Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018

Gelenkersetzende Therapie bei Gonarthrose

Die im Folgenden dargestellten teil- oder vollgekoppelten Prothesentypen stellen in der primären Knieendoprothetik nur einen geringen Teil der Indikationen dar und kommen vor Allem in der Revisionsendoprothetik zum Einsatz.

Ab wann muss ein höherer Kopplungsgrad gewählt werden?

Es finden sich in der Literatur nur wenig Angaben, ab welchem Grad der Instabilität ein Wechsel zu einem höheren Kopplungsgrad notwendig ist. Bei einer Laxität von mehr als 5° in Varus/Valgus und einer Differenz von mehr als 3 mm zwischen Beuge- und Streckspalt wird der Wechsel von einem PS- zu einem CC-System empfohlen [68]. Andere Autoren empfehlen erst ab einer residuellen Laxität von 7–10 mm Aufklappbarkeit die Verwendung eines höheren Kopplungsgrads als PS [69].

Generell wird empfohlen, dass ein CC-System noch verwendet werden kann, wenn

  • a) das mediale Kollateralband stabil ist und das laterale Kollateralband fehlt,
  • b) das laterale Kollateralband intakt ist und das mediale Kollateralband vorhanden, aber lax ist.

Wenn beide Kollateralbänder lax sind und/oder das mediale Kollateralband fehlt, dann wird die Verwendung einer Scharnierprothese empfohlen [37, 69–71].

CC-Knie-TEP
(“condylar constrained”)

Die einfachste Art, eine Varus-/Valgus-stabilisierende Funktion einzuführen ist die sog. CC-Knie-TEP (“condylar constrained”) (Abb. 10). Diese ist häufig kompatibel mit dem PS-System des jeweiligen Herstellers. Hierbei werden sowohl das vordere als auch hintere Kreuzband entfernt. Durch einen Zapfen-Steg-Mechanismus (engl „cam-post“) wird ein funktioneller Ersatz des hinteren Kreuzbands durchgeführt [37]. Durch eine Führung des Zapfens kommt es mit zunehmender Beugung zu einem „roll-back“ des Femurs auf der Tibia, welches eine tiefe Beugung ermöglicht [42, 43]. Im Gegensatz zur PS-Knie-TEP füllt der Zapfen die femorale Box vollständig aus, sodass sowohl für die Rotation als auch für Varus-/Valgus eine Stabilisierung besteht. Dies führt zu einer Zunahme der über die Prothese übertragenen Zwangskräfte und erfordert i.d.R. die Verwendung von Schäften, entweder kurzstreckig zementiert oder langstreckig zementfrei.

Rotations-Scharnier-Prothese

Bei vollständigem Fehlen beider Seitenbänder oder hochgradiger Laxität nur des medialen Seitenbands kommt eine gekoppelte Scharnierprothese zum Einsatz. Der Kopplungsmechanismus übernimmt hierbei die komplette stabilisierende Funktion, sowohl Varus/Valgus-Stabilität als auch ap-Stabilität. Zur Vermeidung
einer Dislokation bei einer Beugespaltinstabilität muss die sog. „jumping distance“ groß genug sein. Der Unterschied zwischen Beuge- und Streckspalt darf also nicht größer sein als die Länge des Stifts. Die sog. Rotationscharnierprothesen erlauben hierbei aber noch eine axiale Rotation im Kniegelenk (Abb. 11). Dies reduziert die rotatorischen Scherkräfte, die auf die Schaftverankerung im Knochen wirken. Die Schaftverankerung kann entweder zementfrei oder, häufiger, zementiert erfolgen.

Voll-Scharnier-Prothese

Falls neben einer ausgeprägten Varus-/Valgus- und ap-Instabilität noch eine rotatorische Instabilität oder eine stark ausgeprägte Differenz zwischen Beuge- und Streckspalt vorliegt, so kann ein sog. Vollscharnier gewählt werden. Hier liegt eine komplette Kopplung in Form eines Scharniers vor, welches nicht dislozieren kann und keine Rotationsmöglichkeit bietet. Zugleich werden hierbei sämtliche Kräfte, die über das Kniegelenk übertragen werden, auch auf die knöcherne Verankerung der Prothese übertragen. Die Indikationen bei primärem Ersatz sind extrem selten, so z.B. bei ausgeprägten Valgusfehlstellungen mit rotatorischer Instabilität nach Release der lateralen und patellofemoralen Strukturen oder bei neurologischer Grunderkrankung.

Ein klinischer Unterschied zwischen Totalendoprothese mit und ohne Patellarückflächenersatz konnte bisher nicht nachgewiesen werden, allerdings ist die Revisionsrate ohne Patellaersatz höher. Die etwas höhere Revisionsrate in den Registerdaten muss jedoch mit Vorsicht interpretiert werden, da bei persistierenden Beschwerden der sekundäre Retropatellarersatz leichter indiziert wird als andere Revisionen [1].

Bei Allergie gegen Prothesenbestandteile können beschichtete oder keramische Prothesen implantiert werden. Ein Patienten-spezifischer Nutzen konnte dafür aber bislang nicht nachgewiesen werden. Die Verwendung einer Standardprothese ist deshalb ebenfalls möglich, muss jedoch mit dem Patienten besprochen werden [1].

Operative Hilfsmittel:
Navigation, Robotik, patienten-spezifische Instrumente

In den letzten Jahrzehnten wurden verschiedene operative Hilfsmittel in die Knieprothetik eingeführt, die zum einen die Genauigkeit erhöhen sollten, zum anderen aber auch eine höhere Effizienz in den OP-Ablauf, inklusive Planung und vorbereitender Maßnahmen bringen können.

Navigation

Die Anfänge der Navigation basierten noch auf bildgestützten Daten, meist der Computertomografie, bis sich die bildfreie Navigation aus praktischen Gründen durchsetzte. Hierbei werden die anatomischen Landmarken während der Operation durch Marker oder Bewegung der Extremität bestimmt. Studien konnten zeigen, dass die Navigation in der Lage war, die Anzahl der Ausreißer, seien es 3 oder 5, von der angestrebten Beinachse auf ca. 10–15 % zu reduzieren, im Vergleich zu 25–30 % bei der konventionellen Instrumentation. In den sog. kurzen Achsen, z.B. die Rotation der tibialen und femoralen Komponenten, konnte keine Verbesserung gefunden werden, da die intraoperative Bestimmung der Landmarken, z.B. der Epikondylen mit und ohne Navigation sehr variabel ist. Für die funktionellen Ergebnisse, postoperativer Schmerz, Bewegungsumfang, Steifigkeit, klinische Ergebnisse und Patientenzufriedenheit konnten allerdings keine Unterschiede zur konventionellen Technik aufgezeigt werden [16, 72]. Ebenso waren keine Unterschiede für die Komplikationen Blutverlust, Thromboembolien und Infektionen zu verzeichnen.

In Bezug auf die Kosten entstehen ca. 15–20 Minuten mehr OP-Zeit und die Investitionskosten für das Navigationsgerät sowie die wiederkehrenden Kosten der Einmalartikel, also insgesamt eine Kostenerhöhung gegenüber der konventionellen Technik.

Robotik

Zunächst für die Implantation von Schlittenprothesen, aber seit kurzer Zeit auch für Totalendoprothesen, stehen sog. Robotik-assistierte System zur Verfügung. Diese arbeiten sowohl bildgestützt als auch navigationsgestützt und unterstützen den Operateur bei der bildgestützten 3-dimensionalen Planung und bei der Umsetzung der geplanten Positionierung der Prothese. Je nach System wird der Bewegungsraum eines vom Operateur per Hand geführten Roboterarms mit Frässpitze eingeschränkt (MAKO, Stryker) oder die Fräse eines mit Navigationsmarkern ausgestatteten Handstücks ausgeschaltet (NAVIO, Smith & Nephew), wenn die Grenzen der Knochenpräparation überschritten werden. Ergebnisse zu dieser Methode sind bislang nur in geringen Fallzahlen publiziert.

Patientenspezifische Instrumente (PSI)

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