Übersichtsarbeiten - OUP 12/2018

Matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation
Lösung für die Schwächen der Mikrofrakturierung?Cracking the problems of arthroscopic microfracturing?

Martin Volz1, Wolfgang Zinser2, Daniel Guenther3

Zusammenfassung: In der Therapie rein chondraler Defekte gelten die Mikrofrakturierung/Anbohrungen bei unter 2,5 cm2 Defektfläche am Knie und bei unter 1,5 cm² am oberem Sprunggelenk und am Hüftgelenk als Verfahren der ersten Wahl. Mittel- bis Langzeitergebnisse am Kniegelenk zeigten jedoch, dass der entstandene Ersatzknorpel bei Knorpeldefekten vor allem ab 2,5 cm2 häufig keine langfristige Stabilität gewährleistet. Bei der Anwendung der
Mikrofrakturierung/Knochenmarkstimulation sind zur Sicherung des Erfolgs und zur Vermeidung von häufigen Komplikationen strenge und sorgfältige Operationstechniken zu
beachten unter Verwendung geeigneter Instrumentarien. Die matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation bietet ein Verfahren, durch welches zum einen das initiale Blutkoagel durch ein Biomaterial geschützt wird und zum anderen den Knochenmarkzellen ein Gerüst geboten wird, in welchem sie sich differenzieren können. Außerdem bieten die verfügbaren Biomaterialien unterschiedliche biologische Effekte, die Syntheseleistung, Zelldifferenzierung und damit auch
die Knorpelersatzqualität positiv beeinflussen können. Ihre klinische Anwendung liegt derzeit überwiegend im Grenzbereich zwischen der Indikation zur autologen Chondrozytentransplantation und den matrixfreien knochenmarkstimulierenden Techniken. Randomisierte, kontrollierte Studien
mit einem Nachuntersuchungszeitraum von 5 Jahren sind vorhanden, die eine Überlegenheit der autologen matrix-
induzierten Knochenmarkstimulation über die isolierte
Mikrofrakturierung/Knochenmarkstimulation zeigen. Weitere prospektive klinische Studien sind notwendig, um die Indikation der verschiedenen knorpelregenerativen Verfahren
weiter sinnvoll einzugrenzen.

Schlüsselwörter: matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation, Mikrofrakturierung, Knorpelschaden, Knorpeltherapie,
Pridie-Bohrung, Mikrobohrung

Zitierweise
Volz M, Zinser W, Guenther D: Matrixaugmentierte Knochenmarkstimulation. Lösung für die Schwächen der Mikrofrakturierung?
OUP 2018; 7: 588–596 DOI 10.3238/oup.2018.0588–0596

Summary: Arthroscopic microfracturing is considered the gold standard for the treatment of full-thickness cartilage defects of the knee < 2.5 cm2 and of the hip and ankle < 1.5 cm². Mid- to long-term results have shown that the resulting repair tissue is lacking long-term stability, especially in cartilage defects > 2.5 cm2. Matrix-augmented bone marrow stimulation is an option to keep the initial blood clot in place, saving the bloodclot using a biomaterial, and securing it and at the same time offering a scaffold for differentiation of bone marrow derived stem cells. Its clinical application is currently reserved for indications between cell transplantation and non-augmented bone marrow stimulation techniques. Randomized controlled trials have shown sustained benefit of matrix-augmented bone marrow stimulation over isolated arthroscopic microfracturing. In the future, more prospective, randomized clinical trials are necessary to clarify clinical indications of different surgical principles for regenerative cartilage therapies.

Keywords: matrix-augmented bone marrow stimulation,
microfracturing, microdrilling, cartilage injury, cartilage therapy

Citation
Volz M, Zinser W, Guenther D: Matrix-augmented bone marrow
stimulation. Cracking the problems of arthroscopic microfracturing? OUP 2018; 7: 588–596 DOI 10.3238/oup.2018.0588–0596

1 Sportklinik Ravensburg, 2 Orthopädie und Unfallchirurgie, St. Vinzenz-Hospital Dinslaken, 3 Klinik für Unfallchirurgie, Medizinische Hochschule Hannover (MHH)

Historie

Die regenerative Knorpeltherapie hat ihre Wurzeln Mitte des letzten Jahrhunderts. Bereits 1959 beschrieb Pridie [42] die Anbohrung des subchondralen Gewebes mit dem Ziel, einen Regeneratknorpel zu schaffen. In den 80er-Jahren wurde dann die Abrasionsarthroplastik [26] populär. Aus diesen Verfahren ging Ende der 90er-Jahre die Mikrofrakturierung hervor [51, 52]. Die Mikrofrakturierung ist eine der am häufigsten angewandten Methoden in der operativen Behandlung artikularer Knorpelschäden und galt lange Zeit als Goldstandard [19]. Sie stellt ein kostengünstiges und leicht zu erlernendes Verfahren dar. Durch die Perforation des subchondralen Knochens mittels spezieller Ahlen kommt es zur Einblutung in das zuvor präparierte Defektbett. Die im Blutkoagel potenziell enthaltenen autologen Stammzellen können sich differenzieren und helfen, Knorpelersatzgewebe auszubilden [24, 27]. In der Therapie rein chondraler Defekte am Kniegelenk unter 2,5 cm2 Defektfläche gilt die Mikrofrakturierung als Verfahren der ersten Wahl [38]. Mittel- bis Langzeitergebnisse zeigten jedoch, dass der entstandene Ersatzknorpel insbesondere bei Knorpeldefekten ab 2,5 cm2 häufig keine langfristige Stabilität gewährleistet [28, 31, 33, 34]. Eine Ursache dafür ist in der fehlenden biomechanischen Stabilität des initialen Blutkoagels zu suchen, denn das zunächst weiche Knorpelersatzgewebe ist Scher- und Druckkräften ungeschützt ausgesetzt. Außerdem treten nach Mikrofrakturierung in 30–50 % intraläsionale Osteophyten und Zysten auf, die die Erfolgschancen einer Revisionsoperation wie z.B. einer autologen Chondrozyten-Transplantation (ACT) verschlechtern. Am oberen Sprunggelenk hingegen, wo es sich in den allermeisten Fällen um osteochondrale Läsionen handelt, scheint die Mikrofrakturierung bei Defektgrößen unter 1,5 cm² in 80 % der Fälle zufriedenstellende Ergebnisse zu bringen [48]. Am Hüftgelenk, wo die Mehrzahl der lokalisierten Knorpeldefekte in Zusammenhang mit einem femoro-azetabulärem Impingement am anterolateralen Pfannenrand zu finden sind, ist die Mikrofrakturierung allein technisch äußerst schwierig auszuführen. Ob eine Mikrofrakturierung am Hüftgelenk überhaupt als Knochenmarkstimulation bei lokalisierten Defekten < 1,5 cm² erforderlich ist, ist laut aktueller Studienlage nicht vollständig geklärt. Durch die Korrektur des femoro-azetabulären Impingements am Schenkelhals oder der Hüftpfanne werden meist mehr Knochenmarkzellen im Gelenk freigesetzt und gelangen an den Defekt als durch eine Mikrofrakturierung.

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