Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018

Medikamentöse Therapie der Gonarthrose – besondere Aspekte der neuen Leitlinie

Jürgen Steinmeyer1, Fritjof Bock2, 3 Johannes Stöve4, Jörg Jerosch5, Johannes Flechtenmacher6, 7

Zusammenfassung: Die medikamentöse Therapie der Gonarthrose stellt eine rein symptomatische Behandlung dar, die häufig erfolgreich den Erhalt der Mobilität der Patienten ermöglicht. Der vorliegende Beitrag nimmt Bezug auf die Empfehlungen und Stellungnahmen zur Pharmakotherapie der Gonarthrose der neuen deutschen AWMF-Leitlinie, hebt besonders wichtig erscheinende Aspekte hervor und stellt die zugrunde liegenden Entscheidungsdimensionen transparent dar. Der Artikel möchte dazu beitragen, dass die Wirkungsstärken realistisch eingeschätzt werden, Risiken für Medikationsfehler und vermeidbare Nebenwirkungen gesenkt und hilfreiche Maßnahmen bedacht werden.

Schlüsselwörter: Arthrose, Knie, medikamentöse Therapie, Leitlinie

Zitierweise
Steinmeyer J, Bock F, Stöve J, Jerosch J, Flechtenmacher J: Medikamentöse Therapie der Gonarthrose – besondere Aspekte der neuen Leitlinie.
OUP 2018; 7: 374–380 DOI 10.3238/oup.2018.0374–0380

Summary: The pharmacological therapy of knee osteoarthritis is purely symptomatic which often preserves effectively the mobility of patients. The present article refers to the recommendations and statements for the pharmacotherapy of knee osteoarthritis of the new German AWMF-guideline, emphasises especially important appearing aspects and describes the underlying decision-making dimensions. This article would like to contribute that the effect strengths are estimated realistically, risks for medication errors and avoidable side effects are lowered and helpful measures be considered.

Keywords: osteoarthritis, knee, pharmacotherapy, guideline

Citation
Steinmeyer J, Bock F, Stöve J, Jerosch J, Flechtenmacher J: Pharmacological therapy of knee osteoarthritis – special aspects of the new
guideline.
OUP 2018; 7: 374–380 DOI 10.3238/oup.2018.0374–0380

1 Labor für Experimentelle Orthopädie, Orthopädische Universitätsklinik, Justus-Liebig-Universität Gießen

2 Orthopädie am grünen Turm, Ravensburg

3 Interdisziplinäre Gesellschaft für orthopädische/unfallchirurgische und allgemeine Schmerztherapie, Ravensburg

4 Orthopädische und Unfallchirurgische Klinik, St. Marienkrankenhaus, Ludwigshafen

5 Klinik for Orthopädie, Unfallchirurgie und Sportmedizin, Johanna-Etienne-Krankenhaus, Neuss

6 Ortho-Zentrum – Orthopädische Gemeinschaftspraxis am Ludwigplatz, Karlsruhe

7 Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie, Berlin

Einleitung

Für die Behandlung der Volkskrankheit Arthrose [1, 2] stehen mehrere nichtmedikamentöse und medikamentöse Maßnahmen zur Verfügung, die einzeln oder kombiniert zur Anwendung kommen. Nur ein Teil der Patienten mit radiologisch nachweisbaren Arthrosen haben klinisch relevante Beschwerden [1, 2]. Sofern die Arthrose schmerzt, kann eine medikamentöse Therapie sinnvoll sein. Arzneimittel stellen eine wesentliche Therapiesäule dar, wobei ein breit gefächertes Spektrum ganz unterschiedlicher Medikamente, vor allem nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR) und Komedikamente (z.B. Protonenpumpeninhibitoren), aber auch Opioidanalgetika, potenziell knorpelaktive Medikamente und Phytopharmaka angewendet werden. Topika sind aufgrund geringerer systemischer Nebenwirkungen beliebt und erfreuen sich einer hohen Akzeptanz bei Patienten. Als Medikamente für die intraartikuläre Arthrosetherapie sind vor allem Glukokortikoide und Hyaluronsäurepräparate zu nennen.

Multimorbide, meist ältere Patienten gemäß Leitlinien zu behandeln, stellt eine besondere Herausforderung dar, denn in vielen, den Leitlinien zugrunde liegenden Studien werden betagte, mehrfach vorerkrankte Patienten nicht mit untersucht. Gründe hierfür sind neben der Multimorbidität altersbedingte Unterschiede in Bezug auf Pharmakokinetik und -dynamik. Neuere Studien zeigen, dass die Anzahl an verordneten Medikamenten ab dem 65. Lebensjahr auf mehr als das Doppelte und nach dem 74. Lebensjahr um weitere 50 % der vorherigen Werte ansteigen [3]. Als Konsequenz einer leitliniengerechten Behandlung jeder einzelnen Erkrankung eines multimorbiden älteren Patienten ergibt sich eine größere Anzahl an verordneten Arzneimitteln. Daraus können sich potenziell schwerwiegende Interaktionen und Nebenwirkungen ergeben [2, 4]. Eine einzelne Erkrankung wird daher bei multimorbiden Patienten nicht jeweils für sich alleine behandelt, sondern die Therapie der jeweiligen Erkrankung mit mehreren Medikamenten sollte untereinander passend sein. Eine Abstimmung zwischen Hausarzt und Facharzt sowie die Kenntnis aller, einschließlich der nichtverordneten Arzneimittel sollten das Risiko für Medikationsfehler und vermeidbare Nebenwirkungen senken und somit die Arzneimitteltherapiesicherheit erhöhen. Zudem hilft eine Reihe von Maßnahmen wie z.B. Dosisanpassung an die Nierenfunktion, Einsatz von Checklisten wie z.B. die PRISCUS-Liste für ein optimiertes Medikationsmanagement im Alter. Seit dem 1. Oktober 2016 haben zudem gemäß dem E-Health-Gesetz Patienten, die 3 oder mehr Medikamente erhalten, einen hilfreichen Anspruch auf einen vom Arzt zu erstellenden Medikationsplan, der den Informationsaustausch vereinfacht.

Der chronische Verlauf ohne Aussicht auf Heilung sowie der verständliche Wunsch nach Erhalt der vollen Mobilität bedeuten eine große Herausforderung, wobei eine Beurteilung der verschiedenen Pharmakotherapien nach den Maßstäben der evidenzbasierten Medizin hilfreich ist. Die neue AWMF-Leitlinie Gonarthrose [5], die unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie entstand, will praktikable Empfehlungen und klare Stellungnahmen abgeben, die auf der derzeit verfügbaren Literatur basieren. Die 5 Autoren waren Mitglieder der Kommission, die die neue S2k-Leitlinie als aktuellen, völlig neu entwickelten Ersatz für die aus dem Jahr 2002 stammende alte Leitlinie erstellte. Medizinische Leitlinien wollen transparent informieren und praktikabel sein, sind aber nicht bindend, und eine kritische Auseinandersetzung im Einzelfall ist weiterhin notwendig. Der vorliegende Beitrag zur medikamentösen Therapie der Arthrose orientiert sich an dieser neuen Leitlinie und weist auf besonders wichtige und interessant erscheinende Aspekte hin.

Analgetika

Paracetamol

Paracetamol ist das am häufigsten eingesetzte und frei verkäuflich erhältliche Analgetikum, das auch bei Arthrose eingesetzt wird. Inwiefern Paracetamol überhaupt zu einer Symptomverbesserung bei Gonarthrose beiträgt, war bislang unklar, da aussagekräftige Studien hierzu fehlten. Einige Leitlinien [6, 7] haben bisher den Einsatz von Paracetamol als First-Line-Analgetikum bei Arthrose empfohlen, wobei aktuelle Metaanalysen [8, 9, 10] zu einer anderen Evidenz-basierten Einschätzung führten. So kommen 3 aktuelle Metaanalysen unabhängig voneinander zu dem Schluss, dass Paracetamol selbst bei hohen täglichen Dosen von bis zu 4 g zwar eine geringe, aber keine klinisch relevante analgetische Wirkung bei Kniearthrose entfaltet. Die aktuelle AWMF-Leitlinie Gonarthrose empfiehlt daher nicht mehr den Einsatz von Paracetamol bei Gonarthrose.

Metamizol

SEITE: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6