Übersichtsarbeiten - OUP 02/2014

Leitlinie zur konservativen und rehabilitativen Versorgung bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik1
Gekürzte Version der Originalfassung vor Bestätigung der Aktualisierung durch die DGOOC

 

? Originalfassung der Leitlinie mit tabellarischen Wirkstoffübersichten:

Analgetika, Schwach wirksame Opiate, Ko-Analgetika, Myotrope Medikamente

 

TLA: Therapeutische Lokalanästhesie

Behandlungsprinzip

Durch Injektion schmerzstillender, entzündungshemmender und entquellender Mittel an den Ausgangspunkt der Nozizeption im Bewegungssegment gewinnt man einen unmittelbaren Einfluss auf die Primärstörung. Je nach Intention verwendet man für die therapeutische lokale Injektionsbehandlung entweder Lokalanästhetika, Steroide oder beides zusammen. Therapeutische Lokalanästhesie ist der wesentliche Teil der therapeutischen lokalen Injektionsbehandlung. Wenige Milliliter einer niedrig konzentrierten (0,5–1,5 %) Lokalanästhesielösung reichen aus, um sensibilisierte Nozizeptoren auszuschalten. Man erreicht dadurch eine:

  • Schmerzreduktion,
  • Herabsetzung der Nervenerregbarkeit,
  • Lokale Durchblutungssteigerung,
  • Desensibilisierung.

Lokalanästhetika führen nach Gewebeinfiltration zur reversiblen Ausschaltung der afferenten Fasern. Da die Wirksamkeit der Lokalanästhetika mit einer Vergrößerung des Faserdurchmessers abnimmt, werden zuerst die sensiblen und bei höherer Dosierung die motorischen Nervenfasern blockiert. Angriffspunkt der therapeutischen Lokalanästhesie sind die sensiblen Nervenfasern. Lokalanästhetika setzen die Membranpermeabilität für Kationen herab, insbesondere für Natriumionen. Es kommt zu einer verringerten Membranpermeabilität mit verminderter Erregbarkeit. Die Verwendung höherer Konzentrationen mit vollständiger Anästhesie und Paralyse ist für die lokale Infiltrationsbehandlung nicht erforderlich. Ziel ist eine Herabsetzung der Erregbarkeit mit Heraufsetzen der Reizschwelle.

Die schmerzlindernde Wirkung hält länger an als von der Wirkdauer des Lokalanästhetikums zu erwarten ist, insbesondere bei wiederholter Applikation. Der Zustand der verminderten Erregbarkeit hält an, sodass man mit einer Serie von 6–12 Infiltrationen an aufeinanderfolgenden Tagen eine Dauerwirkung erzielen kann [168].

Experimentelle Untersuchungen haben gezeigt, dass entzündliche Veränderungen der Nervenwurzel, hervorgerufen durch Kompression, mit Lidocaininjektionen weitgehend verhindert werden können [166, 167].

Die durch die mechanische Bedrängung angeschwollene Nervenwurzel wird durch die Injektionsbehandlung wieder in den ursprünglichen schmerzfreien Zustand gebracht. Dieses gilt sowohl für die Bandscheibenprotrusion und den -vorfall als auch für die Rezessusstenose, die Spinalkanalstenose sowie für periradikuläre Vernarbungen. Eine Bewegungstherapie sollte nach erfolgreicher Injektionsserie zum dauerhaften Begleitprogramm für den Patienten werden. Dadurch sinkt das Risiko eines erneuten Reizzustandes. Da die degenerativen Wirbelsäulenveränderungen aber fortbestehen, führen diese oft zu rezidivierenden Beschwerdezuständen, sodass nicht auszuschließen ist, dass eine Injektionstherapie erneut erforderlich wird. Deswegen sollte die Injektionsbehandlung an der Wirbelsäule bis auf wenige Ausnahmen möglichst ohne Einsatz ionisierender Strahlen erfolgen. Indikationen für die sofortige Verwendung einer Röntgendurchleuchtung oder CT-Steuerung ergeben sich aus besonderen anatomischen Verhältnissen mit Schwierigkeiten, den gewünschten Injektionsort aufzufinden, so z.B. bei Skoliosen, Übergangswirbeln und sehr adipösen Patienten. Eine Durchleuchtungs- bzw. CT-Kontrolle kann auch erforderlich sein, wenn eine Nervenwurzel durch Kontrastmittelinjektion und Schmerzausschaltung definiert werden soll, etwa zur präoperativen Diagnostik einer Nervenwurzeldekompressionsoperation.

Bei der zervikal-epiduralen Injektion ist der Einsatz eines bildgebenden Verfahrens wegen der unmittelbaren Nähe des zentralen Nervensystems ebenfalls erforderlich.

Die Injektionen an den Schmerzausgangspunkten in der Tiefe des Bewegungssegments, d.h. im Wirbelkanal, im Foramen intervertebrale und im Wirbelgelenk gelten im Gegensatz zu den mehr oberflächlichen Muskel- und Triggerpunktinfiltrationen als minimalinvasive Behandlungsmaßnahmen [169].

Übersicht der segmentnahen

Injektionstechniken

Je nach Zielrichtung unterscheidet man:

  • Paravertebrale-perineurale Techniken (cervikale-, thorakale-, lumbale Spinalnervanalgesie) (Abk: CSPA, TSPA, LSPA oder PRT ),
  • epidurale-perineurale Techniken (Epidural zervikale, epidural-perineurale, epidural- dorsale, epidural-sakrale),
  • periartikuläre Techniken (cervikale, thorakale, lumbale Facetteninfiltrationen, SIG-Infiltrationen).

Indikation

Wenn konservative Maßnahmen kein befriedigendes Resultat erzielen, ist zu prüfen, ob man nicht eine der segmentnahen Single-shot-Injektionsverfahren einsetzen kann. Hauptindikationen sind therapieresistente radikuläre Wirbelsäulensyndrome mit einer Korrelation zwischen klinischem und bildgebendem Befund. Die Auswahl des Verfahrens richtet sich nach der nachgewiesenen Wirksamkeit in Relation zu den möglichen Komplikationen und Nebenwirkungen.

Ergebnisse der epiduralen

Injektionstherapie

Es liegen zahlreiche Ergebnisse aus randomisiert-kontrollierten Studien zu epiduralen Injektionen beim lumbalen Wurzelkompressionssyndrom wegen degenerativer Erkrankungen der Lendenwirbelsäule vor, mit überwiegend positiven Ergebnissen [168].

 

? Originalfassung der Leitlinie mit tabellarischer Ergebnisübersicht zu randomisiert-kontrollierten Studien zur epiduralen Injektionsbehandlung beim lumbalen Wurzelkompressionssyndrom

 

Fazit

Mit der TLA nimmt man Einfluss auf die Beschwerdespitzen, die im Spontanverlauf einer diskogenen oder stenosebedingten akuten Verschlimmerung eher zur Operation geführt hätten. Die Injektionstherapie hat einen hohen Stellenwert bei der Behandlung der degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen.

Akupunktur

Als Akupunktur wird die perkutane Nadelapplikation an spezifischen Akupunkturpunkten des Körpers zur Behandlung von Symptomen (hier radikuläre Schmerzausstrahlung) bezeichnet. Die Akupunktur bewirkt eine überschwellige Propriozeptorenreizung; die Reizweiterleitung wird über a-delta Fasern vermittelt. Hierdurch kommt es unter anderem zu einer erhöhten Endorphin- und Kortisolausschüttung.

Bei sachgemäßer Handhabung treten bei der Akupunktur selten Nebenwirkungen auf; es besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für Blutungen, Hämatome und Infektionen gegenüber nicht invasiven Therapieverfahren.

Der Nutzen der Akupunktur bei akuten Rückenschmerzen ist in der Literatur nicht eindeutig erwiesen. Bei akuten Kreuzschmerzen raten die aktuellen Leitlinien [66, 179, 180] von der Anwendung von Akupunktur ab. …

Psychologische Schmerztherapie

Verhaltenstherapie

Verfahren der kognitiven Verhaltenstherapie zielen auf die Veränderung schmerzbezogener Kognitionen (Entkatastrophisieren, Kontrolle, Aktivität) und Emotionen (Depressivität, Angst) sowie maladaptiver Verhaltensweisen in Bezug auf Schmerz und Stress im privaten und/oder beruflichen Kontext. Das Hauptziel der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Maßnahmen besteht in der Entkoppelung von Schmerz und Stress. In der subakuten Phase des radikulären Schmerzes (> 6 Wochen) soll bei bestehendem Risikoprofil auf diese Weise einer Chronifizierung vorgebeugt werden (Sekundärprävention). In der chronischen Phase (> 12 Wochen) geht es um eine Verringerung der eingetretenen Beeinträchtigungen auf kognitiver, emotionaler und behavioraler Ebene (Tertiärprävention). Kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen sind in der Regel Bestandteil eines multimodalen Behandlungsprogramms, bestehend aus medizinischen, bewegungstherapeutischen und psychologischen Komponenten.

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