Arzt und Recht - OUP 05/2016

Facharztstandard während Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft*

Ist für den in der Rufbereitschaft befindlichen Arzt bereits vor Dienstbeginn bei einem konkreten Patienten absehbar, dass es zu Komplikationen kommen könnte, die der im Bereitschaftsdienst befindliche Arzt nicht bzw. nicht sicher beherrschen kann, muss er dem im Bereitschaftsdienst befindlichen Arzt Verhaltens- und/oder Alarmierungsanweisungen geben.

Ebenso kann es zu den Aufgaben des Arztes in der Rufbereitschaft gehören zu erkennen, ob der Arzt im Bereitschaftsdienst ein aktuell zu bewältigendes medizinisches Problem angesichts seiner Aufgabenfülle überhaupt meistern kann23.

Schließlich beschränkt sich die Dienstpflicht eines in der Rufbereitschaft befindlichen Arztes nicht nur darauf, am Telefon für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Vielmehr kann es, je nach Situation und Qualifikation des im Bereitschaftsdienst befindlichen Arztes geboten sein, Anweisungen zu erteilen, in welchen Situationen (z.B. Notaufnahme eines Patienten in der Nacht, Aufnahme eines Patienten auf die Intensivstation usw.) der Arzt in der Rufbereitschaft zu informieren ist und es nicht dem (Assistenz-)Arzt im Bereitschaftsdienst zu überlassen, wann er aktiv wird und sich an den Facharzt im Hintergrund wendet.

Wird der in der Rufbereitschaft befindliche Arzt informiert oder alarmiert, muss er sich die Situation schildern lassen und die zur Gewährleistung des Facharztstandards erforderlichen Maßnahmen in die Wege leiten24. Dazu gehört dann auch die Entscheidung, ob die Anweisungen auf der Grundlage des geschilderten Sachverhalts telefonisch getroffen werden können oder das unverzügliche Aufsuchen des Patienten im Krankenhaus erforderlich ist.

Der in Rufbereitschaft befindliche Arzt muss sämtliche relevanten Tatsachen von dem Arzt im Bereitschaftsdienst abfragen! Schon Florence Nightingale hat in ihren „Notes on nursing25“ zu Recht darauf hingewiesen, dass es Tatsachen sind und nicht Meinungen, die abzufragen sind. Antworten wie die, dass es dem Patient „gut“ oder auch „schon besser“ geht, der Patient „stabil“ oder „ansprechbar“ sei, sind nichtssagend und damit für den Arzt in der Rufbereitschaft nicht hilfreich. Die Frage des Arztes in der Rufbereitschaft kann also nicht lauten „Wie geht’s dem Patienten?“. Vielmehr sind Tatsachen, konkrete Befunde usw. abzufragen, um sich ein verlässliches Bild von der Situation des Patienten machen zu können.

Wird der in der Rufbereitschaft befindliche Oberarzt von der Hebamme alarmiert und gebeten, ins Krankenhaus zu kommen, übernimmt dieser Oberarzt regelmäßig noch keine Verpflichtung, ärztlich tätig zu werden, wenn er die Hebamme zunächst anweist, sie solle ein engmaschiges CTG erstellen. Damit hält er sich noch als bloßer Ratgeber im Hintergrund. Ist die Anleitung zur engmaschigen Erstellung eines CTG sachgerecht, kann er insbesondere auch nicht für eine Entwicklung verantwortlich gemacht werden, die zwischen dieser Anweisung und seinem Eintreffen im Krankenhaus eintritt26.

Fussnoten

* Nachdruck aus ArztRecht 3/2016 mit freundlicher Genehmigung des Verlags für ArztRecht, Fiduciastraße 2, 76227 Karlsruhe, www.arztrecht.org

1 Prof. Dr. med. Uwe Schulte-Sasse, Heilbronn; Rechtsanwalt Dr. Bernhard Debong, Fachanwalt für Medizinrecht und Arbeitsrecht, Kanzlei für ArztRecht, Karlsruhe

2 BGH, Urteil vom 10.3.1992 – VI ZR 64/91 – ArztR 1992, 368ff

3 so z.B. OLG Frankfurt, Urteil vom 23.9.1993 – 1 U 226/89 – MedR 1995, 75ff

4 vgl. dazu Kern in Ratzel/Lissel, Handbuch des Medizinschadensrechts, § 3 Rdnr. 17 mit Nachweisen zur Rechtsprechung

5 z.B. Qualitätssicherungsrichtlinie zum Bauchaortenaneurysma (Bundesanzeiger AT 31.12.2014 B 7), in Kraft getreten am 1.1.2015, wonach bei der Versorgung von Patienten mit offen-chirurgisch oder endovaskulär behandlungsbedürftigem Bauchaortenaneurysma entweder ein eigenständiger fachärztlicher gefäßchirurgischer Bereitschaftsdienst im Haus oder binnen 30 Minuten ein fachärztlicher gefäßchirurgischer Rufbereitschaftsdienst am Patienten zur Verfügung stehen muss.

6 Urteil vom 20.8.1992 – 14 U 3/92 – ArztR 1994, 19ff

7 Urteil vom 8.8.2013 – 1 Ca 1807d/12

8 Urteil vom 15.4.2014 – 2 O 266/11 – vgl. dazu Besprechungsaufsatz Bruns, Zu wenig und zu schlecht ausgebildetes Personal – Der Klinik-Geschäftsführer haftet persönlich! – ArztR 2014, 285ff

9 Urteil vom 15.4.2014 a.a.O. Seite 288

10 Urteil vom 27.3.2012 – 5 U 7/08

11 Urteil vom 3.2.1998 – VI ZR 356/96 – ArztR 1998, 260

12 so ausdrücklich BGH a.a.O.

13 BGH, Urteil vom 27.9.1983 – VI ZR 238/81 – NJW 1984, 655 f

14 Urteil vom 1.9.2008 –3 U 245/07

15 Urteil vom 30.9.2004 – 3 KLs 400 Js 109903/01 – ArztR 2005, 205ff.; vgl. dazu auch Schulte-Sasse/Bruns, Fachübergreifender Bereitschaftsdienst – Lebensgefahr als Folge von Kosteneinsparungen – ArztR 2006, 116ff

16 so Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 13.5.1994 – 9 Sa 1555/93 – ArztR 1996,187ff

17 so ausdrücklich Hessisches Landesarbeitsgericht a.a.O.

18 so Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25.3.2014 – 6 Sa 357/13

19 Urteil vom 18.4.2006 – 8 U 107/05

20 so ausdrücklich BGH, Urteil vom 12.7.1994 – VI ZR 299/93 – NJW 1994, 3008f

21 so ausdrücklich BGH, Urteil vom 26.4.1988 – VI ZR 246/86 – ArztR 1989, 241ff

22 so OLG Düsseldorf, Urteil vom 17.3.2011 – 8 U 108/09

23 Dies ist bei Zuständigkeit eines Arztes im Bereitschaftsdienst für Notaufnahme, Bettenstationen und Intensivstation zumindest fraglich.

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