Übersichtsarbeiten - OUP 06/2022

Orthogeriatrie in der primären und Revisions-Hüftgelenkendoprothetik

Der Vorteil bei der Indikationsstellung der orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten im Vergleich zu jenen in der Alterstraumatologie ist, dass in der Regel keine notfallmäßige Behandlungsnotwendigkeit besteht. Das Gebot zum initial konservativen Therapieversuch gilt daher im besonderen Maße. Dieser besteht in der Regel aus einem multimodalen Therapiekonzept, welches sowohl Analgesie als auch Physiotherapie und die Optimierung von Risikofaktoren wie bspw. Anämie und Diabetes mellitus beinhaltet. Die konservative Therapie beinhaltet üblicherweise eine Analgesie, entsprechend des WHO-Stufenschemas [5], bei der das Analgetikum möglichst oral und zu festen Einnahmezeiten verordnet wird. Dabei kann zusätzlich zum Analgetikum auf jeder der 3 Stufen ein Ko-Analgetikum und Adjuvans verordnet werden. Bei geringen Schmerzen wird zunächst ein Nicht-Opioid-Analgetikum wie bspw. Ibuprofen rezeptiert. Bei mittleren Schmerzen sollten zusätzlich niedrig-potente Opioide wie Tilidin verordnet werden. Erst bei stärkeren Schmerzen sollte eine Therapie mittels Nicht-Opioid-Analgetikum in Verbindung mit einem hoch-potentem Opioid wie Oxycodon erfolgen. Entsprechend der jeweils passenden Therapiestufe sollte jedoch auf typische Nebenwirkungen wie z.B. Obstipationen bei Opioidgabe geachtet werden. Ebenso ist zu bedenken, dass orthogeriatrische Patientinnen und Patienten häufig bereits diverse Vorerkrankungen, aus denen Kontraindikationen für die o.g. Analgetika hervorgehen können, die auch unten aufgeführter Übersichtstabelle zu entnehmen sind (Tab. 1).

Zu den invasiveren konservativen Therapien der Koxarthrose zählt unter anderem die Infiltration des Gelenkes. Infiltrationen mit Hyaluron und Eigenblutpräparaten wie z.B. Platelett-Rich-Plasma zeigen keine sichere Evidenz für einen Therapieerfolg. Die Infiltration mittels Lokalanästhetikum und Cortison sollte allenfalls als „Akutmaßnahme“ in der Hand von geübten Ärztinnen und Ärtzen durchgeführt werden, da auch hier Kontraindikationen zu beachten sind. Hierzu gehören als absolute Kontraindikationen septische Arthritiden, lokale Hautinfektionen oder Allergien auf Präparatbestandteile. Eine relative Kontraindikation, die zu beachten ist, ist bspw. eine Blutgerinnungsstörung oder die Einnahme von Blutgerinnungshemmern. Nach Daten der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland wurde bei 20,2 % der Personen zwischen 18 und 79 Jahren eine Arthrose festgestellt, wobei davon etwa ein Viertel als Hüftgelenksarthrosen beschrieben wurden [7]. Dies entspricht hochgerechnet circa 3,1 Mio Personen Davon wurden 2010 laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes 162.955 Patientinnen und Patienten stationär behandelt [9] und nach Angaben des Endoprothesen Registers Deutschland (EPRD) 147.739 Erstimplantationen von Hüft-TEPs durchgeführt, wobei das durchschnittliche Alter der Patientinnen und Patienten bei 71 Jahren liegt [3]. Diese Zahlen zeigen, dass ein Großteil der Patientinnen und Patienten mit einer Hüftgelenksarthrose konservativ behandelt wird. So kommt es gerade bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten zu Diskussionen, ob eine Operation tatsächlich notwendig ist. Wenn die Patientinnen und Patienten jedoch aufgrund einer schweren Arthrose deutliche Funktionseinschränkungen oder gar eine Gehunfähigkeit erleiden, kommt es im Rahmen der allgemeinen Sarkopenie zu schnellem Muskelabbau, wodurch Frakturen und Immobilität drohen [2]. Daher sollte auch orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten bei Versagen der konservativen Therapie einer fortgeschrittenen Koxarthrose oder bspw. einer Femurkopfnekrose die endoprothetische Versorgung angeboten werden, sofern die Narkosefähigkeit der Patientinnen und Patienten gegeben ist.

Indikationsstellung der
Revisionshüftgelenksendoprothese

Die Standzeit einer Hüft-TEP hängt von vielen Faktoren ab, sowohl patientenindividuell, als auch von den bei Implantation verwendeten Materialien und ist daher schwer vorherzusagen.

Die häufigste Ursache für ein Implantatversagen bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten ist analog zu jüngeren Patientinnen und Patienten die aseptische Lockerung mit 24,7 % [3]. In der Regel induziert durch Abriebpartikel von Polyethylen, PMMA oder Metall reagiert das umliegende Gewebe mit einer lokalen Inflammation. Vergebliche Phagozytose-Versuche durch Makrophagen resultieren in der Ausschüttung von Zytokinen und letztlich einer chronischen Inflammation, Osteolysen und Implantatlockerung.

Daneben stellt der Implantatinfekt die zweithäufigste (15,8 % [3]) und wichtigste Differentialdiagnose dar: Auch hier kommt es zu inflammatorischer Gewebsreaktion, aber induziert durch Pathogene. Die häufigsten Erreger sind Staphylokokkus aureus sowie gramnegative Hautflora in der früh-postoperativen Phase oder koagulase-negative Staphylokokken, Cutibacterium acnes und Streptokokken als hämatogene Spätinfektion, die jederzeit auftreten kann. Der Verlauf einer Infektion kann sehr variabel sein: von fulminanten septischen Verläufen bis zu low-grade Infekten, die sich klinisch kaum anders als eine aseptische Lockerung präsentieren.

In Deutschland wurden nach Daten des Statistischen Bundesamtes [10] im Jahr 2020 knapp 32.000 einzeitige Wechsel von Hüft-TEPs durchgeführt. Laut dem EPRD-Jahresbericht 2021 [3] werden diese Operationen vornehmlich im höheren Lebensalter mit durchschnittlich 76 Jahren durchgeführt.

Das Patientenkollektiv einer Revisions-Hüft-TEP ist demnach bei entsprechenden Nebendiagnosen überwiegend zu den orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten zu zählen. Dabei ist insbesondere bei geriatrischen Patientinnen und Patienten die Komplikations- und Mortalitätsrate im Vergleich zu jüngeren Patientinnen und Patienten erhöht. Hier zeigte sich bei Patientinnen und Patienten über 85 Jahren bspw. ein doppelt so hohes Thromboserisiko und eine vierfach erhöhte Sterblichkeit im Vergleich zu 65- bis 69-jährigen Patientinnen und Patienten [11].

Daher sind gerade bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten die Differentialdiagnostik und die Therapie einer (a-)septischen Lockerung anspruchsvoll und gehören in die Hände von sehr erfahrenen Endoprothetikerinnen und Endoprothetikern in einem Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung.

Jede schmerzhafte Hüft-TEP muss auch bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten differentialdiagnostisch abgeklärt werden. Dabei muss die Abklärung umso dringlicher erzwungen werden, je akuter die Symptome auftreten. Begleiten Infektzeichen jeglicher Art die Schmerzen, so ist eine notfallmäßige Einweisung in ein geeignetes Zentrum angezeigt.

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