Übersichtsarbeiten - OUP 06/2022

Orthogeriatrie in der primären und Revisions-Hüftgelenkendoprothetik

Bei Patientinnen und Patienten mit präoperativer oraler Antikoagulation (OAK) hängt das Procedere vom Präparat und der Dringlichkeit des Eingriffes ab.

Bei OAK mit Vitamin-K-Antagonisten wie Marcumar sollte diese in der Regel 7 Tage präoperativ abgesetzt und mit bspw. niedermolekularen Heparinen in therapeutischer Dosis überbrückt werden [19]. Neue bzw. direkte orale Antikoagulanzien (NOAK bzw. DOAK) müssen in der Regel präoperativ nicht überbrückt werden. Hierbei handelt es sich um Faktor Xa-Inhibitoren wie bspw. Rivaroxaban sowie um Thrombin-Inhibitoren wie Dabigatran. Dabigatran sollte dabei bei normaler Nierenfunktion 2 Tage präoperativ abgesetzt werden. Sofern Einschränkungen der Nierenfunktion bestehen, muss das präoperative Absetzungsintervall entsprechend angepasst werden. Rivaroxaban wird regelhaft 24–48 Stunden präoperativ abgesetzt. Apixaban sollte 48 Stunden vor Risiken mit mittlerem Blutungsrisiko und 24 Stunden vor Operationen mit niedrigem Blutungsrisiko abgesetzt werden. Aspirin in niedriger Dosierung, welches zur Kardioprotektion verabreicht oder als lebenslange Therapie nach kardiovaskulärem Ereignis eingenommen wird, wird präoperativ nicht abgesetzt und weitergegeben. Bei der Einnahme von anderen Plättchenaggregationshemmern wie Clopidogrel oder Prasugrel muss kritisch evaluiert werden, ob die Operation zwingend während der meist zeitlich limitierten Einnahme dieser Präparate erfolgen muss, oder eventuell nach Absetzen der Medikamente erfolgen kann.

Besteht eine dringliche Operationsindikation, so kann unter Aspirin oder Clopidogrel sowie unter dualer Plättchenhemmung mit Aspirin und Clopidogrel direkt operiert werden. Unter Prasugrel oder Ticagrelor hingegen, sollte eine Operation frühestens 24 Stunden nach der letzten Einnahme durchgeführt werden [20]. Auch unter Therapie mit DOAKs wie Dabigatran ist selbst bei dringlicher Operationsindikation ein Mindestzeitfenster zur letzten Einnahme von 12–24 Stunden, bei Niereninsuffizienz und hohem Blutungsrisiko sogar bis 48 Stunden einzuhalten [21]. Falls möglich, kann jedoch eine spezifische Antagonisierung erfolgen. Im Falle einer Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten kann bei einem INR < 1.6 ohne Gerinnungskorrektur operiert werden. Bei einem INR > 1.6 sollten Prothrombinkomplex-Konzentrate und Vitamin-K verabreicht werden.

Zum weiteren Management von orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten in der prä-/perioperativen Phase gehört zudem eine frühzeitige adäquate Analgesie, Ausgleich etwaiger Mangelernährung sowie prophylaktische Maßnahmen hinsichtlich einer Thrombose, Dekubiti und eines postoperativen Delirs. Hierbei sind bspw. eine frühzeitige Mobilisierung sowie die Sicherstellung sensorischer Funktionen durch Brille und Hörgeräte, Orientierungshilfen wie Uhren und Kalender, Vermeidung von häufigen Ortswechseln sowie die Hinzuziehung von Angehörigen sehr hilfreich. Tritt ein Delir dennoch auf, so sollte dies zunächst therapeutisch durch konsequente Umsetzung der oben genannten nicht-medikamentösen Maßnahmen behandelt werden. Falls dies zu keiner ausreichenden Besserung führt, ist eine symptomorientierte Medikation mit bspw. sedierenden Neuroleptika (z.B. Pipamneron) oder niedrigdosierten Antipsychotika (z.B. Haloperidol) indiziert.

Darüber hinaus besteht bei orthogeriatrischen Patientinnen und Patienten häufig eine Polypharmazie. Hier entsteht durch eine Vielzahl von Interaktionen (drug-drug oder drug-disease) eine komplexe Behandlungssituation, die eine Medikationsanalyse und ggf. Anpassung der Medikation notwendig macht. Um besonders ungünstige Medikationskombinationen zu identifizieren, bietet sich ein Abgleich der Medikation mit der PRISCUS- [22] oder FORTA-Liste [23] an.

Operationstechnik

Ebenso wie die Optimierung der individuellen Risikoparameter, ist die Wahl der passenden Operationstechnik für das Outcome hochrelevant. Während der Gleitpaarung und dem spezifischen Schaftdesign wenig Relevanz zukommt, spielt die Frage der Verankerungstechnik (zementiert vs. zementfrei) eine tragende Rolle. Während die acetabuläre Seite nahezu immer zementfrei mit einer Pressfit-Pfanne versorgt werden kann, sind schaftseitig verschiedene Techniken denkbar. Bei deutlicher Osteoporose ist die zementierte Versorgung des Schaftes der unzementierten vorzuziehen [24]. In Kombination mit einer zementfreien Pfanne wird dies als Hybrid-Versorgung bezeichnet.

Die Registerdaten des EPRDs zeigen, dass auch allgemein bei Patientinnen und Patienten ab 75 Jahren deutlich niedrigere Ausfallwahrscheinlichkeiten bei einer Versorgung mittels zementiertem Schaft bestehen. Hier zeigt sich bei zementfreiem Schaft innerhalb von 2 Jahren nach Erstimplantation eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 3,7 % im Vergleich zu 2 % bei zementiertem Schaft. Als Grund des Wechsels zeigt sich ein deutlich höherer Anteil von periprothetischen Frakturen bei der zementfreien Versorgung mit 18 % im Vergleich zur Hybrid-Versorgung mit lediglich 5 % [3].

Ein aktueller Trend zeigt die zunehmende Versorgung von älteren Patientinnen und Patienten mit s.g. „Dual Mobility“ Pfannen, auch in der Erstimplantation. Diese Pfannen erlauben durch eine zusätzliche Gleitebene zwischen Kopf, Insert und Pfanne eine höhere Luxationssicherheit, vor allem bei kompromittiertem Muskelmantel und eingeschränkter Compliance, ggf. aber zu Lasten eines vermehrten Abriebs und einer, zumindest im EPRD, erhöhten Infektrate. Abrieb ist bei „low-demand“ Patientinnen und Patienten kein relevanter Faktor mehr, was sich auch in den guten Erfolgsraten von Metall-PE-Gleitpaarungen bei älteren Patientinnen und Patienten bestätigt. Neben dem Alter selbst, erhöhen auch andere alterstypische Faktoren das Ausfallrisiko einer primären Hüftprothese, wie Anzahl der Begleiterkrankungen und das Vorliegen einer Osteoporose. Im Wechselfall richtet sich die Operationstechnik im Wesentlichen nach der vorgefundenen klinischen Situation und muss diese, insb. die bestehenden lockerungsbedingten Knochendefekte, adäquat adressieren. Dual-Mobility-Pfannen kommen insb. dann zur Anwendung, wenn die gluteale Muskulatur reduziert oder beschädigt ist. Im Unterschied zu jungen Patientinnen und Patienten, in denen ggf. mit weiteren Revisionen gerechnet und ggf. eine biologische Defektrekonstruktion mit entsprechendem „Downsizing“ bevorzugt werden sollte [25], sollte bei älteren Patientinnen und Patienten der Fokus vor allem auf die Primärstabilität gerichtet werden. Um die perioperative Belastung mit Patientinnen und Patienten mit reduziertem Allgemeinzustand und auch reduziertem Funktionsanspruch zu minimieren, muss auch auf OP-Zeit, Wundfläche und Blutverlust geachtet werden. Die Verwendung von einfacheren, nicht modularen Implantatsystemen (Oblong- oder Megapfannen, zementierte Langschäfte und dergleichen) kann hier indiziert sein.

Postoperativer und
postklinischer Verlauf

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