Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018

Medikamentöse Therapie der Gonarthrose – besondere Aspekte der neuen Leitlinie

Eine genaue Auflistung der Wirkstärke der einzelnen intraartikulär eingesetzten Glukokortikoiden (ähnlich der sogenannten Äquivalenzdosen bei den systemisch angewandten Kortikoiden) ist aufgrund des Fehlens von exakten vergleichenden Untersuchungen der einzelnen Präparate nur schwer möglich. Die Häufigkeit der früher gelegentlich beobachteten kristallinduzierten Nebenwirkungen wie z.B. akute Kristallsynovitis, periartikuläre Weichteilverkalkungen oder Weichteilatrophien nahm durch den Einsatz mikrokristalliner Substanzen und Lipidmikrosphären deutlich ab. Intraartikuläre injizierte Glukokortikoide können in hoher Dosierung den Knorpelstoffwechsel hemmen und sogar die Knorpelmasse vermindern [42]. Die aktuelle AWMF-Gonarthrose-Leitlinie [5] empfiehlt daher, dass intraartikulär applizierte Glucokorticoide in einer möglichst niedrigen, aber wirksamen Dosierung kurzfristig bei schmerzhafter Gonarthrose angewendet werden können, die auf andere therapeutische Maßnahmen nicht anspricht. Dies kann z.B. bei entzündeten Arthrosen mit akuter Schmerzexazerbation der Fall sein (Abb. 1). Während die neue AWMF-Gonarthrose-Leitlinie [5] einen restriktiven Einsatz von Glukokortikoide ähnlich wie die OARSI [7] für hilfreich erachtet, kann die AAOS [23] weder eine positive noch negative Empfehlung abgeben.

Hyaluronsäure

Die Synovialflüssigkeit eines gesunden Gelenks besitzt eine Hyaluronsäure-Konzentration von 2–4 mg/ml mit Molekülmassen in einem breiten Bereich bis maximal 4–6 MDa [43]. Die Therapie der Arthrose mit intraartikulär injizierter Hyaluronsäure (HA) wird unter der Vorstellung verwendet, dass sie die im Rahmen arthrotischer Vorgänge sowohl in Konzentration wie in Molekülgröße reduziert vorliegende physiologische Synovia-HA substituiert. Synovia-HA trägt neben anderen Bestandteilen zur Lubrication der Gelenkoberflächen und zur Schockabsorption bei. Das Konzept, physiologische HA zu ergänzen, wird auch „Viskosupplementation“ genannt und wird inzwischen in vielen Ländern einschl. Deutschland als Arzneimittel bzw. meistens als Medizinprodukt eingesetzt.

Die einzelnen HA-Produkte unterscheiden sich bezüglich der Herstellung (Hahnenkamm, fermentativ), ihrem Molekulargewicht (0,5–6 MDa), dem Grad der Quervernetzung, der Viskosität und der Häufigkeit der Applikation (1–5 intraartikuläre Injektionen pro Serie). Die Halbwertszeit der HA-Präparate ist von der molekularen Masse der Präparate abhängig und liegt im Bereich von 17 und 60 Stunden. Die Heterogenität der klinischen Studien, in denen HA-Präparate mit einem hohen bzw. niedrigen Molekulargewicht miteinander verglichen werden, lassen keine Empfehlungen für das ein oder das andere Präparat zu.

Trotz einer Vielzahl an wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Wirksamkeit dieser Therapieform in der Literatur nach wie vor umstritten. Obwohl präklinische Ergebnisse und erste explorative Studien teilweise ermutigend sind, liegen keine umfangreichen mit einer allgemein anerkannten standardisierten Methodik durchgeführten Studien vor, die eine strukturmodifizierende bzw. chondroprotektive Wirksamkeit belegen. Eine relevante Schmerzhemmung wird in neueren und hochwertigen Metaanalysen beschrieben [8, 44, 45]. Die schmerzlindernde Wirkung tritt verzögert ein und kann mit einem Maximum nach 2 Monaten bis zu 6 Monate anhalten [44]. Die neue AWMF-Gonarthrose-Leitlinie [5] sieht auch aufgrund der invasiven Applikationsart eine Indikation für die intraartikuläre HA-Injektion erst dann, wenn die Verordnung von NSAR aufgrund von Nebenwirkungen oder Kontraindikationen nicht möglich ist bzw. diese nicht ausreichend wirksam sind.

Während die AAOS [23] und NICE [6] den Einsatz von HA-Präparate nicht empfehlen, geht die neue AWMF-Gonarthrose-Leitlinie [5] mit der praxisorientierten Argumentation der ESCEO-Gruppe [46, 47] konform. Diese beruft sich auf die Tatsache, dass intraartikuläre HA andere, häufig weniger schwerwiegende unerwünschte Effekte hervorruft als NSAR, Opioide oder Kortikosteroide und somit für einen differenzierten Einsatz in Erwägung gezogen werden kann. Zu den unerwünschten Wirkungen von HA gehören Gelenkreaktionen, die normalerweise mild und moderat sind und nur geringe Knieschmerzen, Rötungen und Schwellungen im Gelenkbereich verursachen. Sie sind durch Schonung, Auflegen eines Eisbeutels für 5–10 Minuten und Schmerzmittel gut zu therapieren. Die Beschwerden bestehen normalerweise nur einige Tage. Selten sind örtliche oder allgemeine Überempfindlichkeitsreaktionen.

SADOA

Glucosamin und Chondroitinsulfat werden in die Gruppe der Slow Acting Drugs in Osteoarthritis (SADOA) eingruppiert. Aufgrund eines möglichen, langsamen symptomlindernden Wirkungseintritts werden die beiden SADOAs auch als Symptomatic Slow Acting Drugs in Osteoarthritis (SYSADOAs) bezeichnet [2]. Während die Studienlage zur symptomlindernden Wirkung beider Substanzen widersprüchlich ist, hat die neue AWMF-Gonarthrose-Leitlinie erstmalig eine Empfehlung für Glucosamin formuliert [5].

Einige Leitlinien geben Empfehlungen bzw. Stellungnahmen zur Therapie mit Glucosamin ab, wobei auf die widersprüchliche Datenlage Bezug genommen wird [6, 7, 22, 23, 46, 49]. So wird die Applikation von Glucosamin von der ACR unter bestimmten Umständen empfohlen [22], während weder das englische NICE [6] noch die AAOS [23] den Einsatz von Glucosamin bei Gonarthrose empfehlen. Die Leitlinie der OARSI von 2014 [7] wiederum bezeichnet ihre Empfehlung zum Einsatz von Glucosamin als unsicher („uncertain“) aufgrund der geringen Effektstärke und der Heterogenität zwischen den Studien.

Trotz dieser widersprüchlichen Datenlagen zur symptomlindernden Wirkung gibt es gemäß der neuen AWMF-Gonarthrose-Leitlinie [5] wie auch gemäß aktueller Publikationen einige wenige Indikationen, bei denen die Gabe von Glucosamin in Erwägung gezogen werden kann [46, 49]. So kann bei Patienten mit Kontraindikationen für NSAR oder mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale und/oder kardiovaskuläre Risiken der Einsatz von oral zu applizierenden Glucosamin als Behandlungsversuch geprüft werden, bevor invasivere und mit mehr unerwünschten Wirkungen verbundene Therapien durchgeführt werden. Häufig betrifft dies ältere Patienten. Auch dem Wunsch des Patienten nach einem nebenwirkungsarmen Therapieversuch sollte Rechnung getragen werden. Falls keine Besserung auftritt, sollte die Therapie jedoch spätestens nach 3 Monaten abgebrochen werden. Somit empfiehlt die neue AWMF-Gonarthrose-Leitlinie [5] nicht eine generelle Hintergrundtherapie, sondern den differenzierten Einsatz von Glucosamin zumindest in Erwägung zu ziehen.

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