Übersichtsarbeiten - OUP 06/2022

Orthogeriatrie in der primären und Revisions-Hüftgelenkendoprothetik

Ivana M. Habicht, Thomas M. Randau, Dieter C. Wirtz

Zusammenfassung:
Bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten sollte insbesondere bei planbaren Operationen wie einer primären Hüft-TEP präoperativ die zur Verfügung stehende Zeit genutzt werden, um die Patientinnen und Patienten möglichst optimal vorzubereiten. Auch bei der Indikationsstellung zur Revisionsoperation ist die präoperative Optimierung sinnvoll und notwendig, jedoch ist diese aufgrund der häufig dringlichen OP-Indikation (u.a. ausgeprägte Lockerung, periprothetischer Infekt) nicht im selben Maße möglich. Eine Prüfung und Behandlung möglicher Komplikationsrisiken und Begleitmorbiditäten sollte jedoch soweit wie möglich dennoch erfolgen.
Während des Krankenhausaufenthaltes ist ein multiprofessionelles Team sinnvoll, damit die perioperativen Risiken wie unter anderem Delir, Stürze und Thrombosen reduziert werden können. Dabei ist auch die Wahl der Operationstechnik entscheidend. Hier zeigt sich die Hybrid-Versorgung (zementfreie Pfanne und zementierter Schaft) hinsichtlich der frühen Mobilisation und geringeren Ausfallrate bei älteren Patientinnen und Patienten sinnvoll. Zuletzt spielt auch die Wahl der Weiterversorgung für das Outcome eine Rolle, wobei insbesondere eine geriatrische Komplexbehandlung mit gegebenenfalls angeschlossener geriatrischer Rehabilitation die Möglichkeit zur individuellen Behandlung und raschen Rückgewinnung der Alltagsfähigkeit bietet.
Zusammengefasst ist die Behandlung von orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten komplex und sollte durch ein interdisziplinäres und erfahrenes Behandlungsteam durchgeführt werden.

Schlüsselwörter:
Orthogeriatrie, primäre Hüftendoprothetik, Revisionshüftendoprothetik

Zitierweise:
Habicht IM, Randau TM, Wirtz DC: Orthogeriatrie in der primären und Revisions-Hüftgelenkendoprothetik
OUP 2022; 11: 269–275
DOI 10.53180/oup.2022.0269-0275

Summary: In regard to the planning of elective surgery such as a primary total hip arthroplasty, the time available before the operation should be used to prepare the patient as optimally as possible. Preoperative optimization is also useful and necessary when determining the indication for revision surgery, but is often not possible to the same extent due to the urgent surgical indication (e.g. significant loosening, periprosthetic infection). However, an examination and treatment of possible riskfactors complications and accompanying morbidities should still be carried out as far as possible. A multi-professional team is useful during the hospital stay so that the perioperative risks such as delirium, falls and thrombosis can be reduced. The choice of surgical technique is also crucial. Hybrid treatment (cementless cup and cemented stem) is used in regard to early mobilization and a lower failure rate in older patients. Finally, the choice of follow-up care is also crucial for the outcome. A complex geriatric treatment with, if necessary, subsequent geriatric rehabilitation offers the possibility of individual treatment and rapid recovery of everyday life. In summary, the treatment of frail patients in orthopedic surgery is complex and should be carried out by an interdisciplinary and experienced treatment team.

Keywords: Fraility, orthogeriatric, primary total hip arthroplasty, revision total hip arthroplasty

Citation: Habicht IM, Randau TM, Wirtz DC: Primary and revision total hip arthroplasty in frail patients
OUP 2022; 11: 269–275. DOI 10.53180/oup.2022.0269-0275

Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinik Bonn

Definition Orthogeriatrie

Der Begriff der orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten ist bislang noch nicht eindeutig definiert. So werden bspw. im internationalen Sprachgebrauch als orthogeriatrische („orthogeriatric“) nahezu ausschließlich traumatologische, teils sogar nur ältere Patientinnen und Patienten über 70 Jahren mit Schenkelhals- oder proximaler Femurfraktur bezeichnet. Wohingegen ältere („elderly“) oder gebrechliche („frail“) Patientinnen und Patienten im internationalen Sprachgebrauch jene sind, die unter keiner traumatolgisch bedingten Erkrankung leiden [1].

Die Gemeinsamkeit der verschiedenen Definitionen ist jedoch, dass es sich bei älteren Patientinnen und Patienten um eine Hochrisikogruppe handelt, bei denen es zu deutlichen Beeinträchtigungen im Alltag bei vglw. geringer Veränderung im Gesundheitszustand kommen kann. Das „Weißbuch Alterstraumatologie und Orthogeriatrie“ führt anhand dieser Gemeinsamkeit sowie mit Berücksichtigung der geriatrietypischen Multimorbiditätserkrankungen (GTMK) folgende Definition an, welche in Folge in diesem Artikel genutzt wird:

„Orthogeriatrische Patienten sind definiert durch eine orthopädische Hauptdiagnose, aufgrund derer sie behandelt werden, und entweder einem Alter von mindestens 80 Jahren oder 70 Jahren und älter mit gleichzeitigem Vorliegen von mindestens 2 GTMK.“ [2].

Es gilt hier zudem zu bedenken, dass zuvor nicht orthogeriatrisch eingestufte Patientinnen und Patienten durch bspw. den Verlust von Selbstständigkeit oder aufgrund der Schwere der orthopädischen Erkrankung im Verlauf zu orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten werden können [2].

Mehr als 40 % aller Hüfterstimplantationen werden in Deutschland an Patientinnen und Patienten in den Altersgruppen 75–84 (31,6 %) und 85 und älter (10 %) durchgeführt (Abb. 1). Bei den Hüftfolgeeingriffen sind es in diesen Gruppen sogar mehr als 50 % (Abb. 2). Insofern lohnt ein besonderer Blick auf die zu berücksichtigen Faktoren bei der Versorgung orthogeriatrischer Patientinnen und Patienten in der primären und Revisions-Endoprothetik.

Indikationsstellung der
primären Hüftgelenksendoprothese

Der bereits im frühen Erwachsenenalter beginnende Gelenkverschleiß der unteren Extremität setzt sich ein Leben lang fort, sodass ab einem Alter von circa 40 Jahren radiologisch bei fast jedem Menschen erste Arthrosezeichen an den großen Gelenken diagnostiziert werden können. Ob die vorliegende Arthrose jedoch auch symptomatisch und therapiebedürftig ist, ist individuell sehr unterschiedlich. Da bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten ein erhöhtes perioperatives Risiko bei der Implantation von Hüftgelenksendoprothesen (Hüft-TEPs) besteht [4], gilt es, die OP-Indikation entsprechend sorgsam zu stellen.

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