Übersichtsarbeiten - OUP 07/2018

Medikamentöse Therapie der Gonarthrose – besondere Aspekte der neuen Leitlinie

Als verschreibungspflichtiges Analgetikum mit zusätzlich antipyretischer Wirkung besitzt Metamizol eine analgetische Potenz in der Größenordnung von schwach wirksamen Opioiden wie Tramadol, Tilidin oder Codein. Die Arthrose stellt per se keine Indikation für Metamizol dar, weil es nicht entzündungshemmend wirkt. Metamizol wird insgesamt gut vertragen, kann aber in sehr seltenen Fällen gravierende lebensbedrohliche Komplikationen wie eine Agranulozytose sowie allergische Reaktionen mit im schlimmsten Falle anaphylaktischem Schock hervorrufen [11]. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) empfiehlt die Anwendung nur innerhalb der Zulassung und nach ausführlicher Aufklärung des Patienten über das Risiko und mögliche Warnsignale wie Fieber/Schüttelfrost, Abgeschlagenheit, Halsschmerzen und Entzündungen im Bereich der Mundschleimhäute. Zudem empfiehlt sie bei Verdacht auf eine Agranulozytose und bei längerer Einnahme Blutbildkontrollen [11, 12, 13]. Die Indikationen von Metamizol sind aufgrund der potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen beschränkt auf akute und chronische Schmerzen, wenn andere therapeutische Maßnahmen nicht indiziert sind [14]. Es gibt somit nur wenige Fälle, bei denen der kurzfristige Einsatz von Metamizol zur Therapie der Arthroseschmerzen tatsächlich in Erwägung gezogen werden kann. Die neue AWMF-Gonarthrose-Leitlinie [5] enthält daher keine Empfehlung zum Einsatz von Metamizol.

Opioide

Die in Deutschland geltenden restriktiven gesetzlichen Regelungen und vorhandenen Leitlinien verhindern, dass eine drastische Zunahme von Opioidabhängigen, wie in den USA mit Ausrufung eines Gesundheitsnotstands im Jahr 2017, zu befürchten ist. Opioide besitzen zwar ein hohes Abhängigkeitspotenzial, insbesondere wenn sie schnell anfluten wie z.B. bei Injektion oder bei nicht-retardierter Gabe. Die geltende LONTS-Leitlinie empfiehlt daher bei nicht-tumorbedingten Schmerzen eine streng indikationsbezogene Anwendung, wobei die Opioide retardiert, nach festem Zeitschema, niedrig dosiert, zeitlich begrenzt und kontrolliert eingesetzt werden sollen [15]. Die Deutsche Gesellschaft für Schmerzmedizin e.V. (DGS) weist zudem darauf hin, dass der Erhalt von Opioiden restriktiv reglementiert ist und Patienten nur Opioide erhalten, sofern die strengen Regeln
der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung (BtmVV) und des Betäubungsmittelgesetzes (BtmG) eingehalten werden. Schätzungen zufolge kommt es trotz dieser Maßnahmen unter einer Langzeittherapie noch bei ca. 1–3 % der mit Opioiden behandelten Schmerzpatienten zu Abhängigkeitssymptomen.

Bei der Arthrose werden Opioide daher weder langfristig noch routinemäßig eingesetzt. Sie können aber für eine kurzfristige Therapie indiziert sein, wenn andere therapeutische Maßnahmen ausgeschöpft, nicht möglich oder kontraindiziert sind (Abb. 1). Hierbei sollten gemäß der LONTS-Leitlinie zunächst Opioide der Stufe 2 der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wie z.B. Tramadol eingesetzt werden, wobei für eine kurzfristige, 1–3-monatige Therapie die Indikation durch Studien gesichert sein sollte [15]. Für die optimale Therapie des Patienten und Klärung möglicher Probleme bei der Verordnung von Opioiden, wie z.B. Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten, Suchtanamnese, kognitive Beeinträchtigungen, kann eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Hausärzten/Orthopäden und Schmerztherapeuten hilfreich sein. Ein 2014 publizierter Cochrane-Review ergab, dass andere Nicht-Tramadol-Opioide wie z.B. Oxycodon, Buprenorphin, Tapentadol, Codein und Morphin bei Arthrose eine geringe, klinisch wenig relevante analgetische Wirkung entfalten [16]. Im direkten Vergleich mit NSAR war Tramadol diesen hinsichtlich Analgesie sogar unterlegen [17].

Auch aufgrund der zentralnervösen Wirkungen mit Müdigkeit, vermehrter Sturzneigung, Schwindel und Gleichgewichtsstörung unterscheiden sich Opioide nachteilig von den NSAR [18]. So ist die Rate an Frakturhäufigkeit, Hospitalisation und Mortalität 2–4-mal so häufig wie nach Gabe der traditionellen NSAR [18]. Zudem verursachen Opioide bei jedem 2. Patienten eine Obstipation, wobei keine Toleranzentwicklung besteht und die im Verlauf der Therapie somit nicht verschwindet. Verantwortlich gemacht werden µ-Opioidrezeptoren im enterischen Nervensystem, die die Darmperistaltik verringern und zu einer verstärkten Absorption von Wasser führen, sowie die Hemmung der gastrointestinalen Sekretion. Die Applikationsart scheint hierbei eine untergeordnete Rolle zu spielen. Zu Beginn der Opioidtherapie ist es daher notwendig, die Patienten auch über das häufige Auftreten von Obstipation zu informieren und bei den meisten Patienten bereits prophylaktisch ein Laxativum z.B. Makrogolpräparat zu verordnen. Da ballaststoffhaltige Nahrung häufig alleine nicht ausreichend ist, werden Laxantien bei opioidinduzierter Obstipation oft eingesetzt [19]. Auch eine antiemetische Therapie kann zu Beginn der Behandlung notwendig werden, wobei nach 2–4 Wochen aufgrund der Toleranzentwicklung die Indikation überprüft werden sollte. Die LONTS-Leitlinie bietet für die Therapie häufiger Nebenwirkungen wie Obstipation, Übelkeit und Erbrechen hilfreiche Praxiswerkzeuge an [15].

Nichtsteroidale
Antirheumatika (NSAR)

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), zu denen die traditionellen NSAR und die selektiven COX-2-Hemmer (Coxibe) zählen, wirken nicht nur analgetisch, sondern auch antiphlogistisch. NSAR sind daher beim entzündungsbedingten Arthroseschmerz besonders wirksam und werden häufig eingesetzt [2, 8, 9]. Jedoch ist die orale Applikation von NSAR u.a. mit gastrointestinalen und kardiovaskulären Risiken verbunden [20]. Insbesondere bei Langzeitanwendung bestehen relevante Risiken, die auch erhebliche gesundheitliche Folgen haben können. Die in der neuen AWMF-Gonarthrose-Leitlinie [5] erarbeiteten Empfehlungen zum Schutz der Patienten basieren letztlich auf diesen Erkenntnissen. Hierbei ist die Risikominimierung das Prinzip, das effektiv zur Verminderung unerwünschter Komplikationen führt und somit den Patienten schützt.

Topisch eingesetzte NSAR

Eine einfache und effektive Möglichkeit, das Risiko für eine gastrointestinale Nebenwirkung zu verringern, ist die topische Applikation von NSAR. Neuere Untersuchungen belegen, dass systemische Nebenwirkungen einschließlich gastrointestinaler Beschwerden unter topischer Applikation von Diclofenac oder Ketoprofen nicht öfter auftreten als unter Placebo [21]. So liegen die Konzentrationen von topisch applizierten NSAR im Blutplasma zwischen 5–15 % der Werte nach oraler Gabe. Dagegen überwiegen die vorwiegend schwach ausgeprägten lokalen Hautreaktionen wie trockene Haut, Rötungen und Juckreiz nach topischer Gabe von Diclofenac, aber nicht von Ketoprofen im Vergleich zu topisch appliziertem Placebo [21]. Ein um 50 % stark verringerter Schmerz wurde bei 60 % der Arthrosepatienten nach topischer Applikation von Diclofenac und Ketoprofen über einen Zeitraum von 8–12 Wochen gefunden, während die topische Applikation eines Placebos immerhin in 50 % der Fälle wirksam war [21]. Für die eigentliche antiphlogistische Wirkung des Arzneistoffs muss dieser in ausreichenden Konzentrationen an die schmerzverursachenden Strukturen wie Subcutis, Muskulatur, Sehne, Gelenkkapsel und Synovia diffundieren, um die Cyclooxygenase-2 zu hemmen. Die tatsächlich am Wirkort erreichbaren Mengen hängen sowohl von der chemischen Struktur der Substanz, der Konzentration der Zubereitung, der Rezepturgrundlage sowie der Dosierung ab. Die richtige Dosierung sollte somit gemäß Packungsbeilage erfolgen und entspricht häufig einem 3–5 cm langen Gel- oder Cremestrang.

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