Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018

Gelenkersetzende Therapie bei Gonarthrose

Am Häufigsten werden Knieprothesen des Kopplungsgrads CR oder PS für die primäre Implantation verwendet. Deshalb soll im Folgenden die Abgrenzung beider Systeme mit möglichen Vor- und Nachteilen dargestellt werden.

Traditionell überwiegt in Deutschland die Verwendung von hinteren Kreuzband erhaltenden Knieprothesen (CR) gegenüber den HKB-ersetzenden (PS). Diese werden i.d.R. nur bei fehlendem HKB, Revisionen oder bei der Notwendigkeit des ausführlichen Release, z.B. bei Beugekontrakturen, verwendet. Als gefürchtete Hauptargumente gegen die Verwendung von PS-Prothesen werden der erhöhte Knochenverlust durch die Boxpräparation, der erhöhte Abrieb am Zapfen und die schlechtere Propriozeption durch das Fehlen des HKB postuliert. Neuere PS-Designs kommen allerdings mit einer sehr kleinen Box aus, sodass es hier nur zu einem sehr geringen Knochenverlust kommt. Ebenso konnte gezeigt werden, dass es keinen Unterschied in der Propriozeption von CR und PS-Prothesen gibt [44]. Ein großer
Anteil vermeintlich HKB-erhaltender Prothesen weist aber tatsächlich eine hintere Instabilität auf, da eine reguläre tibiale
Resektion häufig des tibialen Ansatz des HKB vollständig entfernt [45].

Eine Vielzahl von experimentellen und klinischen Studien sehen aber auch für die generelle Verwendung von PS-Prothesen Vorteile. Fluoroskopische Studien zur Kinematik des Kniegelenks zeigten, dass PS-Prothesen im Gegensatz zu CR-Prothesen ein reproduzierbares „Roll-back“ des Femurs auf dem Tibiaplateau haben [46–49]. Dieser Mechanismus verbessert die biomechanischen Voraussetzungen für den Streckapparat. So konnte experimentell gezeigt werden, dass die Kraft, welche durch den M. quadrizeps für die Streckung des Kniegelenks benötigt wird, bei PS-Prothesen um 20 % niedriger ist als bei CR-Prothesen [50]. Ebenso ist der patellofemorale Anpressdruck bei PS-Prothesen im Vergleich zu CR-Prothesen um 20 % reduziert [51].

Der Zapfen-Steg-Mechanismus des PS-Systems ermöglicht das roll-back in jedem Fall und ist weniger anfällig für operative Abweichungen als das CR-System. So vermindern bei einem CR-Kniesystem ein zu geringer posteriorer Slope der Tibia [52] und ein verminderter posteriorer Offset der Femurkondylen [53] die postoperative Beugefähigkeit, während dies bei einem PS-System nicht der Fall ist.

In einer Cochrane-Metaanalyse wurde gezeigt, dass die Beugefähigkeit von PS-Prothesen im Schnitt 8° besser ist als die der CR-Prothesen [54]. Es ist anzunehmen, dass die Gründe hierfür in o.g. biomechanischen Vorteilen liegen.

Für die Langzeithaltbarkeit zeigen sich sowohl Studien, die ein erhöhtes Lockerungsrisiko für die PS-Prothese gegenüber der CR-Prothese sehen (z.B. Mayo-Klinik) [55], als auch Studien, die keinen Unterschied nachweisen können (z.B. Australisches Prothesenregister) [56]. Allen diesen Studien fehlt es an der Vergleichbarkeit der Indikationen, da bei gleichzeitiger Verfügbarkeit zweier Systeme i.d.R. bei vermeintlich fortgeschrittenen Indikationen (z.B. Beugekontraktur, Achsabweichung u.ä.) die Wahl auf das PS-System fällt [57].

Vergleichende klinische Studien zeigen i.d.R. keinen Unterschied in den gebräuchlichen Scores, da diese für die Beugefähigkeit bereits bei 125° einen Maximalwert vergeben. Dennoch finden sich hier häufiger Vorteile in Bezug auf maximale Flexion und Patientenzufriedenheit für die PS-Systeme [57].

In der Zusammenfassung zeigen sich kinematische und experimentell biomechanische Vorteile für die PS-Systeme gegenüber den CR-Systemen. Ebenso erscheint die Implantationstechnik fehlerverzeihender und reproduzierbarer, da die Rekonstruktion der sagittalen Stabilität (femoraler posteriorer offset, tibialer slope und Balancing des HKB) vereinfacht ist. In klinischen Studien können diese Vorteile mit Ausnahme der verbesserten Beugefähigkeit aber häufig nicht nachgewiesen werden.

In der Praxis des Autors stellt die PS-Knieprothese die primäre Versorgung dar. Soll die CR-Prothese das primäre Implantat sein, dann empfiehlt es sich dennoch, bei folgenden Indikation eine PS-Prothese zu wählen [58]:

sekundäre Arthrose bei rheumatoider Arthritis (fragliche Intaktheit des HKB)

Zustand nach Patellektomie (verbesserter Hebelarm)

Zustand nach vorheriger Umstellungsosteotomie (einfacheres Balancing)

a) der proximalen Tibia

b) des distalen Femur

posttraumatische Arthrose mit HKB-Insuffizienz

starke Varus- oder Valgusfehlstellung mit Notwendigkeit des höhergradigen Bandrelease (einfacheres Balancing)

ausgeprägte Beugekontraktur (Notwendigkeit der HKB-Resektion)

präoperativ sehr gute Beweglichkeit (> 125°) und hoher Anspruch des Patienten an Beweglichkeit.

Neben der klassischen PS-Prothese gibt es weitere Formen der das hintere Kreuzband ersetzenden Knieprothesen:

ap-Stabilisierung mits
hochkongruenten Inlays

UC-Knie-TEP („ultra-congruent, UC“, „deep dished, DD“, hochkongruentes Inlay, hinteres Kreuzband kann erhalten werden)

Durch Verwendung eines PE-Inlays, welches eine ausgeprägtere Konkavität besitzt als das Standard-Inlay, kann eine verbesserte ap-Stabilität erzielt werden. Insbesondere werden der vordere und hintere Rand des PEs erhöht, um eine Luxation zu verhindern. Hierbei kann das hintere Kreuzband entfernt werden, kann aber auch belassen werden. Diese Implantate sind i.d.R. voll kompatibel zur CR-Variante. Dies bedeutet, dass keine Veränderungen an der Femurpräparation vorgenommen werden müssen, wie z.B. die Boxpräparation des PS-Typs.

Die klinischen Ergebnisse der hochkongruenten Inlays sind durchaus gut und die Inlays sind in der Lage, eine ap-Instabilität zu kompensieren [59, 60]. Allerdings führen sie zu einer völligen Aufhebung des „Roll-back“-Mechanismus durch eine Zentrierung des tibio-femoralen Kontaktpunkts in der Konkavität des Inlays [61]. Dies bedeutet auch eine Verschlechterung des Hebelarms des Streckapparats mit erhöhtem patellofemoralen Druck und erhöhtem Kraftaufwand im Vergleich zur PS-Prothese [50, 51]. Daneben kommt es durch die großen Kontaktflächen zu einem vermehrten Abrieb und durch kleinere Abriebpartikel zu einer erhöhten Osteolyserate [62–64].

Mobile Gleitlager

Eine Sonderform der hochkongruenten Gleitlager stellen sog. „mobile Gleitlager“ („mobile bearing“) dar. Im Gegensatz zu den Implantaten, bei denen das PE-Inlay fest mit der metallischen Tibiakomponente verbunden ist (fixed bearing), ist hierbei das hochkongruente Inlay beweglich gegenüber der tibialen Komponente. Die überwiegende Anzahl der Produkte verwenden sog. rotierende Plattformen, wobei das Inlay sich in der Rotation frei bewegen kann. Bei einigen Modellen ist auch eine freie ap-Translation des Inlays möglich („ap-glide“). Mobile Gleitlager wurden in den 1980er Jahren in die Knieprothetik eingeführt, vor allem da man sich durch die großen Kontaktflächen und beweglichen Polyethyleninlays eine Verbesserung der Kinematik und Beugefähigkeit sowie eine Reduktion des Polyethylenabriebs erhoffte. Obwohl sie noch eine weite Verbreitung haben, setzten sie sich gegen die fixen Gleitlager nicht durch. Analog zu den fixen, hochkonformen Inlays zeigen auch mobile eine Aufhebung des „Roll-back“-Mechanismus [61). Auch die „ap-glide“-Inlays, die eine freie Beweglichkeit ermöglichen, zeigen keine physiologische Kinematik und können bei Insuffizienz des hinteren Kreuzbands zu ap-Instabiltäten beitragen. Daneben kommt es durch die großen Kontaktflächen zu einem vermehrten Abrieb und durch kleinere Abriebpartikel zu einer erhöhten Osteolyserate [62–64]. Auch eine erhöhte Dislokationsgefahr des mobilen Inlays trug nicht zu einer Verbesserung der klinischen Ergebnisse gegenüber „fixed-bearings“ bei [65–67].

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