Originalarbeiten - OUP 11/2013

Effekte einer pneumatischen Blutsperre im Rahmen einer Knietotalendoprothesen- Implantation
Eine Fall-Kontroll-StudieA case control study

S. Endres1, D. Stratmann2, A. Wilke2

Zusammenfassung: In der aktuellen Literatur gibt es unterschiedliche Angaben wann, wie lange, zu welchem Zeitpunkt eine Blutsperre verwendet werden soll. Zudem gibt es unterschiedliche Methoden, wie eine Blutsperre bei einer Operation angewendet werden kann. Welche Gründe sprechen also für oder gegen die Verwendung einer Blutsperre während der Implantation einer Knieendoprothese?

Unter Berücksichtigung der Ein- und Ausschlusskriterien wurden 87 Patienten (Fallgruppe: n = 59; Kontrollgruppe: n = 28) in die Studie eingeschlossen und ausgewertet.
Primäres Studienziel der vorliegenden Arbeit ist es, die postoperative Beugefähigkeit einer Knie-TEP in Abhängigkeit von der Anwendung einer Blutsperre zu untersuchen. Sekundäre Studienziele sind der Vergleich der ermittelten Daten für den perioperativen Blutverlust, den Transfusionsbedarf, den initialen Schmerzmittelbedarf und das Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose bzw. Embolie mit der aktuellen Literatur.

Im Einklang mit der aktuellen Literatur zeigte sich, dass der Transfusionsbedarf, das Auftreten von Komplikationen wie tiefe Beinvenenthrombose/Embolie, Nervenschaden, Gefäßverletzungen, lokale Weichteilschäden oder auch Wundheilungsstörungen/Infekte unabhängig von der Verwendung einer pneumatischen Blutsperre sind. Auch hinsichtlich der postoperativen Beugefähigkeit zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied. Lediglich beim subjektiven Schmerzempfinden und dem Schmerzmittelverbrauch innerhalb der frühen postoperativen Phase (1.–4. Stunde) zeigte sich ein signifikanter Vorteil zugunsten der Kontrollgruppe (ohne Tourniquet).

Zusammenfassend zeigte sich, dass der routinemäßige Einsatz der pneumatischen Blutsperre beim endoprothetischen Ersatz des Kniegelenks vermutlich zu einem verringerten intraoperativen Blutverlust mit besserer Darstellung der anatomischen Strukturen und einer optimalen Voraussetzung zur Zementierung der Komponenten führt. Ob allein die Reduktion des Schmerzmittelbedarfs in der frühen postoperativen Phase ein ausreichender Grund ist, auf die Blutsperre zu verzichten ist aufgrund der eigenen Ergebnisse und der aktuellen Literatur kritisch zu hinterfragen.

Schlüsselwörter: Tourniquet, Knie-TEP, klinisches Ergebnis, Komplikationen

 

Zitierweise

Endres S, Stratmann D, Wilke A: Effekte einer pneumatischen Blutsperre im Rahmen einer Knietotalendoprothesen-Implantation. OUP 2013; 11: 510–516 DOI 10.3238/oup.2013.0510–0516

Abstract: In current literature, there are different opinions when, how long, at what time a tourniquet should be used. In addition, there are different methods as a tourniquet can be used. So what are the reasons for or against the use of a tourniquet during the implantation of a total knee arthroplasty?

With regard to strict inclusion and exclusion criteria,
finally, 87 patients (case group: n = 59, control group:
n = 28) were enrolled and evaluated.

Primary objective of this study is to investigate the postoperative range of motion of a total knee arthroplasty depending on the application of a tourniquet. Secondary study objectives are the comparison between the data for perioperative blood loss, transfusion requirements, the initial need for analgesics and the occurrence of deep vein thrombosis or embolism with the current literature.

The results demonstrated that the need for transfusion, the incidence of complications such as deep vein thrombosis/embolism, nerve damage, vascular injury, local soft tissue injury or wound complications e.g. infections are independent of the use of a pneumatic tourniquet. Also in terms of postoperative range of motion, there was no statistically significant difference. Only in the subjective perception of pain and analgesic consumption within the early postoperative period (1.–4. hour), a significant advantage in favor of the control group (no tourniquet) was evident.

In summary, it was found that the routine use of the pneumatic tourniquet for total knee arthroplasty presumably leads to a reduced intraoperative blood loss with better representation of the anatomical structures, and an optimum condition for the cementation of the components. Whether the reduction of pain medication requirement in the early postoperative period is a sufficient reason to abandon the tourniquet should be considered critically because of the presented results and the data of the current literature.

Keywords: tourniquet, total knee arthroplasty, outcome, complications

 

Citation

Endres S, Stratmann D, Wilke A: Effects of tourniquet in total knee
arthroplasty with regard to functional outcome and complications. OUP 2013; 11: 510–516 DOI 10.3238/oup.2013.0510–0516

Hintergrund und
Fragestellung

Die Implantation eines künstlichen Kniegelenks gehört heute, nach dem Ersatz des Hüftgelenks, zu der am häufigsten durchgeführten Gelenkersatzoperation. Jährlich werden bundesweit etwa 160.000 Kniegelenkprothesen primär implantiert. Das postoperative Ergebnis bestimmt zum großen Teil den zusätzlichen Kostenaufwand für die Klinik als auch für den Versicherer als Kostenträger. So erfordert ein höherer intra- und postoperativer Blutverlust die Gabe von Erythrozytenkonzentraten, eine schlechte Beweglichkeit erfordert einen vermehrten krankengymnastischen Übungsaufwand, und eine tiefe Beinvenenthrombose verursacht zusätzliche Therapiekosten.

In der aktuellen Literatur gibt es unterschiedliche Angaben wann, wie lange, zu welchem Zeitpunkt eine Blutsperre verwendet werden soll. Zudem gibt es unterschiedliche Methoden wie eine Blutsperre bei einer Operation angewendet werden kann. Die Blutsperre kann von Anfang bis zum Ende der Operation erfolgen [1], sie kann nach Zementieren der Komponenten eröffnet werden [2] oder sie kann nur zum Zementieren der Komponenten erfolgen. Als möglicher Vorteil einer Blutsperre wird ein signifikant verminderter intraoperativer Blutverlust und eine bessere Übersicht und Trockenheit des Operationsgebiets angegeben, der eine optimale Fixierung der Komponenten mit Knochenzement ermöglicht [3].

Primäres Studienziel der vorliegenden Arbeit ist es, die postoperative Beugefähigkeit einer Knie-TEP in Abhängigkeit von der Anwendung einer Blutsperre zu untersuchen. Sekundäre Studienziele sind der Vergleich der ermittelten Daten für den perioperativen Blutverlust, den Transfusionsbedarf, den initialen Schmerzmittelbedarf und das Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose bzw. Embolie mit der aktuellen Literatur. Welche Gründe sprechen also für oder gegen die Verwendung einer Blutsperre während der Implantation einer Knieendoprothese?

Studiendesign und
Untersuchungsmethoden

Statistische Berechnung
der Studienpower

Bei einer Effektgröße von 0,8, einem ? von 0,05 und einer Gesamtfallzahl von n = 87 (Fallgruppe: n = 59; Kontrollgruppe: n = 28) errechnet sich eine Power von 0,93. [Software G-Power 3.1.5]

Einschlusskriterien

  • Auswertungszeitraum: Januar 2009 bis Dezember 2011,
  • Patienten/Operationen vom Autor (SE),
  • Alle Operationen wurden über einen vorderen Zugang nach Payr mit medialer Arthrotomie durchgeführt.
  • Alle Patienten wurden mit einem bikondylären Oberflächenersatz Typ Genesis II CR der Fa. Smith and Nephew, UK, versorgt.
  • Indikation zum bikondylären Oberflächenersatz war eine primäre Gonarthrose.

Ausschlusskriterien:

  • Präoperative Antikoagulanzientherapie,
  • Diabetes mellitus, bekanntes Malignom, rheumatoide Arthritis, anamnestisch bekannte tiefe Beinvenenthrombose oder Embolie,
  • Varus- oder Valgusdeformität von > 10°.

Demografische Daten

Für jeden Patienten wurden folgende Daten erfasst: Alter, Geschlecht, BMI (Body-Mass-Index), ASA-Klassifikation (American-Society-of-Anesthesiologists) und Narkoseverfahren.

Die Fallgruppe bilden Patienten, die unter Verwendung einer Blutsperre (380 mm Hg) operiert wurden, bei der Kontrollgruppe wurden die Patienten ohne Blutsperre operiert.

Die Entscheidung, ob eine Knieendoprothese mit oder ohne Blutsperre operiert wurde, erfolgte anhand einer Quasi-Randomisierung (abwechselnde Zuteilung) durch den Operateur. Unter Berücksichtigung der Ein- und Ausschlusskriterien wurden schließlich 87 von insgesamt 158 Patienten (Fallgruppe: n = 59; Kontrollgruppe: n = 28) in die Studie eingeschlossen und ausgewertet. Die erhobenen Daten sind der Tabelle 1 zu entnehmen. Die Gruppen weisen keine statistisch signifikanten Unterschiede bezüglich BMI, Geschlecht, ASA-Klassifikation, Alter und Anästhesieverfahren auf.

Operation, Aufwachraum,
postoperative Nachbehandlung

Die Blutsperre wurde noch vor Desinfektion des Operationsgebiets angelegt, nachdem das Bein ausgewickelt wurde. Erst nach Wundverschluss,
Anlage eines sterilen Verbands und
Wickeln des Beins wurde die Blutsperre wieder geöffnet. Die Operation erfolgte über einen vorderen Zugang nach Payr mit medialer Arthrotomie. Generell wurde eine intraartikuläre Drainage gelegt. Eine postoperative Thromboseprophylaxe wurde mit Mono-Embolex 0,3 s.c. (Cetroparin-Natrium Fa. Novartis) durchgeführt. Nach der Operation verbrachten die Patienten die erste Nacht in einem Aufwachraum. Jeder Patient erhielt 100 mg Diclofenac als Suppositorium und als intravenöse Gabe einen Schmerzmittelperfusor mit 30 mg Dipidolor + 2,5 mg Novalgin auf 50 ml NaCl (30 mg Piritramid mit 2,5 mg Metamizol auf 50 ml NaCl). Der Schmerzmittelverbrauch wurde in ml/h dokumentiert. Die Dosierung wurde individuell mit Hilfe der Visuellen Analogskala (NRS Numeric-Rating-Scale: 0–10) dem Schmerzniveau des Patienten angepasst. Am ersten postoperativen Tag wurde der Patient auf die periphere Station verlegt und die kontinuierliche Schmerztherapie mittels Perfusorpumpe beendet. Die Drainage wurde am 2. postoperativen Tag entfernt. Die krankengymnastische Übungsbehandlung begann am 2. postoperativen Tag mit täglichen Behandlungseinheiten von 45 min Dauer nach folgendem Schema:

In der ersten Woche war eine schmerzadaptierte Vollbelastung an 2 Unterarmgehstützen im 4-Punkte-Gang und ab der 2. Woche der Übergang zur Volllast ohne Unterarmgehstützen möglich. Die krankengymnastische Übungsbehandlung wurde jeden Tag durch eine manuelle Lymphdrainage und die Mobilisation zusätzlich ab dem 2. Tag durch die Verwendung einer CPM-Schiene (Continuous Passive Motion, 1x täglich à 30 min) unterstützt. Ab dem achten Tag kam eine individuell angepasste medizinische Trainingstherapie (MTT) dazu.

Prä- und postoperative
Beugefähigkeit

Zur Vergleichbarkeit mit aktuellen Studien wurde die prä- und postoperative Beugefähigkeit anhand eines Goniometers innerhalb des stationären Aufenthalts erfasst. Die Dokumentation erfolgte durch den Arzt als auch durch den behandelnden Physiotherapeuten.

Blutverlust und Transfusionsbedarf

Der intraoperative Blutverlust, die postoperative Drainagemenge sowie die Notwendigkeit von Bluttransfusionen wurden dokumentiert. Der Gesamt-Blutverlust wurde kalkuliert nach Gross [4].

Die Berechnung erfolgt nach folgender Formel:

 

Korrekturfaktor: männlich –2,74, weiblich –2,37.

Kalkulierter Blutverlust postoperativ nach Gross:

 

Schmerzmittelbedarf

In den beiden Gruppen wurde der postoperative Schmerzmittelbedarf innerhalb der ersten 24 Stunden erfasst.

Komplikationen

Erfasst wurden klinisch relevante Komplikationen, die einer nachfolgenden Therapie bedurften. Hierzu gehörten lokale Hautschäden im Bereich der Blutsperre, tiefe Beinvenenthrombosen/Embolien, Wundheilungsstörungen bzw. Infekte oder Nachblutungen und zusätzlich der Transfusionsbedarf.

Operationszeit und
Krankenhausverweildauer

Die Operationszeit wurde anhand der Operations- und Narkoseprotokolle festgehalten und die Krankenhausverweildauer mit Hilfe der Krankenakten ausgewertet.

Statistik

Von den erfassten Daten wurden die Mittelwerte und Standardabweichungen berechnet. Mittels T-Test, Chi-Quadrat-Test und Fisher-Exact-Test mit einem Signifikanzniveau p < 0,05 erfolgte die statistische Auswertung der Daten.

Der T-Test wurde für die Berechnung der Signifikanz der erhobenen Daten (Alter, BMI und ASA) sowie zur Auswertung der Ergebnisse bezüglich des berechneten Blutverlusts, des mittleren gemessenen Blutverlusts, der OP-Dauer und des Krankenhausaufenthalts verwendet.

Der Chi-Quadrat-Test wurde für die Berechnung der Signifikanz bei den Narkoseverfahren und bei der Geschlechtsverteilung verwendet.

Bei der Auswertung der postoperativ aufgetretenen Komplikationen wurde der Fischer-Exact-Test benutzt.

Ethikkommission

Für die vorliegende Arbeit liegt eine Genehmigung durch die Ethik-Kommission der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der medizinischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster vor (AZ 2011–022-f-S).

Ergebnisse

Prä- und postoperative
Beugefähigkeit

Präoperativ lag die durchschnittliche Beugefähigkeit in der Fallgruppe bei 76° ± 8 (Range 60°–90°) und in der Kontrollgruppe bei 79° ± 9 (Range 60°–100°). Postoperativ kam es zu einer Verbesserung der Beugefähigkeit (Präop. Versus postop: Fallgruppe p = 0,0001; Kontrollgruppe p = 0,0001), die am Tag der Entlassung in der Fallgruppe bei 94° ± 6 (Range 80°–110°) und in der Kontrollgruppe bei 92° ± 4 (Range 80°–100°) lag (Tab. 2). Der Unterschied zwischen beiden Gruppen war nicht signifikant (p = 0,17, nicht signifikant). Die Subgruppenanalyse der Beugefähigkeit zeigte bei Auswertung der Daten am 4., 6., 8. als auch am Entlassungstag keine statistischen Unterschiede zwischen der Fall- und der Kontrollgruppe.

Postoperativer Blutverlust

Der kalkulierte Blutverlust nach Gross zeigte einen signifikanten Unterschied (p = 0,05) zugunsten der Fallgruppe (mit Tourniquet) mit 1890 ml ± 590 (Range 660–3780 ml) versus 2180 ml ± 460 (Range 1270–3210 ml). Einen sehr signifikanten Unterschied (p = 0,002) zugunsten der Fallgruppe (mit Tourniquet) zeigte sich auch beim Blutverlust über die Drainagen (730 ml ± 328; Range 170–1650 ml versus 911 ml ± 361; Range 320–1700 ml). Bei der Auswertung des Transfusionsbedarfs zeigte sich allerdings, dass trotz der statistisch signifikanten Unterschiede beim kalkulierten Blutverlust nach Gross und dem Drainageverlust kein Unterschied (p = 0,26) in der Transfusionshäufigkeit nachweisbar war (8 EK´s versus 4 EK´s)(Tab. 3).

Schmerzmittelbedarf in den
ersten 12 Stunden postoperativ

In der Fall- und der Kontrollgruppe war der durchschnittliche Gesamtbedarf
in den ersten 12 Stunden mit 2,2 mg/h ± 0,74 (Range 1–3,95) und 2,1 mg/h ± 0,43 (Range 1–3,32) annähernd gleich. Ein statistisch signifikanter Unterschied war nicht nachweisbar (p = 0,32). Bei einer genaueren Analyse der Untergruppen zeigte sich, dass der Verbrauch in den ersten 4 Stunden in der Kontrollgruppe hochsignifikant geringer war (p = 0,0013). Im mittleren Zeitraum (5–8 h) ist der Schmerzmittelbedarf in beiden Gruppen annähernd gleich (p = 0,18) und in den letzten 4 Stunden (9–12 h) nahezu identisch (p = 0,88).

Operationszeit und Verweildauer

Die Operationszeit war in beiden Gruppen vergleichbar und zeigte keine signifikanten Unterschiede (p = 0,74). Die durchschnittliche Operationszeit in der Fallgruppe beträgt 77,8 min ± 14,8 (Range: 53–128 min) und in der Kontrollgruppe 78,8 min ± 8,1 (Range: 64–94 min). Der Krankenhausverweildauer lag in der Fallgruppe durchschnittlich bei 11,1 Tagen ± 2,66 (Range: 8–25 Tage) und in der Kontrollgruppe bei 10,64 Tagen ± 1,59 (Range: 8–14 Tage) (p = 0,42, nicht signifikant).

Postoperativ aufgetretene
Komplikationen

Komplikationen wie lokale Hauterosionen, tiefe Beinvenenthrombose, Wundheilungsstörungen, postoperative Kniegelenkteilsteifen, Nervenschäden, Gefäßverletzungen oder Nachblutungen sind der Tabelle 5 zu entnehmen. Ein signifikanter Unterschied zwischen Fall- und Kontrollgruppe konnte nicht festgestellt werden.

Diskussion

Die Verwendung einer pneumatischen Blutsperre beim endoprothetischen Ersatz des Kniegelenks wird in der aktuellen Literatur unverändert kontrovers diskutiert.

Eine Meta-Analyse von 893 Knie-TEPs hat gezeigt, dass der Gesamt-Blutverlust, der Transfusionsbedarf als auch die Operationszeit signifikant größer sind, wenn die Blutsperre vor dem Wundverschluss geöffnet wird. Eine plausible Erklärung ist die nach Öffnen der Blutsperre eintretende Hyperämie der operierten Extremität [5, 6].

Warum in der vorliegenden Arbeit der kalkulierte Blutverlust nach Gross [4] in der Fallgruppe mit durchschnittlich 1890 ml signifikant geringer war als in der Kontrollgruppe mit durchschnittlich 2140 ml (p = 0,05), kann abschließend nicht sicher geklärt werden. Eine mögliche Erklärung ist, dass ohne Blutsperre Blutungen zwar besser gesehen und gestillt werden können, aber auch mit einem vermehrten Blutverlust einhergehen. Die Anlage des elastischen Verbands vor Öffnen der Blutsperre und der dadurch bedingten Kompression ist womöglich eine Erklärung für den verminderten Blutverlust in der Fallgruppe. Eine Meta-Analyse von 1040 Knie-TEPs weist eine ähnliche Beobachtung auf. Smith und Hing kommen zu der Schlussfolgerung, dass ohne Blutsperre zwar der intraoperative Blutverlust größer ist, der Gesamt-Blutverlust als auch der Transfusionsbedarf allerdings unbeeinflusst bleiben [7]. Dies spiegelt sich letztlich im Transfusionsbedarf wieder, da ein signifikanter Unterschied zwischen Fall- und Kontrollgruppe nicht nachweisbar war (p = 0,26). Allerdings ist die Fallzahl der vorliegenden Studie zu klein, somit müssen die Schlussfolgerungen kritisch betrachtet werden.

Nur ganz wenige Studien befassen sich mit der Erfassung von postoperativen Schmerzen und dem Schmerzmittelverbrauch. In der vorliegenden Arbeit wurden der globale Schmerz und der Schmerzmittelverbrauch innerhalb der ersten 12 h postoperativ erfasst. Ein signifikanter Unterschied im Schmerzmittelverbrauch (p = 0,0013) lag allerdings lediglich in den ersten 4 Stunden postoperativ vor. Höchstwahrscheinlich ist der erhöhte Verbrauch an Schmerzmitteln in der Fallgruppe mit der Benutzung einer pneumatischen Blutsperre verbunden. Ähnliche Ergebnisse zeigen die Studien von Abdel-Salam et Eyres [8] und Vandenbusche et al. [9], die ebenfalls einen erhöhten Schmerzmittelbedarf bei der Verwendung einer Blutsperre nachweisen konnten.

Kontrovers wird dagegen das Risiko einer tiefen Beinvenenthrombose bei Verwendung einer Blutsperre gesehen, wobei die medikamentöse Thromboseprophylaxe eine entscheidende Rolle spielt. Im angloamerikanischen Raum wird häufig Warfarin [2, 10] und in Europa werden niedermolekulare Heparine zur medikamentösen Thromboseprophylaxe eingesetzt [8]. Auch der Beginn der medikamentösen Thromboseprophylaxe wird unterschiedlich gehandhabt. Es gibt sowohl den prä- als auch postoperativen Beginn. Daneben gibt es noch die Möglichkeit der zusätzlichen mechanischen Kompression über sog. Anti-Thrombosestrümpfe (ATS), aber auch hierbei variiert die Kompressionsklasse als auch die Dauer der Anwendung.

Wakankar et al. untersuchten im Rahmen einer kontrolliert, randomisierten klinischen Studie die Inzidenz der tiefen Beinvenenthrombose bei Verwendung einer Blutsperre im Rahmen einer Knietotalendoprothesenimplantation [10]. Wie in der vorliegenden Arbeit fand sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen beiden Gruppen. Diese Beobachtungen wurden auch von anderen Autoren bestätigt [9, 11]. Nach aktuellem Wissensstand gibt es nur eine einzige Arbeit von Abdel-Salam und Eyres, die diesen Beobachtungen widerspricht und ein erhöhtes Thromboserisiko (10 %) bei Verwendung einer Blutsperre nachweisen konnten [8]. Das vermutlich nicht erhöhte Risiko einer tiefen Beinvenenthrombose gründet auf den Beobachtungen von Fahmy und Patel und Aglietti et al.. Sie beobachteten in der Tourniquet-Gruppe nach Lösen der Blutsperre eine erhöhte fibrinolytische Aktivität im Blut und vermuten, dass es zu einer Aktivierung von Plasminogen-Activator aus dem vasculären Endothel kommt, was letztlich zur Abnahme der Thrombosehäufigkeit führt [12, 13].

Ein schlechtes postoperatives Ergebnis oder eine verminderte postoperative Beugefähigkeit kann mit längeren Operationszeiten, wie z.B. in der Arbeit von Vandenbusche et al. [9] (durchschnittlich 151 min), assoziiert sein, da das Risiko einer Schwellung, der intraartikulären Ergussbildung und der Muskeldysfunktion erhöht ist. Ein direkter Vergleich mit der vorhandenen Literatur ist diesbezüglich schwierig, weil zum Teil nur zwischen einer Beugefähigkeit von < 90° oder > 90° unterschieden wird [9].

In der aktuellen Arbeit zeigen sich keine Unterschiede in der postoperativen Beugefähigkeit zum Zeitpunkt der Entlassung (94° vs. 92°; p = 0,17) und dem postoperativen Schmerzmittelverbrauch (2,2 mg/h vs. 2,1 mg/h; p = 0,32). Die Operationszeiten lagen in der Fallgruppe und der Kontrollgruppe bei durchschnittlich 77,8 bzw. 78,8 min (nicht signifikant; p = 0,74). Verglichen mit der Arbeit von Li et al. aus dem Jahre 2009 bestätigt sich, dass die pneumatische Blutsperre scheinbar keinen Einfluss auf die postoperative Beugefähigkeit und das subjektive Schmerzempfinden hat [1]. Abdel-Salam et Eyres kommen allerdings zu einem vollkommen anderen Ergebnis. Sie fanden in ihrer Arbeit einen signifikanten Vorteil zugunsten der Gruppe, die ohne Tourniquet operiert worden sind [8].

Gründe hierfür sind, dass das präoperative Bewegungsausmaß häufig unterschiedlich ist, und möglicherweise besteht auch ein Zusammenhang zwischen Operateur und Wahl des Zugangswegs zum Kniegelenk.

In dieser Studie handelt es sich ausschließlich um Patienten, die von einem Operateur (SE) versorgt worden sind. In den Arbeiten von Wakankar et al. [10] handelt es sich dagegen um 5, bei Li et al. [1] um 4 Operateure, die letztlich einen nicht zu vernachlässigenden Einflussfaktor darstellen. Aber auch andere Faktoren, die in keiner der Studien evaluiert wurden, könnten eine Rolle spielen. Zum Beispiel die Intensität oder der Beginn der Physiotherapie. Bei Li et al. [1] wird mit der Mobilisation 24 Stunden postoperativ mit einer Belastung von ½ Körpergewicht angefangen. Es wird keine CPM-Schiene (Continuous Passiv Motion) benutzt, aber es werden direkt postoperativ isometrische Übungen durchgeführt. Ein anderes Vorgehen findet man in der Arbeit von Vandenbussche et al. [9], der ab dem 2. postoperativen Tag isometrische Übungen sowie eine Mobilisation mit vollem Körpergewicht beschreibt. In der Studie von Abdel-Salam et Eyres [8] wird ab dem 2. postoperativen Tag nur der Einsatz einer CPM-Schiene angegeben. Zu einer Mobilisation mit Teil- oder Vollbelastung werden keine Angaben gemacht.

Im Vergleich dazu wurden in dieser Arbeit die Patienten ab dem 2. postoperativen Tag unter Vollbelastung mobilisiert. In der ersten Woche durfte der Patient schmerzadaptiert mit Unterarmgehstützen voll belasten und ab der 2. Woche war bereits eine Vollbelastung ohne Unterarmgehstützen erlaubt. Die Mobilisation wurde ab dem 2. Tag durch isometrische Übungen der Muskulatur des Beines und durch eine CPM-Schiene unterstützt.

Stärken und Schwächen
der vorliegenden Arbeit

Die geringe Anzahl an Patienten ist ein Nachteil dieser Untersuchung, ebenso dass es sich nicht um eine prospektiv randomisierte Studie handelt.

Da es sich ausschließlich um Ergebnisse eines erfahrenen Operateurs in der Knieendoprothetik handelt und somit ein standardisiertes operatives Vorgehen in Kombination mit dem immer gleichen Endoprothesensystem gewährleistet ist, sind die Ergebnisse hinsichtlich der untersuchten Parameter valide.

Fazit für die Praxis

Im Einklang mit der aktuellen Literatur zeigte sich, dass der Transfusionsbedarf, das Auftreten von Komplikationen wie tiefe Beinvenenthrombose/Embolie, Nervenschaden, Gefäßverletzungen, lokale Weichteilschäden oder auch Wundheilungsstörungen/Infekte unabhängig von der Verwendung einer pneumatischen Blutsperre sind. Auch hinsichtlich der postoperativen Beugefähigkeit zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied. Lediglich beim subjektiven Schmerzempfinden und dem Schmerzmittelverbrauch innerhalb der frühen postoperativen Phase (1.–4. Stunde) zeigte sich ein signifikanter Vorteil zugunsten der Kontrollgruppe (ohne Tourniquet).

Zusammenfassend zeigte sich, dass der routinemäßige Einsatz der pneumatischen Blutsperre beim endoprothetischen Ersatz des Kniegelenks vermutlich zu einem verringerten intraoperativen Blutverlust mit besserer Darstellung der anatomischen Strukturen und einer optimalen Voraussetzung zur Zementierung der Komponenten führt. Ob allein die Reduktion des Schmerzmittelbedarfs in der frühen postoperativen Phase ein ausreichender Grund ist, auf die Blutsperre zu verzichten, ist aufgrund der eigenen Ergebnisse und der aktuellen Literatur kritisch zu hinterfragen. Dementsprechend sollte routinemäßig eine Blutsperre bei der Knie-TEP-Implantation verwendet werden.

 

Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors bestehen.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Stefan Endres

Orthopädische Chirurgie,
Kreiskrankenhaus Rheinfelden/
Baden

Am Vogelsang 4

79618 Rheinfelden/Baden

endres.stefan@klinloe.de

Literatur

1. Li B, Wen Y, Wu H, Qian Q, Lin X, Zhao H. The effect of tourniquet use on hidden blood loss in total knee arthroplasty. International orthopaedics 2009; 33: 1263–1268.

2. Tetro AM, Rudan JF. The effects of a pneumatic tourniquet on blood loss in total knee. Can J Surg. 2001; 44:33–38

3. Insall JN, Hass SB. Complications in total knee arthroplasty. In: Insall JN, editor. Surgery of the knee, 2nd ed, 2. New York: Churchill Livingstone, 1993: 891

4. Gross JB. Estimating allowable blood loss: corrected for dilution. Anesthesiology 1983; 58: 277–280.

5. Rama KR, Apsingi S, Poovali S, Jetti A. Timing of tourniquet release in knee arthroplasty. Meta-analysis of randomized, controlled trials. J Bone Joint Surg Am. 2007; 89: 699–705.

6. Silver R, de la Garza J, Rang M, Koreska J. Limb swelling after release of a tourniquet. Clin Orthop Relat Res. 1986; 206: 86–89.

7. Smith TO, Hing CB. Is a tourniquet beneficial in total knee replacement surgery? A meta-analysis and systematic review. Knee 2010; 17:. 141–147.

8. Abdel-Salam A, Eyres KS. Effects of tourniquet during total knee arthroplasty. J Bone Joint Surgery Br 1995; 77: 250–253.

9. Vandenbussche E, Duranthon LD, Couturier M, Pidhorz L, Augereau B. The effect of tourniquet use in total knee arthroplasty. International Orthopaedics 2002; 26: 306–309.

10. Wakankar HM, Nicholl JE, Koka R, D`Arcy JC. The tourniquet in total knee arthroplasty. A prospective, randomised study. J Bone Joint Surg (Br) 1999; 81: 30–33.

11. Fukuda A, Hasegawa M, Kato K, Shi D, Suda A, Uchida A. Effect of tourniquet application on deep vein thrombosis after total knee arthroplasty. Arch Orthop Trauma Surg 2007; 127: 671–675.

12. Aglietti P, Baldini A, Vena LM, Abbate R, Fedi S, Falciani M. Effect of tourniquet use on activation of coagulation in total knee replacement. Clin Orthop Relat Res 2000; 371: 169–177.

13. Fahmy NR, Patel DG. Haemostatic changes and postoperative deep vein thrombosis associated with use of a pneumatic tourniquet. J Bone Joint Surg (Am) 1981; 63: 461–465.

Fussnoten

1 Orthopädische Chirurgie, Kreiskrankenhaus Rheinfelden/Baden

2 Orthopädie und Unfallchirurgie, Elisabeth-Klinik Bigge/Olsberg

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