Übersichtsarbeiten - OUP 02/2022

Partielle und vollständige, kleine bis mittelgroße Rotatorenmanschettenrisse
Was ist wesentlich, um mit der arthroskopischen Chirurgie optimale Rekonstruktionen zu erzielen?

Eine Besonderheit stellen Partialrupturen als unvollständige Risse der Sehne dar (Abb. 1 a–f). Sie gehören zu den häufigsten Ursachen anhaltender Schulterbeschwerden. Interessanterweise scheinen die Partialrupturen oft mit mehr Schmerzen verbunden zu sein als vollständige Sehnenrupturen [7, 38]. Die gängige Einteilung von Partialrupturen der Rotatorenmanschette in gelenkseitige, intratendinöse oder bursaseitige Partialrupturen erfolgte von Codman [11]. Die artikularseitigen Rupturen betreffen meist die mittleren und hinteren Anteile der Supraspinatussehne und die vorderen Anteile der Infraspinatussehne. Sie sind gut zwei- bis dreimal häufiger als bursaseitige Partialrupturen [44, 85]. In diese Rupturkategorie fallen auch die von Snyder beschriebenen artikularseitigen Supraspinatussehnenavulsionen (PASTA-Läsion, Partial Articular Supraspinatus Tendon Avulsion), die sich durch vglw. schwere Auffaserungen der artikulärseitigen Sehnenanteile auszeichnen (Abb. 1 a–c) [70]. Ursachen für diese Rissformen sind das interne bzw. posterosuperiore glenoidale Impingement, bei dem bei wiederholter Abduktion und Außenrotation der wiederholte Kontakt zwischen der Unterfläche der Rotatorenmanschette und dem posterosuperioren Rand des Glenoids zu gelenkseitigen Rupturen an der Kreuzungsstelle von Supra- und Infraspinatussehne führt. Häufig sieht man dann auch korrespondierende Schäden an den oberen Labrumanteilen. Entsprechend dieser Pathophysiologie sind v.a. Sportler mit Überkopfbewegungen, Überkopfarbeiter usw. betroffen.

Andere wesentliche Ursachen sind Durchblutungsstörungen am Sehnenansatz sowie eine vorwiegend artikularseitig degenerierte Sehnenarchitektur, die sich durch ausgedünnte, fehlorientierte Kollagenfasern und eine Metaplasie der Tenozyten innerhalb der Sehne auszeichnet [20, 41, 42]. Intra-tendinöse Partialrupturen liegen mehr oder minder ausgedehnt mittig in der Sehne, wobei die artikular- und bursaseitigen Schichten unbeschadet erscheinen. Liegt eine Kombination einer partiell artikularseitigen mit einer intratendinösen Ruptur vor, so spricht man nach Conway von einer partiell artikulären, intra-tendinösen Ruptur (PAINT-Läsion, Partial articul intratendinous Tear) [12]. Die bursaseitigen Partialrupturen sind im Gegensatz zu den artikularseitigen Partialrupturen weniger häufig bei Überkopfbelastungen, hingegen häufiger mit einem externen Impingement und chronisch degenerativen Veränderungen assoziiert (Abb. 1 d–f) [36].

Eine sehr verbreitete Klassifikation ist die arthroskopische Einteilung von Partialrupturen entsprechend der relativen Größe der Ruptur bezogen auf den Sehnendurchmesser nach Ellman (Abb. 1 a–f). Grad I entspricht einer Ausdehnung von weniger als 3 mm bzw. weniger als ein Viertel des Sehnendurchmessers. Eine zweitgradige Partialruptur misst 3–6 mm bzw. weniger als die Hälfte des Sehnendurchmessers, Grad III umfasst mehr als 6 mm oder mehr als die Hälfte. Diese Einteilung gilt sowohl für die artikularseitigen (Abb. 1 a–c), als auch für die bursaseitigen Partialrupturen (Abb. 1 d–f) [18].

Generell ist bei Partialrupturen und anhaltenden Beschwerden eine Rekonstruktion das überlegene Verfahren. So sind die mittelfristigen Ergebnisse bspw. nach einer Dekompression mit Akromionplastik u./o. eines einfachen Debridements oder eines rein konservativen Vorgehens meist enttäuschend. Manche Autoren empfehlen die Sehnennaht bei anhaltenden Beschwerden ab einer Ausdehnung von mehr als 50 % (Grad III) [55, 71]. Andere Autoren erachten eine Rekonstruktion auch bei kleineren Partialrupturen Grad II (> 25 % des Sehnendurchmessers oder 3–6 mm) und einer erfolglosen konservativen Therapie über einen Zeitraum von bspw. 3 Monaten als sinnvoll [4].

Am Ende bedarf der Patient vor seiner Entscheidung stets einer Beratung, bei der die Anamnese, die klinischen und bildgebenden Befunde einbezogen und abgeglichen werden. Sicherlich spielen neben dem Ausmaß der Läsion v.a. der Anspruch des Patienten, die Dauer der Beschwerden, Begleitpathologien, die Rupturursache etc. eine wesentliche Rolle bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung. Eine Studie befasste sich mit über 300 Patienten, die vor einer Schulterarthroskopie zu ihren Erwartungen befragt wurden. Hierbei war über die Hälfte der Befragten älter als 50 Jahre. Wesentliche Erwartung an die Therapie war nicht nur das Wiedererlangen der schmerzfreien Schulterfunktion im Alltag, sondern vielmehr die erfolgreiche Rückkehr in den Sport [81]. Diese Daten geben einen guten Eindruck wie hoch die zu berücksichtigen Ansprüche vor einer Therapieentscheidung, nicht nur bei den jungen, sondern auch bei den älteren Patienten sind. Darüber hinaus gibt es mehrere Follow-up-Untersuchungen, aber auch matched-pair Analysen, die zeigen dass auch ältere Patienten mit einem Alter von 75 Jahren und älter ebenso wie junge Patienten von einer arthroskopischen Rekonstruktion der Rotatorenmanschette profitieren [56, 58]. Ein Hinauszögern operativer Maßnahmen ist daher nicht für jeden Patienten, auch nicht für die älteren, die beste Lösung. Letztlich handelt es sich in jedem Fall um eine sehr individuelle Entscheidung.

Konservative Therapie

Konservative Therapieverfahren können objektiv und subjektiv eine Beschwerdelinderung herbeiführen [29]. Wichtig ist v.a. eine möglichst weitgehende Vermeidung der Schmerz verursachenden Belastungen. Finden sich akute Reizzustände und erlaubt es die Anamnese, ist zudem eine Schmerztherapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) für bis zu 2 Wochen u./o. eine subakromiale In?ltration mit Lokalanästhetika sinnvoll [2, 6]. Lokale Injektionen können auch mit Kortikoiden und mit plättchenreichem Plasma (PRP) erfolgen, wobei das PRP eine länger anhaltende Wirkung aufweist. Zurückhaltung ist bei häufigen Injektionen von Kortikoiden sinnvoll, da ab einer Wiederholung von 4 oder mehr Injektionen im Rattenversuch Nekrosen und Auffaserungen der Kollagenbündel innerhalb der Sehnen nachgewiesen wurden [74]. Die Physiotherapie hat das Ziel, die aktive und passive Beweglichkeit zurückzugewinnen. Dabei werden u.a. die häufig verkürzten posterioren, inferioren Kapselstrukturen unter Fixierung der Skapula aufgedehnt. Auch erfolgen Mobilisationsübungen der Skapula, die Rotation wird auftrainiert etc. Danach erfolgt die Kräftigung der Humeruskopf-zentrierenden und Skapula-stabilisierenden Muskulatur [16]. Ziele sind die Wiedererlangung einer schmerzfreien Beweglichkeit, eine physiologische Muskelbalance und eine Gelenkzentrierung sowie gute Kontrolle bzw. Stabilität der skapulothorakalen und glenohumeralen Muskulatur [17].

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