Übersichtsarbeiten - OUP 02/2014

Leitlinie zur konservativen und rehabilitativen Versorgung bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik1
Gekürzte Version der Originalfassung vor Bestätigung der Aktualisierung durch die DGOOC

V. Stein, B. Greitemann, H. Bork

Zusammenfassung: Die Leitlinie wurde in einem Konsensusverfahren einer interdisziplinär aufgestellten Expertengruppe erarbeitet, bestehend aus Vertreterinnen und Vertreter des Berufsverbands für Orthopäden und Unfallchirurgen, der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie, Sektion Physikalische Therapie und Rehabilitation, der Sektion Technische Orthopädie und Orthopädieschuhtechnik der DGOOC (VTO), des Deutschen Verbands für Physiotherapie, des Deutschen Verbands der Ergotherapeuten, der Deutschen Gesellschaft für Psychologische Schmerzforschung und -therapie sowie durch Beteiligung eines Vertreters der Sportwissenschaften und Vertretern der Deutschen Rentenversicherung.

Die neu erstellte Leitlinie wurde auf der bisher bei der AWMF veröffentlichten Leitlinie „Rehabilitation bei Bandscheibenvorfall … und nach Bandscheibenoperation“ aufgebaut, von der Sektion Physikalische Therapie und Rehabilitation der DGOOC unter Begleitung der Autoren Greitemann und Stein erarbeitet. Die jetzt neu erstellte Leitlinie wurde der Kommission 05 der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie zur Bestätigung als aktualisierte Leitlinie der DGOOC zugeleitet und soll dann die alte Leitlinie (Register-Nr. 033/48) ersetzen.

Die Originalfassung der neuen Leitlinie wird nachfolgend als gekürzte Version publiziert, die notwendigen Textauslassungen sind durch „…“ kenntlich gemacht.

Schlüsselwörter: Leitlinie, Bandscheibenvorfall mit radikulärer Symptomatik, Rehabilitation

 

Zitierweise

Stein V, Greitemann B, Bork H. Leitlinie zur konservativen und rehabilitativen Versorgung bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik.
OUP 2014; 2: 052–063. DOI 10.3238/oup.2014.0052–0063

Abstract: The article includes the short form of the new
guideline on non-operative (conservative) and rehabilitative treatment of patients with radicular symptoms due to disc degeneration which will be published by German Association of Orthopaedic and Trauma Surgeons (DGOOC). It has been developed in an interdisciplinary group of orthopedic surgeons and other health care specialists including psychologists, physiotherapists, occupational therapists and other specialties. It includes a treatment algorithmus and recommendations based on literature review.

Keywords: guideline, disc degeneration with radicular symptoms, rehabilitative treatment

 

Citation

Stein V, Greitemann B, Bork H. Guideline on non-operative and rehabilitative treatment of disc degeneration with radicular symptoms.
OUP 2014; 2: 052–063. DOI 10.3238/oup.2014.0052–0063

Inhaltsverzeichnis

Algorithmus der Behandlung bei
bandscheibenbedingten Beschwerden

Vorwort

1. Definition der Krankheitsbilder

2. Grundlegendes Vorgehen

2.1 Grundlegende Diagnostik

2.2 Allgemeine Hinweise zu den Therapieformen

2.2.1 Schmerztherapie

2.2.2 Gesundheitsbildung und Information

2.2.3 Bewegungstherapie

2.2.4 Physiotherapie

 

2.2.5 Ergotherapie

2.2.6 Manuelle Therapie

2.2.7 Orthesen

2.3 Nachsorge und berufliche Reintegration

2.3.1 Nachsorgekonzept

2.3.2 Berufliche Wiedereingliederung

3. Empfehlungen (? Originalfassung der Leitlinie)

4 Glossar

5 Literatur (? Originalfassung der Leitlinie)

6 Autorenverzeichnis

 

Vorwort

Die vorliegende Leitlinie behandelt die konservative und rehabilitative Versorgung bei Bandscheibenvorfällen. Dabei sollen bewusst die akuten, subakuten, chronischen Zustände des Krankheitsbildes dargestellt und besprochen werden. Die operativen Verfahren sind Bestandteil einer separaten Leitlinie und werden hier nicht behandelt. …

Ziele der Leitlinie

Leitlinien stellen eine Orientierungshilfe für den klinischen Alltag dar. In ihnen wird das umfangreiche Wissen der beteiligten Berufsgruppen unter Beachtung der aktuellen Forschungsergebnisse zusammengefasst. Dieses Wissen wird den klinisch tätigen Ärzten und Therapeuten als konkrete und explizit ausformulierte Entscheidungshilfe zur Verfügung gestellt. Sie sollten als Handlungs- und Entscheidungskorridor gesehen werden, von dem in begründeten Fällen auch abgewichen werden kann.

Der Leitlinie ist ein klinischer Algorithmus vorangestellt (s. Abb. 1), der die Abläufe übersichtlich darstellt und die unterschiedlichen Anforderungen bezüglich konservativer und operativer Behandlungsoptionen berücksichtigt. Den jeweiligen Elementen des Algorithmus sind im Textteil dieser Leitlinie die notwendigen Informationen zugeordnet.

Bei der Bearbeitung wurde nach Würdigung der Literatur eine Empfehlung zu den jeweiligen Therapiearten gegeben, die sich an folgendem Schema orientiert:

  • Kann angewendet werden: Es liegen keine überzeugenden Studien mit Wirknachweis vor, es gibt aber auch keine generellen Kontraindikationen.
  • Sollte angewendet werden: Es gibt einzelne Studien mit Nachweis einer Wirkung.
  • Soll angewendet werden: Es handelt sich um evidenzbasierte Therapien auf der Basis hochwertiger Studien.
  • Patientenzielgruppe

Die vorliegende Leitlinie gibt Handlungsempfehlungen und legt die notwendigen diagnostischen und therapeutischen Schritte fest, auf Basis derer Patientinnen und Patienten mit Bandscheibenvorfall und radikulärer Symptomatik bzw. nach Bandscheibenoperation behandelt werden sollen. Ziel der Leitlinie ist, die Einschränkungen der Gesundheit und körperlichen Leistungsfähigkeit dieser Patienten zu reduzieren oder zu beseitigen und die Ursachen der Beschwerden aufzudecken.

Berufszielgruppen

Die vorliegende Leitlinie wendet sich an alle Berufsgruppen, die an der medizinischen Rehabilitation von Patienten mit Bandscheibenvorfall oder nach Bandscheibenoperation beteiligt sind.

Dies sind die Ärzte, Ergotherapeuten, Krankenschwestern/-pfleger, Ökotrophologen, Physiotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Sportlehrer mit Schwerpunkt Rehabilitationsmedizin.

Ferner wendet sich diese Leitlinie auch an die Leistungsträger und die Patienten.

1 Definition der Krankheitsbilder

Bandscheibendegenerationen können prinzipiell in jedem Wirbelsäulenabschnitt auftreten, bevorzugt aber in der Hals- und Lendenwirbelsäule. In diesen Bereichen dominieren die Areale, die Übergangsregionen zwischen festen Skelettelementen und flexiblen Wirbelsäulenanteilen sind, so die untere Halswirbelsäule (im räumlichen Kontakt zum fixierten Brustkorb) und die untere Lendenwirbelsäule (im räumlichen Kontakt zum Becken). Durch Bandscheibendegeneration hervorgerufene Krankheitsbilder als Hals- und Lendenwirbelsäulen-Syndrome sind häufig. Epidemiologische Praxisstudien [160] zeigten, dass 36 % der Erkrankungen auf die Halswirbelsäule und 62 % auf die Lendenwirbelsäule entfallen. 1/3 entfallen auf die HWS, 2/3 auf die LWS, Thorakalsyndrome sind mit 2 % eher selten.

Die Angaben in der Literatur über die Punktprävalenz (Rückenbeschwerden heute) variieren zwischen 30 % und 40 %. Dagegen liegen die Zahlen über die 12-Monats-Prävalenz mit über 60 % weit höher [164, 165, 163, 161, 162]. Lockerungen, Vorwölbungen und Vorfälle des Bandscheibengewebes können die Ursachen sein.

Voraussetzung für das Auftreten eines Bandscheibenvorfalls ist eine schicksalhafte Bandscheibendegeneration mit Fissuren im Anulus fibrosus. Die traumatische Zerstörung einer nicht degenerativ veränderten Bandscheibe ist extrem selten.

Die klinische Symptomatik bandscheibenbedingter Beschwerden kann vielfältig sein. Vom akuten Hexenschuss, der plötzlich einsetzt und ebenso rasch wieder verschwindet, bis zu chronisch rezidivierenden Schmerzen gibt es alle Übergänge.

Unter einem lokalen Lumbal-, Thorakal- oder Halswirbelsäulensyndrom versteht man alle klinischen Erscheinungen, welche auf degenerative und funktionelle Störungen lumbaler , thorakaler oder zervikaler Bewegungssegmente zurückzuführen sind und in ihrer Symptomatik im Wesentlichen auf die Lumbal-, Thorakal- oder Zervikalregion beschränkt bleiben. In der Regel dominieren im klinischen Erscheinungsbild schmerzhafte Bewegungseinschränkungen und muskuläre Verspannungen ohne radikuläre Reizungen.

Das Facettensyndrom oder Bogengelenkssyndrom beruht auf Folgeerscheinungen der Bandscheibendegeneration. Durch segmentale Instabilitäten kommt es zu degenerativen Folgeveränderungen an den Bogengelenken. Folgen können schmerzhafte Spondylarthrosen, lokale oder regionale spinale Stenosen, Rezessusstenosen sein. Meist bestehen lokale oder pseudoradikuläre Beschwerden.

Radikuläre Reizungen und damit segmental ausstrahlende Schmerzen in die Arme (Brachialgie), den Thorax (Dorsalgie, Intercostalneuralgien) oder die Beine (Ischialgie) werden durch direkten Druck oder räumliche Beengung nervaler Strukturen verursacht. Myelopathien entstehen durch direkten Druck auf das Myelon und können zervikale, brachiale, thorakale und lumbale Nervenwurzelreizungen, Paresen und Gangstörungen verursachen.

Unter einer Ischialgie (Ischias, Lumboischialgie) versteht man ein Lumbalsyndrom mit Beteiligung der Spinalnervenwurzeln L5 und S1, zum Teil L4 und S2, aus denen sich der Ischiasnerv zusammensetzt. Ein Lumbalsyndrom mit Beteiligung der Spinalnervenwurzeln L2, L3 und zum Teil L4 betrifft die Wurzeln des N. femoralis und wird als hohes lumbales Wurzelsyndrom bezeichnet. Ursachen sind meistens Protrusionen oder Prolapse. Die Bedrängung der Nervenwurzeln durch das verlagerte Bandscheibengewebe erfolgt i.d.R. direkt in Höhe der erkrankten Bandscheibe. Extradiskal gelegenes Prolapsgewebe kann die Nervenwurzeln, aber auch hinter dem Wirbelkörper oder im Zwischenwirbelloch (infraforaminal) komprimieren. Als weitere Ursachen auf degenerativer Basis kommen knöcherne Bedrängungen durch appositionelles Wachstum an den Wirbelhinterkanten oder an den Gelenkfacetten im Rahmen der Spinalkanalstenose vor.

An der Halswirbelsäule entstehen ausstrahlende Schmerzen in den Arm als Brachialgie bzw. Zervikobrachialsyndrom. Gravierende Lähmungen und das seltene Zerviko-medulläre-Syndrom stellen eine akute Indikation zur Operation dar.

Thorakale Wurzelsyndrome sind selten und treten oft als sog. Intercostalsyndrome auf. Sie erfordern selten operative Eingriffe.

Segmentale Instabilitäten in der Folge der durch die Bandscheibendegeneration instabilen Segmente können lokale Beschwerden (vor allem belastungsabhängige Beschwerden), aber auch Nervenwurzelreizungen bedingen.

 

Operationsverfahren (kurz aufgelistet)

Derzeit kommen folgende Methoden zur Anwendung:

  • Offene Operationen

Indikationen: Bandscheibenvorfall mit gravierenden Lähmungen wie Fallfuß oder Kaudasyndrom.

  • a) Offene konventionelle Technik mit breitem Zugang,
  • b) In Mikro-Technik.
  • Perkutane Verfahren
  • a) Chemonukleolyse,
  • b) Perkutane automatisierte Diskotomie und Laserdiskotomie.
  • Fusionen
  • Dorsale und ventrale Fusionen.
  • Künstliche Bandscheiben
  • Interspinöse Interponate

2 Grundlegendes Vorgehen

2.1 Grundlegende Diagnostik

Die Diagnostik beim radikulären Rückenschmerz hat mehrere Ziele:

  • a) Erkennen der Beschwerdeursachen (auf somatischem, psychischem oder sozialem Bereich),
  • b) Ausschluss schwerwiegender Erkrankungen („red flags“).

Besonderer Beachtung bedürfen dabei die sog. „red flags“. „Red flags“ sind Begleitsymptome und Vorerkrankungen, die als Warnsignal für eine spezifische Ursache mit dringendem Behandlungsbedarf dienen, …

 

? Originalfassung der Leitlinie mit tabellarischen Übersichten zu: Anamnestische Befunde, Erste orientierende Diagnostik, Psychosoziale Risikofaktoren und Risikofaktoren für Chronifizierung, modifiziert aus der Nationalen Versorgungsleitlinie Kreuzschmerz.

 

Studien zur Chronifizierung haben gezeigt, dass psychosoziale Faktoren für den Krankheitsverlauf eine entscheidende Rolle spielen, insbesondere kognitiv, emotional und verhaltensbezogene Merkmale. Diese psychosozialen Risikofaktoren sind für den Übergang von akuten zu chronischen Verläufen von zentraler Bedeutung und sollten daher möglichst frühzeitig erfasst werden. …

Diese psychosozialen Risikofaktoren sollten vorzugsweise während der Anamnese bzw. Verlaufsbeobachtung erhoben werden, können am Anfang durchaus mit Hilfe von Screening-Elementen abgefragt werden. Wichtig ist dabei, dass diese Risikofaktoren innerhalb der ersten 3–4 Wochen erkannt werden, um die über den Zeitverlauf höher werdende Chronifizierungsgefahr möglichst zu beherrschen. Dabei können Merkmale, die primär schmerzunabhängig sind, bereits in der Frühphase erfragt werden (z.B. Depressivität, Zufriedenheit am Arbeitsplatz), andere Merkmale erst im Verlauf (schmerzbezogene Merkmale wie schmerzbezogene Kognitionen oder schmerzspezifisches Verhalten). Je länger die Rückenschmerzen anhalten, umso wichtiger ist die weitergehende auch psychosoziale Anamnese. ...

Es besteht ein hoher Evidenzgrad, dass bei einer Schmerzdauer von mehr als 4 Wochen oder einer Arbeitsunfähigkeit von länger als 2 Wochen psychosoziale Risikofaktoren miterfasst werden müssen.

Andere Risikofaktoren auf psychosozialem Gebiet sind insbesondere berufliche Belastungsfaktoren. …

2.1.1 Klinische Untersuchung

Das Ausmaß der klinischen körperlichen Untersuchung richtet sich immer nach dem Ergebnis der Anamnese. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung sollen spezifische Schmerzursachen erkannt werden, zusätzlich akute gefährliche Erkrankungen („red flags“) ausgeschlossen werden.

Als spezifische Tests sind geeignet:

  • a. Nervendehnschmerztest (Femoralisdehnschmerztest, Ischiadicusdehnschmerz, Lasègue und Bragard, Nervendehnteste an der oberen Extremität),
  • b. Untersuchung der Muskelkraft an entsprechenden Kennmuskeln,

– untere Extremität (Iliopsoas, Quadrizeps, Zehen- und Großzehenheber, Plantarflexion des Fußes)

– obere Extremität (Bizeps- und Trizeps, Kraft der Handgelenke in Extension und Flexion, der Handbinnenmuskulatur). ...

2.1.2 Spezifische zusätzliche
Untersuchung bei segmentalen
Bewegungsstörungen

Im Rahmen der chirotherapeutischen Untersuchung ist bei segmentalen Bewegungsstörungen eine eingehende chirotherapeutische bzw. manualtherapeutische Untersuchung und ein Versuch der stärkeren Eingrenzung der Beschwerden erforderlich.

2.1.3 Bildgebende Verfahren

Wesentlich in der Indikationsstellung zur weiteren bildgebenden Diagnostik ist die Unterscheidung zwischen akuten und chronischen Rückenschmerzen.

a) Akuter Schmerz

Bei fehlendem Hinweis auf gefährliche Risikofaktoren („red flags“) ist eine bildgebende Diagnostik in den ersten 4–6 Wochen nach einem Erstereignis aufgrund der akuten Prognose nicht spezifischer Rückenschmerzen nicht zwingend indiziert [47, 48, 49, 50, 51, 2, 3].

Liegen „red flags“ vor, so ist in der Regel eine Kernspintomografie aufgrund der besseren Beurteilbarkeit der ligamentären Strukturen, der wirbelsäulennahen Weichteile, des Knochenmarks und auch des Spinalkanals mit seiner Binnenstruktur bei gleichzeitig fehlender Strahlenexposition mit bildgebender Methode die primäre Wahl [52, 53, 54]. Die Röntgenuntersuchung der betroffenen Wirbelsäulenabschnitte in 2 Ebenen ergibt Hinweise auf Veränderungen der knöchernen Strukturen, sekundäre Hinweise auf degenerative Prozesse, rheumatische Grundursachen und insbesondere bei der Durchführung von Funktionsaufnahmen (Flexions- bzw. Extensionsaufnahmen), Hinweise für segmentale Instabilitäten. …

b) Chronischer Rückenschmerz

Bei chronischem Rückenschmerz ist insbesondere der Analyse und dem Ausschluss von psychologischen Chronifizierungsfaktoren Beachtung zu schenken. Auch bei Vorliegen von psychologischen Chronifizierungsfaktoren ist die Indikation zur Bildgebung bei klinischen Hinweisen auf eine begleitende Organpathologie zu stellen. …

2.2 Allgemeine Hinweise zu den Therapieformen (Abb. 2)

2.2.1 Schmerztherapie

Medikamentöse Schmerztherapie

Bei medikamentöser Schmerztherapie sind Überlegungen zu den grundlegenden Pathomechanismen der Schmerzgeneration (nozizeptiv-neuropathisch-mixed pain) und den nachfolgenden neurophysiologischen Prozessen unabdingbar.

In Anlehnung an das WHO-Stufenschema zur medikamentösen (Tumor-)Schmerztherapie werden die angewendeten Substanzen in 3 Gruppen nach ihrer analgetischen Potenz eingeteilt. Je nach Schmerztyp (nozizeptiv-neuropathisch- mixed pain) können Ko-Analgetika eingesetzt werden. Ko-Analgetika wirken primär nicht als Analgetikum, können aber zur Schmerzlinderung beitragen. Sie beeinflussen nozizeptive Afferenzen und interferieren mit absteigenden nozifensiven Bahnen. Bei der Auswahl der Medikamente müssen die individuellen Risiken (z.B. Allergien, Begleiterkrankungen, Alter), die Zulassung des Medikaments und dessen Pharmakologie/Nebenwirkungsprofil sowie auch wirtschaftliche Aspekte berücksichtigt werden. Die medikamentöse Behandlung soll die nichtmedikamentösen Maßnahmen unterstützen, damit die Betroffenen frühzeitig ihre üblichen Aktivitäten wieder aufnehmen können.

a) Analgetika/Kortikoide

Zur Durchbrechung des Schmerzkreislaufs bei akuten Rückenschmerzen empfehlen van Tulder et al.1997 [88] zunächst einfache Analgetika wie z.B. Paracetamol. Dass auch nicht-steroidale Antirheumatika (tNSARs) bei der Behandlung wirken, konnte bereits vor Jahren gezeigt werden [128]. Die Evidenz dafür, dass sie besser als Paracetamol sind, ist aber widersprüchlich. Eine bessere Beeinflussung stärkerer Schmerzen durch tNSAR wurde von Towheed et al. 2005 [127] nachgewiesen. Es gibt gemäß neueren Erkenntnissen auch keine Evidenz dafür, dass ein bestimmtes Präparat aus der tNSAR-Wirkstoffgruppe besser als die anderen sei [82]. t-NSAR sollen zur Therapie akuter Rückenschmerzen eingesetzt werden.

Cox-2 Hemmer zeigten in den Studien zwar weniger Nebenwirkungen als die traditionellen NSARs, sind aber bei bestimmten Patienten mit einem höheren kardiovaskulären Risiko assoziiert und für die Behandlung von Rückenschmerzen nicht zugelassen. Cox-2-Hemmer sollen unter Berücksichtigung der Warnhinweise, wenn t-NSAR kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden („off label use“) eingesetzt werden. Da es neben der Nervenwurzelbedrängung (mixed-pain) häufig auch zur Aktivierung degenerativ veränderter Wirbelgelenke mit nachfolgender Nozigeneration kommt, ist die Therapie mit Cox-2-Hemmern gerechtfertigt und entspricht der Zulassung für diese Stoffgruppe.

Aus der Gruppe der nichtsauren Pyrazolonderivate steht auch der Wirkstoff Metamizol zur Verfügung. Zugelassen ist es für die Behandlung akuter und chronischer starker Schmerzen, wenn andere Analgetika kontraindiziert sind. Die Wirksamkeit von Pyrazolonen bei der Behandlung von Rückenschmerzen wurde bisher nicht untersucht. Entsprechend der Zulassung sollten Pyrazolone zur Behandlung eingesetzt werden.

Bei hochgradigen, akuten Beschwerden kann der kurzfristige parenterale Einsatz von Medikamenten gerechtfertigt sein. Die Behandlung chronischer Rückenschmerzen mittels intravenöser oder intramuskulärer Applikation von Analgetika oder deren Kombination mit anderen Substanzgruppen (Vitamine, Kortison) soll aufgrund der Nebenwirkungsgefahren und fehlender Überlegenheit gegenüber oraler Gabe nicht durchgeführt werden.

Die Wirkung der oralen Kortikoidgabe, z.B. Prednisolon 50 mg/d für 3–-5 Tage, dann ggf. Ausschleichen (Reduktion um 10 mg pro Tag), ist nicht sicher belegt [79].

Bei starken Schmerzen werden auch Opioide eingesetzt. Ein europäisches Expertenpanel gibt eine evidenzbasierte Empfehlung zugunsten von Opioiden bei chronischen Rückenschmerzpatienten, bei denen andere Schmerztherapien keine Wirkung zeigten [80, 130]. Diese Medikamente sollten aber im Zuge eines multimodalen interdisziplinären Therapieprogramms verordnet werden. Auch ein aktueller systematischer Review bescheinigt den Opioiden zumindest kurzfristige Wirksamkeit bei Kreuzschmerzen [84]. Bei therapierefraktären Schmerzen sollen Opioide bei akuten Schmerzen für 2–3 Wochen gegeben werden, bei chronischen Schmerzen unter Kontrolle der Wirksamkeit auch länger. Ein fehlendes Ansprechen innerhalb von 6 Wochen soll zum Absetzen führen. Hierzu existiert die S3-Leitlinie „Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen“ [AMWF Leitlinie LONTS-Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen, 78]. Der Einsatz sollte nach dem WHO-Schema nach einem festen Zeitplan oral erfolgen. In seltenen Fällen können auch höherpotente Opioide verabreicht werden (AWMF Leitlinie Lumbale Radikulopathie, Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2008, [77]).

b) Myotrope Medikamente

Muskelrelaxanzien können kurzfristig unterstützend bei Patienten mit Muskelverspannungen, begleitend zur medikamentösen Schmerztherapie eingesetzt werden. 2 systematische Reviews aus 2003 und 2004 zeigten deren Wirksamkeit, warnen aber vor möglichem Missbrauch [86, 131]. Tolperison kann wie Flupirtin nach individueller Nutzen-Risikoeinschätzung nur als Mittel 2. Wahl zum Einsatz kommen. Der Nutzen von Flupirtin bei Rückenschmerzen ist laut arznei-telegramm nur unzureichend belegt, zudem gibt es vermehrt Berichte über das Suchtpotenzial des Wirkstoffs sowie über Leberschäden (laut Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) [178].

c) Ko-Analgetika

Antidepressiva kommen in der Regel nur bei Patienten mit chronischen Schmerzen zum Einsatz. Ein systematischer Review aus dem Jahre 2003 kam zu dem Ergebnis, dass tri- und tetrazyklische Antidepressiva, sog. nichtselektive Monoaminwiederaufnahmeinhibitoren (NSMRIs), z.B. Amitriptylin, einen mittelstarken Effekt bei der Schmerzbekämpfung haben. Für SSRIs, einer anderen Klasse von Antidepressiva, konnte kein Nutzen gefunden werden [85]. NSMRIs und Substanzen zur Behandlung neuropathischer Schmerzen (Pregabalin, Gabapentin) können bei radikulären Schmerzen (unter der Annahme eines mixed-pain) von Nutzen sein und sollten entsprechend eingesetzt werden.

 

? Originalfassung der Leitlinie mit tabellarischen Wirkstoffübersichten:

Analgetika, Schwach wirksame Opiate, Ko-Analgetika, Myotrope Medikamente

 

TLA: Therapeutische Lokalanästhesie

Behandlungsprinzip

Durch Injektion schmerzstillender, entzündungshemmender und entquellender Mittel an den Ausgangspunkt der Nozizeption im Bewegungssegment gewinnt man einen unmittelbaren Einfluss auf die Primärstörung. Je nach Intention verwendet man für die therapeutische lokale Injektionsbehandlung entweder Lokalanästhetika, Steroide oder beides zusammen. Therapeutische Lokalanästhesie ist der wesentliche Teil der therapeutischen lokalen Injektionsbehandlung. Wenige Milliliter einer niedrig konzentrierten (0,5–1,5 %) Lokalanästhesielösung reichen aus, um sensibilisierte Nozizeptoren auszuschalten. Man erreicht dadurch eine:

  • Schmerzreduktion,
  • Herabsetzung der Nervenerregbarkeit,
  • Lokale Durchblutungssteigerung,
  • Desensibilisierung.

Lokalanästhetika führen nach Gewebeinfiltration zur reversiblen Ausschaltung der afferenten Fasern. Da die Wirksamkeit der Lokalanästhetika mit einer Vergrößerung des Faserdurchmessers abnimmt, werden zuerst die sensiblen und bei höherer Dosierung die motorischen Nervenfasern blockiert. Angriffspunkt der therapeutischen Lokalanästhesie sind die sensiblen Nervenfasern. Lokalanästhetika setzen die Membranpermeabilität für Kationen herab, insbesondere für Natriumionen. Es kommt zu einer verringerten Membranpermeabilität mit verminderter Erregbarkeit. Die Verwendung höherer Konzentrationen mit vollständiger Anästhesie und Paralyse ist für die lokale Infiltrationsbehandlung nicht erforderlich. Ziel ist eine Herabsetzung der Erregbarkeit mit Heraufsetzen der Reizschwelle.

Die schmerzlindernde Wirkung hält länger an als von der Wirkdauer des Lokalanästhetikums zu erwarten ist, insbesondere bei wiederholter Applikation. Der Zustand der verminderten Erregbarkeit hält an, sodass man mit einer Serie von 6–12 Infiltrationen an aufeinanderfolgenden Tagen eine Dauerwirkung erzielen kann [168].

Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass entzündliche Veränderungen der Nervenwurzel, hervorgerufen durch Kompression, mit Lidocaininjektionen weitgehend verhindert werden können [166, 167].

Die durch die mechanische Bedrängung angeschwollene Nervenwurzel wird durch die Injektionsbehandlung wieder in den ursprünglichen schmerzfreien Zustand gebracht. Dieses gilt sowohl für die Bandscheibenprotrusion und den -vorfall als auch für die Rezessusstenose, die Spinalkanalstenose sowie für periradikuläre Vernarbungen. Eine Bewegungstherapie sollte nach erfolgreicher Injektionsserie zum dauerhaften Begleitprogramm für den Patienten werden. Dadurch sinkt das Risiko eines erneuten Reizzustandes. Da die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen aber fortbestehen, führen diese oft zu rezidivierenden Beschwerdezuständen, sodass nicht auszuschließen ist, dass eine Injektionstherapie erneut erforderlich wird. Deswegen sollte die Injektionsbehandlung an der Wirbelsäule bis auf wenige Ausnahmen möglichst ohne Einsatz ionisierender Strahlen erfolgen. Indikationen für die sofortige Verwendung einer Röntgendurchleuchtung oder CT-Steuerung ergeben sich aus besonderen anatomischen Verhältnissen mit Schwierigkeiten, den gewünschten Injektionsort aufzufinden, so z.B. bei Skoliosen, Übergangswirbeln und sehr adipösen Patienten. Eine Durchleuchtungs- bzw. CT-Kontrolle kann auch erforderlich sein, wenn eine Nervenwurzel durch Kontrastmittelinjektion und Schmerzausschaltung definiert werden soll, etwa zur präoperativen Diagnostik einer Nervenwurzeldekompressionsoperation.

Bei der zervikal-epiduralen Injektion ist der Einsatz eines bildgebenden Verfahrens wegen der unmittelbaren Nähe des zentralen Nervensystems ebenfalls erforderlich.

Die Injektionen an den Schmerzausgangspunkten in der Tiefe des Bewegungssegments, d.h. im Wirbelkanal, im Foramen intervertebrale und im Wirbelgelenk gelten im Gegensatz zu den mehr oberflächlichen Muskel- und Triggerpunktinfiltrationen als minimalinvasive Behandlungsmaßnahmen [169].

Übersicht der segmentnahen

Injektionstechniken

Je nach Zielrichtung unterscheidet man:

  • Paravertebrale-perineurale Techniken (cervikale-, thorakale-, lumbale Spinalnervanalgesie) (Abk: CSPA, TSPA, LSPA oder PRT ),
  • epidurale-perineurale Techniken (Epidural zervikale, epidural-perineurale, epidural- dorsale, epidural-sakrale),
  • periartikuläre Techniken (cervikale, thorakale, lumbale Facetteninfiltrationen, SIG-Infiltrationen).

Indikation

Wenn konservative Maßnahmen kein befriedigendes Resultat erzielen, ist zu prüfen, ob man nicht eine der segmentnahen Single-shot-Injektionsverfahren einsetzen kann. Hauptindikationen sind therapieresistente radikuläre Wirbelsäulensyndrome mit einer Korrelation zwischen klinischem und bildgebendem Befund. Die Auswahl des Verfahrens richtet sich nach der nachgewiesenen Wirksamkeit in Relation zu den möglichen Komplikationen und Nebenwirkungen.

Ergebnisse der epiduralen

Injektionstherapie

Es liegen zahlreiche Ergebnisse aus randomisiert-kontrollierten Studien zu epiduralen Injektionen beim lumbalen Wurzelkompressionssyndrom wegen degenerativer Erkrankungen der Lendenwirbelsäule vor, mit überwiegend positiven Ergebnissen [168].

 

? Originalfassung der Leitlinie mit tabellarischer Ergebnisübersicht zu randomisiert-kontrollierten Studien zur epiduralen Injektionsbehandlung beim lumbalen Wurzelkompressionssyndrom

 

Fazit

Mit der TLA nimmt man Einfluss auf die Beschwerdespitzen, die im Spontanverlauf einer diskogenen oder stenosebedingten akuten Verschlimmerung eher zur Operation geführt hätten. Die Injektionstherapie hat einen hohen Stellenwert bei der Behandlung der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen.

Akupunktur

Als Akupunktur wird die perkutane Nadelapplikation an spezifischen Akupunkturpunkten des Körpers zur Behandlung von Symptomen (hier radikuläre Schmerzausstrahlung) bezeichnet. Die Akupunktur bewirkt eine überschwellige Propriozeptorenreizung; die Reizweiterleitung wird über a-delta Fasern vermittelt. Hierdurch kommt es unter anderem zu einer erhöhten Endorphin- und Kortisolausschüttung.

Bei sachgemäßer Handhabung treten bei der Akupunktur selten Nebenwirkungen auf; es besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für Blutungen, Hämatome und Infektionen gegenüber nicht invasiven Therapieverfahren.

Der Nutzen der Akupunktur bei akuten Rückenschmerzen ist in der Literatur nicht eindeutig erwiesen. Bei akuten Kreuzschmerzen raten die aktuellen Leitlinien [66, 179, 180] von der Anwendung von Akupunktur ab. …

Psychologische Schmerztherapie

Verhaltenstherapie

Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie zielen auf die Veränderung schmerzbezogener Kognitionen (Entkatastrophisieren, Kontrolle, Aktivität) und Emotionen (Depressivität, Angst) sowie maladaptiver Verhaltensweisen in Bezug auf Schmerz und Stress im privaten und/oder beruflichen Kontext. Das Hauptziel der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen besteht in der Entkoppelung von Schmerz und Stress. In der subakuten Phase des radikulären Schmerzes (> 6 Wochen) soll bei bestehendem Risikoprofil auf diese Weise einer Chronifizierung vorgebeugt werden (Sekundärprävention). In der chronischen Phase (> 12 Wochen) geht es um eine Verringerung der eingetretenen Beeinträchtigungen auf kognitiver, emotionaler und behavioraler Ebene (Tertiärprävention). Kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen sind in der Regel Bestandteil eines multimodalen Behandlungsprogramms, bestehend aus medizinischen, bewegungstherapeutischen und psychologischen Komponenten.

Die Ergebnisse der bislang vorliegenden Studien weisen auf eine starke Beteiligung psychologischer Faktoren an der Chronifzierung von Rückenschmerzen hin (s. Kap. 2.1 Grundlegende Diagnostik). Darüber hinaus können psychologische Parameter wie Depression und schmerzbezogenes Coping auf einem hohen Evidenzlevel als bedeutende Parameter für ein langfristig negatives Outcome nach Wirbelsäulenoperationen angesehen werden [LoE 1b: 67; 132; 133; LoE 1a 134]. Das Risiko eines „Failed Back Surgery-Syndroms“ kann dadurch erhöht sein [135]. …

Entspannungsverfahren

(Progressive Muskelrelaxation)

Unter den Entspannungsverfahren wird die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson bei der Behandlung von Schmerzzuständen am häufigsten angewendet. Die Technik hat das Erlernen einer willentlichen, stufenweisen Entspannung muskulärer Strukturen zum Ziel und kann durch autosuggestive Verfahren ergänzt werden. Die Patienten können auf diese Weise eine muskuläre und mentale Entspannung eigenständig herbeiführen. Die Methode der Progressiven Muskelrelaxation wird häufig im Rahmen eines multimodalen Behandlungsprogramms in Kombination mit kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen eingesetzt.

Es gibt bisher keine Studien, die Entspannungsverfahren (Progressive Muskelrelaxation) zur Behandlung akuter bandscheibenbedingter Schmerzen untersucht haben. …

Auch bei anhaltenden radikulären Schmerzen liegen keine Studien zur Effektivität der Progressiven Muskelrelaxation vor.

2.2.2 Gesundheitsbildung und
Information

Gesundheitsbildung ist ein zentrales Element der Patientenedukation. Diese umfasst unterschiedliche Maßnahmen. Übergeordnetes Ziel der Patientenedukation in der Therapie bandscheibenbedingter Beschwerden ist die Vermittlung von Kompetenzen für eine verbesserte Schmerz- und Krankheitsbewältigung. Hierzu werden im Rahmen der Gesundheitsbildung unter Berücksichtigung von didaktisch-methodischen Aspekten und der Anwendung von Techniken der Verhaltensänderung systematisch individuelle Erfahrungen, Einstellungen und das Wissen von Betroffenen über ihre Erkrankung sowie ihr Gesundheitsverhalten beeinflusst [140; 141]. Zentrale Inhalte in der Therapie bandscheibenbedingter Beschwerden sind u.a. die Vermittlung von Informationen bzw. Wissen zu

  • – Ursachen und Risikofaktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung von Rückenschmerzen, …
  • – Darstellung eines positiven Funktionsbilds des Rückens (Wirbelsäule, Muskulatur, Bewegungsmöglichkeiten, Stabilisationsmöglichkeiten), …
  • – Bedeutung einer zügigen Wiederaufnahme normaler Alltagsaktivitäten für den Heilungsprozess,
  • – Aufklärung über die Unbedenklichkeit der Durchführung normaler Alltagsaktivitäten und Ermutigung zur Wiederaufnahme normaler Alltagsaktivitäten, …
  • – Bedeutung von Nachsorgeleistungen für die Intensivierung und Stabilisierung erreichter Effekte in der Rehabilitation; Steigerung der Motivation zur Teilnahme an nachsorgenden Leistungen.

Derzeit liegen kaum Studien zur Wirksamkeit von edukativen Maßnahmen in der Akutphase von Bandscheibenvorfällen vor. Ein aktuelles Cochrane-Review belegt, dass Personen mit akuten Rückenschmerzen ohne radikuläre Anzeichen mehr von der Empfehlung, aktiv zu bleiben, profitieren, als von der Empfehlung zur Bettruhe, während für Personen mit Rückenschmerzen und radikulärer Symptomatik moderate Evidenz vorliegt, dass hinsichtlich der Reduktion von Schmerz und Funktionsbeeinträchtigung keine Unterschiede zwischen beiden Empfehlungen bestehen [142]. …

Basierend auf Erkenntnissen zu biopsychosozialen Wirkmechanismen in der Chronifizierung von Rückenschmerz, sollten Personen mit spezifischen Rückenschmerzen und einem hohen Chronifizierungsrisiko bzw. chronifizierten Rückenschmerzen im Rahmen interdisziplinärer Rehabilitationsprogramme mit einem aktiven Behandlungsansatz behandelt werden [181]. …

Rückenschule

Für die Versorgung von Personen mit Bandscheibenvorfall mit Rückenschule liegen bislang keine Studien vor.

Für die Behandlung akuter und subakuter Kreuzschmerzen gibt es widersprüchliche Evidenz zur Wirksamkeit von Rückenschulen im Vergleich mit anderen Therapiemaßnahmen (Outcomes: Schmerz, funktionelle körperliche Einschränkung, Rezidive, Rückkehr zum Arbeitsplatz) [14; 130; 144; 148]. Bei rezidivierend auftretenden Kreuzschmerzen finden sich Hinweise für eine kurz- bis mittelfristige Besserung von Schmerz und Funktionsfähigkeit [144]. Dabei scheint die Rückenschule vor allem in einem berufsbezogenen Setting effektiver zu sein als andere konservative Therapieverfahren (z.B. TENS, Krankengymnastik, Hochfrequenztherapie, Massage) [12; 130; 144; 148]. …

2.2.3 Bewegungstherapie

Bewegung ist ein wesentlicher und zentraler therapeutischer Faktor in der Behandlung bandscheibenbedingter Beschwerden. Bewegungstherapie wird in der Sporttherapie, Krankengymnastik und einzelnen Elementen der Ergotherapie angewandt. Sie ist definiert als „ärztlich indizierte und verordnete Bewegung, die vom Fachtherapeuten bzw. der Fachtherapeutin geplant, dosiert, gemeinsam mit dem Arzt/der Ärztin kontrolliert und mit dem Patienten/der Patientin alleine oder in der Gruppe durchgeführt wird“ [146].

Bewegungstherapie ist eine therapeutische Maßnahme, die bei Personen mit Einschränkungen der funktionalen Gesundheit im Sinne der ICF sowohl auf die Initiierung biologischer Adaptationsmechanismen ausgerichtet ist, als auch einen expliziten Verhaltensbezug aufweist. Ziel ist die Vermittlung gesundheitsorientierter Verhaltensweisen und der Aufbau einer dauerhaften Gesundheitskompetenz. Hierzu werden edukative Elemente der Patientenschulung sowie verhaltenstherapeutisch-fundierte Techniken der Verhaltensänderung systematisch miteinander verknüpft [146].

Für bewegungs- und sporttherapeutische Interventionen in der Behandlung von Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik lassen sich im Sinne der ICF 3 Zielbereiche differenzieren:

  • a) die Wiederherstellung der physischen Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit (Funktionen),
  • b) der Aufbau von individuellen Handlungskompetenzen im Umgang mit Rückenschmerzepisoden und weiteren Beeinträchtigungen der funktionalen Gesundheit, sowie
  • c) die Hinführung zu einem körperlich aktiven Lebensstil, Wiederaufnahme von Berufstätigkeit und sozialen Aktivitäten (Aktivitäten und Teilhabe) (Arbeitsgruppe Bewegungstherapie, 2009; [144]).

In der Rehabilitation nach Bandscheibenoperationen zeigt ein Cochrane-Review von Ostelo et al. (2011) in der Zusammenfassung, dass Bewegungstherapie, die 4–6 Wochen nach der Operation beginnt, schneller zur Reduzierung von Schmerz und Funktionsbeeinträchtigung führt als keine Behandlung [148]. Darüber hinaus scheinen Bewegungsprogramme hoher Intensität schneller zur Reduktion von Schmerz und Funktionsbeeinträchtigung zu führen als Programme geringer Intensität. Es liegt postoperativ keine Evidenz für ein erhöhtes Risiko einer erneuten Operation durch aktive Behandlungsansätze oder die Beibehaltung bzw. Wiederaufnahme normaler Alltagsaktivitäten vor. Zu dieser Feststellung kommen auch Choi et al. [89]. Sie plädieren für ein frühes Krafttraining (6 Wochen nach OP) mit der medizinischen Trainingstherapie. Beide Studien konnten signifikante Verbesserungen in Bezug auf Schmerzen und Funktion nachweisen. Ein weiteres systematisches Review belegt moderate Evidenz, dass Stabilisierungsübungen bei Personen mit einer durchschnittlichen Symptomdauer von 4 Monaten zur kurzfristigen Reduktion der Schmerzintensität effektiver sind als keine Behandlung [147]. …

2.2.4 Physiotherapie

Im Rahmen der konservativen oder postoperativen Behandlung und in der Rehabilitation nach Bandscheibenvorfall stehen bei der Anwendung physiotherapeutischer Verfahren folgende Therapieziele im Vordergrund:

  • 1. Schmerzlinderung und Ödemreduktion,
  • 2. Verschiedene Formen des Krafttrainings zur Kräftigung atrophierter Muskulatur bzw. Verhinderung immobilisationsbedingter Muskelatrophie,
  • 3. Verbesserung der Koordination,
  • 4. Stabilisierung des betroffenen Bewegungssegments,
  • 5. Wiederherstellung bzw. Optimierung komplexer Bewegungsabläufe,
  • 6. Schulung der Körperwahrnehmung; Schulung des Beanspruchungsempfindens.

Krankengymnastik

Sie dient der Behandlung von Erkrankungen und Funktionsstörungen der Haltungs- und Bewegungsorgane mit mobilisierenden und stabilisierenden Übungen und Techniken zur Verbesserung der passiven Beweglichkeit, der Regulierung des Muskeltonus sowie zur Kräftigung und Aktivierung abgeschwächter Muskulatur. Information, Motivation und Schulung des Patienten über gesundheitsgerechtes und auf die Störung der Körperfunktion abgestimmtes Verhalten und die Vermittlung eines Eigenübungsprogramms ist Bestandteil der Maßnahme. Krankengymnastik wird einzeln, in Gruppen und an Geräten erbracht. Zu methodenspezifischen krankengymnastischen Behandlungstechniken gibt es bisher keine überzeugende Evidenz und daher keine speziellen Empfehlungen.

Gerätegestützte Traktion

Traktionen unter Anwendung mechanotherapeutischer Geräte werden als Extension bezeichnet. Sie wirken grundsätzlich der Schwerkraft entgegen. Die Traktion hat das Ziel, statische bzw. statisch-dynamische Belastungen zu reduzieren. Damit soll es zu einer Druckminderung und Entlastung der Gelenke und des Bandscheibenraums, einer Entlastung ggf. komprimierter Nervenwurzeln und einer Detonisierung des Muskeltonus kommen. Die Behandlung wird mit dosierter Zugkraft auf die Gelenke der Extremitäten und der Wirbelsäule ausgeführt. …

Wärmetherapie

Die Behandlung erfolgt mit gestrahlter oder geleiteter Wärme durch direkte Erwärmung. Dies soll zu einer arteriellen Hyperämie und damit zu einer Verstärkung der Durchblutung und Stoffwechselsteigerung führen. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Elektrotherapie

Die Elektrotherapie/-behandlung wird ausgeführt mit individuell eingestellten Stromstärken und Frequenzen unter Verwendung galvanischer Ströme im niederfrequenten Bereich. Die Anwendung des galvanischen Stroms zeigt verschiedene physiologische Wirkungen:

  • Hyperämisierung im behandelten Bereich mit vermehrter Ausschüttung von Histamin.
  • Analgesierende Wirkung. Die Analgesie ist umso besser, je größer die Hautflächen sind, die durchströmt werden. Das hydrogalvanische Vollbad oder die verschiedenen Formen der Zellenbäder sind wegen des großflächigen und gleichmäßigen Kontakts der Körperoberfläche zum umgebenden Wasser ideale Applikationsformen der Gleichstromtherapie.
  • Beeinflussung des Muskeltonus durch galvanische Ströme. Dies kann je nach Stromflussrichtung tonisierend und detonisierend erfolgen. Eine Muskeldetonisierung tritt dann ein, wenn der galvanische Strom in absteigender Richtung (Anode proximal, Kathode distal) fließt.

Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Ultraschall

Das Therapieziel bei der Anwendung des Ultraschalls ist die Beeinflussung der Folgeprobleme einer Bandscheibendegeneration. Die kann einerseits eine Reduzierung des Muskeltonus und des damit verbundenen Verspannungsschmerzes sowie der Verbesserung der Durchblutung sein, andererseits die Behandlung von Ansatztendinosen. Durch die Schmerzlinderung wird der Einsatz der Bewegungstherapie unterstützt und es kann eine raschere Verbesserung der Funktion erreicht werden. … Überzeugende Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Massage

Die klassische Massage dient der Behandlung der Regulation des Muskeltonus, der Hyperämisierung der Muskulatur und zur Schmerzlinderung. Sie kann insbesondere zur Schmerzminderung als vorbereitende Maßnahme zur Bewegungsanbahnung eingesetzt werden, im Akutstadium eher in segmentfernen Bereichen. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Hydrotherapie/Balneotherapie

Hydro- und Balneotherapie beinhaltet alle Therapien unter Nutzung von Wasser oder Wärmeträgern. Ziel ist es, den Muskeltonus zu beeinflussen, wie:

  • Auftriebskraft fördert Muskelentspannung und erleichtert Bewegung,
  • durch Reibungswiderstand des Wassers fördert man Bewegung und erreicht eine Muskelkräftigung,
  • durch die hydrostatische Wirkung des Wassers kommt es zur Oedemreduktion,
  • thermische Wirkungen verursachen Hyperämisierungen.

Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

2.2.5 Ergotherapie

Ergotherapie unterstützt und begleitet Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkungen bedroht sind. Hierbei dienen spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Menschen Handlungsfähigkeit im Alltag, Gesellschaft und Beruf zu ermöglichen und Lebensqualität zu verbessern. (Definition Ergotherapie des DVE 08/2007).

Als Basis für das Training unterschiedlicher Alltagshandlungen beinhaltet dies etwa das Erlernen ergonomischer und physiologischer Bewegungsabläufe oder von Kompensationsstrategien zur Schmerzlinderung oder die Förderung von für den Alltag nötigen motorischen und sensiblen Fähigkeiten (vgl. DVE 2010 [97]).

Die Ziele und Therapiemethoden im Einzelfall richten sich nach den individuellen Rehabilitationszielen, nach den Handlungszielen des Rehabilitanden, nach dessen somatischem und psychischem Zustand sowie nach den individuellen Kontextfaktoren (umwelt- und personenbezogene Faktoren).

Ziele

Übergeordnete Ziele der Ergotherapie in der Behandlung bei bandscheibenbedingten Beschwerden sind die Verbesserung von Aktivitäten, Teilhabe und Lebensqualität, insbesondere die Verbesserung der individuell benötigten Aktivitäten und der Teilhabe in allen Lebensbereichen inkl. Arbeit und Beruf.

Hilfsmittelberatung, -testung und -training

Inhalte sind die Analyse des notwendigen Hilfsmittelbedarfs zur Verbesserung der Selbständigkeit in den eingeschränkten Alltagshandlungen, die praktische Erprobung der Hilfsmittel und bei Bedarf weiteres Training im Umgang mit den Hilfsmitteln.

In der akuten Phase erfolgt die Hilfsmittelversorgung i.d.R. zunächst temporär mit dem Schwerpunkt auf Hilfsmitteln der Selbstversorgung, etwa Greifhilfen und adaptierte Kleidung, da sich die Schwierigkeiten im Alltag mit einer Besserung der Symptomatik meist reduzieren. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

ADL-Beratung/-Training

Hierunter versteht man die spezielle Analyse von konkreten Alltagshandlungen mit individueller Beratung, Anpassung des Handlungsverhaltens und der räumlichen und sozialen Umweltbedingungen an die krankheitsbedingten Veränderungen der Körperstrukturen und -funktionen, wie z.B. bei motorischer und/oder sensibler Schädigung. Diese Maßnahme bietet die Möglichkeit, ein umfassendes Konzept zur Bewegungsergonomie in mehreren Alltagsbereichen zu erarbeiten und bei Bedarf Kompensationsstrategien zu entwickeln. Im Rahmen des ADL-Trainings bzw. der ADL-Beratung werden auch Empfehlungen für Maßnahmen zur Anpassung des räumlichen und sozialen Umfeldes entwickelt, z.B. sind Veränderungen der Platzierung von Arbeitsgegenständen in allen Lebensbereichen vorzunehmen. Dies kann ggf. durch das Aufsuchen des betreffenden Bereichs erfolgen. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Funktionstraining, Wahrnehmungs-

training/sensomotorisch-perzeptive

Behandlung

Diese Behandlungsmethoden werden bei Bandscheibenläsionen zur Sensibilisierung distaler Körperbereiche und zur Funktionsverbesserung gestörter Bewegungsabläufe eingesetzt. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Arbeitsplatztraining/Arbeitstherapie

Voraussetzung ist ein medizinisch stabiler Zustand. Die Therapie wird in entsprechenden Räumlichkeiten, wie in einem realitätsnahen Arbeitstrainingsraum oder bei Bedarf am Arbeitsplatz durchgeführt. Die inhaltlichen Schwerpunkte nach Bandscheibenläsionen liegen auf der Umsetzung rückengerechter Verhaltensweisen im Arbeitsalltag, Belastungsgrenzen zu testen, die Selbst- und Fremdeinschätzung der Arbeitsfähigkeit zu beurteilen und die Beratung für eine ergonomische Arbeitsplatzgestaltung durchzuführen. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

2.2.6 Manuelle Therapie

Der Manipulation/Mobilisation liegt eine definierte Verfahrensweise zu Grunde, die ein schnelles oder langsames, einmaliges oder repetitives Bewegen von Gelenkpartnern und zugehöriger Muskulatur, ganzen Teilen der Wirbelsäule oder der Iliosacralgelenke zum Ziel hat. Die therapeutische Wirkung wird teilweise durch mechanische, überwiegend aber über neuroreflektorische Vorgänge begründet. Manipulationen dürfen nur durch Ärzte vorgenommen werden.

Bei korrekter Indikationsstellung und Beachtung der Kontraindikationen sowie immer vor der Manipulation durchzuführender Probemobilisation treten Nebenwirkungen (Verletzungen) extrem selten auf [111].

Die Wirkung der spinalen Manipulation ist – bei Ausübung durch erfahrene Therapeuten und nach Ausschluss der „red flags“ – in der Frühphase der Therapie akuter Rückenschmerzen ohne radikuläre Symptomatik durch mehrere Studien belegt [114, 115]. Die Wirksamkeit einer Manipulationsbehandlung ist gegenüber einer Scheinbehandlung effektiver [113]. Bei Vorliegen einer radikulären Symptomatik mit neurologischen Ausfällen sind Manipulationen im betroffenen Segment kontraindiziert [111]. Eine manualtherapeutische Behandlung ggf. bestehender Begleitblockierungen in angrenzenden Wirbelsäulenabschnitten ist möglich.

Eine Studie beschreibt positive Effekte für die Schmerzreduktion durch Manipulation/Mobilisation bei besonders ausgeprägten Schmerzen mit Wurzelreizsymptomatik [112].

2.2.7 Orthesen

Orthesen sind Hilfsmittel, die am Rumpf und der Halswirbelsäule angewendet werden können. Sie können folgende Wirkungen haben:

  • Stabilisation und Entlastung betroffener Segmente,
  • Wärmewirkung und Detonisation,
  • Unterstützung von Alltagsaktivitäten.

Sie werden international nach den Körpersegmenten bezeichnet, die sie überbrücken:

  • CO = Cervikalorthese,
  • CTO = Cerviko-Thorakale Orthese,
  • TLSO = Thorako-Lumbo-Sacrale Orthese,
  • LSO = Lumbo-Sacrale Orthese.

Je nach biomechanisch-technischem Aufbau sind die Orthesen mit elastischen Materialien (Drell, Bandagenmaterial), Federstäben (Metall, Carbon) oder in Rahmenkonstruktionen gefertigt. Zur rigideren Ruhigstellung können Schaleneinsätze, zur Erzielung spezifischer Haltungsbeeinflussungen (z.B. Flexion – Entlordosierung) Pelotten eingearbeitet sein. Orthesen werden insbeondere bei Cervikal- und Lumbalsyndromen, bei segmentalen Instabilitäten, nach Frakturen und Operationen sowie bei akuten und subakuten, auch chronischen bandscheibenbedingten Beschwerden eingesetzt.

Der Einsatz von Wirbelsäulenorthesen in der Behandlung lumbaler Beschwerden ist eine klinisch häufiger genutzte Behandlungsmethode. Bisher liegen Studien, die die Wirksamkeit belegt haben, nicht oder nur in schlechter methodischer Qualität vor. Vorliegende Studien basieren entweder auf Populationen mit einer Mischung aus akuten, subakuten und chronischen Kreuzschmerzen, oder die Dauer des Kreuzschmerzes wird garnicht definiert. Die meisten klinischen Studien beschäftigen sich mit der Akzeptanz und Schmerzreduzierung, wobei Placeboeffekte nicht ausgeschlossen werden können.

Effektiv randomisierte Studien zur Wirksamkeit von Lumbalorthesen fehlen bisher. Biomechanische Analysen sind schwierig, Finite-Element-Berechnungsmethoden könnten aus technischer Sicht ggf. einen reellen Einblick in die Belastungssituation an der lumbalen Wirbelsäule geben, hierzu liegen vereinzelte Studien vor.

Elektromyographische Messungen liefern Informationen über die Aktivität der Rückenstreckmuskulatur, woraus allerdings wiederum keine direkten Schlussfolgerungen auf die Belastung der Bandscheiben bzw. der Facettengelenke möglich sind. Dalichau und Schele [116] beschrieben in einer Studie aus dem Jahre 2000 im Rahmen einer prospektiv randomisierten Studie, dass das Tragen eines elastischen lumbalen Stützgürtels die Wirksamkeit eines Muskeltrainingsprogramms bei Patienten mit chronischem Kreuzschmerzsyndrom signifikant erhöhte. Aus dem deutsch- und englischsprachigen Bereich liegt Literatur dazu vor, dass eine Zunahme der isometrischen Muskelkraft der Rumpfflexoren beim Tragen eines Back Supports um etwa 16 % beziffert werden kann, die der Kraftausdauer um 28 % [117–121]. Eine biomechanische Studie einer Arbeitsgruppe aus Hamburg [122] ging den Weg des Nachweises über die Messung des Anpressdruckes zwischen Sensorkontaktfläche und Lumbalbereich mittels FSR-Druckaufnehmern. Zur Druckermittlung wurden 2 Sensoren in die Vertikalstäbe eines Kunststoffrahmens der Orthese fixiert. Bei getragener Orthese erfuhren diese eine Spannungsänderung, die durch einen angeschlossenen Messverstärker aufgenommen wurde. Speziell beim Heben körperferner Lasten von mehr als 20 kg konnte ein deutlicher Entfaltungseffekt nachgewiesen werden.

2.3 Nachsorge und berufliche Reintegration

Zur gegebenenfalls notwendigen beruflichen Reintegration sind folgende Maßnahmen zu zählen:

  • Organisation und Realisierung der beruflichen Integration (z.B. stufenweise Wiedereingliederung, innerbetriebliche Umsetzung etc.),
  • Organisation und Realisierung von Maßnahmen zur beruflichen Teilhabe,
  • sozialrechtliche Beratung zu Aspekten der beruflichen Teilhabe, der wirtschaftlichen Absicherung, rentenrechtlichen Fragen, sowie anderen Teilgebieten des Sozialrechts,
  • Organisation und Beratung zu weitergehenden, nachsorgenden Maßnahmen wie häusliche Pflege und Versorgung, nachstationäre Betreuung oder die Vermittlung in stationären oder teilstationären Pflegeeinrichtungen.

2.3.1 Nachsorgekonzept

Um einen Behandlungserfolg nach einer ambulanten oder stationären medizinischen Rehabilitation möglichst dauerhaft zu gestalten, ist es nach einem Bandscheibenvorfall mit Radikulärsymptomatik, insbesondere nach einer Bandscheibenoperation, erforderlich, den Betroffenen gezielten Maßnahmen einer Nachsorge zuzuführen. Das konkrete Prozedere wird von der erreichten Befundsituation und vom Umfang noch bestehender Restbeschwerden bestimmt.

In jedem Fall sollte die Nachsorge neben einem stabilisierenden Heimübungsprogramm auch gesundheitsbezogene Verhaltens-, Umwelt- und Lebensstilanpassungen im persönlichen Alltag sowie eine berufsbegleitende Fortführung ambulanter Behandlungselemente und entsprechender Selbsthilfeaktivitäten umfassen. Die Effektivität der Nachsorge-Angebote kann durch eine Umsetzung in Wohnortnähe erhöht werden.

Zielstellung ist es dabei, in diesem Prozess die Eigeninitiative und die Eigenverantwortung des Rehabilitanden so zu fördern, dass sich hieraus eine anhaltende Motivation entwickelt, aus der möglichst eine lebenslange Nachhaltigkeit der Aktivitäten resultiert.

Die Reha-Nachsorge der Rentenversicherungsträger umfasst ein differenziertes Leistungsspektrum auf Basis der Sozialgesetzbücher VI und IX.

Die Nachsorge kann in einem Zeitraum von maximal 12 Monaten nach Abschluss der Reha- Leistung durchgeführt werden. Die Therapiefolge kann dabei kontinuierlich, initial verdichtet oder intervallartig gestaltet sein. Rehabilitationssport und Funktionstraining können nach einer Rehabilitation bzw. auch nach einer Reha-Nachsorge erbracht werden.

Ziele des Rehabilitationssports sind es, mit Mitteln des Sports Ausdauer und Kraft zu stärken, Koordination und Flexibilität zu verbessern sowie das Selbstbewusstsein zu stärken und die Hilfe zur Selbsthilfe. Die Leistungserbringung (Bereich Stütz- und Bewegungsorgane) erfolgt durch den Deutschen Behindertensportverband, für die Umsetzung in Übungsgruppen zeichnen Fachübungsleiter auf Vereinsebene verantwortlich.

Ziele des Funktionstrainings sind die Verbesserung betroffener Gelenkstrukturen und die Verringerung bestehender Defizite. Die Leistungserbringung wird regional durch die Deutsche Rheuma-Liga organisiert und durch Physiotherapeuten/Krankengymnasten und Ergotherapeuten in kleinen Gruppen fachkundig umgesetzt.

Die Notwendigkeit zur Weiterführung regelmäßiger Bewegungsübungen geht zeitlich meist über die Nachsorgeleistungen hinaus. Nur mit einer entsprechend entwickelten Motivation und Eigeninitiative der Rehabilitanden kann diese erforderliche Nachhaltigkeit im Rahmen einer Mitgliedschaft in einem Reha-Sportverein auch langfristig gewährleistet werden bzw. damit erhalten bleiben.

2.3.2 Berufliche Wiedereingliederung

Die berufliche Reintegration nach der Bandscheibenoperation am bisherigen Arbeitsplatz erfolgt verlaufsabhängig zwischen der 8. und 12. postoperativen Woche. Insbesondere nach längerer, bereits präoperativer Arbeitsunfähigkeit sollte eine Reintegration über eine stufenweise Wiedereingliederung nach § 28 SGB IX bzw. § 74 SGB V angestrebt und organisiert werden. Hierbei handelt es sich um eine übergreifende Kooperation von Renten- und Krankenversicherung. Berufliche Teilhabemaßnahmen sind ggf. über die Sozial- und Rehabilitationsberatung zu organisieren.

Eine Kooperation mit nachbehandelnden Ärzten ist immer als vorteilhaft anzusehen und sollte mit dem Ziel realisiert werden, neben einem Austausch zum Rehabilitationsverlauf auch Maßnahmen der Nachsorge direkt und zielgerichtet abstimmen zu können.

3. Empfehlungen

 

? Originalfassung der Leitlinie: Ergänzende bzw. spezifische therapieorientierte Empfehlungen für jede/ s nachfolgend postulierte Erkrankungssituation/ -stadium. Die didaktische Reihenfolge der Ausführungen zu möglichen Therapieformen ist einheitlich und entspricht der des Kapitels 2.2! Aus Gründen der nicht uneingeschränkt zur Verfügung stehenden Platzkapazität wurde auf einen Abdruck in diesem Beitrag verzichtet.

Empfehlungen für die/das jeweilige verlaufsgebundene Erkrankungssituation bzw. -stadium:

3.1 akut

3.2 subakut

3.3 postoperativ

3.4 chronifizierungs-gefährdet

 

4. Glossar

  • AMWF Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften
  • DGOOC Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und orthopädische Chirurgie e.V.
  • DVE Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V.
  • LLoE Level of Evidence
  • LONTS Opioide Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (Leitlinie der AMWF)
  • NSMRI Nichtselektive Monoamin-Wiederaufnahme-Hemmer
  • SSRIS Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer
  • tNSAR Traditionelle nicht-steroidale Antirheumatika

5. Literatur

 

? Aus Gründen der nicht uneingeschränkt zur Verfügung stehenden Platzkapazität musste auf den Abdruck der Literaturquellen verzichtet werden, die numerischen Hinweise im Text wurden belassen. Für die Erstellung dieser Leitlinie wurden insgesamt 181 Literaturquellen herangezogen, diese sind vollständig in der Originalfassung aufgelistet.

 

Interessenkonflikt: Die Beteiligten erklärten sämtlich, dass bei der Erstellung der Leitlinie keine Interessenkonflikte vorlagen.

6. Autorenverzeichnis

  • Federführend

Prof. Dr. med. Bernhard Greitemann, Klinik Münsterland, Bad Rothenfelde

PD Dr. med. Volkmar Stein, Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Sachsen-Anhalt (BSSA), Magdeburg

Leitliniengruppe

Dr. med. Jochen Bauer, Parkklinik, Bad Rothenfelde

Eckhard Böhle, Zentralverband der Krankengymnasten/Physiotherapeuten (ZVK), Köln

Dr. med. Hartmut Bork, Reha-Zentrum am St. Josef-Stift, Sendenhorst

Dr. med. Ulrike Borngräber, Klinik am Hellweg, Bad Sassendorf

Dr. med. Eliane Broll-Zeitvogel, Parkklinik, Bad Rothenfelde

Dr. med. Silke Brüggemann, Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin

Martina Freundt, Deutscher Verband der Ergotherapeuten (DVE), Karlsbad

Stefan Panning, (BDP), Klinik Münsterland, Bad Rothenfelde

Prof. Dr. Klaus Pfeifer, Institut für Sportwissenschaften und Sport, Universität Erlangen

Dr. med. Theodoros Theodoridis, Bochum

Meik Schnabel, Deutsche Rentenversicherung Westfalen, Münster

Prof. Dr. med. Bernhard Greitemann, Klinik Münsterland, Bad Rothenfelde

PD Dr. med. Volkmar Stein, Magdeburg

Fussnoten

1 Leitliniengruppe: Jochen Bauer, Eckhard Böhle, Hartmut Bork, Ulrike Borngräber, Eliane Broll-Zeitvogel, Silke Brüggemann, Martina Freundt, Stefan Panning, Klaus Pfeifer, Theodoros Theodoridis, Meik Schnabel, Bernhard Greitemann, Volkmar Stein, siehe auch Absatz 6, Seite 53

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