Übersichtsarbeiten - OUP 04/2020

Dysphagie als Komplikation nach einer Operation an der Halswirbelsäule
Schnittstelle zwischen Logopädie und Orthopädie

Um ein besseres Verständnis für die Dysphagien bei diesem Patientenklientel zu bekommen, wurden im Rahmen einer Pilotphase im SRH Klinikum Karlsbad in Kooperation zwischen Abteilung Logopädie und dem Zentrum für Wirbelsäulenchirurgie, Orthopädie und Traumatologie (ZWOT) eine routinemäßige instrumentelle Schluckuntersuchung (Videofluoroskopie des Schluckens) bei Patienten vor und nach der Operation an der Halswirbelsäule durchgeführt [6]. Die SRH Hochschule für Gesundheit steht seit 2018 ebenfalls in Kooperation mit dem ZWOT, um Erkenntnisse über eine verbesserte Patientenversorgung zu erlangen.

Bisherige Projekte

Muss et al. untersuchten den Einfluss einer ACDF auf die Schluckfunktion und Schluckphysiologie mittels einer retrospektiven Analyse von prä- und postoperativen Videofluoroskopien in einer Serie von 17 Patienten. Es wurden sowohl funktionelle Parameter (PA-Skala und Residuen) sowie physiologische Parameter (Hyoidverlagerung) und anatomische Parameter (Dicke der Pharynxhinterwand) definiert, um Hinweise auf Veränderungen der Schlucksicherheit oder der Effektivität des Schluckes zu erhalten [18]. Die ausgewerteten Videofluoroskopie-Daten umfasste die Untersuchung von Flüssigkeit (5 ml und Schluck), einen Teelöffel Brei und einen Bissen Brot. Hieraus wurde der 5 ml Flüssigkeits-Schluck zur Analyse herausgegriffen und isoliert betrachtet, da dies bei den zur Verfügung stehenden Daten die einzig standardisierte Menge darstellte. Die Ergebnisse zeigten hinsichtlich der Schlucksicherheit bei 5 der 17 Patienten einen schlechteren PAS-Wert nach der Operation (p = .034). Bei 12 Patienten hat sich der Wert nicht verändert. Bezüglich der Schluckeffizienz zeigten 6 der 17 Patienten postdeglutitive Residuen in den Vallecullae (p=.016). Die vermehrt aufgetretenen Residuen in den Sinus Piriformes bei 4 der 17 Patienten (p = .063) zeigten sich nicht statistisch signifikant. Die durchschnittliche maximale Verlagerung des Hyoids nach superior war nach der Operation signifikant reduziert (p = .016), wohingegen bei der Verlagerung nach anterior keine signifikante Veränderung (p = .173) festgestellt wurde. Nach der Operation war die Pharynxhinterwand signifikant dicker als vor der Operation (p < .001), was auf pharyngeale Ödeme nach der Operation hinweist [18].

In einer weiteren Datenanalyse analysierten Duchac et al. einzelne Veränderungen schluckphysiologischer Parameter nach ventraler oder dorsaler HWS-Operation [4]. Hierbei wurden retrospektiv die prä- (1 Tag) und postoperativen ( M = 4) Videofluoroskopie-Datensätze von 28 Patienten ausgewertet. In der ventralen Gruppe konnten die Daten von 19 Patienten (9 w/10 m) analysiert werden, in die dorsale Gruppe wurden 9 Patienten in die Datenauswertung inkludiert. Die Videos wurden nach dem Protokoll des Modified Barium Swallow Impairment Profile [12] analysiert, um Veränderungen der einzelnen schluckrelevanten Parameter statistisch berechnen zu können. Zusätzlich wurden Faktoren wie Geschlecht, Alter, Revisions-OP, Anzahl der operierten Segmente und Beteiligung der oberen HWS in der Analyse berücksichtigt. Für einen umfassenden Überblick wurde zusätzlich eine Summenscore aus allen pharyngealen Parametern gebildet [4].

In der ventralen Gruppe zeigte sich der pharyngeale Summenscore nach der Operation signifikant höher (p < .000). Signifikante Veränderungen ergaben sich für die pharyngealen Parameter Hyoidverlagerung, pharyngeale Austreibungswelle, Öffnung des pharyngo-ösophagealen Segments, sowie für pharyngeale Residuen. In der dorsalen Gruppe zeigte sich der pharyngeale Summenscore nach der Operation ebenfalls signifikant höher (p = .015). Für einzelne Parameter konnten allerdings keine statistisch signifikanten Veränderungen nachgewiesen werden.

Aufgrund der retrospektiven Analysen mit jeweils kleinen Fallzahlen ist die Aussagekraft limitiert. Dennoch lassen die Ergebnisse vermuten, dass es sich sowohl um mechanische Komplikationen wie durch Schwellungen verursachte Auffälligkeiten beim Schluck handelt als auch Verletzungen der Nerven zu Störungen in der Schluckphysiologie führen [4].

Validierung eines klinischen Dysphagie-Screenings

Da nicht alle Patienten routinemäßig eine instrumentelle Untersuchung erhalten können (sowohl hinsichtlich Kosten und Ressourcen, aber auch hinsichtlich der rechtfertigenden Indikation), müssen klinische Verfahren zum Einsatz kommen, die zuverlässig und valide Risikopatienten detektieren können.

Darüber hinaus kann die Kenntnis über Risikofaktoren, die möglicherweise das Auftreten einer postoperativen Schluckstörung begünstigen, bereits vor der Operation zu einer umfassenden Aufklärung der Patienten und zielgerichteten Planung hinsichtlich eines möglichen intensivmedizinischen Versorgungsbedarfs sowie eines ressourcenorientierten Einsatzes durch die Logopädie führen.

Daher wurde eine prospektiv angelegte Studie in Kooperation von SRH Klinikum Karlsbad, ZWOT und SRH Hochschule für Gesundheit, Studiengang Logopädie initiiert, die sich einerseits mit den Risikofaktoren beschäftigt, aber auch die Validität eines klinischen Dysphagie-Screenings überprüfen möchte.

Ziel dieser Studie ist es, klinische Faktoren zu identifizieren, die zur frühzeitigen klinischen Feststellung einer Schluckstörung nach einer Operation an der Halswirbelsäule führen können. Mit Hilfe der Studienergebnisse soll die Komplikationsrate gesenkt und die Versorgungsqualität der betroffenen Patienten optimiert werden.

Alle Patienten, die im Rahmen eines infomed consent zugestimmt haben, können an der Studie teilnehmen. Hierfür durchlaufen sie ein festgelegtes Studienprotokoll, das sowohl aus Fragebögen (Bazaz-Score, Swal-QoL, Voice Handicap Index), einem Dysphagie-Screening (2 x 1 Teelöffel Wasser; 2 x 1 Schluck Wasser, 90 ml Times Water Swallow Test & Test of Mastication and Swallowing Solids) einer strukturierten klinischen Untersuchung der Schluckfunktionen und einer bildgebenden Diagnostik mittels Videofluoroskopie des Schluckaktes besteht. Die Untersuchungen finden vor der HWS-Operation, innerhalb einer Woche nach der Operation und bei subjektiven Beschwerden zu einem Follow-up mindestens 6 Monate statt.

Weiteres Projekt

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