Übersichtsarbeiten - OUP 06/2022

Orthogeriatrie in der primären und Revisions-Hüftgelenkendoprothetik

Ivana M. Habicht, Thomas M. Randau, Dieter C. Wirtz

Zusammenfassung:
Bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten sollte insbesondere bei planbaren Operationen wie einer primären Hüft-TEP präoperativ die zur Verfügung stehende Zeit genutzt werden, um die Patientinnen und Patienten möglichst optimal vorzubereiten. Auch bei der Indikationsstellung zur Revisionsoperation ist die präoperative Optimierung sinnvoll und notwendig, jedoch ist diese aufgrund der häufig dringlichen OP-Indikation (u.a. ausgeprägte Lockerung, periprothetischer Infekt) nicht im selben Maße möglich. Eine Prüfung und Behandlung möglicher Komplikationsrisiken und Begleitmorbiditäten sollte jedoch soweit wie möglich dennoch erfolgen.
Während des Krankenhausaufenthaltes ist ein multiprofessionelles Team sinnvoll, damit die perioperativen Risiken wie unter anderem Delir, Stürze und Thrombosen reduziert werden können. Dabei ist auch die Wahl der Operationstechnik entscheidend. Hier zeigt sich die Hybrid-Versorgung (zementfreie Pfanne und zementierter Schaft) hinsichtlich der frühen Mobilisation und geringeren Ausfallrate bei älteren Patientinnen und Patienten sinnvoll. Zuletzt spielt auch die Wahl der Weiterversorgung für das Outcome eine Rolle, wobei insbesondere eine geriatrische Komplexbehandlung mit gegebenenfalls angeschlossener geriatrischer Rehabilitation die Möglichkeit zur individuellen Behandlung und raschen Rückgewinnung der Alltagsfähigkeit bietet.
Zusammengefasst ist die Behandlung von orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten komplex und sollte durch ein interdisziplinäres und erfahrenes Behandlungsteam durchgeführt werden.

Schlüsselwörter:
Orthogeriatrie, primäre Hüftendoprothetik, Revisionshüftendoprothetik

Zitierweise:
Habicht IM, Randau TM, Wirtz DC: Orthogeriatrie in der primären und Revisions-Hüftgelenkendoprothetik
OUP 2022; 11: 269–275
DOI 10.53180/oup.2022.0269-0275

Summary: In regard to the planning of elective surgery such as a primary total hip arthroplasty, the time available before the operation should be used to prepare the patient as optimally as possible. Preoperative optimization is also useful and necessary when determining the indication for revision surgery, but is often not possible to the same extent due to the urgent surgical indication (e.g. significant loosening, periprosthetic infection). However, an examination and treatment of possible riskfactors complications and accompanying morbidities should still be carried out as far as possible. A multi-professional team is useful during the hospital stay so that the perioperative risks such as delirium, falls and thrombosis can be reduced. The choice of surgical technique is also crucial. Hybrid treatment (cementless cup and cemented stem) is used in regard to early mobilization and a lower failure rate in older patients. Finally, the choice of follow-up care is also crucial for the outcome. A complex geriatric treatment with, if necessary, subsequent geriatric rehabilitation offers the possibility of individual treatment and rapid recovery of everyday life. In summary, the treatment of frail patients in orthopedic surgery is complex and should be carried out by an interdisciplinary and experienced treatment team.

Keywords: Fraility, orthogeriatric, primary total hip arthroplasty, revision total hip arthroplasty

Citation: Habicht IM, Randau TM, Wirtz DC: Primary and revision total hip arthroplasty in frail patients
OUP 2022; 11: 269–275. DOI 10.53180/oup.2022.0269-0275

Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinik Bonn

Definition Orthogeriatrie

Der Begriff der orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten ist bislang noch nicht eindeutig definiert. So werden bspw. im internationalen Sprachgebrauch als orthogeriatrische („orthogeriatric“) nahezu ausschließlich traumatologische, teils sogar nur ältere Patientinnen und Patienten über 70 Jahren mit Schenkelhals- oder proximaler Femurfraktur bezeichnet. Wohingegen ältere („elderly“) oder gebrechliche („frail“) Patientinnen und Patienten im internationalen Sprachgebrauch jene sind, die unter keiner traumatolgisch bedingten Erkrankung leiden [1].

Die Gemeinsamkeit der verschiedenen Definitionen ist jedoch, dass es sich bei älteren Patientinnen und Patienten um eine Hochrisikogruppe handelt, bei denen es zu deutlichen Beeinträchtigungen im Alltag bei vglw. geringer Veränderung im Gesundheitszustand kommen kann. Das „Weißbuch Alterstraumatologie und Orthogeriatrie“ führt anhand dieser Gemeinsamkeit sowie mit Berücksichtigung der geriatrietypischen Multimorbiditätserkrankungen (GTMK) folgende Definition an, welche in Folge in diesem Artikel genutzt wird:

„Orthogeriatrische Patienten sind definiert durch eine orthopädische Hauptdiagnose, aufgrund derer sie behandelt werden, und entweder einem Alter von mindestens 80 Jahren oder 70 Jahren und älter mit gleichzeitigem Vorliegen von mindestens 2 GTMK.“ [2].

Es gilt hier zudem zu bedenken, dass zuvor nicht orthogeriatrisch eingestufte Patientinnen und Patienten durch bspw. den Verlust von Selbstständigkeit oder aufgrund der Schwere der orthopädischen Erkrankung im Verlauf zu orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten werden können [2].

Mehr als 40 % aller Hüfterstimplantationen werden in Deutschland an Patientinnen und Patienten in den Altersgruppen 75–84 (31,6 %) und 85 und älter (10 %) durchgeführt (Abb. 1). Bei den Hüftfolgeeingriffen sind es in diesen Gruppen sogar mehr als 50 % (Abb. 2). Insofern lohnt ein besonderer Blick auf die zu berücksichtigen Faktoren bei der Versorgung orthogeriatrischer Patientinnen und Patienten in der primären und Revisions-Endoprothetik.

Indikationsstellung der
primären Hüftgelenksendoprothese

Der bereits im frühen Erwachsenenalter beginnende Gelenkverschleiß der unteren Extremität setzt sich ein Leben lang fort, sodass ab einem Alter von circa 40 Jahren radiologisch bei fast jedem Menschen erste Arthrosezeichen an den großen Gelenken diagnostiziert werden können. Ob die vorliegende Arthrose jedoch auch symptomatisch und therapiebedürftig ist, ist individuell sehr unterschiedlich. Da bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten ein erhöhtes perioperatives Risiko bei der Implantation von Hüftgelenksendoprothesen (Hüft-TEPs) besteht [4], gilt es, die OP-Indikation entsprechend sorgsam zu stellen.

Der Vorteil bei der Indikationsstellung der orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten im Vergleich zu jenen in der Alterstraumatologie ist, dass in der Regel keine notfallmäßige Behandlungsnotwendigkeit besteht. Das Gebot zum initial konservativen Therapieversuch gilt daher im besonderen Maße. Dieser besteht in der Regel aus einem multimodalen Therapiekonzept, welches sowohl Analgesie als auch Physiotherapie und die Optimierung von Risikofaktoren wie bspw. Anämie und Diabetes mellitus beinhaltet. Die konservative Therapie beinhaltet üblicherweise eine Analgesie, entsprechend des WHO-Stufenschemas [5], bei der das Analgetikum möglichst oral und zu festen Einnahmezeiten verordnet wird. Dabei kann zusätzlich zum Analgetikum auf jeder der 3 Stufen ein Ko-Analgetikum und Adjuvans verordnet werden. Bei geringen Schmerzen wird zunächst ein Nicht-Opioid-Analgetikum wie bspw. Ibuprofen rezeptiert. Bei mittleren Schmerzen sollten zusätzlich niedrig-potente Opioide wie Tilidin verordnet werden. Erst bei stärkeren Schmerzen sollte eine Therapie mittels Nicht-Opioid-Analgetikum in Verbindung mit einem hoch-potentem Opioid wie Oxycodon erfolgen. Entsprechend der jeweils passenden Therapiestufe sollte jedoch auf typische Nebenwirkungen wie z.B. Obstipationen bei Opioidgabe geachtet werden. Ebenso ist zu bedenken, dass orthogeriatrische Patientinnen und Patienten häufig bereits diverse Vorerkrankungen, aus denen Kontraindikationen für die o.g. Analgetika hervorgehen können, die auch unten aufgeführter Übersichtstabelle zu entnehmen sind (Tab. 1).

Zu den invasiveren konservativen Therapien der Koxarthrose zählt unter anderem die Infiltration des Gelenkes. Infiltrationen mit Hyaluron und Eigenblutpräparaten wie z.B. Platelett-Rich-Plasma zeigen keine sichere Evidenz für einen Therapieerfolg. Die Infiltration mittels Lokalanästhetikum und Cortison sollte allenfalls als „Akutmaßnahme“ in der Hand von geübten Ärztinnen und Ärtzen durchgeführt werden, da auch hier Kontraindikationen zu beachten sind. Hierzu gehören als absolute Kontraindikationen septische Arthritiden, lokale Hautinfektionen oder Allergien auf Präparatbestandteile. Eine relative Kontraindikation, die zu beachten ist, ist bspw. eine Blutgerinnungsstörung oder die Einnahme von Blutgerinnungshemmern. Nach Daten der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland wurde bei 20,2 % der Personen zwischen 18 und 79 Jahren eine Arthrose festgestellt, wobei davon etwa ein Viertel als Hüftgelenksarthrosen beschrieben wurden [7]. Dies entspricht hochgerechnet circa 3,1 Mio Personen Davon wurden 2010 laut der Gesundheitsberichterstattung des Bundes 162.955 Patientinnen und Patienten stationär behandelt [9] und nach Angaben des Endoprothesen Registers Deutschland (EPRD) 147.739 Erstimplantationen von Hüft-TEPs durchgeführt, wobei das durchschnittliche Alter der Patientinnen und Patienten bei 71 Jahren liegt [3]. Diese Zahlen zeigen, dass ein Großteil der Patientinnen und Patienten mit einer Hüftgelenksarthrose konservativ behandelt wird. So kommt es gerade bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten zu Diskussionen, ob eine Operation tatsächlich notwendig ist. Wenn die Patientinnen und Patienten jedoch aufgrund einer schweren Arthrose deutliche Funktionseinschränkungen oder gar eine Gehunfähigkeit erleiden, kommt es im Rahmen der allgemeinen Sarkopenie zu schnellem Muskelabbau, wodurch Frakturen und Immobilität drohen [2]. Daher sollte auch orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten bei Versagen der konservativen Therapie einer fortgeschrittenen Koxarthrose oder bspw. einer Femurkopfnekrose die endoprothetische Versorgung angeboten werden, sofern die Narkosefähigkeit der Patientinnen und Patienten gegeben ist.

Indikationsstellung der
Revisionshüftgelenksendoprothese

Die Standzeit einer Hüft-TEP hängt von vielen Faktoren ab, sowohl patientenindividuell, als auch von den bei Implantation verwendeten Materialien und ist daher schwer vorherzusagen.

Die häufigste Ursache für ein Implantatversagen bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten ist analog zu jüngeren Patientinnen und Patienten die aseptische Lockerung mit 24,7 % [3]. In der Regel induziert durch Abriebpartikel von Polyethylen, PMMA oder Metall reagiert das umliegende Gewebe mit einer lokalen Inflammation. Vergebliche Phagozytose-Versuche durch Makrophagen resultieren in der Ausschüttung von Zytokinen und letztlich einer chronischen Inflammation, Osteolysen und Implantatlockerung.

Daneben stellt der Implantatinfekt die zweithäufigste (15,8 % [3]) und wichtigste Differentialdiagnose dar: Auch hier kommt es zu inflammatorischer Gewebsreaktion, aber induziert durch Pathogene. Die häufigsten Erreger sind Staphylokokkus aureus sowie gramnegative Hautflora in der früh-postoperativen Phase oder koagulase-negative Staphylokokken, Cutibacterium acnes und Streptokokken als hämatogene Spätinfektion, die jederzeit auftreten kann. Der Verlauf einer Infektion kann sehr variabel sein: von fulminanten septischen Verläufen bis zu low-grade Infekten, die sich klinisch kaum anders als eine aseptische Lockerung präsentieren.

In Deutschland wurden nach Daten des Statistischen Bundesamtes [10] im Jahr 2020 knapp 32.000 einzeitige Wechsel von Hüft-TEPs durchgeführt. Laut dem EPRD-Jahresbericht 2021 [3] werden diese Operationen vornehmlich im höheren Lebensalter mit durchschnittlich 76 Jahren durchgeführt.

Das Patientenkollektiv einer Revisions-Hüft-TEP ist demnach bei entsprechenden Nebendiagnosen überwiegend zu den orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten zu zählen. Dabei ist insbesondere bei geriatrischen Patientinnen und Patienten die Komplikations- und Mortalitätsrate im Vergleich zu jüngeren Patientinnen und Patienten erhöht. Hier zeigte sich bei Patientinnen und Patienten über 85 Jahren bspw. ein doppelt so hohes Thromboserisiko und eine vierfach erhöhte Sterblichkeit im Vergleich zu 65- bis 69-jährigen Patientinnen und Patienten [11].

Daher sind gerade bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten die Differentialdiagnostik und die Therapie einer (a-)septischen Lockerung anspruchsvoll und gehören in die Hände von sehr erfahrenen Endoprothetikerinnen und Endoprothetikern in einem Endoprothetikzentrum der Maximalversorgung.

Jede schmerzhafte Hüft-TEP muss auch bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten differentialdiagnostisch abgeklärt werden. Dabei muss die Abklärung umso dringlicher erzwungen werden, je akuter die Symptome auftreten. Begleiten Infektzeichen jeglicher Art die Schmerzen, so ist eine notfallmäßige Einweisung in ein geeignetes Zentrum angezeigt.

Therapieversuche mit oraler Antibiose oder die längerfristige Gabe von Schmerzmitteln im Sinne eines abwartenden Verhaltens können die korrekte Diagnosefindung und damit die adäquate Behandlung verzögern und sollten unterbleiben. Die weitere Differentialdiagnostik im Zentrum umfasst dann außer der ausführlichen Anamnese, einer gezielten klinischen Untersuchung und radiologischen und laborchemischen Diagnostik in der Regel auch eine streng sterile Gelenkpunktion. Das Aspirat aus dem Kunstgelenk liefert in der zytologischen, mikrobiologischen und biochemischen Analyse wertvolle Hinweise auf die mögliche Ursache der Beschwerden. Mittels PCR-Analyse auf die typischen Erreger und ELISA-Schnelltests auf Zytokine wie IL-6 oder Proteine wie ?-Defensin und Leukozytenesterase stehen auch Schnelltests sowie „Point-of-Care-Tests“ zur Verfügung, die eine rasche Diagnostik unterstützen können.

Da bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten hämatogene Streuungen wesentlich häufiger als bei jüngeren Patientinnen und Patienten anzutreffen sind, sollte verstärkt auf Begleitinfektionen wie bspw. Pneumonien, Harnwegsinfektionen oder Druckulcera geachtet werden

Bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten stellt die Behandlung von septischen und aseptischen Hüft-TEP-Lockerungen eine große Herausforderung dar. Während die Diagnostik im Vergleich zu jüngeren Patientinnen und Patienten analog verläuft, ist die Wahl der richtigen Therapie patientenindividuell zu treffen. Dabei sind neben der Diagnose auch die Besonderheiten der multimorbiden Patientinnen und Patienten und deren Narkosefähigkeit zu berücksichtigen. Im Vordergrund steht bei ihnen die rasche Wiederherstellung der belastungsstabilen Mobilität, Schmerzreduktion und im Falle der septischen Lockerung die erfolgreiche Infekt-Eradikation mit möglichst wenigen und geringinvasiven Eingriffen.

Daher sollte, sofern die Möglichkeit besteht wie bspw. bei einem akuten Infekt mit stabilem Implantat, ein Prothesenerhalt mit Wechsel der mobilen Teile vorgenommen werden. Auch ein einzeitiger septischer Wechsel kann erwogen werden, wenn eine präoperativ isolierte und gut behandelbare Keimlage dies zulässt [14]. Sollte nur ein zweizeitiger Wechsel möglich sein, so sollte dieser wenn möglich im kurzen Intervall erfolgen.

Insgesamt kommen bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten in der Therapie von periprothetischen Infektionen häufiger Grenzindikationen und -behandlungen als im jüngeren Patientenkollektiv vor. So kann es in Abwägung der perioperativen Risiken indiziert sein, eine Resektion ohne Reimplantation und somit Herstellung einer Sine-Situation mit anschließender Rollstuhlmobilität durchzuführen. Auch eine orale antibiotische Dauersuppression mit oder ohne Anlage einer Dauerfistel zur Therapie eines persistierenden Infektes kann im Sinne einer Salvage-Prozedur erwogen werden. Das funktionelle Outcome dieser Maßnahmen ist aber schlecht und diese Therapiealternativen sollten nur in Ausnahmefällen erwogen werden.

Planung und Durchführung der operativen Verfahren

Ist die Indikation zur primären oder Revisions-Hüft-TEP gestellt, steht als nächstes die optimale Planung und Durchführung der Operation an. Ebenso wie bei der Indikationsstellung, gibt es hier Unterschiede aber auch Parallelen zwischen orthogeriatrischen und jüngeren Patientinnen und Patienten.

Prä- und perioperativer Verlauf

Das Risiko für perioperative Komplikationen und bleibende funktionelle Einschränkungen ist bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten erhöht. Eine wesentliche Ursache dafür ist, dass die Patientinnen und Patienten zumeist bereits viele Vorerkrankungen und Einschränkungen im Bereich der Mobilisation und Kognition aufweisen. Um das Risiko von perioperativen Komplikationen zu minimieren, sollten das Vorerkrankungsprofil möglichst vollständig erfasst und berücksichtigt werden. Im Vergleich zur Alterstraumatologie besteht bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten meist ausreichend Zeit, um eine entsprechende präoperative Beurteilung und Optimierung durchzuführen. Hierzu ist die frühzeitige Hinzuziehung der geriatrischen Kolleginnen und Kollegen und Durchführung eines geriatrischen Assessments ratsam. Im Rahmen dieses Assessments werden nicht nur medizinische und funktionelle Aspekte beleuchtet, sondern auch sozialmedizinische Besonderheiten, wie bspw. die häusliche Versorgung und der Pflegegrad erhoben. Auf Grundlage dieses Assessments kann schließlich ein individueller Versorgungsplan inklusive der Festlegung einer Dringlichkeit der einzelnen Maßnahmen erstellt werden [2].

Je planbarer die Operation, umso mehr Zeit kann für die Optimierung des präoperativen Zustands und die häusliche Versorgung genutzt werden. Dabei liegt der Fokus auf Erkrankungen, die rasch beeinflussbar sind oder einen negativen Einfluss auf den perioperativen Verlauf haben können.

Gerade bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten sind systemische Infektionen durch bspw. Harnwegsinfekte sowie chronische Anämien häufiger als bei jüngeren Patientinnen und Patienten. Der präoperative Hämoglobin-Wert hat sich zudem in anderen Untersuchungen als unabhängiger Risikofaktor für perioperative Komplikationen in der Endoprothethik dargestellt. Daher gehört zur präoperativen Diagnostik zwingend die Erhebung des Hämoglobin-Wertes sowie die Bestimmung des C-reaktiven Proteins und der Leukozyten im Blutbild als Infektparameter. Liegt der Hämoglobin-Wert unter 12 g/dl (Männer) bzw. unter 11 g/dl (Frauen), so lohnt sich eine Evaluation hinsichtlich „Patient Blood Management“. Hierbei werden neben dem Hämoglobin-Wert bspw. auch die Transferrinsättigung, der Ferritin-Wert sowie der Wert des löslichen Tansferrinrezeptors herangezogen. Anhand dieser Parameter entscheidet sich die Art der Optimierung, sodass bspw. durch Eisensubstitution i.v., ggf. auch Gabe von Erythropoetin der Hämoglobin-Wert verbessert und das Operationsrisiko ebenso wie der Transfusionsbedarf gesenkt werden kann [16].

Unklar erhöhte laborchemische Infektparameter müssen präoperativ abgeklärt werden. Zu den häufigsten Foci gehören Infektionen der Harnwege und der oberen Atemwege, die behandelt werden sollten, bevor eine elektive Operation durchgeführt wird. Ein reguläres Screening auf asymptomatische Harnwegsinfekte wird jedoch generell nicht empfohlen [17]. Ähnliches gilt für die Detektion und Behandlung von Staphylokokkus aureus: Multiresistente Stämme auf der Haut oder im Nasen-Rachen-Raum sollten schon aus Gründen der Krankenhaushygiene vor Aufnahme eradiziert werden. Auch sensible Stämme stellen einen häufigen Erreger von postoperativen Wundinfektionen dar, die Eradikation durch entsprechende Waschungen kann hilfreich sein, dieses Risiko zu minimieren [18]. Eine sichere evidenzbasierte Empfehlung hierzu existiert jedoch nicht.

Bei Patientinnen und Patienten mit präoperativer oraler Antikoagulation (OAK) hängt das Procedere vom Präparat und der Dringlichkeit des Eingriffes ab.

Bei OAK mit Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar sollte diese in der Regel 7 Tage präoperativ abgesetzt und mit bspw. niedermolekularen Heparinen in therapeutischer Dosis überbrückt werden [19]. Neue bzw. direkte orale Antikoagulanzien (NOAK bzw. DOAK) müssen in der Regel präoperativ nicht überbrückt werden. Hierbei handelt es sich um Faktor Xa-Inhibitoren wie bspw. Rivaroxaban sowie um Thrombin-Inhibitoren wie Dabigatran. Dabigatran sollte dabei bei normaler Nierenfunktion 2 Tage präoperativ abgesetzt werden. Sofern Einschränkungen der Nierenfunktion bestehen, muss das präoperative Absetzungsintervall entsprechend angepasst werden. Rivaroxaban wird regelhaft 24–48 Stunden präoperativ abgesetzt. Apixaban sollte 48 Stunden vor Risiken mit mittlerem Blutungsrisiko und 24 Stunden vor Operationen mit niedrigem Blutungsrisiko abgesetzt werden. Aspirin in niedriger Dosierung, welches zur Kardioprotektion verabreicht oder als lebenslange Therapie nach kardiovaskulärem Ereignis eingenommen wird, wird präoperativ nicht abgesetzt und weitergegeben. Bei der Einnahme von anderen Plättchenaggregationshemmern wie Clopidogrel oder Prasugrel muss kritisch evaluiert werden, ob die Operation zwingend während der meist zeitlich limitierten Einnahme dieser Präparate erfolgen muss, oder eventuell nach Absetzen der Medikamente erfolgen kann.

Besteht eine dringliche Operationsindikation, so kann unter Aspirin oder Clopidogrel sowie unter dualer Plättchenhemmung mit Aspirin und Clopidogrel direkt operiert werden. Unter Prasugrel oder Ticagrelor hingegen, sollte eine Operation frühestens 24 Stunden nach der letzten Einnahme durchgeführt werden [20]. Auch unter Therapie mit DOAKs wie Dabigatran ist selbst bei dringlicher Operationsindikation ein Mindestzeitfenster zur letzten Einnahme von 12–24 Stunden, bei Niereninsuffizienz und hohem Blutungsrisiko sogar bis 48 Stunden einzuhalten [21]. Falls möglich, kann jedoch eine spezifische Antagonisierung erfolgen. Im Falle einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten kann bei einem INR < 1.6 ohne Gerinnungskorrektur operiert werden. Bei einem INR > 1.6 sollten Prothrombinkomplex-Konzentrate und Vitamin-K verabreicht werden.

Zum weiteren Management von orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten in der prä-/perioperativen Phase gehört zudem eine frühzeitige adäquate Analgesie, Ausgleich etwaiger Mangelernährung sowie prophylaktische Maßnahmen hinsichtlich einer Thrombose, Dekubiti und eines postoperativen Delirs. Hierbei sind bspw. eine frühzeitige Mobilisierung sowie die Sicherstellung sensorischer Funktionen durch Brille und Hörgeräte, Orientierungshilfen wie Uhren und Kalender, Vermeidung von häufigen Ortswechseln sowie die Hinzuziehung von Angehörigen sehr hilfreich. Tritt ein Delir dennoch auf, so sollte dies zunächst therapeutisch durch konsequente Umsetzung der oben genannten nicht-medikamentösen Maßnahmen behandelt werden. Falls dies zu keiner ausreichenden Besserung führt, ist eine symptomorientierte Medikation mit bspw. sedierenden Neuroleptika (z.B. Pipamneron) oder niedrigdosierten Antipsychotika (z.B. Haloperidol) indiziert.

Darüber hinaus besteht bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten häufig eine Polypharmazie. Hier entsteht durch eine Vielzahl von Interaktionen (drug-drug oder drug-disease) eine komplexe Behandlungssituation, die eine Medikationsanalyse und ggf. Anpassung der Medikation notwendig macht. Um besonders ungünstige Medikationskombinationen zu identifizieren, bietet sich ein Abgleich der Medikation mit der PRISCUS- [22] oder FORTA-Liste [23] an.

Operationstechnik

Ebenso wie die Optimierung der individuellen Risikoparameter, ist die Wahl der passenden Operationstechnik für das Outcome hochrelevant. Während der Gleitpaarung und dem spezifischen Schaftdesign wenig Relevanz zukommt, spielt die Frage der Verankerungstechnik (zementiert vs. zementfrei) eine tragende Rolle. Während die acetabuläre Seite nahezu immer zementfrei mit einer Pressfit-Pfanne versorgt werden kann, sind schaftseitig verschiedene Techniken denkbar. Bei deutlicher Osteoporose ist die zementierte Versorgung des Schaftes der unzementierten vorzuziehen [24]. In Kombination mit einer zementfreien Pfanne wird dies als Hybrid-Versorgung bezeichnet.

Die Registerdaten des EPRDs zeigen, dass auch allgemein bei Patientinnen und Patienten ab 75 Jahren deutlich niedrigere Ausfallwahrscheinlichkeiten bei einer Versorgung mittels zementiertem Schaft bestehen. Hier zeigt sich bei zementfreiem Schaft innerhalb von 2 Jahren nach Erstimplantation eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 3,7 % im Vergleich zu 2 % bei zementiertem Schaft. Als Grund des Wechsels zeigt sich ein deutlich höherer Anteil von periprothetischen Frakturen bei der zementfreien Versorgung mit 18 % im Vergleich zur Hybrid-Versorgung mit lediglich 5 % [3].

Ein aktueller Trend zeigt die zunehmende Versorgung von älteren Patientinnen und Patienten mit s.g. „Dual Mobility“ Pfannen, auch in der Erstimplantation. Diese Pfannen erlauben durch eine zusätzliche Gleitebene zwischen Kopf, Insert und Pfanne eine höhere Luxationssicherheit, vor allem bei kompromittiertem Muskelmantel und eingeschränkter Compliance, ggf. aber zu Lasten eines vermehrten Abriebs und einer, zumindest im EPRD, erhöhten Infektrate. Abrieb ist bei „low-demand“ Patientinnen und Patienten kein relevanter Faktor mehr, was sich auch in den guten Erfolgsraten von Metall-PE-Gleitpaarungen bei älteren Patientinnen und Patienten bestätigt. Neben dem Alter selbst, erhöhen auch andere alterstypische Faktoren das Ausfallrisiko einer primären Hüftprothese, wie Anzahl der Begleiterkrankungen und das Vorliegen einer Osteoporose. Im Wechselfall richtet sich die Operationstechnik im Wesentlichen nach der vorgefundenen klinischen Situation und muss diese, insb. die bestehenden lockerungsbedingten Knochendefekte, adäquat adressieren. Dual-Mobility-Pfannen kommen insb. dann zur Anwendung, wenn die gluteale Muskulatur reduziert oder beschädigt ist. Im Unterschied zu jungen Patientinnen und Patienten, in denen ggf. mit weiteren Revisionen gerechnet und ggf. eine biologische Defektrekonstruktion mit entsprechendem „Downsizing“ bevorzugt werden sollte [25], sollte bei älteren Patientinnen und Patienten der Fokus vor allem auf die Primärstabilität gerichtet werden. Um die perioperative Belastung mit Patientinnen und Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand und auch reduziertem Funktionsanspruch zu minimieren, muss auch auf OP-Zeit, Wundfläche und Blutverlust geachtet werden. Die Verwendung von einfacheren, nicht modularen Implantatsystemen (Oblong- oder Megapfannen, zementierte Langschäfte und dergleichen) kann hier indiziert sein.

Postoperativer und
postklinischer Verlauf

Nach erfolgter Operation sollten die Patientinnen und Patienten innerhalb von 24 Stunden remobilisiert werden. Dabei bedarf es zur Senkung des Sturzrisikos eines strukturierten Sturz-Präventions-Managements mit bspw. Anpassung adäquater Gehhilfsmitteln und ausreichender Anleitung zur Nutzung dieser. Auch die Freigabe einer Vollbelastung der operierten Extremität ist für orthogeriatrische Patientinnen und Patienten sinnvoll, da häufig eine Teilbelastung koordinativ, muskulär oder auch kognitiv nicht richtig durchgeführt werden kann. Bei korrekter OP-Durchführung ist nach Erstimplantation bei zementierter wie unzementierter Verankerung eine Teilbelastung nicht notwendig. Auch im Revisionsfall sollte eine Implantatverankerung angestrebt werden, die eine hohe Primärstabilität und entsprechend frühe Vollbelastung erlaubt.

Auch bei älteren Patientinnen und Patienten gilt „Rehabilitation vor Pflege“ – das Ziel der postoperativen Phase ist es daher, die Patientinnen und Patienten rasch in einen Zustand zu versetzen, in dem sie ihren Lebensalltag wieder möglichst selbstständig meistern können. Bei planbaren Eingriffen, egal ob Erstimplantation oder Wechsel, kann in der Regel der poststationäre Verlauf gut vorhergesehen und entsprechend vorbereitet werden. Patientinnen und Patienten ohne absehbaren Pflegebedarf werden einer orthopädischen Anschlussheilbehandlung zugeführt. Der postoperative Barthel-Index [26] sollte dabei mindestens 70 Punkte erreichen.

Bei einem Wert von 30–70 Punkten kommt eine geriatrische Rehabilitation oder akutgeriatrische Weiterbehandlung infrage. Die Behandlungsdauer liegt dabei in der Regel zwischen 7 und 21 Tagen, während der eine interdisziplinäre Untersuchung und Betreuung durchgeführt wird. Durch die Zusammenarbeit von u.a. Physiotherapeut(inn)en, Logopäd(inn)en und Geriater(inn)en entsteht ein individuell angepasster Behandlungsplan mit Berücksichtigung von Multimorbidität und altersspezifischen Besonderheiten.

Erreicht der Barthel-Index nur Werte von 0–30 Punkten, besteht eine Pflegeabhängigkeit. Ist diese unabhängig von der Gelenkerkrankung, ist der Mehrwert aufwendiger Gelenkrekonstruktionen zum Mobilitätserhalt sehr kritisch zu prüfen. Ist die Einschränkung primär durch das geschädigte Gelenk bedingt und nur temporär zu erwarten, so muss frühzeitig ein Platz in stationärer Kurzzeitpflege organisiert werden, bis z.B. eine Vollbelastbarkeit eines Implantates gegeben ist. Soll die Pflege zu Hause erfolgen, müssen beizeiten entsprechende Hilfsmittel bereitgestellt und Mitmenschen und Umfeld der Patientinnen und Patienten auf die Situation vorbereitet werden.

Interessenkonflikte:

Keine angegeben.

Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Ivana Habicht

Universitätsklinik Bonn

Klinik und Poliklinik für

Orthopädie und Unfallchirurgie

Venusberg Campus 1

53127 Bonn

ivana.habicht@ukbonn.de

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