Übersichtsarbeiten - OUP 02/2014

Leitlinie zur konservativen und rehabilitativen Versorgung bei Bandscheibenvorfällen mit radikulärer Symptomatik1
Gekürzte Version der Originalfassung vor Bestätigung der Aktualisierung durch die DGOOC

2.2.4 Physiotherapie

Im Rahmen der konservativen oder postoperativen Behandlung und in der Rehabilitation nach Bandscheibenvorfall stehen bei der Anwendung physiotherapeutischer Verfahren folgende Therapieziele im Vordergrund:

  • 1. Schmerzlinderung und Ödemreduktion,
  • 2. Verschiedene Formen des Krafttrainings zur Kräftigung atrophierter Muskulatur bzw. Verhinderung immobilisationsbedingter Muskelatrophie,
  • 3. Verbesserung der Koordination,
  • 4. Stabilisierung des betroffenen Bewegungssegments,
  • 5. Wiederherstellung bzw. Optimierung komplexer Bewegungsabläufe,
  • 6. Schulung der Körperwahrnehmung; Schulung des Beanspruchungsempfindens.

Krankengymnastik

Sie dient der Behandlung von Erkrankungen und Funktionsstörungen der Haltungs- und Bewegungsorgane mit mobilisierenden und stabilisierenden Übungen und Techniken zur Verbesserung der passiven Beweglichkeit, der Regulierung des Muskeltonus sowie zur Kräftigung und Aktivierung abgeschwächter Muskulatur. Information, Motivation und Schulung des Patienten über gesundheitsgerechtes und auf die Störung der Körperfunktion abgestimmtes Verhalten und die Vermittlung eines Eigenübungsprogramms ist Bestandteil der Maßnahme. Krankengymnastik wird einzeln, in Gruppen und an Geräten erbracht. Zu methodenspezifischen krankengymnastischen Behandlungstechniken gibt es bisher keine überzeugende Evidenz und daher keine speziellen Empfehlungen.

Gerätegestützte Traktion

Traktionen unter Anwendung mechanotherapeutischer Geräte werden als Extension bezeichnet. Sie wirken grundsätzlich der Schwerkraft entgegen. Die Traktion hat das Ziel, statische bzw. statisch-dynamische Belastungen zu reduzieren. Damit soll es zu einer Druckminderung und Entlastung der Gelenke und des Bandscheibenraums, einer Entlastung ggf. komprimierter Nervenwurzeln und einer Detonisierung des Muskeltonus kommen. Die Behandlung wird mit dosierter Zugkraft auf die Gelenke der Extremitäten und der Wirbelsäule ausgeführt. …

Wärmetherapie

Die Behandlung erfolgt mit gestrahlter oder geleiteter Wärme durch direkte Erwärmung. Dies soll zu einer arteriellen Hyperämie und damit zu einer Verstärkung der Durchblutung und Stoffwechselsteigerung führen. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Elektrotherapie

Die Elektrotherapie/-behandlung wird ausgeführt mit individuell eingestellten Stromstärken und Frequenzen unter Verwendung galvanischer Ströme im niederfrequenten Bereich. Die Anwendung des galvanischen Stroms zeigt verschiedene physiologische Wirkungen:

  • Hyperämisierung im behandelten Bereich mit vermehrter Ausschüttung von Histamin.
  • Analgesierende Wirkung. Die Analgesie ist umso besser, je größer die Hautflächen sind, die durchströmt werden. Das hydrogalvanische Vollbad oder die verschiedenen Formen der Zellenbäder sind wegen des großflächigen und gleichmäßigen Kontakts der Körperoberfläche zum umgebenden Wasser ideale Applikationsformen der Gleichstromtherapie.
  • Beeinflussung des Muskeltonus durch galvanische Ströme. Dies kann je nach Stromflussrichtung tonisierend und detonisierend erfolgen. Eine Muskeldetonisierung tritt dann ein, wenn der galvanische Strom in absteigender Richtung (Anode proximal, Kathode distal) fließt.

Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Ultraschall

Das Therapieziel bei der Anwendung des Ultraschalls ist die Beeinflussung der Folgeprobleme einer Bandscheibendegeneration. Die kann einerseits eine Reduzierung des Muskeltonus und des damit verbundenen Verspannungsschmerzes sowie der Verbesserung der Durchblutung sein, andererseits die Behandlung von Ansatztendinosen. Durch die Schmerzlinderung wird der Einsatz der Bewegungstherapie unterstützt und es kann eine raschere Verbesserung der Funktion erreicht werden. … Überzeugende Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Massage

Die klassische Massage dient der Behandlung der Regulation des Muskeltonus, der Hyperämisierung der Muskulatur und zur Schmerzlinderung. Sie kann insbesondere zur Schmerzminderung als vorbereitende Maßnahme zur Bewegungsanbahnung eingesetzt werden, im Akutstadium eher in segmentfernen Bereichen. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

Hydrotherapie/Balneotherapie

Hydro- und Balneotherapie beinhaltet alle Therapien unter Nutzung von Wasser oder Wärmeträgern. Ziel ist es, den Muskeltonus zu beeinflussen, wie:

  • Auftriebskraft fördert Muskelentspannung und erleichtert Bewegung,
  • durch Reibungswiderstand des Wassers fördert man Bewegung und erreicht eine Muskelkräftigung,
  • durch die hydrostatische Wirkung des Wassers kommt es zur Oedemreduktion,
  • thermische Wirkungen verursachen Hyperämisierungen.

Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

2.2.5 Ergotherapie

Ergotherapie unterstützt und begleitet Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkungen bedroht sind. Hierbei dienen spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Menschen Handlungsfähigkeit im Alltag, Gesellschaft und Beruf zu ermöglichen und Lebensqualität zu verbessern. (Definition Ergotherapie des DVE 08/2007).

Als Basis für das Training unterschiedlicher Alltagshandlungen beinhaltet dies etwa das Erlernen ergonomischer und physiologischer Bewegungsabläufe oder von Kompensationsstrategien zur Schmerzlinderung oder die Förderung von für den Alltag nötigen motorischen und sensiblen Fähigkeiten (vgl. DVE 2010 [97]).

Die Ziele und Therapiemethoden im Einzelfall richten sich nach den individuellen Rehabilitationszielen, nach den Handlungszielen des Rehabilitanden, nach dessen somatischem und psychischem Zustand sowie nach den individuellen Kontextfaktoren (umwelt- und personenbezogene Faktoren).

Ziele

Übergeordnete Ziele der Ergotherapie in der Behandlung bei bandscheibenbedingten Beschwerden sind die Verbesserung von Aktivitäten, Teilhabe und Lebensqualität, insbesondere die Verbesserung der individuell benötigten Aktivitäten und der Teilhabe in allen Lebensbereichen inkl. Arbeit und Beruf.

Hilfsmittelberatung, -testung und -training

Inhalte sind die Analyse des notwendigen Hilfsmittelbedarfs zur Verbesserung der Selbständigkeit in den eingeschränkten Alltagshandlungen, die praktische Erprobung der Hilfsmittel und bei Bedarf weiteres Training im Umgang mit den Hilfsmitteln.

In der akuten Phase erfolgt die Hilfsmittelversorgung i.d.R. zunächst temporär mit dem Schwerpunkt auf Hilfsmitteln der Selbstversorgung, etwa Greifhilfen und adaptierte Kleidung, da sich die Schwierigkeiten im Alltag mit einer Besserung der Symptomatik meist reduzieren. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

ADL-Beratung/-Training

Hierunter versteht man die spezielle Analyse von konkreten Alltagshandlungen mit individueller Beratung, Anpassung des Handlungsverhaltens und der räumlichen und sozialen Umweltbedingungen an die krankheitsbedingten Veränderungen der Körperstrukturen und -funktionen, wie z.B. bei motorischer und/oder sensibler Schädigung. Diese Maßnahme bietet die Möglichkeit, ein umfassendes Konzept zur Bewegungsergonomie in mehreren Alltagsbereichen zu erarbeiten und bei Bedarf Kompensationsstrategien zu entwickeln. Im Rahmen des ADL-Trainings bzw. der ADL-Beratung werden auch Empfehlungen für Maßnahmen zur Anpassung des räumlichen und sozialen Umfeldes entwickelt, z.B. sind Veränderungen der Platzierung von Arbeitsgegenständen in allen Lebensbereichen vorzunehmen. Dies kann ggf. durch das Aufsuchen des betreffenden Bereichs erfolgen. Studien zum Wirksamkeitsnachweis fehlen.

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