Übersichtsarbeiten - OUP 06/2022

Orthogeriatrie in der primären und Revisions-Hüftgelenkendoprothetik

Therapieversuche mit oraler Antibiose oder die längerfristige Gabe von Schmerzmitteln im Sinne eines abwartenden Verhaltens können die korrekte Diagnosefindung und damit die adäquate Behandlung verzögern und sollten unterbleiben. Die weitere Differentialdiagnostik im Zentrum umfasst dann außer der ausführlichen Anamnese, einer gezielten klinischen Untersuchung und radiologischen und laborchemischen Diagnostik in der Regel auch eine streng sterile Gelenkpunktion. Das Aspirat aus dem Kunstgelenk liefert in der zytologischen, mikrobiologischen und biochemischen Analyse wertvolle Hinweise auf die mögliche Ursache der Beschwerden. Mittels PCR-Analyse auf die typischen Erreger und ELISA-Schnelltests auf Zytokine wie IL-6 oder Proteine wie ?-Defensin und Leukozytenesterase stehen auch Schnelltests sowie „Point-of-Care-Tests“ zur Verfügung, die eine rasche Diagnostik unterstützen können.

Da bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten hämatogene Streuungen wesentlich häufiger als bei jüngeren Patientinnen und Patienten anzutreffen sind, sollte verstärkt auf Begleitinfektionen wie bspw. Pneumonien, Harnwegsinfektionen oder Druckulcera geachtet werden

Bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten stellt die Behandlung von septischen und aseptischen Hüft-TEP-Lockerungen eine große Herausforderung dar. Während die Diagnostik im Vergleich zu jüngeren Patientinnen und Patienten analog verläuft, ist die Wahl der richtigen Therapie patientenindividuell zu treffen. Dabei sind neben der Diagnose auch die Besonderheiten der multimorbiden Patientinnen und Patienten und deren Narkosefähigkeit zu berücksichtigen. Im Vordergrund steht bei ihnen die rasche Wiederherstellung der belastungsstabilen Mobilität, Schmerzreduktion und im Falle der septischen Lockerung die erfolgreiche Infekt-Eradikation mit möglichst wenigen und geringinvasiven Eingriffen.

Daher sollte, sofern die Möglichkeit besteht wie bspw. bei einem akuten Infekt mit stabilem Implantat, ein Prothesenerhalt mit Wechsel der mobilen Teile vorgenommen werden. Auch ein einzeitiger septischer Wechsel kann erwogen werden, wenn eine präoperativ isolierte und gut behandelbare Keimlage dies zulässt [14]. Sollte nur ein zweizeitiger Wechsel möglich sein, so sollte dieser wenn möglich im kurzen Intervall erfolgen.

Insgesamt kommen bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten in der Therapie von periprothetischen Infektionen häufiger Grenzindikationen und -behandlungen als im jüngeren Patientenkollektiv vor. So kann es in Abwägung der perioperativen Risiken indiziert sein, eine Resektion ohne Reimplantation und somit Herstellung einer Sine-Situation mit anschließender Rollstuhlmobilität durchzuführen. Auch eine orale antibiotische Dauersuppression mit oder ohne Anlage einer Dauerfistel zur Therapie eines persistierenden Infektes kann im Sinne einer Salvage-Prozedur erwogen werden. Das funktionelle Outcome dieser Maßnahmen ist aber schlecht und diese Therapiealternativen sollten nur in Ausnahmefällen erwogen werden.

Planung und Durchführung der operativen Verfahren

Ist die Indikation zur primären oder Revisions-Hüft-TEP gestellt, steht als nächstes die optimale Planung und Durchführung der Operation an. Ebenso wie bei der Indikationsstellung, gibt es hier Unterschiede aber auch Parallelen zwischen orthogeriatrischen und jüngeren Patientinnen und Patienten.

Prä- und perioperativer Verlauf

Das Risiko für perioperative Komplikationen und bleibende funktionelle Einschränkungen ist bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten erhöht. Eine wesentliche Ursache dafür ist, dass die Patientinnen und Patienten zumeist bereits viele Vorerkrankungen und Einschränkungen im Bereich der Mobilisation und Kognition aufweisen. Um das Risiko von perioperativen Komplikationen zu minimieren, sollten das Vorerkrankungsprofil möglichst vollständig erfasst und berücksichtigt werden. Im Vergleich zur Alterstraumatologie besteht bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten meist ausreichend Zeit, um eine entsprechende präoperative Beurteilung und Optimierung durchzuführen. Hierzu ist die frühzeitige Hinzuziehung der geriatrischen Kolleginnen und Kollegen und Durchführung eines geriatrischen Assessments ratsam. Im Rahmen dieses Assessments werden nicht nur medizinische und funktionelle Aspekte beleuchtet, sondern auch sozialmedizinische Besonderheiten, wie bspw. die häusliche Versorgung und der Pflegegrad erhoben. Auf Grundlage dieses Assessments kann schließlich ein individueller Versorgungsplan inklusive der Festlegung einer Dringlichkeit der einzelnen Maßnahmen erstellt werden [2].

Je planbarer die Operation, umso mehr Zeit kann für die Optimierung des präoperativen Zustands und die häusliche Versorgung genutzt werden. Dabei liegt der Fokus auf Erkrankungen, die rasch beeinflussbar sind oder einen negativen Einfluss auf den perioperativen Verlauf haben können.

Gerade bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten sind systemische Infektionen durch bspw. Harnwegsinfekte sowie chronische Anämien häufiger als bei jüngeren Patientinnen und Patienten. Der präoperative Hämoglobin-Wert hat sich zudem in anderen Untersuchungen als unabhängiger Risikofaktor für perioperative Komplikationen in der Endoprothethik dargestellt. Daher gehört zur präoperativen Diagnostik zwingend die Erhebung des Hämoglobin-Wertes sowie die Bestimmung des C-reaktiven Proteins und der Leukozyten im Blutbild als Infektparameter. Liegt der Hämoglobin-Wert unter 12 g/dl (Männer) bzw. unter 11 g/dl (Frauen), so lohnt sich eine Evaluation hinsichtlich „Patient Blood Management“. Hierbei werden neben dem Hämoglobin-Wert bspw. auch die Transferrinsättigung, der Ferritin-Wert sowie der Wert des löslichen Tansferrinrezeptors herangezogen. Anhand dieser Parameter entscheidet sich die Art der Optimierung, sodass bspw. durch Eisensubstitution i.v., ggf. auch Gabe von Erythropoetin der Hämoglobin-Wert verbessert und das Operationsrisiko ebenso wie der Transfusionsbedarf gesenkt werden kann [16].

Unklar erhöhte laborchemische Infektparameter müssen präoperativ abgeklärt werden. Zu den häufigsten Foci gehören Infektionen der Harnwege und der oberen Atemwege, die behandelt werden sollten, bevor eine elektive Operation durchgeführt wird. Ein reguläres Screening auf asymptomatische Harnwegsinfekte wird jedoch generell nicht empfohlen [17]. Ähnliches gilt für die Detektion und Behandlung von Staphylokokkus aureus: Multiresistente Stämme auf der Haut oder im Nasen-Rachen-Raum sollten schon aus Gründen der Krankenhaushygiene vor Aufnahme eradiziert werden. Auch sensible Stämme stellen einen häufigen Erreger von postoperativen Wundinfektionen dar, die Eradikation durch entsprechende Waschungen kann hilfreich sein, dieses Risiko zu minimieren [18]. Eine sichere evidenzbasierte Empfehlung hierzu existiert jedoch nicht.

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