Übersichtsarbeiten - OUP 06/2023
Periprothetische Frakturen des HumerusEine Übersicht – Epidemiologie, Einteilung, Therapiemöglichkeiten und Outcome
Melina Pavlovi?, Vanessa Ketter, Steffen Ruchholtz
Zusammenfassung:
Die Inzidenz periprothetischer Humerusfrakturen (PPHF) nimmt aufgrund des demografischen Wandels und der zunehmenden Implantation von Schulterprothesen stetig zu. Weder über die Einteilung noch über die optimale Versorgungsstrategien dieser Frakturen besteht allerdings ein Konsens.
Während Frakturen im Bereich der Tuberkel und distal des Prothesenschaftes auch konservativ behandelt werden können, sofern der Schaft stabil sitzt, zeigen sich für die übrigen Frakturentitäten hohe Pseudarthroseraten unter nicht-operativer Therapie. Nachdem prä- oder intraoperativ ein gelockerter Prothesenschaft festgestellt wurde, wird weitgehend ein Wechsel des Implantates auf einen Langschaft, der die Fraktur suffizient überbrückt, empfohlen. Bei einer festsitzenden Prothese kann bevorzugt die osteosynthetische Versorgung mit winkelstabilen Plattensystemen erfolgen, da hier einheitlich über die höchste Frakturheilungsrate berichtet wird.
Grundsätzlich handelt es sich bei der Frakturversorgung von PPHF jedoch um einen hochkomplexen Sachverhalt, der prä- und intraoperativ eine sorgfältige Abwägung verlangt und neben der Frakturlokalisation insbesondere die Stabilität der Prothese, aber auch individuelle Aspekte, berücksichtigen sollte.
Schlüsselwörter:
Periprothetische Fraktur, Humerus, Osteosynthese, Revision, Prothesenwechsel
Zitierweise:
Pavlovi? M, Ketter V, Ruchholtz S: Periprothetische Frakturen des Humerus. Eine Übersicht – Epidemiologie, Einteilung, Therapiemöglichkeiten und Outcome
OUP 2023; 10: 280–286
DOI 10.53180/oup.2023.0280-0286
Summary: The incidence of periprosthetic humeral fractures (PPHF) is trending upwards subject to rising total numbers of shoulder arthoplasties and the demographic ageing. Nonetheless, there is no consensus neither about classification nor the optimal treatment algorithm. Nondisplaced fractures of the tubercles or distally to the stem can be treated non-operatively when the arthroplasty is well-fixed. Conservative treatment in general though is associated with a high percentage of non-unions. For stable implants with sufficient bone stock, a fixed angle plate osteosynthesis can be performed, which yields the highest union rates overall. Whenever the stem is loose and/or the bone quality is poor, a revision arthroplasty has to be performed. In general, treatment of PPHF is a very complex situation which requires surgeons to take the fracture, the integrity of the stem and individual circumstances into consideration.
Keywords: Periprosthetic fracture, humerus, ORIF, revision arthroplasty
Citation: Pavlovi? M, Ketter V, Ruchholtz S: Periprosthetic humeral fractures. An overview of epidemiology, classification, therapeutic strategies and outcome
OUP 2023; 10: 280–286. DOI 10.53180/oup.2023.0280-0286
M. Pavlovi?, V. Ketter, S. Ruchholtz: Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg
Epidemiologie
Die Anzahl implantierter Schulterprothesen nimmt aufgrund des demografischen Wandels sowie des zunehmend breiteren Indikationsspektrums in der letzten Dekade exponentiell zu. Insbesondere die Anzahl inverser Prothesen zeigt in einigen Studien einen Zuwachs von über 1800 % zwischen 2010 und 2019, was hauptsächlich auf den hohen Anteil frakturassoziierter Prothesen zurückzuführen ist [13, 21, 29].
Im Umkehrschluss führt dies auch zu einer zunehmenden Anzahl damit einhergehender Komplikationen. Die häufigsten sind, abhängig vom Prothesentyp und der zugrunde liegenden Indikation, Instabilität und Lockerung der Prothesenkomponenten sowie Infekte und skapuläres Notching [8, 29]. Kumulativ werden bei der Primärimplantation einer Prothese Komplikationsraten von 3–23 % [10, 14, 28] beschrieben sowie Revisionsraten von 2–15 % [8, 11, 16, 29].
Die Inzidenz periprothetischer Humerusfrakturen insgesamt liegt zwischen 0,4–4 % [8, 11, 16, 19, 23, 29], wobei die Rate intraoperativ aufgetretener Frakturen etwas höher liegt als die postoperativ erlittenen PPHF. Im Register der Mayo Clinic wurden über einen Zeitraum von 30 Jahren über 3000 Patientinnen und Patienten nachuntersucht. Hier konnte über ein Follow-up von 10 Jahren eine Rate von 0,6 % postoperativer Frakturen und 1,5 % intraoperativer Frakturen ermittelt werden [2]. In einem kurzen Beobachtungszeitraum von 5 Jahren nach inverser Frakturprothese lag die Revisionsrate aufgrund einer PPHF bei 0,4 % [16] und in einem weiteren Review von Gonzales et al. bei 2 % intraoperativ aufgetretener Frakturen und 1,4 % postoperativer PPHF über ein 2 Jahres-Follow-up. Die Rate intraoperativer PPHF war bei Revisionseingriffen deutlich erhöht auf 24 % und nimmt bei längeren Beobachtungszeiträumen zu [11, 29].
Risikofaktoren
In multivariaten Analysen hat sich bisher lediglich das weibliche Geschlecht als Risikofaktor für intraoperative Frakturen und ein höherer Charlson-Score mit entsprechender Multimorbidität als Risikofaktor für eine postoperative PPHF bestätigt [23]. Darüber hinaus existieren verschiedene Studien, die im Rahmen von univariaten Analysen für intraoperative Frakturen
- a) die Press-Fit Verankerung bei unzementierten Schäften,
- b) den Revisionseingriff bei insgesamt reduzierter Knochenqualität,
- c) die vorbekannte Lockerung des Prothesenschaftes und
- d) die rheumatoide Arthritis [2, 7]
- identifizieren konnten.
Das Verhältnis zwischen Kortikalisdicke und Diaphysenbreite, wie von Gianotti et al. zur Risikobeurteilung proximaler Humerusfrakturen vorgeschlagen [10], war bei 63 % aller periprothetischer Frakturen unter dem Referenzwert von 0,231 [19]. Die Aussagekraft dieses Faktors und die Implikationen für Therapieentscheidungen muss in der Zukunft noch näher evaluiert werden.
Diagnostik
Um ein individuelles Therapiekonzept für Patientinnen und Patienten mit PPHF erstellen zu können, sollten immer möglichst viele der unten genannten Details, neben den Kenntnissen über individuelle Vorerkrankung und vorbestehende Funktionseinschränkungen, bekannt sein. Im eigenen Vorgehen empfehlen wir die Durchführung folgender Basisdiagnostik:
Röntgen: True a.p. und 2. (axiale) Ebene
CT: Abhängig vom Frakturtyp optional zur präoperativen Planung und Beurteilung des Glenoids
Präoperative Bildgebung aufrufen/anfordern: zur Verlaufsbeurteilung einer Schaftlockerung
Zusätzlich sollte immer der verwendete Prothesentyp bekannt sein, um das notwendige Ausschlaginstrumentarium vorrätig zu haben und Konversionsmöglichkeiten zu kennen.
Der neurologische Status insbesondere der Nn. radialis und axillaris sollte aufgrund der Frakturmorphologie und der möglichen Konversion auf eine inverse Prothese ebenfalls bekannt sein.
Im Falle einer Hemi- oder anatomischen Prothese kann mittels Ultraschall eine Einschätzung der Rotatorenmanschette erfolgen und so die Indikation eines kompletten Prothesenwechsels auf ein inverses Modell eingeschätzt werden.
Labordiagnostik: insbesondere zur Beurteilung der Infektparameter, Gerinnung und des Hb-Wertes
Einteilung/Klassifikation
Wie im Weiteren näher ausgeführt, existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Klassifikationen zur Einteilung der PPHF. Davon unabhängig lassen sich die Frakturen in intra- und postoperative Frakturen einteilen anhand ihrer Entstehung.
Wright/Cofield
1995 wurde von Wright und Cofield erstmals eine Klassifikation der PPHF publiziert anhand einer Studie mit 9 Teilnehmenden. Die Fraktur wird hier in Relation zur Prothesenspitze eingeteilt und lässt per se noch keine Therapieempfehlung zu (Abb. 1) [28].
Worland
Im weiteren Verlauf wurde 1999 von Worland eine Einteilung vorgestellt, die aufgrund der Frakturmorphologie eine Therapieempfehlung nach sich zieht (Abb. 2) [27].
Für die Frakturtypen mit fest einliegender Prothese wird grundsätzlich ein konservatives und/oder osteosynthetisches Vorgehen empfohlen, im Falle einer gelockerten Prothese der Wechseleingriff.
UCS (Unified Classification System)
Die Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthesefragen (AO) hat 2013 eine erweiterte Einteilung der periprothetischen Frakturen im Allgemeinen vorgeschlagen, die sich an der etablierten Systematik der Fraktureinteilung orientiert und zusätzlich noch die Knochenqualität berücksichtigt [6]. Neben der Lokalisationsbeschreibung (1: Humerus) werden die Frakturen dann wie in Tabelle 1 unterteilt (Tab. 1, Abb. 3).
Kirchhoff
2016 wurde von Kirchhoff et al. eine Klassifikation vorgestellt, die neben dem Frakturtyp und der Lockerung der Prothese auch den implantierten Prothesentyp und den Status der Rotatorenmanschette berücksichtigt. Dadurch wird die Einteilung zwar komplex, lässt aber auch eine differenziertere Therapieempfehlung zu [12]. Allerdings werden hier bei den unterschiedlichen Subtypen teils 2–3 unterschiedliche Therapieoptionen vorgeschlagen, so dass auch hier weiterhin individuelle Faktoren in die Wahl des Verfahrens einbezogen werden müssen.
Klinische Relevanz der
Einteilungen
Verschiedene Autoren haben die Anwendbarkeit der einzelnen Einteilungen untersucht. Lediglich die aktuellste Studie von Wiethölter et al. konnte eine hohe inter- und intraobserver Reliabilität für die UCS-, Wright/Cofield- und Kirchhoff-Einteilung demonstrieren; die Autoren resümieren allerdings auch, dass sich allein anhand radiologischer Kriterien keine verlässlichen Therapieempfehlungen ableiten lassen [24]. Weitere Arbeiten zeigten eine nur moderate bis teils schwache Reliabilität für die vorgestellten Einteilungen und ließen ebenfalls keine reproduzierbare Therapieentscheidung zu [3, 14].
Therapie
Indikationsstellung
Die Wahl der optimalen Behandlungsstrategie hängt neben der Frakturmorphologie von mehreren Faktoren ab, die in der kritischen Auseinandersetzung Beachtung finden sollten.
Neben dem Frakturverlauf ist insbesondere die ossäre Integration der Prothese und die Knochenqualität von entscheidender Bedeutung und anhand der radiologischen Bildgebung nicht immer zweifelsfrei zu beurteilen. Häufig kann eine definitive Entscheidung über die Stabilität erst intraoperativ getroffen werden, so dass Operateurinnen und Operateure in jedem Fall mit beiden Verfahren vertraut sein müssen und das entsprechende Instrumentarium und Material vorgehalten werden sollte.
Darüber hinaus ist auch ein Infektverdacht, insbesondere im Fall einer bereits vor der Fraktur gelockerten Prothese, häufig in der Akutsituation erst intraoperativ auszuschließen oder anzunehmen, so dass ggf. auf ein zweizeitiges Vorgehen mit Spacerphase gewechselt werden muss.
Der individuelle präoperative Funktionszustand und Anspruch der Patientin oder des Patienten sollte ebenso in die Wahl des Therapieverfahrens Eingang finden wie ihre/seine Komorbiditäten.
Ziel jeder Therapie sollte sein, den Zustand der Schulterfunktion vor der Fraktur wieder herzustellen, Komplikationen zu minimieren sowie die Konsolidierung der Fraktur, Schmerzfreiheit und eine Rückkehr zu den Aktivitäten des täglichen Lebens zu erreichen. Im Falle einer schlechten Schulterfunktion vor der Fraktur und einliegender Total- oder Hemiprothese kann ggf. durch den Wechsel auf eine inverse Prothese sogar eine Verbesserung des Funktionszustandes erreicht werden und sollte immer mit bedacht werden.
Konservative Therapie
Im Rahmen einer strengen Indikationsprüfung kann in Ausnahmefällen auch eine konservative Therapie zur Behandlung einer PPHF angezeigt sein.
In einer Fallserie von 5 geriatrischen Patientinnen, die mit einer unzementierten Hemiprothese versorgt waren, erfolgte über 3 Monate eine konservative Therapie mittels eines orthopädietechnisch angepassten Doppelschalen-Brace. Die passive Beübung wurde ab der 3. Behandlungswoche freigegeben, mit Ausnahme von Rotationsbewegungen. Die aktive Beübung fand ab der 5. Woche statt. Eingeschlossen wurden in dem rein weiblichen Kollektiv Patientinnen mit Typ C- und B3-Frakturen nach Worland und über durchschnittlich 23 Monate nachbeobachtet. In diesem Zeitraum wurde bei einer Patientin im Pflegeheim mehrfach unautorisiert der Brace abgenommen und die Patientin entwickelte im Verlauf eine Radialisläsion, bei keiner anderen Patientin kam es im Therapieverlauf zu Komplikationen. Die genannte Patientin konnte nicht am Follow-up teilnehmen, da sie frakturunabhängig verstarb. Bei 3 der übrigen 4 Patientinnen zeigte sich eine subjektive Zufriedenheit mit dem Therapieergebnis ohne Schmerzen und mit einem guten funktionellen Outcome, zudem waren die Aktivitäten des täglichen Lebens im Vergleich zum Status vor der Fraktur nicht eingeschränkt [22].
Die Autoren präzisieren allerdings, dass erst nach sorgfältiger Abwägung und aufgrund einer jeweils deutlichen Funktionseinschränkung vor der Fraktur und Multimorbidität entschieden wurde, einen konservativen Therapieversuch zu unternehmen. Grundsätzlich ist ein solches Vorgehen auf gering dislozierte Spiralfrakturen mit fest einliegendem Schaft limitiert, allerdings werden sowohl in zitierter Studie als auch weiteren kleinen Fallserien ebenfalls gute radiologische und funktionelle Ergebnisse bei (um bis zu Schaftbreite) dislozierten Frakturen berichtet [4, 5, 15].
In einem aktuellen Review konnte bei 60 PPHF, die konservativ behandelt wurden, eine Pseudarthroserate von 50 % festgestellt werden [18], so dass das Vorgehen nach Ansicht der Autorinnen/des Autors Einzelfällen vorbehalten bleiben sollte.
Osteosynthetische Versorgung
Polyaxiale Plattensysteme, die im Rahmen der Frakturversorgung periprothetischer Femurfrakturen bereits sehr etabliert sind [17], erlauben auch bei zentraler Plattenlage die bikortikale Schraubenpositionierung beidseits am Prothesenschaft vorbei. Voraussetzung für die Schraubenfixierung ist ein ausreichender Platz zwischen Prothese und Kortikalis. Bei zementierten Prothesen ist dieser Raum breiter und eine bikortikale Schraubenpositionierung leichter und langstreckiger möglich als bei einer zementfreien Prothese, die den kompletten Markraum ausfüllt (Abb. 4).
Der im Rahmen der Prothesenimplantation zumeist gewählte deltoideopektorale Zugang lässt sich komplikationslos nach distal erweitern im Sinne eines anterolateralen Zugangs (nach Henry). Die Platte sollte die Prothesenspitze um mindestens 2 Kortikalisbreiten überlappen, um keine Sollbruchstelle zu provozieren.
Alternativ kann bei distaler gelegenen Frakturen, wenn nicht mindestens 3 bikoritkale Schrauben im Schaft platziert werden können, auch von dorsal eine Doppelplattenostesynthese wie bei distalen Humerusfrakturen erfolgen. Der Vorteil ist, dass die 3,5 mm-Schrauben häufig gut am Prothesenschaft vorbei platziert werden können (Abb. 5).
Mit einer plattenosteosynthetischen Versorgung lässt sich die geringste Pseudarthrosenrate aller Therapieverfahren erreichen, in größeren Kollektiven liegt sie bei 7 % [18], in kleineren Serien sogar bei 0 % [1].
Häufig werden Plattenosteosynthesen mit einer zusätzlichen Drahtcerclage implantiert. Die additive Cerclage oder auch zusätzliche 3,5 mm-Plattenosteosynthesen erhöhen jedoch biomechanisch nicht die Primärstabilität im Vergleich zu einer singulär verwendeten 4,5 mm-Platte [20]. Die Cerclage dient in erster Linie als Repositionshilfe.
Darüber hinaus werden bei fortgeschrittenem Knochenverlust teilweise Augmentationen mit bone grafts (aus Beckenkamm oder Tibiaschaft) vorgenommen [19].
Vorsicht ist geboten, sollte eine insuffiziente Rotatorenmanschette zusammen mit einer anatomischen Prothese oder Hemiprothese vorliegen. Hier kann dann zur Verbesserung der Schulterfunktion selbst bei stabilem Schaft ein Prothesenwechsel auf eine inverse Prothese indiziert sein (Abb. 6).
Prothesenwechsel
Bei 74 % der PPHF liegt ein stabil verankerter Schaft vor [19], was sich allerdings häufig nur schwierig und teils erst intraoperativ nachweisen lässt. Bei periprothetischen Frakturen des Femur konnte jedoch eine hohe Rate an gelockerten Prothesen, die trotz präoperativem Assessment erst intraoperativ auffallen, von 20 % demonstriert werden, so dass hier eine sorgfältige und kritische Evaluation erfolgen sollte [17].
Im Rahmen der präoperativen Beurteilung kann anhand der aktuellen oder zurückliegenden Röntgenbildgebung mittels Aufhellungslinien möglicherweise bereits eine erste Einschätzung erfolgen. Wenn in mindestens 3 der 8 von Sperling et al. beschriebenen humeralen Zonen eine Aufhellung von mehr als 2 mm Breite besteht, kann eine Lockerung des Schaftes angenommen werden (Abb. 7) [24]. Ebenfalls kann im Vergleich mehrerer Bilder eine Migration der Prothese hinweisend für eine Lockerung sein. In allen anderen Fällen muss intraoperativ eine Stabilitätsbeurteilung vor der Versorgung erfolgen. Nach Darstellung der Fraktur kann eine direkte Manipulation des Schaftes durch axiale Stauchung oder Rotation erfolgen und neben der Migration auch das Knochen-Zement/Prothesen-Interface beurteilt werden. In uneindeutigen Fällen kann unter Stress eine radiologische Beurteilung und/oder Visualisierung des proximalen Schaftes erfolgen [1]. Ähnlich der Plattenosteosynthese sollte der neu implantierte Schaft die Fraktur um mindestens 2 Kortikalisbreiten überragen.
Für die Revisionsprothese zeigt sich laut eines Reviews von Mourkus et al. eine Komplikationsrate von 29 % mit Entwicklung einer Pseudarthrose in 16 % der untersuchten Fälle [18].
Zementierte Langschaftprothesen, die im Rahmen einer Revision implantiert wurden, zeigen über ein Follow-up von 7 Jahren in 48 % der Fälle radiologische Lockerungszeichen unterschiedlicher Schwere auf. Eine dadurch hervorgerufene Revision erfolgte bei 12 % der Patientinnen und Patienten auf eine zementfreie modulare Langschaftprothese mit distaler Verriegelung [25].
Wenn ein zementfreier Langschaft implantiert wird, sollte eine Sicherungscerclage angelegt werden, bevor der Schaft eingebracht wird, um das Risiko einer intraoperativen PPHF zu minimieren. Im Rahmen der Studie von Werner et al. kam es bei keiner der zementierten Langschaftprothesen zu einer intraoperativen PPHF, lediglich eine postoperative Fraktur nach 4 Jahren im Rahmen eines Sturzes wurde beobachtet [25].
Im eigenen Vorgehen erfolgt im Revisionsfall standardmäßig der Wechsel auf eine zementierte Langschaftprothese, da hier neben dem geringeren Risiko einer intraoperativen Fraktur und der Tatsache, dass im eigenen Kollektiv noch keine revisionspflichtigen Lockerungen aufgetreten sind, auch eine bessere Einstellung der adäquaten Humeruslänge erfolgen kann, weil der Schaft nicht auf die Formschlüssigkeit des Knochens wie bei der press-fit-Verankerung angewiesen ist (Abb. 8).
Sonderfälle
Sollte kein suffizienter Knochenstock zur Verfügung stehen, um eine Prothese meta- oder diaphysär zu verankern, kann in seltenen Einzelfällen die Implantation eines totalen Humerusersatzes notwendig werden.
Outcome
In einer aktuellen Übersicht von 40 Studien, im Rahmen derer insgesamt 210 PPHF nachbeobachtet wurden, zeigte sich bei der hohen Anzahl konservativ behandelter Patientinnen und Patienten (29 %) eine inakzeptabel hohe Pseudarthrosenrate von 50 % [18]. Allerdings waren die Klassifikationen und Kriterien innerhalb der Studien inhomogen und/oder intransparent. In jedem Fall sollte eine Therapieentscheidung für ein konservatives Vorgehen immer sehr differenziert und individuell gestellt werden. 47 % der Patientinnen und Patienten konnten in den zugrunde liegenden Studien osteosynthetisch versorgt werden und im Gegensatz hierzu wurde eine Konsolidierung der Fraktur bei 93 % der Verletzungen erreicht. Die Rate an ausgeheilten Frakturen bei einem Wechsel der Prothese lag bei 84 %. In anderen Studien konnte sogar eine Heilungsrate operativ versorgter PPHF von beeindruckenden 97 % demonstriert werden, lediglich eine Pseudarthrose nach Prothesenwechsel trat in der Gruppe von 36 nachuntersuchten Frakturen auf. Die Dauer der Frakturheilung betrug im Schnitt 6,8 Monate. Im Rahmen der Untersuchung wurde darüber hinaus auch bei einem Teil der Patientinnen und Patienten bereits vor der Fraktur ein ASES-Score erhoben, bei 5 von 6 osteosynthetisch versorgten PPHF konnte dieser Wert nach 2 Jahren wieder erreicht werden und bei allen 5 PPHF, die einen Prothesenwechsel bekamen, wurde der Wert im Follow-up sogar überschritten [1].
Die Komplikationsrate nach Versorgung einer PPHF liegt ähnlich hoch bei Plattenosteosynthesen und Wechseloperationen (41 % vs. 36 %) mit einer Reoperationsrate von 19 % [1]. An Komplikationen scheinen insbesondere Radalisläsionen einen hohen Stellenwert einzunehmen. Bei 20 % der plattenosteosynthetisch versorgten Frakturen zeigte sich (zu gleichen Anteilen) prä- oder postoperativ eine Schädigung in einzelnen Studien. Allerdings waren diese zu 83 % ohne Intervention vollständig rückläufig [9]. Im Rahmen der Revisionsprothese kommt es, abhängig von der Op-Technik, bei unzementierten Prothesen eher zu einer Refraktur (10 %) und bei zementierten Schäften zu einer Lockerung [9, 25].
Fazit
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass beim Management periprothetischer Humerusfrakturen eine hohe Expertise sowohl hinsichtlich prothetischer als auch osteosynthetischer Verfahren vorhanden sein sollte und die operative Versorgung dieser Frakturen damit spezialisierten Zentren vorbehalten bleiben muss, an denen entsprechend ausgebildete Chirurginnen und Chirurgen arbeiten sowie auch die benötigten Implantate vorgehalten werden. Die individuelle Versorgungsstrategie lässt sich häufig erst intraoperativ feststellen und verlangt somit ein hohes Maß an Flexibilität. Unter der optimalen Therapie kann dann mehrheitlich eine gute Konsolidierungsrate und ein gutes funktionelles Outcome erreicht werden.
Periprothetische Humerusfrakturen distal des Prothesenschaftes mit stabil einliegendem Schaft können, abhängig von Patientinnen- und Patientenwunsch, Dislokationsgrad, Komorbiditäten und Narkosefähigkeit sowie dem individuellen Funktionsanspruch konservativ oder osteosynthetisch versorgt werden.
Periprothetische Frakturen im Schaftbereich mit fest einliegender Prothese, die sich auch intraoperativ bestätigt, können in der Regel osteosyntetisch versorgt werden. Unter Umständen ist eine additive Cerclage zur Reposition notwendig. Prä- und postoperativ sollte hier immer ein besonderes Augenmerk auf die Funktion des N. radialis gelegt werden.
Periprothetische Frakturen mit gelockerter Prothese benötigen im Allgemeinen den Wechsel des Humerusschaftes oder der gesamten Prothese, insbesondere durch einen Wechsel auf eine inverse Prothese lassen sich hier mitunter deutliche funktionelle Verbesserungen erreichen. Häufig bietet der Revisionsfall hier die Möglichkeit, Begleitpathologien wie beispielsweise eine Rotatorenmanschettenläsion, Glenoidlockerung oder Instabilität simultan zu adressieren. Sowohl die zementfreie als auch die zementierte Technik werden von einzelnen Autorinnen und Autoren aufgrund des unterschiedlichen Komplikationsspektrums bevorzugt. Das eigene Vorgehen sollte an vorhandene und bekannte Implantate und die individuelle Situation der Fraktur angepasst werden.
Interessenkonflikte:
Keine angegeben.
Das Literaturverzeichnis zu
diesem Beitrag finden Sie auf:
www.online-oup.de.
Korrespondenzadresse
Dr. med. Melina Pavlovi?
Zentrum für Orthopädie und
Unfallchirurgie
Uniklinikum Gießen und Marburg
Standort Marburg
Baldingerstraße
35043 Marburg
mefische@med.uni-marburg.de.
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