzierte Öffnung des pharyngo-ösophagealen Segments könnten intraoperative Verletzungen des N. laryngeus inferior (recurrens) sein, der zusätzlich zum Plexus pharyngeus auch für die Innervation des M. cricopharyngeus zuständig ist [1]. Die Höhe des Operationslevels könnte mit der Öffnungsweite des pharyngo-ösophagealen Segments in einem signifikanten Zusammenhang stehen: Je höher das zu operierende zervikale Wirbelsegment, desto mehr war die Öffnungsweite des oÖS eingeschränkt [9].

Demnach ist die Wertung der Dysphagie als mechanische Zugangskomplikation einer ventralen Operation der Halswirbelsäule schlüssig. Doch zusätzlich zu der mechanischen Komponente, wird auch von neurogenen Mechanismen ausgegangen, die für die beobachteten Pathomechanismen verantwortlich sein können [24]. Dies erscheint auch nach Betrachtung der Ergebnisse verschiedener Studien plausibel, denn einige der postoperativ beeinträchtigten Parameter (Larynxelevation, Hyoidverlagerung, Zungengrundretraktion) lassen sich allein durch Schwellung oder mechanischen Einfluss nicht erklären [4].

Für das Schlucken relevante Strukturen sind die beiden Äste N. laryngeus superior und N. laryngeus recurrens des N. vagus (HN X) sowie der N. hypoglossus (HN XII). In Teilen ebenfalls betroffen sein können Nervenäste der Ansa cervicalis, welche die infrahyoidalen Muskeln sowie einen der suprahyoidalen Muskeln innervieren, die wiederum auch zur Verlagerung des hyolaryngealen Komplexes beitragen. Es kann vermutet werden, dass die Verlagerung des hyolaryngealen Komplexes durch die Distraktion dieser Strukturen beeinträchtigt werden kann. Eine mögliche Erklärung für die signifikante Verschlechterung des Parameters Zungengrundretraktion könnte sein, dass sich der N. hypoglossus ebenfalls im Operationsbereich befindet und dieser in die Zungengrundretraktion involviert ist. Dies wirft gleichzeitig die Frage auf, warum keine oralen Parameter beeinträchtigt sind, in deren Innervation der HN XII ebenfalls involviert ist. Dies könnte mit der Höhe des operativen Eingriffs erklärt werden [4]. Der Plexus pharynxis als komplexe und für das Schlucken essentielle Struktur sollte durch Beteiligung von N. glossopharyngeus, N. vagus und des superioren cervicalen Ganglions ebenfalls berücksichtigt werden, da diese Strukturen während einer Operation an der HWS verletzt werden können [8].

Schnittstelle Logopädie und Orthopädie

Schnittstellenprojekte am SRH Klinikum Karlsbad

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